
Darmkrebs-Screening: Für wen ist welche Untersuchung sinnvoll?
Autor*innen:
Prof. Dr. med. Viviane Hessa
Prof. Dr. med. Urs Marbetb
a Abteilung für Onkologie
Universitätsspital Basel,
Leiterin Vorsorge und Früherkennung, Krebsliga beider Basel
b Senior ConsultantInnere Medizin und Gastroenterologie
Kantonsspital Uri, Altdorf
E-Mail: viviane.hess@usb.ch
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Der Nutzen des Darmkrebs-Screenings ist wissenschaftlich längst etabliert und in Fachkreisen kaum umstritten. Trotzdem wird das kolorektale Karzinom in der Schweiz weiterhin meist erst bei Symptomen in entsprechend fortgeschrittenen Stadien diagnostiziert. Die neuen, immunochemischen Stuhltests könnten dank ihrer einfachen Anwendung und der stets wachsenden wissenschaftlichen Evidenz in puncto Treffsicherheit die Lösung für ein verbessertes Bevölkerungsscreening bieten.
Keypoints
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FIT, alle 2 Jahre, mit konsequenter Koloskopie bei Blutnachweis, ist zunehmend die Methode der Wahl beim Darmkrebs-Screening in der Bevölkerung 50+ mit durchschnittlichem Risiko. Individuell kann alternativ eine primäre Koloskopie angeboten werden.
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Personen mit positiver Familienanamnese (1. Grades) wird eine primäre Screening-Koloskopie empfohlen – mit Augenmerk auf flache Läsionen.
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Die Darmkrebsinzidenz steigt bei unter 50-Jährigen – hellhörig sein und Symptome rasch abklären!
Darmkrebs-Screening funktioniert
Gut 25 Jahre nachdem in randomisierten Studien die Wirksamkeit des Darmkrebs-Screenings gezeigt wurde, können nun in Ländern, welche das Screening rigoros umgesetzt haben, die positiven Auswirkungen sozusagen «live» aus den Bevölkerungsstatistiken mitverfolgt werden: Nicht nur reduziert sich die Darmkrebs-bedingte Mortalität in gut gescreenten Regionen (z.B. in den USA oder den Niederlanden) um über die Hälfte, auch die Anzahl der Neuerkrankungen in den Zielpopulationen nimmt um 50% und mehr ab. Ausserdem bedeutet die beobachtete Verschiebung bei Erstdiagnose von den fortgeschrittenen zu den frühen Stadien, dass viele intensive (Chemo-)Therapien vermieden werden können.
Welche Untersuchung?
Vor dem Hintergrund dieser klaren Evidenz für ein Darmkrebs-Screening stellt sich also nicht die Frage, ob eine Screening-Untersuchung durchgeführt werden soll, sondern vielmehr welche.
Neben der klassischen Metrik zur Testaussagekraft wie Spezifität und Sensitivität spielen hier andere Faktoren, insbesondere die Akzeptanz der Methode, eine wichtige Rolle: Was bringt der perfekte Test, wenn er von der Mehrheit der Personen der Zielbevölkerung nicht durchgeführt wird?
Grundsätzlich gibt es zwei Vorgehensweisen (Abb. 1):
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Untersuchung auf mikroskopische Blutmengen im Stuhl (fäkoimmunochemischer Stuhltest, FIT), gefolgt von einer sekundären Koloskopie bei positivem Hämoglobin-Nachweis im Stuhl
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Primäre Koloskopie
Die Sigmoidoskopie, welche (analog zum Stuhltest) als erster Schritt vorangeschaltet werden kann, um Personen zu identifizieren, welchen eine komplette Koloskopie empfohlen wird, wird in der Schweiz nicht angeboten.
Stuhltest (FIT): einfach und zuverlässig
Vorbei sind die Zeiten, als ein Stuhltest (damals Hämoccult®) noch mit mehrtägigen Diäten und Wiederholungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen verbunden war. Der Guajak-Test (Hämoccult®) ist vom immunochemischen Blutnachweis mittels eines spezifisch gegen menschliches Hämoglobin gerichteten Antikörpers abgelöst worden (quantitativer FIT, z.B. OC Sensor®). Ein einziger Test genügt – und die handlichen Teströhrchen mit Probestäbchen sind auch in hygienischer Hinsicht viel einfacher zu handhaben. Der Test lässt sich problemlos zu Hause durchführen und per Post ins Analyselabor senden.
