
Endoskopische Therapie der akuten nekrotisierenden Pankreatitis
Autor:
Dr. med. Remus Frei
Leitender Arzt, Stv. Leiter Fachbereich Endoskopie
Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie
Kantonsspital St. Gallen
Rorschacher Strasse 95, 9007 St. Gallen
E-Mail: remus.frei@kssg.ch
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Die akute Pankreatitis ist die häufigste gastrointestinale Erkrankung, welche zu notfallmässiger Hospitalisation führt. Sie tritt in industrialisierten Ländern mit einer Häufigkeit von ca. 30/100000 Einwohnern pro Jahr auf. Die Krankheit ist charakterisiert durch lokale und systemische Entzündungsreaktion sowie passagerem oder persistierendem Organversagen. Ätiologisch stehen die biliäre (40–70%) und die äthyltoxische (25–35%) Genese im Vordergrund. Die Prognose wird im Wesentlichen durch das Auftreten von Organversagen und Infek-tion von Nekrosen bestimmt. Interventionelle Verfahren zur Therapie der Pankreatitis assoziierten Flüssigkeitskollektionen haben zu einer Verbesserung der Prognose bei nekrotisierender Pankreatitis geführt.
Keypoints
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Interventionelle Verfahren haben zur Verbesserung der Prognose bei Patienten mit nekrotisierender Pankreatitis geführt.
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Die endosonografisch gesteuerte transluminale Drainage ist zum Standard in der Therapie von symptomatischen pankreatischen Flüssigkeitskollektionen (Pseudozysten, abgekapselte Nekrosen) geworden.
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Die Therapie von Patienten mit nekrotisierender Pankreatitis erfordert ein multidisziplinäres Team aus interventionellem Gastroenterologen, Radiologen, Intensivmediziner und Chirurgen.
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Nach einer ersten Pankreatitisepisode soll eine komplette ätiologische Aufarbeitung erfolgen. Eine exo- und endokrine Insuffizienz soll gesucht und behandelt werden.
Diagnose und Verlauf der akuten Pankreatitis
Eine akute Pankreatitis darf diagnostiziert werden, wenn zwei von drei diagnostischen Kriterien erfüllt sind (typischer Schmerz, Erhöhung der Serumamylase/-lipase um einen Faktor 3, Zeichen einer Pankreatitis in einer Bildgebung). Eine sichere Identifikation von Nekrosen in der Kontrastmittel verstärkten Computertomographie ist frühestens 72–98h nach Symptombeginn möglich,1 weshalb initial eine solche nicht notwendig ist, ausser es bestehen diagnostische Unsicherheiten.
Die meisten Patienten, die an einer akuten Pankreatitis erkranken, zeigen einen milden Verlauf, mit einer selbstlimitierenden Erkrankung von ungefähr einer Woche Dauer und exzellenter Prognose. Bei ungefähr 20% kommt es zu einem mittelschweren oder schweren Verlauf mit Nekrose von Pankreas oder peripankreatischem Gewebe, Organversagen oder beidem. Die Einteilung des Schweregrades der akuten Pankreatitis erfolgt anhand der revidierten Atlanta-Kriterien 2012 in milde, mittelschwere und schwere Pankreatitis (Tab.1).2 Aufgrund bildmorphologischer Kriterien wird zwischen einer interstitiellen (ödematösen) und einer nekrotisierenden Pankreatitis unterschieden (Tab. 2).
Therapie der Frühphase der akuten Pankreatitis
Die Therapie der Frühphase der akuten Pankreatitis zielt auf die Verminderung der systemischen inflammatorischen Reaktion, welche zu Extravasation von Flüssigkeit, Hypovolämie, Hypoperfusion und Organversagen führt. Die Standbeine der Therapie sind die zielgerichtete Volumentherapie, Analgesie und die enterale Ernährung. Der Einsatz einer Periduralanästhesie kann zur Verbesserung der Perfusion des Pankreas führen und senkt die Mortalität bei intensivpflichtigen Patienten (2% vs. 17%).3 Der prophylaktische Einsatz einer antibiotischen Therapie reduziert das Risiko für eine sekundäre Infektion bei nekrotisierender Pankreatitis nicht und hat deshalb in der Frühphase der Therapie keinen Stellenwert.
