
Ethische Aspekte: künstliche Ernährung im fortgeschrittenen Alter
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die künstliche Ernährung wird häufig als letzte lebenserhaltende Maßnahme abgesetzt. Um abzuklären, wann der Zeitpunkt der terminalen Phase erreicht ist, bei der die künstliche Ernährung nicht mehr indiziert ist, bietet sich eine Empfehlung der amerikanischen Hospizgesellschaft an. Eine spezielle Situation stellt die selbstständige Beendigung der Nahrungszufuhr in der letzten Lebensphase dar.
Keypoints
-
Viele Probleme mit der Nahrungsaufnahme können durch gezielte Maßnahmen verbessert werden.
-
Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht können die Vorgangsweise in Situationen, in denen eine PEG-Sonde notwendig wird, entsprechend dem Patientenwunschregeln.
-
Wichtig ist zu klären, wann der Zeitpunkt der terminalen Phase erreicht ist, bei der die künstliche Ernährung nicht mehr indiziert ist.
-
Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) stellt nur für entscheidungskompetente Patient:innen ohne kognitive Beeinträchtigung eine Option dar.
Bei Einführung der künstlichen Ernährung vor etwa 50 Jahren standen primär technische Probleme, wie Stabilität und Zusammensetzungen der Nährlösungen sowie Optimierung der Zufuhrwege, im Vordergrund. Es waren fast ausschließlich kritisch kranke Patienten auf der Intensivstation, die damit behandelt wurden. In den letzten Jahren rückten zunehmend ethische Fragen der Indikation einer künstlichen Ernährung und die Frage einer Beendigung der künstlichen Ernährung in den Fokus des Interesses, wobei hier nun vor allem Menschen in ihrer letzten Lebensphase betroffen sind.
Indikationen fürkünstliche Ernährung
Hochbetagte Patient:innen klagen zunehmend über Schwierigkeiten, Nahrung in adäquater Menge zu sich zu nehmen. Die Ursachen sind altersbedingte Veränderung des Verdauungstraktes (Tab. 1), die zu einer Einschränkung der Kaufunktion, verlangsamter Schluckfunktion sowie verminderter Speichelproduktion, einhergehend mit einem erschwerten Schlucken, und damit letztendlich zu einer Verminderung der Nahrungsaufnahme führen können. Zusätzlich treten vermehrt Komorbiditäten auf, die die altersbedingten Störungen noch weiter verschlechtern, ebenso werdenmanche Medikamente eingenommen, durch die es zu einer zunehmenden Kachexie einhergehend mit einer weiteren Verschlechterung der Nahrungsaufnahme kommt.
Durch eine künstliche Ernährung, z.B. über eine PEG-Sonde, können diese Nahrungsaufnahmeprobleme umgangen werden. Die Entscheidung ist hierbei aber oft nicht eine zwischen PEG und „nicht ernähren“ bzw. „verhungern“. Durch ein alternatives Nahrungsangebot, einhergehend mit einer Modifizierung des Essens und einer Änderung der Rahmenbedingungen und des Ambientes, in dem gegessen wird, können sehr häufig eine Verbesserung und schließlich eine adäquate Nahrungsaufnahme erzielt werden.
Weiters ist von größter Bedeutung, dass die Hilfe beim Essen intensiviert fortgesetzt wird. Dies bedeutet einen höheren Zeitaufwand für die Pflege, was jedoch mit dem positiven Effekt einer stärkeren Zuwendung zum alten Menschen einhergeht. Zu bedenken istjedoch, dass dies vermehrte personelle Ressourcen bindet und damit ein vermehrter Bedarf an Pflegepersonal entsteht, an deren Mangel entsprechende Einrichtungen leider zunehmend leiden.
Ist ein Schluckreflex aufgrund einer neurologischen Erkrankung nicht mehr vorhanden, so stellt eine PEG-Sonde die alleinige Möglichkeit einer adäquaten Energie- und Substratzufuhr dar. Hier stellen sich die ethischen Fragen nach dem Wunsch des Betroffenen im Zusammenhang mit der Abschätzung der Relation von Nutzen und Schaden durchdie Verwendung einer PEG-Sonde.
