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Osteoporose und Wirbelsäulenchirurgie

Was gilt es als Chirurg:in in der Behandlung von Patient:innen mit Osteoporose zu beachten? Ein Überblick über prä- und intraoperative Möglichkeiten.

Obwohl Osteoporose häufig auftritt und regelmäßig im orthopädischen Alltag vorkommt, gibt es keine genauen Daten über ihre Häufigkeit in Österreich. Eine Einordnung erlauben die Daten des europaweiten SCOPE-Projektes, welches auch Ergebnisse für Österreich aufführt. Schätzungen der Osteoporose-Prävalenz belaufen sich auf 5,5% der österreichischen Gesamtbevölkerung und sogar auf 22,2% bei über 50-jährigen Frauen.1 Ein Bericht des Ludwig Boltzmann Instituts führt die Prävalenz für osteoporotische Frakturen mit 2600 je 100000 Einwohner:innen an.2 Aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft ist davon auszugehen, dass das Problem zunimmt. Orthopädische Chirug:innen und Unfallchirurg:innen sehen sich daher immer öfter mit diesem Problem konfrontiert. Oft fehlt es jedoch an einem strukturierten prä-, intra- und postoperativen Behandlungsplan.

Aktuell erhält deswegen weniger als ein Drittel der orthopädischen Patient:innen vor ihrer geplanten Operation eine adäquate Osteoporose-Therapie.3,4 In der Wirbelsäulenchirurgie kann dies zu einer mechanischen „Kettenreaktion“ mit Anschlussfrakturen oder Implantatproblemen führen. In einer Studie von Bjerke et al.5 wiesen 50% der Patient:innen mit Osteoporose, jedoch nur 23% der Patient:innen ohne, Osteoporose-assoziierte Komplikationen auf. Dazu zählten die Autoren neu aufgetretene Anschlussfrakturen/„proximal junctional kyphosis“ (PJK), Schraubenlockerungen oder -ausrisse sowie der ausbleibende knöcherne Durchbau (Pseudarthrose). Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen die Autor:innen um Khalid SI et al.4 Sie untersuchten Patient:innen, die sich einer multisegmentalen Stabilisierung unterzogen und fanden ein zweifach erhöhtes Risiko für proximale oder distale Anschlussfrakturen bei Patient:innen mit herabgesetzter Knochenqualität.

Präoperatives Assessment

In mehreren Arbeiten werden Algorithmen zur präoperativen Evaluierung und Optimierung wirbelsäulenchirurgischer Patient:innen beschrieben. Das von Kadri et al.6 beschriebene Bone Health Assessment basiert auf einer initialen Risikoeinschätzung durch den Chirurgen und abhängig davon erfolgte eine anschließende Knochendichtemessung. Im klinischen Alltag findet meist kein initiales Assessment statt und dadurch liegt selbst bei Risikopatient:innen präoperativ keine DEXA-Messung vor.

Klarer strukturiert mutet das Schema von Anderson et al. an.7 Die Autor:innen empfehlen eine DEXA-Messung für Frauen über 65 und Männer über 70 Jahre, bei erfolgten Fragilitätsfrakturen ab 50 Jahren oder einem FRAX-Score >8,4% für eine „major osteoporotic fracture“. Anschließend erfolgt eine sogenannte „bone health optimization“ je nach Risikostratifizierung. Diese reicht von einer reinen Vitamin-D- und Kalziumsupplementation bis zu einem Aufschub der Operation und vorheriger osteoanaboler Therapie.

Sehr ähnlich fallen die im Jahr 2022 publizierten „Best Practice Guidelines“ von Sardar et al. aus.8 Diese empfehlen eine DEXA-Messung für alle Patienten über 65 Jahre und für jene zwischen 50 und 65 Jahren beim Vorliegen von Risikofaktoren. Ergänzend soll die Bestimmung relevanter Laborparameter (Vitamin D, Elektrolyte, Kalzium) erfolgen. Diese Guidelines scheinen auch die alltagstauglichsten zu sein.

