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Therapie mittels Integrin-Antagonist Vedolizumab
Leading Opinions
Autor:
Prof. Dr. med. Jan-Hendrik Niess
Autor:
PD Dr. med. Petr Hruz, MD, PhD
Departement für Gastroenterologie und Hepatologie<br> Universitätsspital Basel<br> E-Mail: petr.hruz@usb.ch
30
Min. Lesezeit
31.08.2017
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<p class="article-intro">Seit Februar 2015 steht in der Schweiz mit dem humanisierten monoklonalen α4β7- Integrin-Antikörper Vedolizumab (Entyvio®) ein alternatives Biologikum mit einem neuartigen Wirkungsprinzip zur Behandlung von Patienten mit IBD zur Verfügung. Die Blockade des Integrinrezeptors α4β7 führt zu einer darmselektiven Inhibierung der Migration von Lymphozyten aus dem Gefässbett in die entzündete Darmmukosa.</p>
<hr />
<p class="article-content"><h2>Wirkungsprinzip</h2> <p>In der Pathophysiologie der chronischentzündlichen Darmerkrankungen (CED) besteht eine überschiessende Aktivierung des mukosalen Immunsystems, bei der eine gestörte Mukosabarriere in genetisch prädisponierten Individuen eine wichtige Rolle spielt. Eine lokale Entzündung kann durch eindringende Antigene oder durch die Mikroflora des Darmes ausgelöst werden. Bei der Migration von Entzündungszellen in das Darmgewebe spielt das Adhäsionsmolekül α4β7-Integrin, das auf aktivierten Lymphozyten exprimiert wird, eine Schlüsselrolle. Die aus dem Gefässbett einwandernden Entzündungszellen binden über diesen Rezeptor an das auf den intestinalen Endothelzellen exprimierte mukosale Addressin-Zelladhäsionsmolekül 1 (MAdCAM1). Beide Adhäsionsmoleküle auf dem Endothel und den Immunzellen sind für die Migrationsvorgänge von zentraler Bedeutung. Neben dem darmselektiven Integrin-Antagonisten Vedolizumab sind weitere Antikörper mit ähnlichem Wirkungsprinzip derzeit in Entwicklung.</p> <h2>Klinische Studien</h2> <p>Vedolizumab ist in placebokontrollierten Zulassungsstudien (Gemini I–III) bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Entzündung mit Colitis ulcerosa beziehungsweise mit Morbus Crohn im Rahmen einer Induktion und Remissionserhaltung untersucht worden.<sup>1, 2</sup> Aufgenommen wurden Patienten, bei denen zuvor mindestens eine konventionelle Therapie (z.B. Kortikosteroide, Immunmodulatoren) und/oder ein oder mehrere TNF-α-Antagonisten versagt hatten (einschliesslich primärer Non-Responder, sekundärer Non-Responder und Patienten mit Unverträglichkeit). Vedolizumab war bezüglich klinischen Ansprechens und klinischer Remission in beiden Endpunkten sowohl bei TNF-α-Antagonisten-naiven Patienten mit Colitis ulcerosa als auch bei Patienten mit einer erfolglosen TNF-α-Antagonisten- Vortherapie gegenüber Placebo überlegen. Hingegen suggerieren die Daten bei Patienten mit Morbus Crohn einen verzögerten Wirkungseintritt. Zu beachten ist, dass fast 50 % der behandelten Crohnpatienten in der Induktionsphase der GEMINIII- Studie bereits mindestens eine erfolglose Behandlung mit einem TNF-α-Antagonisten hatten. Die Daten aus den oben genannten Zulassungsstudien werden im Wesentlichen in mehreren klinischen Postmarketingstudien bestätigt.<sup>3–5</sup> Es werden in diesen Studien bei fehlendem Placebovergleich nach 54 Wochen Behandlung eine klinische Remission bis zu 50 % und eine steroidfreie Remission bis zu 30 % beschrieben. Auch hier scheinen das klinische Ansprechen sowie die Remissionsraten bei Patienten mit Morbus Crohn etwas geringer ausgeprägt zu sein als bei Patienten mit Colitis ulcerosa. TNF-α-Blocker-naive Patienten zeigen ein günstigeres Ansprechprofil bezüglich Vedolizumab als Patienten, die auf TNF- α-Blocker nicht angesprochen haben (inklusive Patienten mit Wirkungsverlust).<sup>6</sup> Nach einer mindestens 52-wöchigen Vedolizumab- Behandlung können gemäss einer vor Kurzem publizierten Studie eine Mukosaabheilung und histologische Remission in 30 % bei Patienten mit Colitis ulcerosa und ca. 20 % bei Morbus Crohn erwartet werden.