Tab. 2: Möglichkeiten der vorausschauenden Willenserklärung (wird wirksam im Falle einer Situation mit fehlender Selbstbestimmung)
In der Regel ist der Betroffene aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr entscheidungsfähig. Hilfreich kann hier eine vorab erstellte Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sein. Auch bei Menschen mit eingeschränkter Autonomie kann durch den Einsatz einen Erwachsenenvertreters der Wunsch des Betroffenen berücksichtigt werden (Tab. 2). Ist keine derartige vorausschauende Entscheidung getroffen worden bzw. ist diese nicht durchführbar, so stellt sich primär die Frage der Indikation: Was ist das Ziel der künstlichen Ernährung? Eine durch eine künstliche Ernährung erreichte Lebensverlängerung, die mit einer Leidensverlängerung einhergeht, würde keine Indikation darstellen.
Künstliche Ernährung in der terminalen Phase?
Die meisten Menschen, die in der Terminalphase zu essen und zu trinken aufhören, verspüren initial keinen Hunger und Durst.1 Durch eine Ernährung über eine PEG-Sonde konnte bei Patient:innen mit fortgeschrittener Demenz und nicht mehr adäquater Nahrungsaufnahme weder die Aspirationshäufigkeit noch das Dekubitusrisiko reduziert werden. Eine terminale Anorexie und Dehydration induzieren eine Ketose, eine Urämie und Endorphin-Ausschüttung – dies kann als den Sterbeprozess erleichternd betrachtet werden. Trotzdem wird die künstliche Ernährung häufig als letzte lebenserhaltende Maßnahme abgesetzt.
25% der Pflegeheimbewohner:innen mit Demenz in den USA sterben mit einer liegenden, bis zum Schluss benutzten PEG-Sonde.2 Es ist zu klären, wann der Zeitpunkt der terminalen Phase erreicht ist, bei der eine künstliche Ernährung nicht mehr indiziert ist. Als Hilfe bietet sich die Empfehlung der amerikanischen Hospizgesellschaft an, die die Beurteilung des Ausmaßes der Beeinträchtigung und die daraus abgeleitete Lebenserwartung heranzieht: Bei einer Lebenserwartung von unter 6 Monaten istunter bestimmten Umständen eine künstliche Ernährung bei Demenz nicht empfohlen (Tab. 3).3
Tab. 3: Hospiz-Guideline zur Abschätzung eines wahrscheinlichen Überlebens <6 Monate von Menschen mit Demenz (modifiziert nach Mitchell SL et al. 2015)3
Freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit in der letzten Lebensphase
Eine spezielle Situation stellt die selbstständige Beendigung der Nahrungszufuhr in der letzten Lebensphase des autonomen Menschen dar. Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) wird beschrieben als eine Handlung, die von einer zurechnungsfähigen Person ohne kognitive Einschränkungen freiwillig und bewusst gewählt wird, um den Tod frühzeitig herbeizuführen. Zu den häufigsten Motiven für einen FVNF zählen das Gefühl, nun zum Sterben bereit zu sein, die erlebte Sinnlosigkeit in Bezug auf das weitere Leben, eine nur mehr geringe Lebensqualität, eine unzureichende Symptomkontrolle durch ärztliche und pflegerische Maßnahmen und der Wunsch, die Art und Weise des Sterbens zu kontrollieren. Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit kann damit nur für entscheidungskompetente Patient:innen ohne kognitive Beeinträchtigung eine Option darstellen.
Das Hungergefühl ist an den Appetit gekoppelt, der beim Fasten meist nach drei Tagen verschwindet. Das Durstgefühl lässt sich durch konsequente Mundpflege in der Regel gut beherrschen. Im Hungerstoffwechsel werden durch körpereigene Opiode euphorische Gefühle ausgelöst.4 Für Betreuende kann diese Situation ein beträchtlichesSpannungsfeld bedeuten, denn einerseits gilt die ethische Verpflichtung, das Sterben nicht zu beschleunigen, andererseits ist das Recht der Patient:innen auf Selbstbestimmung zu achten.5
Der freiwillige Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) unterscheidet sich in aller Deutlichkeit vom assistierten Suizid. Das Nicht-Zulassen des FVNF liefe auf die Legitimierung einer Zwangsbehandlung bei einer selbstbestimmungsfähigen Person hinaus. Die medizinische und pflegerische Versorgung dieser Patient:innen stellt keine Hilfe zur Selbsttötung dar, sondern ist Teil der ärztlichen und pflegerischen Betreuung im Rahmen des Sterbeprozesses.
Literatur:
1 McCann RM et al.: JAMA 1994; 272:1263-6 2 Mitchell SL et al.: Arch Int Med 2004; 164(3): 321-6 3 Mitchell SL et al.: N Engl J Med 2015; 372: 2533-40 4 Bickhard J: Ethik Med 2015; 27: 235-7 5 Feichtner A et al.: Wiener Med Wochenschr 2018; 168(7-8): 168-76