Jedenfalls steht und fällt alles damit, dass rechtzeitig vor einer Operation ein Augenmerk auf die Thematik gelegt werden muss. Dies geht realistischerweise nur durch ein standardisiertes Herangehen beispielsweise im Rahmen der präoperativen Vorbereitung. Diese erfolgt in den meisten Kliniken bei Planeingriffen deutlich vor dem OP-Termin, sodass noch auf die Ergebnisse reagiert werden kann. Bei akuten oder dringlichen Operationen kann dieses Schema nur eingeschränkt zur Anwendung kommen, ein Assessment wird im besten Fall jedoch nachgeholt.

Diagnostische Möglichkeiten

Lässt sich ein Assessment präoperativ zeit- oder strukturbedingt nicht durchführen, können jedoch bereits vorliegende bildgebende Befunde als Informationsquelle genutzt werden. Ein Beispiel ist der MRT-basierte Vertebral Bone Quality Score (VBQ), der im Jahr 2021 von Ehresman et al. beschrieben wurde.9 Die Ermittlung des Wertes wird in Abb. 1 erläutert. Ein anderes Beispiel stellt die Bestimmung der Hounsfield Units (CT-HU) aus einem CT-Scan dar. Ein eindeutiger Cut-off-Wert für den VBQ-Score liegt noch nicht vor, rezente Daten legen jedoch eine Grenze bei ca. 2,4 nahe.10Grundsätzlich besteht eine gute Inter-Rater-Variabilität und die Korrelation mit DEXA-Werten ist gegeben, jedoch kann der VBQ-Score keine DEXA-Messung ersetzen.11 Im Alltag stellt er allerdings eine einfache Möglichkeit dar, Informationen zur Knochendichte zu erlangen, wenn keine rezente DEXA-Messung vorliegt.

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Abb. 1: Ermittlung des MRT-basierten Vertebral Bone Quality Score (VBQ) nach Ehresman J et al.9

Medikamentöse Therapie

Die Wichtigkeit eines Assessments ergibt sich vor allem daraus, dass ohne Assessment meist auch keine Therapie begonnen wird. Diese geht oft über eine Vitamin-D- plus Kalziumsupplementation, Sturzprophylaxe und Ernährungsberatung hinaus, aber muss auch einmal begonnen werden. Medikamentös liegt das Hauptaugenmerk auf der antiresorptiven und osteoanabolen Therapie. Beide können auch bereits vor einer geplanten Operation begonnen werden, da sie keine negativen Auswirkungen auf die knöcherne Heilung haben.12 Eine Behandlung mit Parathormon scheint jener mit Bisphosphonaten überlegen.13–15 Darunter traten weniger Osteoporose-assoziierte Komplikationen auf und die Fusionsrate war höher. Unter anderem konnten in Studien ein besserer Schraubenhalt (größeres Drehmoment beim Setzen der Schraube) nachgewiesen werden.16 Das Risiko für Schraubenlockerungen lässt sich scheinbar auch noch reduzieren, wenn unmittelbar postoperativ mit Teriparatid begonnen wird, wie Kim et al. berichten.15 Der Großteil der Autor:innen befürwortet jedoch, eine osteoanabole Therapie 2 Monate präoperativ bis 8 Monate postoperativ durchzuführen. Anschließend ist ein Umstieg auf eine antiresorptive Therapie empfohlen.12,17 Spätestens nach 2 Jahren sollte eine Therapie mit Parathormon aufgrund des erhöhten Osteosarkomrisikos beendet werden. Die Therapie erhöht die Knochendichte durchschnittlich um 8,28% nach 12 und 10,49% nach 18 Monaten.18

Der Alltag in Österreich und vielen weiteren Ländern sieht jedoch meist anders aus. Laut österreichischem Erstattungskodex kann eine Parathormontherapie nur durch eine Osteoporose-Ambulanz und nach vorangegangener zweijähriger anti-resorptiver Therapie durchgeführt werden. Unabhängig davon ist es eine teure Therapie, die eine gewisse Patient:innen-Compliance voraussetzt. Nicht alle Patient:innen möchten sich täglich eine Spritze verabreichen. Ein vernünftiger Kompromiss scheint daher darin zu bestehen, bei allen Patient:innen mit osteoporotischen Knochendichtewerten und moderaten FRAX-Werten (20–30%) eine antiresorptive Therapie bereits vor der Operation zu initiieren. Allgemeine Maßnahmen wie Vitamin-D- und Kalziumsupplementation sowie die Vermeidung eines exzessiven Alkohol- oder Nikotinkonsums können jedoch nicht genug betont werden.

