
Weizensensitivitäten: Zöliakie, Weizenallergie, ATI-Sensitivität
Institut für Translationale Immunologie
und Ambulanz für Zöliakie- und
Dünndarmerkrankungen
Forschungszentrum Immuntherapie (FZI),
Universitätsmedizin Mainz
Mainz Platform for Chemical Allergology (MCPA),
Universitätsmedizin und Johannes-Gutenberg- Universität,
Mainz, Deutschland
Division of Gastroenterology,
Beth Israel Deaconess Medical Center,
Harvard Medical School,
Boston, MA, USA
Erst in jüngster Zeit konnte das Spektrum weizenbedingter Erkrankungen besser definiert werden. In Anbetracht einer großen Verunsicherung in der Öffentlichkeit, aber auch unter Fachleuten fehlte bislang eine klare klinische und evidenzbasierte Definition. Selbst unter Experten, die sich seit 2012 alle 1–2 Jahre treffen und die neuesten Erkenntnisse in Konsensus-Reports zusammenfassen, beginnen sich erst langsam die unterschiedlichen weizenbedingten Krankheiten zu konkretisieren.1–3
Die enorme Tragweite von weizenassoziierten Erkrankungen für die Betroffenen und die Gesundheitspolitik in den weizenkonsumierenden Gesellschaften wird erst jetzt klar. Der Konsum von Weizen (und ähnlichen, glutenhaltigen Getreidesorten) kann entzündliche Erkrankungen hervorrufen oder begünstigen:4
- Zöliakie (Prävalenz ca. 1 % )
- (atypische) Weizenallergie (Prävalenz ca. 4 % )
- ATI-Sensitivität (Prävalenz 5–10 % )
Mit Ausnahme der Zöliakie sind endoskopisch- histologisch im (Dünn-)Darm der Patienten mit Weizenallergie oder ATISensitivität bestenfalls nur geringe, unspezifische Entzündungszeichen zu sehen (insbesondere leicht vermehrte intraepitheliale Lymphozyten). Dagegen liegt der sogenannten FODMAP-Intoleranz, d.h. einer Unverträglichkeit von fermentierbaren Oligo-, Di-, Monosacchariden und Polyolen, keine Entzündung zugrunde. FODMAPs werden nur unvollständig durch den Darm aufgenommen und führen zu bakterieller Vergärung im Darm, meist mit Blähungen, z.T. mit Bauchschmerzen oder Durchfällen. Bestimmte pflanzliche Nahrungsmittel, z.B. Bohnen oder frische Kirschen, aber auch manche Weizensorten, enthalten größere Anteile an FODMAPs. Diese sind aber nicht schädlich, sondern fördern im Gegenteil eine gesunde Darmflora. Sie sollten deshalb nicht radikal aus der Ernährung gestrichen werden. 2, 5
Zöliakie
Die Zöliakie wird durch den Verzehr glutenhaltiger Getreide (Weizen, Dinkel, Einkorn, Emmer, Roggen, Gerste) hervorgerufen. Mit einer Prävalenz um 1 % ist sie die häufigste und immunologisch am besten charakterisierte nicht infektiöse chronisch entzündliche Erkrankung des Darms weltweit.6–9 Sie kann sich in jedem Alter manifestieren, klassisch mit Bauchschmerzen, Diarrhö oder Gewichtsverlust, überwiegend jedoch mit indirekten Auswirkungen einer Malabsorption (Anämie, Osteoporose) oder mit assoziierten Autoimmunerkrankungen, z.B. der Bauchspeicheldrüse (Typ-1-Diabetes), der Schilddrüse oder der Haut (Dermatitis herpetiformis).8, 10 Die Pathogenese der Zöliakie ist gut untersucht. So wird das Speicherprotein Gluten nur unvollständig verdaut und aktiviert in der Dünndarmschleimhaut der Patienten entzündliche T-Zellen, die zu einer Atrophie der resorptiven Villi führen. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer genetischen Prädisposition (HLA-DQ2 oder -DQ8) auf Antigen- präsentierenden Immunzellen. Ferner verstärkt das im Darm freigesetzte Autoantigen und Enzym Gewebetransglutaminase (TG2) durch Deamidierung die Immunogenität des Glutens. Der Antikörpertest gegen TG2 ist einer der besten diagnostischen Tests in der Medizin und sichert gemeinsam mit der charakteristischen Dünndarmhistologie die Diagnose. Trotzdem bleibt die Erkrankung bei 80– 90 % der Betroffenen unerkannt. Die unbehandelte Zöliakie kann zu schweren Komplikationen führen. Hierzu gehören die Folgen der Malabsorption, Malignome (refraktäre Zöliakie Typ 2, intestinales T-Zell-Lymphom) und wahrscheinlich die Bahnung von Autoimmunerkrankungen. Die Therapie, eine strikt glutenfreie Diät, ist schwierig und nicht immer wirksam. Alternative, unterstützende pharmakologische Therapien werden dringend benötigt und sind derzeit in Entwicklung, so z.B. in einer 2018 beginnenden Phase-IIStudie mit einem oralen Hemmstoff der TG2.6, 8, 9
Weizenallergie