ERCP in der Frühphase bei akuter biliärer Pankreatitis
Ätiologisch steht der biliären Pankreatitis eine passagere Obstruktion des Pankreasgangs durch Stein- oder Sludgematerial zugrunde. Der Einsatz einer frühen endoskopischen retrograden Cholangiopankreatikografie (ERCP) in diesem Zusammenhang ist weiterhin Gegenstand von Diskussion. Als unumstritten gilt die Indikation bei zusätzlich vorliegender Cholangitis, also wenn das klinische Bild der Charcot-Trias vorliegt (Fieber, Oberbauchschmerz, Ikterus). Die ERCP soll dann früh, heisst innert 24 Stunden erfolgen. In unklaren Situationen mit persistierender biliärer Abflussbehinderung kann eine Endosonografie Klärung bringen und ein persistierendes präpapilläres Konkrement ausschliessen oder bestätigen.
Pankreatische Flüssigkeitskollektionen
Flüssigkeitskollektionen treten als lokale Komplikationen sowohl bei interstitieller als auch bei nekrotisierender Pankreatitis auf (Tab. 2). Sie werden ebenfalls anhand der revidierten Atlanta-Kriterien in akute und chronische Kollektionen eingeteilt. Das chronische Stadium ist dann erreicht, wenn eine vollständige Abkapselung der Flüssigkeitskollektion stattgefunden hat. Dieser Prozess dauert circa vier Wochen.
Die meisten akuten (peri)pankreatischen Kollektionen, welche im Rahmen einer interstitiellen Pankreatitis auftreten, zeigen eine spontane Regredienz, und die Entwicklung einer Pseudozyste daraus ist selten. Etwa die Hälfte der akuten nekrotischen Kollektionen entwickelt sich zu einer abgekapselten Nekrose («walled off necrosis», WON). Beide Kollektionen können im Verlauf infizieren, wobei eine infizierte Nekrose nach wie vor eine sehr ernste Prognose mit einer Mortalität von 12–39% aufweist.4
Therapie der pankreatischen Flüssigkeitskollektionen
Nicht jede Flüssigkeitskollektion, welche im Rahmen einer akuten Pankreatitis auftritt, muss behandelt werden.
Kollektionen, welche infiziert sind, persistierend Schmerzen verursachen, eine Magenausgangsstenose, eine biliäre Abflussbehinderung oder eine vaskuläre Kompression verursachen, sollten interventionell angegangen werden. Bei Hinweisen auf eine infizierte Nekrose sollte parallel zur Intervention immer eine antibiotische Therapie erfolgen. Dass ein minimal invasives Vorgehen einer offenen Nekrosektomie überlegen ist, wurde in einer randomisierten Studie aus dem Jahre 2010 eindrücklich gezeigt.5 Die transluminale (in der Regel transgastrische) endosonografisch gesteuerte Drainage stellt dabei das Vorgehen der Wahl dar und ist einem primär CT-gesteuerten transkutanen Vorgehen betreffend Hospitalisationsdauer (53d vs. 69d) und Auftreten von Pankreasfisteln (5% vs. 32%) bei vergleichbarer Mortalität überlegen.6
Zeitpunkt der Intervention
Wann immer klinisch vertretbar, wird mit einer Intervention so lange zugewartet, bis eine komplette Abkapselung der Flüssigkeitskollektion stattgefunden hat, also entweder eine Pseudozyste (PP) oder eine abgekapselte Nekrose (WON) besteht. Dieser Prozess findet innert circa vier Wochen statt.
