© Eugene B-sov - stock.adobe.com

Gemeinsame Jahrestagung der SGG, SGVC, SASL und SVEP

Die besten Arbeiten aus dem letzten Jahr

Wie gewohnt wurden auch an der diesjährigen gemeinsamen Jahrestagungder Schweizerischen Gesellschaft für Gastroenterologie (SGG), der Schweizerischen Gesellschaft für Viszeralchirurgie (SGVC), der Schweizerischen Vereinigung für das Studium der Leber (SASL) und der Schweizerischen Vereinigung Endoskopie-Assistenz Personal (SVEP) die besten Publikationen des vergangenen Jahres aus den Bereichen Gastroenterologie, Hepatologie und Viszeralchirurgie ausgezeichnet. Wir gratulieren den drei Preisträger:innen, Prof. Dr. med. Andrew Macpherson, Bern, PD Dr. med. Montserrat Fraga Christinet, Lausanne, und Dr. med. Manuel Jakob, Bern und Berlin, und stellen die prämierten Arbeiten im Folgenden kurz vor.

Bakterien geben Auskunft über Verhältnisse im Darm

Prof. Dr. med. Andrew Macpherson, Klinikdirektor und Chefarzt Gastroenterologie, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Bauchzentrum Bern, wurde für die in «Science» publizierte Forschungsarbeit «Noninvasive assessment of gut function using transcriptional recording sentinel cells»1 mit dem Gastroenterologie-Preis geehrt.

Macpherson und sein Team wollten mit dieser Arbeit erforschen, ob und wie man sich die Tatsache, dass die Genxpression von Darmbakterien durch die Umgebung beeinflusst wird, zunutze machen könnte, um die Verhältnisse im Darm zu untersuchen. «Die meisten Gene der Darmbakterien werden durch Milliarden von Molekülen in unserem Darm, wie Zucker, Aminosäuren, Proteine, Nukleotide, Mineralstoffe, Säuren, Nitrate, Sulfate, die Sauerstoffspannung etc., reguliert. Wenn wir die Möglichkeit hätten, diese Veränderungen in der Genexpression mit einer Art Aufnahmegerät zu registrieren, könnten wir genau untersuchen, welche Moleküle im Darm vorhanden sind», erklärte Macpherson. Das Problem dabei ist, dass die mRNA extrem instabil ist und deshalb nur eine Momentaufnahme geben kann. Im Vergleich dazu ist DNA sehr stabil. Die Wissenschaftler:innen um Macpherson entwickelten deshalb ein CRISPR-System, in dem RNA-Schnipsel in DNA gespeichert werden.

Biotechnologisch hergestellte spezielle Bakterienzellen (Sentinelzellen) zeichnen dabei während ihres Transits durch den Darm die Genexpressionen auf, indem sie kurzlebige mRNA, die als Reaktion auf die jeweilige Umgebung gebildet wird, in DNA überschreiben und so die Information konservieren. Durch die Sequenzierung der Stuhlprobe (Record-seq) können anschliessend Informationen zur intestinalen und mikrobiellen Physiologie gewonnen werden. Die verwendeten Sentinelzellen basieren auf E. coli Nissle 1917 (EcN), das seit über 100 Jahren als Probiotikum verwendet wird. «Wir haben unser System bei Mäusen getestet und konnten beispielsweise zeigen, dass die Record-seq-Resultate sehr unterschiedlich ausfielen, je nachdem wie die Nahrung der Mäuse zusammengesetzt war», so Macpherson.

Aktuell werden EcN-Sentinelzellen in einem translationalen Projekt in klinischen Phase-I-Studien getestet. «Unser Ziel ist es, diese Technologie sicher und ethisch vertretbar bei einem breiten Spektrum von gesunden und kranken Menschen anzuwenden, um mithilfe einer nichtinvasiven Methode die biochemischen Verhältnisse im Darm zu ermitteln und somit bei der Diagnose schwerer Krankheiten zu helfen», schloss Macpherson.

