
Highlights der UEG Week 2023
Bericht:
Mag. Andrea Fallent
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Mitte Oktober ging der größte Kongress der europäischen Gastroenterologen und Hepatologen in Kopenhagen über die Bühne. Tausende Besucher fanden sich im ultramodernen Bella-Center ein, um sich über die Neuigkeiten aus Forschung und Praxis auf der United European Gastroenterology (UEG) Week zu informieren.
Neben den herausragenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, die 2023 auf der UEG Week präsentiert wurden, ist die Auszeichnung für eine PhD-Studentin der Medizinischen Universität Graz besonders bemerkenswert: Kristina Zukauskaite, MSc, wurde für ihr Forschungsprojekt zur Optimierung der Bedingungen für die In-vitro-Modellierung des menschlichen Darmmikrobioms der Posterpreis verliehen (Abb.1).1 Das Projekt ermöglichte die Etablierung eines Modells des Darmmikrobioms. Mithilfe der Forschungsergebnisse können Stuhlproben von Patienten oder gesunden Probanden für längere Zeit in Bioreaktoren kultiviert werden. Durch die Zugabe von verschiedenen Medikamenten oder anderen Substanzen kann untersucht werden, welchen Effekt diese Zugabe auf das Darmmikrobiom hat und wie es dadurch beeinflusst wird.
Im Rahmen des Forschungsprojektes hat Zukauskaite die Bedingungen, unter denen diese Stuhlproben gesammelt werden müssen, sowie die „Fütterung“ selbst, also die Zugabe der Substanzen, optimiert. Wichtiger Nebeneffekt: Mithilfe dieser Methode kann nicht nur auf Tierversuche verzichtet werden, durch den Einsatz von Glas-Bioreaktoren und Silikonschläuchen wird auch der Plastikmüll auf ein Minimum reduziert.
Mikrobiom als möglicher Prädiktor für das Darmkrebsrisiko
Vielversprechende neue Möglichkeiten zur Verbesserung der Diagnose und Prävention von Darmkrebs eröffnen weitere wissenschaftliche Erkenntnisse zum Mikrobiom im Verdauungstrakt, die anlässlich der UEG Week vorgestellt wurden. Konkret wurden signifikante Variationen im Darmmikrobiom von Personen mit präkanzerösen Kolonläsionen identifiziert, was auf einen möglichen Zusammenhang zwischen Darmbakterien und dem Auftreten von kolorektalen Läsionen und Krebserkrankungen hindeutet.
Für die prospektive Studie mit 8208 Probanden verknüpften niederländische Wissenschaftler um Dr. Ranko Gacesa, University Medical Center Groningen, Daten aus dem „Dutch Microbiome Project“ mit der niederländischen Pathologiedatenbank, um alle erfassten Kolonbiopsien der vergangenen fünf Jahrzehnte zu identifizieren.2
Die Studienautoren analysierten die Funktion und Zusammensetzung des Darmmikrobioms von Personen, die zwischen 2000 und 2015 vor Entnahme einer Stuhlprobe präkanzeröse kolorektale Läsionen entwickelten (n=214), sowie von Personen aus dem Zeitraum 2015 bis 2022, bei denen dies nach der Stuhlprobe der Fall war (n=305). Diese Gruppen wurden dann mit Personen mit normalen Koloskopiebefunden(n=202) verglichen. Um einen tieferen Einblick in die Rolle des Mikrobioms zu erhalten, untersuchen die Forscher auch bestimmte Bakterienstämme und deren Funktion im Darm durch die Rekonstruktion des Genoms aus metagenomischen Daten.