Im Rahmen des Darmkrebs-Screenings in der gesunden Bevölkerung ab 50 Jahren wird die Durchführung des FIT alle 2 Jahre empfohlen. Wenn beim OC-Sensor®-Test ein Cut-off-Wert von 50ngHb/ml Puffer(=10ngHb/g Stuhl) gewählt wird, wie in den meisten Analyselabors der Schweiz, ist der FIT bei 8 von 100 gescreenten Personen positiv. Bei Personen, welche nach positivem FIT kolonoskopiert werden, findet sich in circa einer von 18 Untersuchungen ein Frühkarzinom («number needed to scope», NNScope = 18).1 Bei Wiederholung des FIT alle zwei Jahre dürfte der Test schlussendlich bei gut 20% der Gescreenten einmal positiv ausfallen und eine Koloskopie notwendig machen.
Koloskopie: nur in guten Händen
Der grösste Fortschritt beim Einsatz der Koloskopie ist die evidenzbasierte Erkenntnis, dass die Qualität der Koloskopie relevant und objektivierbar ist. Entsprechend soll im Koloskopiebericht ausdrücklich erwähnt werden, ob die Darmvorbereitung gut war (z.B. Boston-Score: optimal = 9), wie weit der Darm eingesehen wurde (Intubation des Zäkum, fotodokumentiert) und wie lange die Rückzugzeit war (>6 Minuten). Bei mindestens 25% der Screeningkoloskopien sollte ein Untersucher Adenome entdecken und abtragen (Adenom-Detektionsrate, ADR).2
Im Rahmen des Darmkrebs-Screenings in der gesunden Bevölkerung ab 50 Jahren wird die Durchführung einer Koloskopie alle 10 Jahre empfohlen. Ein Frühkarzinom wird bei circa einer von 190 Personen entdeckt (NNScope = 190).1
Welche Untersuchung: Stuhltest oder Koloskopie?
Die Frage müsste eigentlich so formuliert werden: primäre Koloskopie oder Koloskopie mit erhöhter Vortestwahrscheinlichkeit nach vorgeschaltetem, alle 2 Jahre wiederholtem Stuhltest? Dementsprechend müssen wir uns auch nicht fragen, welcher Test per se besser ist, sondern welches Vorgehen geeigneter ist.
Trotzdem muss im Alltag als erster Schritt entweder der Stuhltest oder die Koloskopie empfohlen werden. Direkte randomisierte Vergleichsstudien laufen, erste Zwischenresultate wurden publiziert.3
Risikogruppen: weiterhin direkt zur Koloskopie
Personen mit deutlich erhöhtem Darmkrebsrisiko (familiäre Darmkrebs-Syndrome wie HNPCC oder FAP, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, Vorgeschichte von Darmkrebs) wird weiterhin zur Koloskopie geraten – je nach Ursache des erhöhten Risikos bereits deutlich vor 50 Jahren. Diese Personen sind nicht die Zielgruppe eines Bevölkerungsscreenings, welches sich an Personen mit durchschnittlichem Risiko richtet.
Aufgrund der Häufigkeit des Kolonkarzinoms gibt es innerhalb der Bevölkerung zwischen 50 und 69 Lebensjahren viele Personen, welche nahe Verwandte mit einer Kolonkarzinomanamnese haben. Bei Personen mit positiver Darmkrebs-Familienanamnese bei Eltern, Geschwistern oder Kindern wird aktuell vom Stuhltest als Screening-Test abgeraten. Es wird nämlich davon ausgegangen, dass der Anteil der Karzinome, welche sich nicht über die klassische Adenomkarzinom-Sequenz über 10–15 Jahre, sondern über Veränderungen in den «DNA mismatch repair»-Mechanismen mit flachen, serratierten und seltener blutenden Adenomen über kürzere Zeit entwickeln, erhöht ist. Diese flachen Läsionen sind auch in der Koloskopie nicht einfach zu erkennen – trotzdem ist bei einer positiven Familienanamnese bei Verwandten 1. Grades die Koloskopie bei einem geübten Untersucher aktuell die bevorzugte Screeningmethode.
