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Oberbauchbeschwerden

Funktionelle Dyspepsie

Symptome vonseiten einer funktionellen Dyspepsie – wie Schmerzen im Epigastrium, postprandiales Völlegefühl und frühes Sättigungsgefühl – zählen zu den häufigsten Beschwerden, aufgrund derer Patienten einen Arzt aufsuchen. Leider ist unser Wissen über die Pathogenese dieses wichtigen Krankheitsbildes immer noch sehr lückenhaft und kausale Therapiekonzepte sind nicht verfügbar.

Keypoints
  • Etwa 10% der erwachsenen Bevölkerung in Industrienationen leiden unter einer funktionellen Dyspepsie, wobei insbesondere junge Menschen und Frauen häufiger als Männer betroffen sind.

  • Bei der Diagnose, die nach den Rom-IV-Kriterien gestellt wird, handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose.

  • Je nach vorherrschender klinischer Symptomatik werden drei Subtypen unterschieden: das «postprandial distress syndrome», das «epigastric pain syndrome» und das «overlap syndrome».

  • Im Zentrum der Pathogenese der funktionellen Dyspepsie steht eine Störung der «brain-gut axis». Neue Publikationen deuten darauf hin, dass auch das Duodenum eine zentrale Rolle zu spielen scheint.

  • Derzeit sind für die funktionelle Dyspepsie keine kausalen Therapiekonzepte verfügbar. Im Zentrum der Therapie steht das ausführliche ärztliche Gespräch.

  • Zur medikamentösen Therapie können die Helicobacter- pylori-Eradikation, prokinetische Substanzen, Protonenpumpenhemmer und neuromodulatorische Substanzen eingesetzt werden.

Definition des Krankheitsbildes und Subtypen

Bei der Diagnose der funktionellen Dyspepsie handelt es sich um eine Ausschlussdiagnose; d.h., es muss zunächst durch entsprechende Untersuchungen (z.B. Labor, Oberbauch-Sonografie, Gastroskopie) das Vorliegen anderer Pathologien, welche die vorliegenden Symptome erklären könnten – wie etwa Ulcus duodeni, Ulcus ventriculi, Cholecystolithiasis, chronische Pankreatitis u.a. –, ausgeschlossen werden. Der funktionellen Dyspepsie selbst liegt kein mit klinischen Routineuntersuchungen fassbares morphologisches Substrat zugrunde. Nach Ausschluss anderer Ursachen wird die Diagnose nach den Rom-IV-Kriterien gestellt. Je nach vorherrschender Symptomatik werden drei Subtypen unterschieden:

  1. Beim «postprandial distress syndrome» (PDS) dominieren die Symptome postprandiales Völlegefühl und frühes Sättigungsgefühl. Dabei muss der subjektive Leidensdruck so gross sein, dass es zu einer Einschränkung der Lebensqualität kommt und/oder wegen der Symptomatik nicht die ganze Mahlzeit verzehr werden kann.

  2. Das «epigastric pain syndrome» (EPS) ist durch Schmerzen und/oder Brennen im Epigastrium gekennzeichnet. Im Unterschied zum PDS ist der zeitliche Zusammenhang mit einer Mahlzeit deutlich weniger ausgeprägt oder überhaupt nicht vorhanden.

  3. Beim «overlap syndrome» (OS) handelt es sich um einen Mischtyp der beiden oben genannten Formen.

Um die Diagnose einer funktionellen Dyspepsie stellen zu können, müssen die Symptome seit mindestens sechs Monaten vorhanden sein, wobei die Beschwerden während der vergangenen drei Monate an mindestens drei Tagen pro Woche im Falle eines PDS bzw. an mindestens einem Tag pro Woche beim EPS aufgetreten sein müssen.

Epidemiologie

Entsprechend aktuellen Publikationen leiden in Industrienationen in Europa und Nordamerika etwa 10% der erwachsenen Bevölkerung unter einer funktionellen Dyspepsie. Das PDS stellt mit einem Anteil von etwa 60% den häufigsten Subtyp dar; ein OS wird bei etwa 22%, ein EPS bei etwa 18% aller Betroffenen beobachtet. Frauen sind signifikant häufiger betroffen als Männer. Die Prävalenz zeigt einen Gipfel bei jungen Erwachsenen und sinkt mit zunehmendem Alter. Die funktionelle Dyspepsie stellt zwar grundsätzlich eine harmlose Störung dar; dennoch ist sie mit einer teils empfindlichen Einschränkung der Lebensqualität assoziiert, wobei die Einschränkung der Lebensqualität im Durchschnitt beim OS am stärksten ausgeprägt ist. Aufgrund des oft sehr hohen Leidensdruckes und der daraus resultierenden häufigen Arbeitsunfähigkeiten und Arztbesuche stellt die funktionelle Dyspepsie neben einem medizinischen auch ein relevantes gesundheitsökonomisches Problem dar.