<sup>7</sup></p> <h2>Therapieaspekte</h2> <p>Das empfohlene Dosierungsschema für die Behandlung mit Entyvio beträgt 300mg als intravenöse Kurzinfusion bei Start, nach zwei und sechs Wochen und danach alle acht Wochen. Dieser Zeitplan gilt für Colitis ulcerosa und Morbus Crohn gleichermassen. Es bestehen keine standardisierten Empfehlungen für Vorabklärungen vor einer Therapie mit Vedolizumab. Da es sich um ein biologisches Medikament mit immunmodulatorischer Wirkung handelt, könnten Vorabklärungen, wie sie bei der TNF-α-Blocker-Behandlung Standard sind, ratsam sein.<sup>8</sup><br /><br /> Aufgrund des darmselektiven Wirkungsprinzips zeigt sich bei Vedolizumab ein günstigeres Nebenwirkungsprofil als bei den TNF-α-Blockern. Die häufigsten beobachteten Nebenwirkungen sind Nasopharyngitis, Kopfschmerzen, Infektionen der oberen Atemwege, Husten, Übelkeit, Bauchschmerzen, Arthralgien, Rückenschmerzen und Müdigkeit. Schwere Infektionen und allergische Infusionsreaktionen sind nur selten beobachtet worden. Eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Behandlung mit Vedolizumab sollte gleichwohl für opportunistische Infektionen und für Infektionen, bei denen der Darm als schützende Barriere dient, gelten. Einige unspezifische Integrin-Antagonisten sind mit der progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) in Verbindung gebracht worden, einer seltenen durch das Polyoma-John-Cunningham-Virus (JC-Virus) ausgelösten und fatal verlaufenden opportunistischen Infektion des ZNS. In der Behandlung mit Vedolizumab wurden bisher keine Fälle von PML beobachtet. Vorsichtig sollte bei Schwangerschaften vorgegangen werden, da zum aktuellen Zeitpunkt nur einzelne Fallberichte zur Anwendung von Entyvio bei Schwangeren vorliegen.<sup>9</sup> Entyvio sollte während der Schwangerschaft zurzeit nur angewendet werden, wenn der therapeutische Nutzen für die Mutter die Risiken für das ungeborene Kind überwiegt.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Der α4β7-Integrin-Antikörper Vedolizumab hat sich als effizient in der Induktions- und Remissionsbehandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa und Morbus Crohn mit moderater bis schwerer aktiver Entzündung gezeigt. Entsprechend dem Wirkungsmechanismus muss jedoch die Therapie individuell angepasst werden, da es zu einem verzögerten Wirkungseintritt kommen kann.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Feagan BG et al.: Vedolizumab as induction and maintenance therapy for ulcerative colitis. N Engl J Med 2013; 369: 699-710 <strong>2</strong> Sandborn WJ et al.: Vedolizumab as induction and maintenance therapy for Crohnʼs disease. N Engl J Med 2013; 369: 711-21 <strong>3</strong> Amiot A et al.: Effectiveness and safety of vedolizumab induction therapy for patients with inflammatory bowel disease. Clin Gastroenterol Hepatol 2016; 14: 1593-601 <strong>4</strong> Amiot A et al.: One-year effectiveness and safety of vedolizumab therapy for inflammatory bowel disease: a prospective multicentre cohort study. Aliment Pharmacol Ther 2017; 46: 310-21 <strong>5</strong> Stallmach A et al.: Vedolizumab provides clinical benefit over 1 year in patients with active inflammatory bowel disease - a prospective multicenter observational study. Aliment Pharmacol Ther 2016; 44: 1199-212 <strong>6</strong> Sands BE et al.: Vedolizumab as induction and maintenance therapy for Crohnʼs disease in patients naive to or who have failed tumor necrosis factor antagonist therapy. Inflamm Bowel Dis 2017; 23: 97-106 <strong>7</strong> Noman M et al.: Vedolizumab induces long term mucosal healing in patients with Crohnʼs disease and ulcerative colitis. J Crohns Colitis 2017; doi: 10.1093/eccojcc/ jjx048. [Epub ahead of print] <strong>8</strong> Pache I et al.: TNF-alpha blockers in inflammatory bowel diseases: practical consensus recommendations and a userʼs guide. Swiss Med Wkly 2009; 139: 278-87 <strong>9</strong> Mahadevan U et al.: Vedolizumab exposure in pregnancy: outcomes from clinical studies in inflammatory bowel disease. Aliment Pharmacol Ther 2017; 45: 941-50</p>
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