Leberbiopsie ermöglicht besseres Verständnis von Immuncheckpoint-Inhibitor-bedingten hepatischen Nebenwirkungen

Der Hepatologie-Preis ging an PD Dr. med. Montserrat Fraga Christinet, Leitende Ärztin, Departement für Gastroenterologie und Hepatologie, CHUV, Lausanne, für die in «The Journal for ImmunoTherapy of Cancer» erschienene Originalarbeit zum Thema «Systematic comparison with autoimmune liver disease identifies specific histological features of immune checkpoint inhibitor-related adverse events»2.

Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) haben die Behandlung von Krebserkrankungen grundlegend verändert und sind zu einer tragenden Säule onkologischer Therapien geworden. «Die Kehrseite der boosternden Wirkung auf das Immunsystem ist ein breites Spektrum an immunbedingten unerwünschten Ereignissen (irAE), die unter anderem die Leber betreffen und einige Ähnlichkeiten mit klassischen autoimmunen Lebererkrankungen (AILD) aufweisen», so Fraga Christinet. Die Inzidenz der ICI-assoziierten Hepatitis weist eine Bandbreite von wenigen Prozenten bis 30% unter Kombinationstherapie auf. Das klinische Spektrum reicht dabei von asymptomatischen Leberwerterhöhungen bis zu akutem Leberversagen und Tod.

Ziel der Studie der Lausanner Wissenschaftler:innen war es, die klinischen und histopathologischen Eigenschaften von hepatischen irAE besser zu charakterisieren und sie mit denjenigen der klassischen autoimmunen Lebererkrankungen (AILD) zu vergleichen. Zudem sollte der Stellenwert der Biopsie, über den noch debattiert wird, untersucht werden.

In die Studie wurden 27 Patient:innen mit bioptisch nachgewiesenen hepatischen irAE (ICI-Gruppe) und 14 Patient:innen mit AILD (Autoimmunhepatitis [AIH] oder primär biliäre Cholangitis [PBC]) eingeschlossen. Zwei auf Lebererkrankungen spezialisierte Pathologen begutachteten die Biopsien unabhängig voneinander, bestimmten das vorherrschende Muster der Leberschädigung und bewerteten den histopathologischen Schwergrad anhand von 17 vordefinierten Kriterien. Dabei wurden drei verschiedene ICI-induzierte histologische Leberschädigungsmuster beobachtet: immunbedingte Hepatitis (irH; 52%), immunbedingte Cholangitis (irC; 19%) sowie die gemischte Form der immunbedingten Cholangiohepatitis (irCH; 29%). Im Unterschied zur AILD-Gruppe traten in der ICI-Gruppe häufiger zentrilobuläre Schädigungen sowie Granulome auf (p=0,067 bzw. 0,002). Die CD4+/CD8+-T-Zell-Ratios waren heterogen zwischen den beiden Gruppen, ohne statistisch signifikanten Unterschied, aber mit einem Trend zu mehr CD8+-T-Zellen bei irH im Vergleich zu AIH. Was die Veränderungen der Leberfunktionstests betrifft, so war das Muster prädiktiv für die Art der irAE, der Schweregrad korrelierte jedoch nicht mit dem histologischen Schweregrad.

«Unsere Arbeit zeigt, dass hepatische immunbedingte Nebenwirkungen einzigartige immunvermittelte Erkrankungen sind, die sich von den klassischen autoimmunen Lebererkrankungen unterscheiden. Dabei korreliert der histologische Schweregrad nicht immer mit dem klinischen und biologischen Schweregrad. Die Leberbiospie ist deshalb entscheidend für die Diagnose und die Behandlung von hepatischen immunbedingten Nebenwirkungen», schlussfolgerte Fraga Christinet.

Chirurgische Infektionen weisen oft eine intestinale mikrobielle Signatur auf

Der Viszeralchirurgie-Preis wurde verliehen an Dr. med. Manuel Jakob, Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin, Inselspital, Bauchzentrum Bern, Departement für biomedizinische Forschung (DBMR), Universität Bern, und Wissenschaftler (PhD-Programm) an der Charité in Berlin, für die in «Cell Reports» publizierte Arbeit «ILC3s restrict the dissemination of intestinal bacteria to safeguard liver regeneration after surgery»3.