Endosonografisch gesteuerte transluminale Drainage
Bei diesem Vorgehen wird in der Regel ein transgastrischer Zugang zur Flüssigkeitskollektion verwendet. Nach Auffinden und Charakterisieren der Kollektion (Grösse, Inhalt, Lage, Nachbarschaft) erfolgt das Einstellen des optimalen Punktionsortes (Abstand zum Magen nicht weiter als ca. 10mm, keine Interposition von Gefässen, günstiger, steiler Punktionswinkel) die endosonografisch gesteuerte Punktion der Kollektion mit einer 19G-Nadel (Abb. 1) und das Einführen eines Drahts in die Kollektion. In mehreren Schritten wird dann die Einlage entweder von Doppelpigtails (Abb. 2) oder eines kurzen beschichteten Metallstents («lumen apposing metal stent», LAMS, Abb. 3) durchgeführt. Mittlerweile sind Systeme verfügbar, welche endosonografisch gesteuerte Punktion und die Stentapplikation in einem Tool vereinen. Je nach Lage der Kollektion sind auch transduodenale oder selten transösophageale Zugänge möglich. In ausgewählten speziellen Fällen kann zusätzlich ein transpapillärer Approach zum Zug kommen. Bei komplexen Kollektionen ist die Einlage von mehreren LAMS («multiple transluminal gateway technique») möglich (Abb.4). Ist es klinisch notwendig, werden transluminale endoskopische Nekrosektomien (direct endoscopic necrosectomies, DEN) durchgeführt (Abb. 5–6).
Bei circa einem Fünftel der Patienten ist zusätzlich zur transluminalen Drainage eine CT-gesteuerte Einlage einer Drainage von retroperitoneal notwendig, um transluminal nicht zugängliche Kollektionen zu behandeln.6
Resultate
Eine Reihe von Studien und Serien hat die Effektivität und Sicherheit eines transluminalen Vorgehens sowohl für Doppelpigtails als auch für die kurzen beschichteten Metallstents (LAMS) belegt, wobei von einer technischen und klinischen Erfolgsrate von 80–90% ausgegangen werden kann. Die Komplikationsrate (Blutung, Perforation, Stentmigration und Infektion) liegt bei beiden Verfahren ungefähr bei 5%.
Wir gehen in der Regel so vor, dass wir bei symptomatischen grossen abgekapselten Nekrosen (WON), welche gut zugänglich sind, die Einlage eines LAMS durchführen, da durch den grossen Durchmesser (bis 16mm) eine effiziente Drainage ermöglicht wird und endoskopische Nekrosektomien einfach durchgeführt werden können. Die Metallstents werden nach spätestens 4 Wochen entfernt. Bei einfachen Pseudozysten oder schwierig zugänglichen Läsionen verwenden wir nach wie vor Doppelpigtails. Diese können bei Vorliegen einer persistierenden Gangruptur, welche für das Auftreten von Rezidiven verantwortlich ist, auch langfristig in situ belassen werden.
Frühes interventionelles Vorgehen
Besteht aufgrund einer unkontrollierten Sepsis im Rahmen einer akuten nekrotisierenden Pankreatitis die Notwendigkeit für ein frühes interventionelles Vorgehen, noch bevor eine Abkapselung der Kollektion stattgefunden hat (in der Regel <4 Wochen), wird primär eine computertomografisch gesteuerte Drainage von retroperitoneal her durchgeführt. Entlang der Drainage kann bei Bedarf auf chirurgischem Weg minimal invasiv eine Nekrosektomie durchgeführt werden (sog. «video assisted retroperitoneal debridement», VARD). Neuere Daten zeigen, dass möglicherweise auch vor kompletter Abkapselung der Kollektion ein transluminaler Eingriff ohne erhöhte Komplikationsrate durchgeführt werden kann.