Die Ergebnisse zeigen, dass Personen, die Läsionen im Kolon entwickelten, im Vergleich zu Personen ohne pathologische Veränderungen eine größere Diversität in ihrem Darmmikrobiom aufwiesen. Darüber hinaus unterschied sich die Zusammensetzung des Mikrobioms bei Personen mit bereits bestehenden oder zukünftigen Läsionen und variierte basierend auf der Art der Veränderung. Insbesondere Bakterienarten aus der Familie der Lachnospiraceae und den Gattungen Roseburia und Eubacterium wurden mit der zukünftigen Entwicklung von Läsionen in Verbindung gebracht. „Obwohl wir in dieser Studie keine Mechanismen untersucht haben, ist aus früheren Studien bekannt, dass einige der identifizierten Bakterienarten Eigenschaften haben könnten, die zur Entwicklung kolorektaler Läsionen beitragen könnten. Es ist beispielsweise bekannt, dass das Bakterium Bacteroides fragilis ein Toxin produziert, das zu leichten chronischen Entzündungen im Darm führen kann. Es wird angenommen, dass eine anhaltende Entzündung potenziell genotoxisch und krebserregend ist“, so Gacesa. „Der Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und präkanzerösen Läsionen ist noch nicht ausreichend erforscht, sodass Unsicherheit darüber besteht, ob Darmbakterien das zukünftige Auftreten von Darmkrebs vorhersagen können. Unsere Ergebnisse legen aber nahe, dass das Mikrobiom die Früherkennungsmethoden für Darmkrebs ergänzen könnte.“
Niedriges Geburtsgewicht erhöht Risiko für Fettleber
Dr. Fahim Ebrahimi vom Clarunis Universitäres Bauchzentrum in Basel präsentierte Studiendaten, die einen Zusammenhang zwischen dem Geburtsgewicht und dem Auftreten einer metabolisch bedingten steatotischen Lebererkrankung („metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease“;MASLD) bei jungen Menschen untermauern.3,4 Für die Untersuchung rekrutierte ein schwedisches Forscherteam um Prof.Dr. Jonas F. Ludvigsson, Örebro University Hospital, 165 Personen im Alter von 25 Jahren und jünger aus der landesweiten ESPRESSO-Kohorte, bei denen zwischen Jänner 1992 und April 2017 eine durch Biopsie nachgewiesene MASLD diagnostiziert worden war.3 Jede Person mit MASLD wurde mit Kontrollpersonen aus der Allgemeinbevölkerung auf der Grundlage von Alter, Geschlecht, Kalenderjahr und Wohnbezirk verglichen.
Dabei konnte konkret festgestellt werden, dass jene Probanden, die mit einem geringen Geburtsgewicht (<2500g) auf die Welt kamen, ein viermal höheres Risiko hatten, im Kindes-, Jugend- oder jungen Erwachsenenalter eine MASLD zu entwickeln, als solche, die mit normalem Geburtsgewicht geboren wurden.Probanden, die als „small for gestational age“ (SGA) geboren wurden, also für die jeweilige Schwangerschaftswoche zu klein oder zu leicht gewesen waren, hatten ebenfalls ein mehr als dreimal so hohes Risiko, im frühen Leben eine MASLD zu entwickeln, wie solche mit einem angemessenen Geburtsgewicht.3
Darüber hinaus fanden die Forscher heraus, dass Personen, die mit niedrigem Geburtsgewicht bzw. als SGA geboren wurden, ein bis zu sechsfach höheres relatives Risiko hatten, schwerere Stadien von MASLD in Form von Leberfibrose oder -zirrhose zu entwickeln.3 „Während frühere Forschungen den Zusammenhang zwischen dem Geburtsgewicht und wichtigen Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und dem metabolischen Syndrom nachgewiesen haben, blieb der Zusammenhang mit MASLD unklar. Unsere Studie liefert nun überzeugende Beweise dafür, dass fötale Entwicklungsfaktoren eine wichtige Rolle bei der Entstehung von MASLD und fortschreitenden Lebererkrankungen spielen“, betonte Ebrahimi.