Allgemein wird angenommen, dass chirurgische Infektionen hauptsächlich exogenen Ursprungs sind. Massnahmen zur Vermeidung solcher Infektionen konzentrieren sich daher auf die Optimierung der Hygiene und die Verbesserung der Asepsis und Antisepsis. «Trotzdem treten bei 10% der Operierten postoperative Infektionen auf. Man muss sich deshalb fragen, ob diese Infektionen eine alternative Ätiologie haben», sagte Jakob. In einem ersten Schritt untersuchten er und seine Kolleg:innen eine multizentrische Kohorte von 3515 chirurgischen Patienten prospektiv auf das Auftreten von postoperativen Infektionen. Dabei zeigte sich, dass das mikrobielle Profil unabhängig war von der Art der Operation und dass die verursachenden Bakterien hauptsächlich Darmbakterien, wie E. coli, Enterokokken etc., waren. Um den Ursprung (kutan versus intestinal) dieser Bakterien zu untersuchen, wurde das mikrobielle Profil mit demjenigen von Hautabstrichen und Stuhlproben verglichen. Das Resultat: Die Bakterien waren grösstenteils repräsentativ für das Darmmikrobiom und nur zu einem kleinen Teil für das Hautmikrobiom. «Man darf also annehmen, dass chirurgische Infekte eine endogene Quelle haben», hielt Jakob fest.

In einem weiteren Schritt wurde in einem Mausmodell untersucht, welche Rolle das Immunsystem bei der Entstehung von chirurgischen Infektionen intestinalen Ursprungs spielt. Dafür wurde bei Wildtyp-Mäusen, Rag-1-Knockout-Mäusen, denen adaptive Lymphozyten (T- und B-Zellen) fehlen, und Rag2/Il2rg-Knockout-Mäusen, denen zusätzlich lymphoide Zellen des angeborenen Immunsystems (ILC) fehlen, eine Leberteilresektion durchgeführt und das Auftreten von chirurgischen Infektionen untersucht. Nur bei Fehlen von ILC konnte eine Ausbreitung von Darmbakterien in andere Organe wie Leber oder Milz beobachtet werden. «Weitere Experimente ergaben, dass der entscheidene Faktor für die systemische bakterielle Ausbreitung und das Auftreten von Infektionen das Fehlen von ILC der Gruppe 3 war», so Jakob. ILC3, die an der Ausbildung einer antibakteriellen Immunität an den Schleimhäuten beteiligt sind, scheinen somit bei der Verhinderung von chirurgischen Infektionen endogenen Ursprungs eine entscheidende Rolle zu spielen.

Jahreskongress der SGG, SGVC, SASL und SVEP, 24. und 25. September 2023, Interlaken

1 Schmidt F, Zimmermann J, Tanna T, Farouni R, Conway T, Macpherson AJ, Platt RJ: Noninvasive assessment of gut function using transcriptional recording sentinel cells. Science 2022; 376: eabm6038 2 Coukos A, Vionnet J, Obeid M, Bouchaab H, Peters S, Latifyan S, Wicky A, Michielin O, Chtioui H, Moradpour D, Fasquelle F, Sempoux C, Fraga M: Systematic comparison with autoimmune liver disease identifies specific histological features of immune checkpoint inhibitor-related adverse events. J Immunother Cancer 2022; 10: e005635 3 Jakob MO, Spari D, Sànchez Taltavull D, Salm L, Yilmaz B, Doucet Ladevèze R, Mooser C, Pereyra D, Ouyang Y, Schmidt T, Mattiola I, Starlinger P, Stroka D, Tschan F, Candinas D, Gasteiger G, Klose CSN, Diefenbach A, Gomez de Agüero M, Beldi G: ILC3s restrict the dissemination of intestinal bacteria to safeguard liver regeneration after surgery. Cell Rep 2023 Mar 28; 42: 112269

Back to top