© Alette Pommer

Patientenkommunikation bei Selbstverletzungen der Haut

Interventionsmöglichkeiten bei selbstverletzendem Verhalten

Selbstverletzungen sind ein sehr breit gefächertes Spektrum und längst werden nicht alle derartigen Verletzungen überhaupt als solche wahrgenommen. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf praktischen Beispielen, wie ich sie bei der Begleitung von Patient:innen, die zu selbstverletzendem Verhalten neigen, beobachten konnte.

Unter den von selbstschädigendem Verhalten betroffenen Patient:innen befinden sich bei Weitem nicht nur Personen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung, jedoch stellen diese statistisch gesehen die Hauptgruppe derer dar, welche zur Behandlung mit einer Selbstverletzung der Haut in den Kliniken in Erscheinung treten. Ausserdem sind manche Selbstschädigungen so «salonfähig» geworden, dass Patient:innen aus Rückmeldungen dazu sogar Bestätigung schöpfen. Letztere möchte ich hier thematisch ausklammern, sie benötigen ggf. ihren eigenen Raum.

Ein Blick in die Praxis

Schauen wir uns im ersten Schritt einmal an, welche Reaktionen im klinischen Umfeld durch Pflegepersonal etc. denkbar und leider auch typisch sind.

Ein beispielhaftes Zitat aus der Pflege: «Die schon wieder! Wie kann sie nur so verrückt sein, sich selbst die Arme aufzuschneiden! Ich habe es so satt, dass ich immer wieder meine Zeit hierfür verplempere!» Was könnte das beim Patienten bzw. bei der Patientin auslösen? Es kommt u.U. an, dass es scheinbar falsch ist, sich Hilfe zu suchen. Er/sie wird alles, was mit der Behandlung verbunden ist, für sich als falsch ansehen, wird vielleicht glauben: «Ich bin verrückt! Ich nehme anderen Patient:innen die Zeit weg! Ich bin nicht so wichtig, meine Wunden sind nicht so schlimm, es war falsch, in die Klinik gegangen zu sein.»

Und gleich noch eine Aussage, wie ich sie in der Notaufnahme selbst gehört habe: «Sie brauchen keine Anästhesie, Sie stehen doch auf Schmerzen! Das spüren Sie doch gar nicht mehr.»

Gerade dieses Erlebnis, welches ich als Pflegefachkraft in der Notaufnahme bei der Begleitung einer Patientin nach Selbstverletzung gehabt habe, war Grundstein und Impuls für mich, etwas zu verändern. Die Patientin war intoxikiert und wehrte sich gegen die Behandlung. Am Ende zierten wulstige, hässliche Nähte ihre Arme. Doch das ist erst der Anfang einer Spirale.

Die Spirale stoppen

«Als ich meine hässlichen Nähte sah, beschloss ich diese zu zerstören, es war doch eh egal!» «Beim nächsten Mal gehe ich nicht in die Klinik für meine Larifari-Schnitte! Erst wenn diese extremer sind, dann habe ich das Recht auf Behandlung!» So oder so ähnlich können die Reaktionen von Patient:innen aussehen, wenn sie mit einer Hautschädigung durch Selbstverletzung in die Klinik bzw. Praxis kommen und dort entsprechend mit ihnen umgegangen wird. Hier aber auch ein beispielhaftes Zitat, das symbolisiert, dass es auch ganz anders ablaufen kann: «(…) dann strich mir der Arzt sanft über meinen Verband und sagte, dass er sich bemüht habe, die feinsten Nähte zu erschaffen, damit alles gut heilen kann und ich nicht ewig an diesen Moment erinnert werde. Ich spürte Sorge und Mitgefühl, und dass ich ‹richtig› bin. Ich begann, mir Selbstmitgefühl zu erlauben.» In dieser Erzählung ist etwas Grossartiges zu entdecken: Das Argument «zu wenig Zeit für die Behandlung» wird ab absurdum geführt. Im Gegenteil – es führt zum Zeitgewinn. Durch einen Satz, eine Berührung oder auch durch einen authentisch mitfühlenden Blick, empathische Wertschätzung, kann bereits die negative Spirale gestoppt werden. Ganz so einfach ist es nicht immer, jedoch lässt sich bereits darstellen, dass damit weniger Patient:innen zu Drehtür-Patient:innen werden, also solchen Patient:innen, die immer wieder Hilfe benötigen, bei welchen sich scheinbar nichts zu ändern/verbessern scheint; dass ihre Behandlungen vielleicht sogar mit einem letzten Nachsorgetermin abgeschlossen werden können.

Unbedingte Wertschätzung

Was versteht man darunter? Dem Gegenüber zu vermitteln, dass seine/ihre subjektive Sicht der Dinge für ihn/sie stimmig und daher nachvollziehbar ist. Validierung (V) als Gegengewicht zu den Ursachen der Grunderkrankung (Invalidierung).

V1: ungeteilte Aufmerksamkeit

«Ich bin an dir interessiert und möchte wissen, warum es zur Selbstverletzung gekommen ist.»

V2: modalitätskonforme Kommunikation

Kognition: «Sie hatten plötzlich einen grossen Konflikt vor sich?» Emotion: «Dann wurden Sie sehr wütend/traurig/hilflos?»

V3: crossmodale Kommunikation

Emotion benennen, Handlung nachvollziehbar machen. «Sie wurden beleidigt, dadurch wurden Sie wütend und haben sich unter hoher Anspannung befunden?»