Allein in Europa sind rund 25% der Erwachsenen von MASLD betroffen, wobei die Prävalenz bei fettleibigen oder übergewichtigen jungen Menschen zunimmt. Die MASLD ist auch eine der relevantesten Ursachen für Lebererkrankungen im Endstadium, Leberkrebs und Lebertransplantationen.Allerdings erleben nur wenige Betroffene dieses Fortschreiten der Krankheit.5 Ebrahimi: „Mehrere Studien deuten darauf hin, dass sowohl Über- als auch Unterernährung während der Schwangerschaft zu dauerhaften epigenetischen Veränderungen führen können, die den Stoffwechsel ein Leben lang beeinträchtigen können.“
Amitriptylin lindert die Symptome bei Reizdarmsyndrom
Das kostengünstige verschreibungspflichtige Medikament kann die Symptome des Reizdarmsyndroms (RDS) bei Patienten auch in der Primärversorgung verbessern. Das geht aus den Ergebnissen der ATLANTIS-Studie der englischen Universitäten Leeds, Southampton und Bristol hervor. 463 Personen mit RDS nahmen daran teil, sie wurden aus 55 Allgemeinarztpraxen rekrutiert. Die teilnehmenden Hausärzte verordneten Amitriptylin, die teilnehmenden Patienten passten die Dosis entsprechend dem Schweregrad ihrer Symptome mithilfe einer für die Untersuchung erstellten Anleitung an. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass Patienten, die Amitriptylin einnahmen, beinahe doppelt so häufig über eine allgemeine Verbesserung der Symptome berichteten wie Betroffene, die ein Placebo erhielten. Die Nebenwirkungen bei Personen, die Amitriptylin einnahmen, waren meist nur leicht, wie zum Beispiel Mundtrockenheit am Morgen.6
Allgemeinmediziner verschreiben Amitriptylin zur Behandlung chronischer Nerven- und Rückenschmerzen und zur Vorbeugung von Migräneattacken. In den Leitlinien des britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) wird darauf hingewiesen, dass Hausärzte den Einsatz eines niedrig dosierten trizyklischen Antidepressivums wie Amitriptylin beim RDS in Erwägung ziehen können, doch bisher gab es für den Nutzen in diesem Zusammenhang keine eindeutige Evidenz. Bei der nun in „Lancet“ publizierten Arbeit handelt es sich laut den Autoren um die erste randomisierte kontrollierte Studie mit niedrig dosiertem Amitriptylin im Vergleich zu Placebo bei RDS-Patienten in der Primärversorgung. Sie stellt außerdem die weltweit größte Untersuchung zu Amitriptylin beim RDS dar.6 Studienautor und Gastroenterologe Prof.Dr. Alexander Ford, School of Medicine der University of Leeds, erklärte bei der Präsentation der Ergebnisse: „Amitriptylin stellt eine wirksame Behandlung beim Reizdarmsyndrom dar und ist sicher und gut verträglich. Diese neue, streng durchgeführte Studie zeigt, dass Allgemeinmediziner Patienten in der Primärversorgung dabei unterstützen sollten, niedrig dosiertes Amitriptylin auszuprobieren, wenn sich ihre RDS-Symptome unter den empfohlenen Erstlinientherapien nicht gebessert haben.“
„Digestive Health Round Table“: Aufruf zum gemeinsamen Handeln
Führende Experten für gastrointestinaleGesundheit trafen sich auf der UEG Week 2023 mit engagierten Patientenvertretern,um gemeinsam den „Digestive Health RoundTable“ zu lancieren (Abb.2). Diese Initiative ist die erste in einer Reihe von multidisziplinären Treffen, um einen Konsens über gemeinsame Maßnahmen zur Verbesserung der Verdauungsgesundheit in Europa zu erzielen.