Eine Nahrungsmittelallergie gegen Weizenproteine ist wesentlich verbreiteter als bisher vermutet, jedoch in einer atypischen Form (IgE- und Hauttest-negativ), mit verzögerten gastrointestinalen Symptomen, aber einer Sofortreaktion im Dünndarm nach Weizenprovokation und konfokaler Endomikroskopie. Dies betrifft insbesondere Patienten mit der Diagnose Reizdarm, von denen ca. zwei Drittel nahrungsmittelabhängige Beschwerden berichten. Nach unseren Befunden reagieren bis zu 50 % dieser Patienten auf Weizen und weitere 20–30 % auf Milch, Soja oder Hefe. Die Beschwerden bessern sich drastisch und langfristig unter Ausschluss der identifizierten allergenen (im Fall der Weizenallergie glutenhaltigen) Nahrungsmittel.11 Wir konnten diese Daten kürzlich an einer wesentlich größeren Anzahl von Reizdarmpatienten bestätigen.12
ATI-Sensitivität
Die dritte Kategorie der (fälschlicherweise als „glutenbedingt“ bezeichneten) entzündlichen Erkrankungen durch Weizen und verwandte Getreide, die immer auch glutenhaltig sind, ist die ATI-Sensitivität. ATI (Amylase-Trypsin-Inhibitoren) sind eine Familie von Nicht-Gluten-Weizenproteinen, die die Reifung des Getreidekorns regulieren. Sie sind resistent gegen den Abbau durch intestinale Proteasen und aktivieren den LPS-Rezeptor (TLR4) auf myeloiden Zellen des Darms (dendritische Zellen, Makrophagen). Die so aktivierten Zellen verlassen den Darm und wirken kostimulatorisch auf primäre periphere chronisch entzündliche Prozesse. Die Symptomatik ist, bis auf eine wahrscheinliche Verstärkung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen, primär extraintestinal, mit einer Verstärkung von autoimmunen und entzündlichen metabolischen Erkrankungen. Zu den Erkrankungen, für die wir eine derartige Verstärkung in Krankheitsmodellen bereits nachgewiesen haben, gehören chronisch entzündliche Darmerkrankungen, die multiple Sklerose, der systemische Lupus erythematodes, Typ-2-Diabetes, die Fettleberhepatitis, die entzündliche Leber- und Lungenfibrose sowie inhalative (Pollen-)Allergien und Nahrungsmittelallergien.13–18
Der Effekt ist dosisabhängig und Patienten müssen den Konsum ATI-haltiger (= glutenhaltiger) Produkte auf 5–10 % der Norm reduzieren. Mehrere klinische Studien an Patienten mit definierten chronischen und autoimmunen Erkrankungen laufen derzeit.
Fazit
Die Differenzierung der weizenbedingten Erkrankungen ist bis auf die eindeutige Diagnostik der aktiven Zöliakie durch positive Autoantikörper gegen Transglutaminase 2 und eine wegweisende Histologie schwierig. Die Tabelle gibt jedoch Hinweise auf primär klinische Zeichen und Symptome, welche die Diagnose nahelegen. Letztlich erfordert die korrekte Diagnose nicht nur das je aktuelle Fachwissen, sondern auch ausreichend Zeit für eine exakte Anamnese und Führung des Patienten, verbunden mit einer länger dauernden Kommunikation. Jedoch sind Serumtests und endoskopische Verfahren in Entwicklung, die eine Diagnosestellung in Zukunft erleichtern sollen.
1 Catassi C et al.: Nutrients 2013; 5: 3839-53 2 Catassi C et al.: Nutrients 2015; 7: 4966-77 3 Catassi C et al: Nutrients 2017; 9 (11): E1268 4 Schuppan D, Gisbert-Schuppan K: Heidelberg: Springer Medizin, 2018 5 Schuppan D et al.: Dig Dis 2015; 33: 260-3 6 Schuppan D et al.: Gastroenterology 2009; 137: 1912-33 7 Lundin KE, Sollid LM: Curr Opin Gastroenterol 2014; 30: 154-62 8 Schuppan D: [Celiac disease: Pathogenesis, clinics, epidemiology, diagnostics, therapy.] Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2016; 59: 827-35 9 Stein J et al.: Z Gastroenterol 2018; 56: 151-64 10 Kahaly GJ, Schuppan D: Dig Dis 2015; 33: 155-61 11 Fritscher-Ravens A et al.: Gastroenterology 2014; 147: 1012-20 12 Moesinger M et al.: Gastroenterology 2017; 152: S641 (Abstract) 13 Ashfaq-Khan M et al.: J Hepatol 2017; 66; S600-01 (Abstract) 14 Bellinghausen I et al.: J Allergy Clin Immunol 2018 [in print] 15 Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2015; 148: S388 (Abstract) 16 Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2016; 150: S900 (Abstract) 17 Zevallos VF et al.: Gastroenterology 2017; 152: 1100-3 18 Zevallos VF et al.: Eur J Clin Nutr 2018 [in print]
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