Implantatwahl

Liegen Hinweise vor, dass die Knochenqualität reduziert ist, kann das Auswirkungen auf die Ausrissfestigkeit und Steifigkeit von Pedikelschrauben haben.19, 20 Um einen geringeren Knochenhalt zu kompensieren werden oft Schrauben mit größerem Durchmesser verwendet. Dies führt zu einem satteren Sitz im Pedikel, geht allerdings mit einer erhöhten Pedikelfrakturrate einher.21 Eine weitere Option stellt die Zementaugmentation dar. Die meisten Hersteller haben mittlerweile kanülierte Modelle im Portfolio, die eine einfache und sichere Zementapplikation ermöglichen (siehe Absatz „Zementaugmentation“). Sowohl ein größerer Schraubendurchmesser als auch die Zementaugmentation führen zwar zu einer verbesserten Ausrissfestigkeit, in zyklischen Ermüdungstests zeigte sich jedoch kein Vorteil.22, 23 Im Fall einer Schraubenlockerung scheint weiterhin der Wechsel auf einen größeren Durchmesser (+/– Zementaugmentation) die zielführendste Option zu sein. Laut Egenolf et al. ist die Applikation von humaner Knochenmatrix zur Auffüllung und Verdichtung des Schraubenkanals unterlegen.24

Durch den reduzierten Knochenumbau bei osteoporotischen Patient:innen kommt es auch zu einer verlangsamten knöchernen Fusion, wodurch nicht nur die Risiken für Schraubenlockerungen, sondern auch für Cage-Sinterung (Abb. 2) und Anschlussfrakturen erhöht sind.4, 21 Ein klarer Vorteil für ein bestimmtes Cage-Material dürfte nicht vorliegen. Cages aus Polyetheretherketon (PEEK) oder 3D-Druck versuchen, das Elastizitätsmodell des Wirbelkörpers zu spiegeln. Manche Studien deuten darauf hin, dass reine Titanimplantate eine höhere Sinterungsrate aufweisen als Implantate aus PEEK oder 3D-Druck.25 Viel mehr scheint die Implantatpositionierung und -größe eine Rolle zu spielen. Je mehr Kontakt zur Endplatte besteht, d.h., je größer das Implantat ist und je satter es anliegt, desto eher werden Druckspitzen vermieden und damit das Risiko für Sinterung reduziert.26

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Abb. 2: Erhöhtes Risiko für Cage-Sinterung und Anschlussfrakturen durch reduzierten Knochenumbau

Implantatpositionierung

In der Brustwirbelsäule führen eine möglichst gerade Schraubentrajektorie und die Platzierung im kaudalen Abschnitt zur besten Fixierung.27 In der Lendenwirbelsäule wird die „cortical bone trajectory“ von mehreren Autor:innen propagiert, da sie durch die Zonen höchster Knochendichte verläuft. Von einem medialen Eintrittspunkt ausgehend werden die Schrauben divergierend und nach kranial aufsteigend gesetzt(Abb. 3).28 Biomechanisch erzielt sie den besten Halt, sie ist allerdings chirurgisch anspruchsvoller zu setzen.29, 30 Mit der Einführung von „patient-specific instruments“ und Navigation ist dies einfacher geworden.

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Abb. 3: „cortical bone trajectory“ in der Lendenwirbelsäule

Bei langstreckigen Osteosynthesen gelten bei osteoporotischen Patient:innen umso mehr die Grundregeln, nicht im Apex oder thorakolumbalen bzw. zervikothorakalen Übergang zu enden. Da wir an unserer Einrichtung vermehrt Insuffizienzfrakturen des Sakrums beobachtet haben, indizieren wir eine Abstützung auf das Ilium liberaler. Häufig werden Pedikelschrauben eingedreht, bis der Schraubenkopf knöchernen Kontakt hat. Dieses sogenannte „hubbing“ sollte vermieden werden, da dadurch der Querfortsatz, Lamina bzw. Gelenksfortsatz geschwächt und die Ausrissfestigkeit reduziert werden.31

