© Getty Images/iStockphoto

ÖGGH 2018

Wann ist Gluten schädlich?

<p class="article-intro">Im letzten Jahrzehnt ist es zu einer sprunghaften Zunahme der Zahl an Menschen gekommen, die sich größtenteils selbst auf eine glutenfreie Diät gesetzt haben, ohne dass hierfür eine ärztliche Diagnose gestellt worden ist. In den USA verzeichnete man bei der Anzahl an Konsumenten, die sich glutenfrei ernährten, obwohl keine ärztliche Abklärung in Bezug auf Glutenunverträglichkeit vorlag, eine Zunahme von 44 % auf 72 % . Wie im nachfolgenden Artikel dargestellt, gibt es allerdings verschiedene Gründe, warum Menschen glutenfrei essen.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Z&ouml;liakie tritt bei ca. 1 % der Bev&ouml;lkerung auf. Um Komplikationen zu vermeiden, muss eine strikte glutenfreie Di&auml;t eingehalten werden.</li> <li>Bei Verdacht auf Glutenintoleranz (NCGS) ist prim&auml;r Z&ouml;liakie auszuschlie&szlig;en (IgA-TTG/-EMA), bei Di&auml;tfehlern sind keine Komplikationen zu bef&uuml;rchten.</li> <li>Der Versuch einer Glutenbelastung sollte nach einiger Zeit gemacht werden, da etwa nur 30 % der Patienten R&uuml;ckf&auml;lle unter einer glutenhaltigen Di&auml;t erleiden und diese wegen der Unzuverl&auml;ssigkeit der Vordiagnostik nicht ein Leben lang eingehalten werden sollte.</li> <li>Nahrungsmittelallergien sind im Erwachsenenalter selten, systemische Reaktionen sollten auch zu einer strengeren Di&auml;t f&uuml;hren.</li> <li>Bei Nahrungsmittelintoleranzen sollten Di&auml;ten wegen der Beschwerden zumindest vor&uuml;bergehend eingehalten werden, ein langfristiges Einhalten ist aber medizinisch nicht indiziert.</li> </ul> </div> <p>Das urs&auml;chliche Agens, wenn man von Glutenintoleranz spricht, ist bei Z&ouml;liakie ein Teil des Glutens (ein 33 Aminos&auml;uren langes Peptid).<br /> Bei nicht Z&ouml;liakie-bedingter Glutensensitivit&auml;t d&uuml;rften es Amylase-Trypsin-Inhibitoren sein, die sich an den Getreide&auml;hren befinden, dort urspr&uuml;nglich als Schutz gegen Sch&auml;dlinge dienen und beim Menschen immunologische Reaktionen bis zum B&auml;ckerasthma ausl&ouml;sen k&ouml;nnen. Aber auch sogenannte Weizenagglutinine in den Weizenkeimlingen, die ebenfalls gegen Sch&auml;dlinge gerichtet sind und kurzfristig Zytokine freisetzen k&ouml;nnen, kommen als Ursache einer Glutensensitivit&auml;t infrage.<br /> Des Weiteren k&ouml;nnen auch sogenannte &bdquo;fermentable oligo-, di- and monosaccharides and polyols&ldquo; (FODMAPs) gastroenterale Beschwerden verursachen. Dazu z&auml;hlen die &uuml;blicherweise nicht gut verdaulichen Nahrungsbestandteile wie Laktose, Fruktose, einige Gem&uuml;searten, S&uuml;&szlig;stoffe, aber auch viele Mehlprodukte, womit eine FODMAP-freie Di&auml;t &uuml;blicherweise auch eine glutenfreie Di&auml;t ist.</p> <h2>Z&ouml;liakie</h2> <p>Die Z&ouml;liakie ist praktisch auf dem ganzen Erdball in &auml;hnlicher H&auml;ufigkeit verteilt. Man geht von einer Pr&auml;valenz von ungef&auml;hr 1 % der Bev&ouml;lkerung aus, es werden allerdings bei Weitem nicht alle Z&ouml;liakief&auml;lle als solche erkannt. In den USA ist es in den letzten Jahren zu einer sprunghaften Zunahme der Zahl der Z&ouml;liakiediagnosen von 0,2 auf 1 % gekommen. Die Ursache ist eine genetische: Es sind mehr als 63 Gene daf&uuml;r bekannt, wobei die