© Peter Schneider - Nationale Demenzkonferenz/Public Health Schweiz und Alzheimer Schweiz

Demenzkonferenz: scharfe Kritik an Versorgung Älterer

Bei der Nationalen Demenzkonferenz am Dienstag wurde die Versorgung älterer und an Demenz erkrankter Menschen stark kritisiert. Expert:innen stellten Forderungen an die Politik.

In der Schweiz leben aktuell über 153 000 Menschen mit einer Demenz, jährlich erkranken ungefähr 32 900 Personen neu daran. Und trotzdem: Demenzerkrankungen sind in der Schweiz immer noch ein Tabu – nicht der Krankheitsbegriff selbst, sondern das, was die Demenz mit den Erkrankten und Angehörigen macht. Darüber waren sich alle Vortragenden bei der Nationalen Demenzkonferenz 2024 am Dienstag in Bern einig. Darüber, dass dieses Tabu die Versorgung von Menschen mit Demenz und die Unterstützung jener, die sich um ihre an Demenz erkrankten Angehörigen kümmern, behindert, herrschte ebenfalls Einigkeit. «Man spricht nicht darüber. Ich sehe dahinter keinen rationalen Grund, sondern ein irrationales Tabu und gesellschaftlichen Selbstschutz – geboren aus Unwissen, Scham und Angst», sagte Catherine Gasser, Zentralpräsidentin von Alzheimer Schweiz in ihrer Eröffnungsrede. Sébastien Jotterand, Hausarzt im Medizinischen Zentrum Aubonne, kritisiert, dass das Ansprechen von Demenzerkrankungen selbst unter Ärzt:innen ein Tabu ist. Als Beispiel nennt er die Anführung von Todesursachen, wo Demenzerkrankungen wie Alzheimer als Ursprung für eine weitere Erkrankung wie eine Lungenentzündung nicht angegeben werden. Jotterand ist überzeugt, dass es helfen würde, wenn nicht nur «Lungenentzündung», sondern auch «Alzheimer» dabeistehen würde. Er wies ausserdem darauf hin, das Leiden im Familiensystem nicht zu unterschätzen. Der Hausarzt empfahl dazu, die Zarit-Skala zur Selbsteinschätzung für Belastungen sowie das Bewertungstool für Praxen «Betreuende Angehörige» des Bundesamtes für Gesundheit zu nutzen.
Für Stéfanie Monod, Leitende Ärztin und Co-Leiterin der Abteilung Epidemiologie und Gesundheitssysteme von Unisanté in Lausanne liegt der Ursprung für das Tabu rund um Demenz in einem Gesundheitswesen, das eine «geringe kollektive, soziale und ökologische Dimension von Gesundheit» besitzt. Die Expertin kritisierte die Behandlung älterer Menschen scharf, sprach von «mangelnder Anerkennung» und «viel zu wenigen Investitionen in die Langzeitpflege». Monod stellte ebenfalls die «soziale Stellung des Arztes und dessen Monopol im Gesundheitsdiskurs» sowie die «zentrale Stellung des Spitals» infrage. «Das System müsste komplett verändert werden, wenn wir die kommenden Herausforderungen wie eine wachsende alternde Bevölkerung, den Fachkräftemangel, steigende Kosten und die Auswirkungen der Klimakrise bewältigen wollen», warnte Monod und bezeichnete den Föderalismus in diesem Zusammenhang als «schwierig». Dass von den Gesundheitskosten nur rund 3,5 Prozent in Prävention investiert werden, hielt die Ärztin für fatal. Sie forderte von der Politik, diese Themen aufzugreifen und weg vom Spital im Vordergrund und einer Forschung, «die eher auf technologische Entwicklungen fokussiert», hin zu einem Fokus auf den Menschen zu gehen.
Über 250 Personen nahmen an der Nationalen Demenzkonferenz 2024 vor Ort und rund 320 Personen per Livestream teil. (kagr)

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