Zementaugmentation

Eine Zementaugmentation mit Polymethylmethacrylat (PMMA) erhöht die Ausrissstabilität um ca. 80%, verringert den postoperativen Korrekturverlust und resultiert in höheren Fusionsraten.32, 33 Die Verfügbarkeit von fenestrierten Schrauben hat die Anwendung deutlich vereinfacht und stellte sich auch als überlegen heraus.33 In der LWS werden dabei typischerweise 1,5–2ml und an der BWS 1–1,5ml pro Schraube appliziert. Höhere Volumina verbessern den Halt nicht mehr signifikant, erhöhen aber das Risiko für einen ungewollten Zementaustritt.34, 35

Auch in der Vermeidung von Anschlussfrakturen wird ein Zementeinsatz immer wieder erwähnt. Manche Autor:innen schlagen sogar eine prophylaktische Vertebroplastie der zwei kranialen Anschlusssegmente vor.36 Vorschläge eines sogenannten „topping-off“ umfassen auch Laminahaken oder Laminabänder. Die Überlegungen, um Anschlussfrakturen zu reduzieren, gehen aber weit darüber hinaus. Zum heutigen Tag gibt es allerdings noch keine zufriedenstellende Antwort darauf, wie die Degeneration der angrenzenden Segmente reduziert werden kann.

1 Kanis JA et al.: Arch Osteoporos 2013; 8(1): 144 2 Hummer M et al.: Gesundheit Österreich Forschungs- und Planungs GmbH 2020 3 Chin DK et al.: Osteoporos Int 2007; 18(9): 1219-24 4 Khalid SI et al.: Acta Neurochir (Wien) 2022; 164(9): 2327-35 5 Bjerke BT et al.: Global Spine J 2018; 8(6): 563-9 6 Kadri A et al.: J Bone Joint Surg Am 2020; 102(7): 574-81 7 Anderson PA et al.: Spine (Phila Pa 1976) 2023; 48(11): 782-90 8 Sardar ZM et al.: Spine (Phila Pa 1976) 2022; 47(2): 128-35 9 Ehresman J et al.: Spine J 2021; 21(1): 20-7 10 Salzmann SN et al.: Spine J 2022; 22(8): 1301-8 11 Agaronnik ND et al.: Spine J 2024; S1529-9430(24)00103-7 12 Fretes N et al.: Eur Spine J 2020; 29(2): 272-81 13 Pan T-Y et al.: World Neurosurg 2023; 179: 8-17 14 Ebata S et al.: J Bone Joint Surg Am 2017; 99(5): 365-72 15 Seki S et al.: Eur Spine J 2017; 26(8): 2121-7 16 Inoue G et al.: J Neurosurg Spine 2014; 21(3): 425-31 17 Bryant JP et al.: Neurosurg Focus 2021; 50(6): E13 18 Miller PD et al.: JAMA 2016; 316(7): 722-33 19 Cho W et al.: J Bone Joint Surg Br 2010; 92(8): 1061-5 20 Cook SD et al.: Spine J 2004; 4(4): 402-8 21 DeWald CJ, Stanley T: Spine (Phila Pa 1976) 2006; 31(19 Suppl): S144-51 22 Kueny RA et al.: Eur Spine J 2014; 23(10): 2196-202 23 Lai DM et al.: J Biomech 2018; 70: 196-203 24 Egenolf P et al.: Clin Biomech (Bristol, Avon) 2023; 103: 105925 25 Toop N et al.: Global Spine J 2023; 21925682231157762 26 Yu Y et al.: J Orthop Surg Res 2022; 17(1): 224 27 Lehman RA et al.: J Am Acad Orthop Surg 2015; 23(4): 253-63 28 Santoni BG et al.: Spine J 2009; 9(5): 366-73 29 Wang J et al.: Eur Spine J 2019; 28(7): 1678-89 30 Schleifenbaum S et al.: BMC Muscoskelet Disord 2023; 24(1): 395 31 Paik H et al.: Spine J 2012; 12(5): 417-24 32 Schnake KJ et al.: Unfallchirurg 2020; 123(10): 764-73 33 Hoffmann J et al.: J Am Acad Orthop Surg 2023; 31(10): 477-89 34 Paré PE et al.: Spine (Phila Pa 1976) 2011; 36(18): E1210-4 35 Mueller JU et al.: J Neurosurg Spine 2016; 25(1): 103-9 36 Theologis AA et al.: Spine (Phila Pa 1976) 2014; 39(22): 1875-80

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