Diskutiert wurden Empfehlungen zu drei Kernthemen, die für die Gestaltung einer gesünderen Zukunft entscheidend sind: Prävention, Früherkennung und Lebensqualität. Dr. Natasha Münch, Vertreterin von Digestive Cancers Europe, erklärte dazu: „Jüngste Studien haben gezeigt, dass mehr als die Hälfte aller gastrointestinalen Krebserkrankungen durch modifizierbare Risikofaktoren wie Fettleibigkeit, Rauchen und Alkoholkonsum verursacht werden. Um sicherzustellen, dass wir den Einzelnen so früh wie möglich mit überzeugenden Botschaften über gesunde Verhaltensweisen erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir EU-weite Sensibilisierungsinitiativen schaffen, die sowohl auf klinischen als auch auf Patientenerkenntnissen basieren.“
Bedeutung der Frühdiagnose
Bezüglich Früherkennung erläuterte Lena Fels, Danish Celiac Association, die Herausforderungen, mit denen Patienten mit Zöliakie konfrontiert sind: „In einer aktuellen dänischen Umfrage haben wir festgestellt, dass es eine durchschnittliche Verzögerung von zwei Jahren vom Auftreten der Symptome bis zum ersten Kontakt mit dem Arzt und von vier Jahren vom ersten Kontakt mit dem Arzt bis zur Diagnose gibt. Um dieses Problem anzugehen, müssen wir die Anwendung von Leitlinien unter den Angehörigen der Gesundheitsberufe entwickeln und fördern.“ Tunde Koltai, Association of European Coeliac Societies, fügte hinzu: „In den letzten Jahrzehnten hat Zöliakie einen Paradigmenwechsel durchlaufen und ist kein seltenes pädiatrisches Phänomen mehr. Tatsächlich ist die Mehrheit der neu diagnostizierten Personen mittlerweile 30 Jahre und älter. Da die Inzidenz dieser Krankheit stetig zunimmt, ist eine frühzeitige Diagnose eines unserer Hauptanliegen.“
Verbesserung der Lebensqualität
Im Mittelpunkt der Diskussion standen auch die Maßnahmen, die zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit Verdauungs- und Krebserkrankungen erforderlich sind. Dr. Salvatore Leone, Vertreter der European Federation of Crohn’s and Colitis ulcerative Associations, betonte: „Die Lebensqualität ist aufgrund der körperlichen und emotionalen Herausforderungen der Erkrankung ein besonders relevantes Thema für Patienten mit CED.“ Die konsequente Erfassung von Daten könne direkte Einblicke in die Patientenperspektive bieten und helfen, die tatsächlichen Auswirkungen von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) und ihrer Therapien auf das Leben der Patienten zu dokumentieren. Im diesem Zusammenhang schlug Benthe Bertelsen, Danish Colitis-Crohn Association, Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität vor und unterstrich, wie wichtig es sei, nicht nur die Diagnose Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu diskutieren, sondern auch die Begleiterkrankungen anzugehen, die ebenso belastend oder manchmal sogar herausfordernder sein könnten als die Primärdiagnose. Sie betonte die Notwendigkeit, diesen Begleiterkrankungen die gleiche Aufmerksamkeit und Ernsthaftigkeit zu widmen.
Nach dem Austausch resümierte Patrizia Burra, Vorsitzende der UEG Public Affairs Group: „Das heutige Treffen hat eine solide Grundlage für eine Reihe von Empfehlungen gelegt, die nicht nur die Erkenntnisse der Experten widerspiegeln, sondern auch mit den realen Erfahrungen und Bedürfnissen der Patienten in Einklang stehen.“
Literatur:
1 Zukauskaite K et al.: Optimizing conditions for in vitro modelling of the human gut microbiome to study intestinal health and disease. United European Gastroenterol J 2023; 11(8) 2 Gacesa R et al.: Development of precancerous colonic lesions is associated with gut microbiota in the Dutch Microbiome Project Cohort Study. UEG Week 2023 3 Ebrahimi F et al.: Perinatal characteristics of nonalcoholic fatty liver disease in children, adolescents and young adults – a nationwide population-based case-control study. UEG Week 2023 4 Karolinska Institutet: ESPRESSO-Studie. https://ki.se/en/meb/espresso ; zuletzt aufgerufen am 14.11.2023 5 Cholongitas E et al.: Epidemiology of nonalcoholic fatty liver disease in Europe: a systematic review and meta-analysis. Ann Gastroenterol 2021; 34(3): 404-14 6 Ford AC et al.: Amitriptyline at low-dose and titrated for irritable bowel syndrome as second-line treatment in primary care (ATLANTIS): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. The Lancet 2023; 402(10414): 1773-85