Pathogenese der funktionellen Dyspepsie

Leider ist unser Wissen über die Pathogenese der funktionellen Dyspepsie immer noch sehr lückenhaft. Es wird vermutet, dass neben Motilitätsstörungen Veränderungen der viszeralen Sensitivität eine zentrale Rolle spielen. So konnte etwa gezeigt werden, dass bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie bereits eine relativ geringe Dehnung der Magenwand zu einer überproportional hohen Schmerzwahrnehmung führt. Das derzeit in der gastroenterologischen Forschung favorisierte pathogenetische Konzept postuliert daher eine Störung der sog. «brain-gut axis», d.h. der Kommunikation zwischen Gehirn und Gastrointestinaltrakt, als Ursache der funktionellen Dyspepsie: Entsprechend diesem Konzept werden einerseits Signale, die aus dem Gastrointestinaltrakt ins ZNS weitergeleitet werden, dort pathologisch verarbeitet (wobei sowohl sensorische als auch kognitiv/affektive Regionen beteiligt sind); dies hat andererseits veränderte efferente Signale aus dem Gehirn an den Verdauungstrakt zur Folge.

Aktuelle Publikationen deuten darauf hin, dass auch das Duodenum eine wichtige Rolle in der Pathogenese der funktionellen Dyspepsie spielen könnte: Es scheint so zu sein, dass zunächst luminale Faktoren die Permeabilität der duodenalen Mukosa erhöhen. Um welche luminalen Faktoren es sich bei diesem Prozess handelt, ist noch weitgehend unklar. Diskutiert werden jedenfalls neben Magensäure und Gallensäuren auch Nahrungsmittelbestandteile, Allergene oder eine Veränderung des Mikrobioms. Wahrscheinlich ist jedoch, dass letztlich ein komplexes Zusammenspiel mehrerer der genannten Faktoren die Ursache für die Erhöhung der Permeabilität der Mukosa im Duodenum darstellt. Als Folge der Permeabilitätserhöhung kommt es jedenfalls zu einer geringgradigen Entzündung im Bereich der Lamina propria sowie der Submukosa des Duodenums. Dies führt zu einer Stimulation des lokalen Immunsystems und histologisch ist ein vermehrtes entzündliches Infiltrat – wobei insbesondere eosinophile Granulozyten und Mastzellen auffällig sind – nachweisbar. Aus der lokalen Inflammation resultiert auch eine vermehrte Stimulation von Nervenendigungen. Als Folge der «low-grade inflammation» und vermehrter Stimulation afferenter Nervenendigungen kommt es schliesslich zu einer pathologischen Signaltransduktion in Richtung ZNS sowie letztlich zu einer Störung der Magenentleerung, wobei auch hormonelle Mechanismen eine Rolle spielen.

Therapie der funktionellen Dyspepsie

Da die Ursache der funktionellen Dyspepsie noch nicht restlos geklärt ist, stehen bedauerlicherweise nach wie vor keine kausalen Therapiekonzepte zur Verfügung und die Substanzen, die zur Therapie eingesetzt werden, wurden fast ausnahmslos nicht zur Therapie der funktionellen Dyspepsie entwickelt. Dies alles hat zur Folge, dass die Therapie der funktionellen Dyspepsie nach wie vor als sehr unbefriedigend zu bezeichnen ist.