Verhinderung eines Rezidivsnach akuter Pankreatitis
Liegt eine biliäre Ursache für die durchgemachte Pankreatitis vor, ist die Cholezystektomie zur Verhinderung eines Rezidivs indiziert. Bei milder Pankreatitis kann diese noch während der gleichen Hospitalisation erfolgen. Dieses Vorgehen verhindert frühe biliäre Rezidivkomplikationen und ist kostengünstiger als eine elektive Cholezystektomie.7 Der ideale Zeitpunkt für den Eingriff nach einer nekrotisierenden Pankreatitis ist nicht klar. In der Regel wird das Abheilen der Nekrose abgewartet. Persistiert diese länger als 6 Wochen, wird das Timing der Cholezystektomie individuell anhand von Grösse und Lokalisation der Kollektion sowie aufgrund des Allgemeinzustandes des Patienten festgelegt. Ist nach biliärer Pankreatitis ein Patient für eine Cholezystektomie nicht operabel, kann eine ERCP mit biliärer Sphinkterotomie durchgeführt werden. Dieses Vorgehen kann das Risiko eines Rezidives einer Pankreatitis senken.
Ätiologische Klärung
Eine komplette ätiologische Abklärung wird heute bereits nach der ersten Episode einer akuten Pankreatitis empfohlen. Nebst den zwei häufigsten Ursachen (Alkohol, biliär) soll nach Stoffwechselstörungen (Hyperkalzämie, Hypertriglyzeridämie), immunologisch vermittelten Erkrankungen (Sprue, IgG4-Pankreatitis), auslösenden Medikamenten (z.B. Azathioprin, Diuretika, Statine, Antihypertensiva) und anatomischen Veränderungen (Pancreas divisum, Obstruktion) mittels Magnetresonanz-Cholangiopankreatikografie (MRCP) gesucht werden. Bei wiederholten Attacken einer idiopathischen Pankreatitis soll eine genetische Beratung und Abklärung erfolgen.
Endo- und exokrine Insuffizienz nach nekrotisierender Pankreatitis
Das Auftreten einer exo- und endokrinen Insuffizienz nach nekrotisierender Pankreatitis ist ein häufiges Problem. Beide Entitäten sollen in der Nachsorge systematisch gesucht werden. Man geht davon aus, dass circa ein Drittel der Patienten nach einer nekrotisierenden Pankreatitis eine exokrine Insuffizienz entwickelt. Diese führt zu Diarrhö, Steatorrhö, Maldigestion und abdominalen Beschwerden. Sie kann einfach mittels Stuhlelastase diagnostiziert und mittels peroralen Enzymersatzes behandelt werden.
Das Auftreten eines insulinpflichtigen Diabetes nach nekrotisierender Pankreatitis wird mit bis zu 23% angegeben und soll ebenfalls gesucht und behandelt werden. In der Nachsorge sollen Stuhlelastase, HbA1c und Nüchternglucose jährlich bestimmt werden. Alkohol wie Nikotinkonsum sollten nach einer akuten Pankreatitis reduziert respektive sistiert werden.
Literatur:
1 Working Group IAP/APA Acute Pancreatitis Guidelines: IAP/APA evidence-based guidelines for the management of acute pancreatitis. Pancreatology 2013; 13(4 Suppl 2): e1-15 2 Banks PA et al.: Classification of acute pancreatitis—2012: revision of the Atlanta classification and definitions by international consensus. Gut 2013; 62: 102-11 3 Jaboudon M et al.: Thoracic epidural analgesia and mortality in acute pancreatitis: a multicenter propensity analysis. Crit Care Med 2018; 46: e198-e205 4 van Brunschot S et al.: Treatment of necrotizing pancreatitis. Clin Gastroenterol Hepatol 2012; 10: 1190-201 5 Van Santvoort HC et al.: A step-up approach or open necrosectomy for necrotizing pancreatitis. N Engl J Med 2010; 362: 1491-502 6 van Brunschot S et al.: Endoscopic or surgical step-up approach for infected necrotising pancreatitis: a multicentre randomised trial. Lancet 2018; 391: 51-8 7 Da Costa DW et al.: Same admission versus interval cholecystectomy for mild gallstone pancreatitis (PONCHO). A multicenter randomized controlled trial. Lancet 2015; 386: 1261-8
Weitere Literatur beim Autor
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