wichtigsten im HLA-DQ-Bereich liegen, weshalb praktisch 99 % der von Z&ouml;liakie Betroffenen HLA-DQ2- oder HLA-DQ8-positiv sind (aber auch 30 % der gesunden Bev&ouml;lkerung). Die Diagnose der Z&ouml;liakie im Erwachsenenalter erfolgt weiterhin &uuml;ber die Duodenalbiopsie, wobei eine Zottenatrophie mit Kryptenhyperplasie und Vermehrung der intraepithelialen Leukozyten f&uuml;r die Diagnose ausschlaggebend ist. Dieses histologische Ergebnis muss durch eine positive Blutserologie mit positiven IgA-Tissue-Transglutaminase(TTA)- Antik&ouml;rpern oder IgA-endomysialen Antik&ouml;rpern best&auml;tigt werden. Den Betroffenen sollte es unter einer glutenfreien Di&auml;t besser gehen. Die Symptome sind meistens nicht so eindrucksvoll, 60 % haben &uuml;berhaupt keine typischen Bauchsymptome zum Zeitpunkt der Diagnose, viele leiden unter mehr oder weniger stark ausgepr&auml;gten Bl&auml;hungen, weicherem Stuhl und vermindertem K&ouml;rpergewicht oder Gewichtsverlust. Einige haben schon seit der Kindheit Beschwerden und etwa 10 % haben Verwandte mit Z&ouml;liakie, die bereits diagnostiziert wurde. Es gibt viele assoziierte Erkrankungen wie die Hauterkrankung Dermatitis herpetiformis Duhring mit in Gruppen stehenden juckenden Bl&auml;schen an den Ellenbogen- und Kniestreckseiten und im Ges&auml;&szlig;bereich, die Hashimoto- Thyreoiditis, Diabetes mellitus und seltener immunologische Lebererkrankungen und neurologische Erkrankungen.<br /> Die Therapie besteht in einer strikten, lebenslangen glutenfreien Di&auml;t, wobei die &uuml;blichen Mehle verboten sind und seltenere Mehle wie von Buchweizen, Hirse, Mais, Reis, Quinoa und Amaranth erlaubt sind. Wichtig ist es, nie mit einer glutenfreien Di&auml;t zu beginnen, bevor die Antik&ouml;rper bestimmt worden sind, da sonst eine sp&auml;tere Diagnose erschwert oder sogar verhindert wird. Auch bei Verdacht auf reine Glutenintoleranz ohne Z&ouml;liakie sollten unbedingt die IgA-TTG-Antik&ouml;rper vor Di&auml;tbeginn bestimmt werden. Bei der Duodenalbiopsie kann das Ergebnis ebenso verwischt sein und kaum jemand m&ouml;chte nach erfolgreichem Beginn einer Di&auml;t wieder in den Zustand ohne Di&auml;t zur&uuml;ckkehren. Im Gegensatz zu Glutenintoleranzen kann es bei unbehandelter Z&ouml;liakie zu Komplikationen kommen, wie z.B. Infertilit&auml;t bzw. Fehlgeburten bei j&uuml;ngeren Frauen, Osteoporose und Knochenbr&uuml;chen, Lymphomen insbesondere des D&uuml;nndarms (allerdings bei Personen, die bei Erstdiagnose &uuml;ber 60 Jahre alt waren, insgesamt ist diese Komplikation selten &ndash; ca. 0,03 % ).</p> <h2>Weizenglutenintoleranz</h2> <p>Hier gibt es zwei synonym gebrauchte Diagnosen: &bdquo;non celiac gluten sensitivity&ldquo; (NCGS) und &bdquo;non celiac wheat sensitivity&rdquo; (NCWS). Diese Entit&auml;t wurde urspr&uuml;nglich in Australien beschrieben. Im Rahmen einer randomisierten Doppelblindstudie wurde festgestellt, dass es Menschen gibt, die ohne Z&ouml;liakie positiv auf eine glutenfreie Di&auml;t reagieren, wobei sich aber nicht nur Bauchsymptome wie Stuhlver&auml;nderungen verbesserten, sondern auch Symptome, die zerebral bedingt waren, wie M&uuml;digkeit etc. Schlie&szlig;lich wurde die NCGS n&auml;her definiert als:</p> <ul> <li>Ausschluss der Z&ouml;liakie durch negative Antik&ouml;rper (TTG, EMA),</li> <li>meist &auml;hnliche Bauchbeschwerden wie bei Reizdarm,</li> <li>oft auch au&szlig;erhalb des Darms auftretende Beschwerden wie M&uuml;digkeitssyndrom, Fibromyalgie etc.,</li> <li>Verbesserung dieser Beschwerden unter einer glutenfreien Di&auml;t.