Durchschnittsbevölkerung: wiederholte FIT gefolgt von Koloskopie
Bei konsequentem Screening ab 50 Jahren mit 2-jährlich wiederholten FIT und anschliessender Koloskopie bei positivem FIT werden gleich viele oder, dank der besseren Akzeptanz, sogar mehr Frühkarzinome in der Bevölkerung mit durchschnittlichem Risiko entdeckt wie bei primärer Koloskopie – mit dem Vorteil, dass viele unnötige Koloskopien vermieden werden können und ein grösserer Anteil der Bevölkerung am Screening teilnimmt.
Diese Evidenz ist recht neu und hat damit zu tun, dass endlich Studiendaten vorliegen, die nicht «Äpfel mit Birnen» vergleichen, sondern mehrere Runden von FIT-Untersuchungen plus sekundäre Koloskopien mit einer einzigen primären Koloskopie (Abb. 1):
In der 2020 publizierten, holländischen Studie3 wurde mit 4 Runden FIT bei 0,6% der Zielpopulation (14651 Personen, Teilnahmerate 73%) ein Karzinom diagnostiziert, während mit der primären Koloskopie nur bei 0,2% der Zielpopulation (5982 Personen, Teilnahmerate 24%) ein Kolonkarzinom entdeckt wurde. Mit dem primären FIT benötigte es auch in dieser Studie nur einen Bruchteil der Koloskopien pro entdecktem Karzinom (NNScope: 23 vs. 158) – es konnten also über 85% der Koloskopien vermieden werden, ohne weniger Karzinome zu entdecken. Ein weiteres erfreuliches Resultat: Auch die Anzahl der fortgeschrittenen Adenome, welche nach 4 Runden FIT diagnostiziert wurden, war mit 4,5% der Zielbevölkerung höher als in der Koloskopiegruppe (2,2% der Zielbevölkerung). Einzig die serratierten Adenome wurden mit einer primären Koloskopie häufiger gefunden als mit primärem FIT (3,9% vs. 1,1%) – deshalb auch die Empfehlung zur primären Koloskopie bei positiver Familienanamnese (s. oben). Möglicherweise sind diese Karzinome, die über den «DNA mismatch repair»-Mechanismus entstehen, der Grund dafür, dass bei FIT trotz Screenings etwas häufiger Intervallkarzinome, also Karzinome zwischen zwei Tests, auftreten.
Zusammenfassend verdichtet sich die Evidenz, dass regelmässige FIT mit konsequenten sekundären Koloskopien bei positivem FIT die Methode der Wahl für das Bevölkerungsscreening bei Personen ab 50 Jahren mit durchschnittlichem Darmkrebsrisiko darstellen.
Bei persönlicher Präferenz bleibt die primäre Koloskopie auch für Personen ohne erhöhtes Risiko eine Alternative.
Systematisches versus opportunistisches Screening
Im klinischen Alltag stehen Ärzt*innen in der Regel Patient*innen mit Beschwerden gegenüber. Beim Screening ist das Gegenüber gesund und nicht intrinsisch motiviert, sich mit einer Krankheit auseinanderzusetzen. Zudem besteht das Gegenüber nicht aus einer einzelnen Person, sondern aus einer ganzen Bevölkerung – mit enormer Diversität, was kulturelle Hintergründe und sozioökonomische Faktoren angeht. Um zu überprüfen, ob das Gegenüber aus Gesundheitsinterventionen einen Nutzen zieht, braucht es daher qualitätskontrollierte Programme, welche die gesamte Zielbevölkerung einbeziehen. Opportunistisches Screening erreicht überwiegend sozioökonomisch Privilegierte. Dieses Ungleichgewicht kann, zumindest teilweise, durch Screening-Programme, welche in der Schweiz kantonal organisiert und Franchise-befreit sind, aufgehoben werden.
Ein entscheidender Punkt für ein erfolgreiches Bevölkerungsscreening ist die Adhärenz, also die jahrelange Teilnahme am Screening-Programm. Beim FIT zeigten verschiedene Studien, dass die Adhärenz schlecht ist, wenn die Leute nicht immer wieder ans Screening erinnert werden und ihnen der Stuhltest wieder zugestellt wird. Aber auch bei der Koloskopie geht die erneute Endoskopie nach 10 Jahren oft vergessen, wenn die Leute nicht erneut eingeladen werden. Die Adhärenz ist deshalb ein entscheidender Grund dafür, der Bevölkerung ein systematisches Screening in kontrollierten Programmen anzubieten.