Der erste und wahrscheinlich auch wichtigste Schritt bei der Betreuung des Patienten besteht in einem ausführlichen Gespräch. Dabei ist es wichtig, dem Patienten zu vermitteln, dass man als betreuender Arzt seine Beschwerden ernst nimmt und es sich um ein klar umschriebenes Krankheitsbild handelt. Dies ist umso wichtiger, als viele Patienten das Gefühl haben, dass alle der Meinung seien, dass sie sich ihre Symptome nur einbilden, weil bisher bei keiner apparativen Untersuchung ein pathologischer Befund beschrieben wurde. Im Rahmen des ärztlichen Gespräches muss der Patient auch darüber aufgeklärt werden, dass es sich zwar um eine harmlose Störung handle, dass aber leider die Ursache noch unbekannt und daher auch keine kausale Therapie möglich sei, sondern man nur einzelne Symptome durch entsprechende Pharmaka behandeln könne. Nach meiner Erfahrung ist am Ende eines solchen Gespräches mehr als die Hälfte aller Patienten so beruhigt, dass sie meinen, wenn sie sicher sein könnten, dass es sich um eine harmlose Störung handle, könnten sie gut damit leben und würden es vorziehen, keine Medikamente zu schlucken. Dies ist wahrscheinlich dadurch zu erklären, dass die Symptomatik vonseiten der funktionellen Dyspepsie durch die Angst, unter einer ernsten – möglicherweise malignen – Erkrankung zu leiden, überlagert ist, was den subjektiven Leidensdruck massiv erhöht. Durch die Vergewisserung, dass es sich um eine harmlose Störung handle, kann dieser Mechanismus unterbrochen werden.

Patienten, die trotz Beruhigung durch ein ausführliches ärztliches Gespräch einen hohen Leidensdruck aufweisen, benötigen eine medikamentöse Therapie. Aktuelle Therapiealgorithmen empfehlen, bei Vorliegen einer Helicobacter-pylori(H.p.)-Infektion zunächst eine H.-p.-Eradikation durchzuführen. Durch grosse Metaanalysen konnte gezeigt werden, dass dadurch bei Patienten mit funktioneller Dyspepsie zwar die bestehende Gastritis histologisch zur Abheilung gebracht werden kann, es jedoch nur bei einem relativ geringen Anteil zu einer Besserung der klinischen Symptomatik kommt («number needed to treat»: etwa 13). Bleibt trotz erfolgreicher H.-p.-Eradikation eine relevante klinische Besserung aus oder ist der Patient primär H.-p.-negativ, so wird empfohlen, in der weiteren Folge je nach vorliegendem Subtyp der funktionellen Dyspepsie vorzugehen:

Bei Patienten mit PDS sollten als Erstlinientherapie prokinetische Substanzen eingesetzt werden, Patienten mit EPS sollten Protonenpumpenhemmer (PPI) erhalten. Allerdings darf nicht verschwiegen werden, dass dieses Konzept mehrere Schwächen aufweist: Erstens stehen prokinetisch wirksame Substanzen nur beschränkt zur Verfügung und die wenigen Substanzen, die eingesetzt werden können, sind mit dem Risiko für zahlreiche Nebenwirkungen belastet. Zweitens konnten Metaanalysen zwar die Wirksamkeit von PPI klar belegen, allerdings zeigten sie auch, dass elf Patienten behandelt werden müssen, um bei einem Patienten eine signifikante Symptombesserung zu erzielen. Bei fehlendem klinischem Ansprechen auf die Erstlinientherapie wird empfohlen, als Zweitlinientherapie das jeweils andere Therapiekonzept (prokinetische Substanzen bzw. PPI) einzusetzen. Führt auch dies nicht zum erhofften klinischen Erfolg, so können als Drittlinientherapie neuromodulatorisch wirksame Substanzen verabreicht werden.

Parallel bzw. ergänzend zu den genannten Medikamenten können Phytotherapien, Akupunktur, Hypnotherapie sowie kognitive Therapiekonzepte erwogen werden.

Derzeit existiert meines Wissens nur eine einzige Substanz, die gezielt für die Therapie der funktionellen Dyspepsie entwickelt wurde: Acotiamide, das über verschiedene Wirkmechanismen die Verfügbarkeit von Acetylcholin im synaptischen Spalt cholinerger Neurone erhöht. Derzeit ist Acotiamide allerdings nur in Japan und einigen anderen asiatischen Ländern zugelassen.

Eine aktuell publizierte randomisierte Studie aus China konnte eindrucksvoll die Wirksamkeit der Akupunktur bei funktioneller Dyspepsie dokumentieren: 278 Patienten mit PDS wurden in zwei Gruppen randomisiert und im Zeitraum von vier Wochen in zwölf Sitzungen entweder mit Akupunktur oder Schein-Akupunktur behandelt. Bei den Patienten in der Akupunktur-Gruppe konnte eine eindrucksvolle Besserung der klinischen Symptomatik beobachtet werden.

Im Sinne unserer Patienten ist zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit gelingt, die Pathogenese der funktionellen Dyspepsie vollständig zu klären, um auch für dieses Krankheitsbild kausale Therapieregime entwickeln zu können.

beim Verfasser

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