</li> </ul> <p>Viele der NCGS-Betroffenen haben eher extraintestinale Symptome wie vermindertes Wohlbefinden, M&uuml;digkeit, Kopfschmerzen, &Auml;ngstlichkeit, Benommenheit, Taubheitsgef&uuml;hl, Muskel-Gelenks-Beschwerden, die sich mit glutenfreier Di&auml;t bessern. Die Ursache d&uuml;rfte wie erw&auml;hnt eine immunologische Reaktion gegen die sogenannten Amylase-Trypsin-Inhibitoren sein, die an der Oberfl&auml;che der Getreidek&ouml;rner lokalisiert sind. &Auml;hnliche Reaktionen k&ouml;nnen auch bei der Weizenallergie, bei Reizdarmsyndrom und sogar bei chronisch- entz&uuml;ndlichen Darmerkrankungen eine Entz&uuml;ndung aktivieren.<br /> Die Pr&auml;valenz d&uuml;rfte bei ca. 6 % der Bev&ouml;lkerung liegen, Frauen sind h&auml;ufiger betroffen als M&auml;nner. Obwohl keine Z&ouml;liakie vorliegt, sind die Betroffenen oft HLA-DQ2/DQ8-positiv, in 12&ndash;18 % der F&auml;lle findet man sogar Verwandte ersten Grades mit Z&ouml;liakie. Wichtig ist, dass es hier keinen Sinn hat, IgG-Nahrungsmittelantik&ouml;rper zu bestimmen, da sie keinen Wert in der Diagnostik oder in der &Uuml;berwachung haben. Bei mehr als 50 % der Betroffenen treten die ersten Beschwerden innerhalb einer Stunde nach Aufnahme glutenhaltiger Speisen auf und dauern zumeist zwischen 1 und 6 Stunden. Die Sicherheit im Zusammenhang mit der Diagnose, nach einer Glutenbelastung wieder mit einem R&uuml;ckfall im Sinne einer typischen NCGS zu reagieren, kann durch Doppelblindtestung mit Gluten/Placebo (&bdquo;Salerno-Kriterien&ldquo;, Catassi 2015) auf das 5-Fache erh&ouml;ht werden. Ohne diese Diagnostik wird NCGS nur bei 30 % der mutma&szlig;lichen Betroffenen best&auml;tigt. In der Routine gibt es diese Testung allerdings nicht.</p> <h2>FODMAP</h2> <p>Abk&uuml;rzung f&uuml;r &bdquo;fermentable oligo-, diand monosaccharides and polyols&ldquo;. Diese umfassen alle Speisen, die theoretisch Bl&auml;hungen, Bauchschmerzen und Durchf&auml;lle ausl&ouml;sen k&ouml;nnen, insbesondere fruktose-, laktose- oder fruktanhaltige Lebensmittel sowie Cerealien, Gem&uuml;se wie Bohnen, Polyole und S&uuml;&szlig;stoffe. Insbesondere Reizdarmbetroffene reagieren auf eine FODMAP-freie Di&auml;t, ohne dass hier spezifische Intoleranz gegeben sein muss.</p> <h2>Weizen- bzw. Nahrungsmittelallergien</h2> <p>Im Erwachsenenalter sind diese sehr selten, weniger als 0,1 % der adulten Bev&ouml;lkerung leiden an einer Weizenallergie. Wesentlich ist die Art der Reaktion: Handelt es sich um eine sehr ausgepr&auml;gte Reaktion wie Nesselsucht (Urtikaria) am gesamten K&ouml;rper oder gar Atem- und Engegef&uuml;hl im Hals nach Essen von weizenhaltigen Nahrungsmitteln, dann spricht man von einer systemischen Nahrungsmittelallergie, und angesichts der schweren Reaktionen sollte eine strikt weizenfreie Di&auml;t eingehalten werden. Die Diagnostik ist eher schwierig, sie erfolgt einerseits &uuml;ber den Haut-Prick-Test und andererseits &uuml;ber Bluttests (IgE, Vermeidung des Nahrungsmittelallergens, z.B. Weizen).</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>beim Verfasser</p> </div> </p>
Back to top