V4: biografiebezogene Kommunikation

«Oh, mit Ihrer Vorerfahrung fühlten Sie sich zusätzlich damit belastet, getriggert.»

V5: auf gegenwärtigen, subjektiven Kontext bezogene Kommunikation

«Sie denken, dass Ihr Leben mit dieser Erfahrung (Trennung, Verlust, Ärgernis) gerade nicht auszuhalten ist?»

V6: radikale Echtheit

«Ich vermittle dir, wie meine Gedanken zu deinem Handeln sind und dass ich gleichzeitig nachvollziehen kann, dass es für dich gerade keine andere Möglichkeit gab.» – «Ich kann nicht verstehen, dass Sie sich deshalb selbst Schmerzen zugefügt haben, gleichzeitig sehe ich auch, dass Sie für sich in dieser Situation gerade keine andere Möglichkeit gefunden haben, was mich auch etwas erschreckt hat.»

V7: Cheerleading

«Ich glaube an dich! Ich biete dir die Möglichkeit, ganz in der für dich wichtigen Autonomie, für dich zu entscheiden.» – «Sie kennen sich selbst am besten. Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie einen Notfallkontakt, psychiatrische Anbindung? Was würden Sie sich wünschen von mir? Ich stehe Ihnen zur Seite.»

Der Schlüssel heisst Validation

Basierend auf dieser Art der wertschätzenden Behandlung hier ein kleiner Handlungsleitfanden, der hilfreiche Ansätze für den Umgang mit sich selbst verletzenden Patienten im dermatologischen Bereich bieten möchte.

Scham lösend

«Das kann passieren, jetzt ist es wichtig, die körperlichen Wunden zu versorgen.»

Sicherheit

«Hier ist erst einmal ein Raum ohne Wertung, wir schauen genau, was Sie brauchen und wahren Ihre Grenzen!»«Sie entscheiden.»

Beziehung

Hilfreich können z.B. die folgenden Aussagen sein: «Sie sind mir wichtig!»«Haben Sie Schmerzen?»«Brauchen Sie etwas?» «Ich weiss, das Leben geht manchmal Irrwege.»

Unterstützung

«Haben Sie für diesen Fall einen Notfallkontakt und sollen wir jemanden informieren?» «Sind sie ärztlich und psychiatrisch angebunden?» «Wenn Sie wieder zu Hause sind, was gibt Ihnen Halt?»

Wertschätzung

«Es ist gut, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben, Sie haben grossen Mut!» «Ich gebe mir bei der Versorgung Ihrer Wunden Mühe, damit Sie einen guten Heilungsverlauf erwarten dürfen und geringe Narbenbildung.»

Fürsorge

«Geschah die Selbstverletzung in suizidaler Absicht?» «Haben Sie Suizidgedanken?» «Können Sie mir versprechen, dass Sie sich bei mir/XYZ melden, sollten Suizidgedanken auftreten?»

Nachsorge

«Es ist mir sehr wichtig, dass die Wunden gut verheilen, deshalb wäre ein Termin zur Wundkontrolle gut.»

Zum Abschluss: «Eine kleine Geschichte vom Sandkasten»

Manchmal, wenn ich mit Patienten in einem Skilltraining sitze und erklären möchte, warum sie so sind, wie sie sind, und warum sie so fürchterliche Glaubenssätze in sich tragen, erzähle ich die kleine Geschichte vom Sandkasten. In diesem Artikel möchte ich Sie ebenso kurz einladen zum sprichwörtlichen Nachfühlen.

© Alette Pommer

An einem schönen Tag im Sommer geht eine Mutter mit ihrem Kind zu einem Spielplatz. Ausgerüstet mit Eimerchen und Schaufel sitzt das kleine Geschöpf fröhlich spielend im Sandkasten. Gegenüber sitzt ein weiterer Zwerg und nach freudiger Gemeinsamkeit kommt es nun dazu, dass Kind 1 den Verlust seines Igelförmchens zu beklagen hat, zudem bekommt es die kleine Sandschaufel von Kind 2 zu spüren, welches auch das Igelförmchen erobert hat. Nun passiert Folgendes: Kind 1 rennt weinend und brüllend zu seiner Mutter. Es beklagt den Förmchen-Verlust und die Kopfschmerzen durch die Schaufel.

Mögliche Reaktionen – und ihre Folgen

A – Die Mutter sagt: «Um Himmels willen, stell dich nicht so an und hör auf zu brüllen, ich schäme mich ja bereits vor den anderen Eltern, so schlimm war das ja nun wirklich nicht!»

B – Die Mutter sagt: «Oh weh, das hat bestimmt ganz schön wehgetan, zeig mir mal deinen Kopf und komm in meinen Arm, ich wäre auch traurig, wenn ich etwas weggenommen bekäme!»

C – Die Mutter sitzt am Rande des Spielplatzes mit ihrem Handy in der Hand, sie reagiert nicht auf das Weinen des Kindes, sie blickt nicht einmal auf.

Was wird passieren, wenn Sie diese Geschichte vorspulen, das Kind 18 Jahre alt ist und gerade die Kündigung für seine Lehrstelle bekommen hat und, daraus folgend, sich in seiner emotionalen Not eine Selbstverletzung zugefügt hat?

A – B – C: So können Glaubenssätze entstehen, die uns ein Leben lang begleiten.

1 Bohus et al.: Interaktives Skillstraining für Borderline-Patienten, Das Therapeutenmanual. Inklusive Keycard zur Programmfreischaltung, Schattauer, 5. Nachdruck, 2023

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