Zielpopulation
Aktuell ist die Screening-Population in der Schweiz, zumindest was die Kostenübernahme betrifft, auf die 50- bis 69-Jährigen beschränkt. Dass diese Obergrenze bei 69 Jahren zu niedrig angesetzt ist, ist in Fachkreisen wenig umstritten – liegt doch die qualitativ gute Lebenserwartung bei 70-Jährigen in der Schweiz bei deutlich über 10 Jahren, eine Zeitspanne, die allgemein als Voraussetzung für eine sinnvolle Darmkrebsvorsorge akzeptiert ist. Hier sind gesundheitspolitische Vorgänge nötig (und im Gange), um diese Grenze auf 75 Jahre anzuheben.
Schwieriger ist es am anderen Ende des Intervalls: In der Gruppe der 40- bis 50-Jährigen ist die Diagnose Darmkrebs selten, aber deutlich zunehmend. Noch ist nicht restlich geklärt, welche Ursachen diesen Anstieg erklären. Eine Assoziation mit bestimmten metabolischen Störungen, u.a. mit Diabetes mellitus, ist beschrieben. Sowohl Risikofaktoren wie auch Entstehungsdauer und molekulare Genese scheinen sich bei diesen jungen Betroffenen von denjenigen bei älteren Betroffenen zu unterscheiden. Dementsprechend können auch die etablierten Screening-Methoden nicht 1:1 auf die unter 50-Jährigen übertragen werden. Ein generelles bevölkerungsbasiertes Screening kann in dieser Altersgruppe aktuell nicht empfohlen werden. Individuell, z.B. bei Typ-2-Diabetiker*innen mit einer Familienanamnese von kolorektalen Karzinomen, kann eine Vorsorgeuntersuchung ab ca. 40–45 Jahren diskutiert werden (Cave: nicht kassenpflichtig). Bis hier evidenzbasierte Richtlinien vorliegen, ist es sicher wichtig, auch bei unter 50-Jährigen bei entsprechenden Symptomen an die Möglichkeit eines kolorektalen Karzinoms zu denken und entsprechend rasch abzuklären.
DNA-Stuhltests
Im Stuhl können nicht nur Hämoglobin, sondern auch genetische Veränderungen gesucht werden, welche in Kolonkarzinomzellen gehäuft vorkommen, wie z.B. Mutationen des KRAS-Onkogens. Diese «multitarget-DNA-stool tests» (z.B. Cologuard®) sind insofern vielversprechend, als dass sie eine höhere Sensitivität als der FIT aufweisen, um mit einem einzigen Test ein Kolonkarzinom oder ein fortgeschrittenes Adenom zu entdecken.4 Trotzdem sind sie aus den folgenden zwei Gründen nicht reif für den Einsatz im Routine-Bevölkerungsscreening:
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Die Rate der falsch positiven Resultate ist deutlich höher als beim FIT, was bei einem Bevölkerungsscreening zu einer erhöhten Belastung Gesunder mit unnötigen Abklärungen führt.
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Es liegen – im Gegensatz zum FIT (s. oben) – noch keine Studiendaten über mehrere Runden DNA-Tests vor.
Die DNA-Stuhltests sind aber sicher ein Ansatz, den es weiter zu verfolgen gilt.
Literatur:
1 Quintero E et al.: Colonoscopy versus fecal immunochemical testing in colorectal-cancer screening. N Engl J Med 2012; 366: 697-706 2 Qualitätsparameter Screening-Koloskopie: 01.05.2017: https://sggssg.ch/fileadmin/user_upload/Appendix_Screening_Koloskopie_2017_1.DE.pdf 3 Grobbee EJ et al.: Diagnostic yield of one-time colonoscopy vs one-time flexible sigmoidoscopy vs multiple rounds of mailed fecal immunohistochemical tests in colorectal cancer screening. Clin Gastroenterol Hepatol 2020; 18: 667-75 4 Imperiale TF et al.: Multitarget stool DNA testing for colorectal-cancer screening. N Engl J Med 2014; 270: 1287-97
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