
Von Heiligen, Stigmata & Wunderheilungen
Leading Opinions
30
Min. Lesezeit
26.03.2020
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<p class="article-intro">In seinem hochinteressanten Vortrag Ende Dezember am Universitätsspital Basel widmete sich Prof. Dr. med. Ralph M. Trüeb, welcher in Wallisellen praktiziert, der spirituellen Dimension der Dermatologie. Welche Heilige der Katholizismus an Hautkrankheiten Leidenden bieten kann und welche dermatologischen Ursachen hinter Stigmata und Wunderheilungen liegen können, erfahren Sie im ersten Teil unseres Berichtes über Aspekte des christlichen Glaubens mit einer nicht unbeachtlichen Schnittmenge mit dem dermatologischen Fach.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Der heilige Bartholomäus und der heilige Laurentius gelten als Patrone der Hautkrankheiten.</li> <li>Zahlreiche katholische Mystiker wiesen auf ihrem Körper Wundmale gleich denen Jesu Christi (Stigmata) auf und inspirierten damit andere Gläubige (z. B. Anna Katharina Emmerick, Therese Neumann).</li> <li>Oft beruhen Stigmata auf dermatologischen bzw. psychodermatologischen Krankheitsbildern und können als somatischer Ausdruck einer Konversionsneurose gedeutet werden.</li> <li>Wunderheilungen waren als schlagender Gottesbeweis stets von immenser Bedeutung für Religionen. Ihnen sollte in jedem Fall mit einem angemessenen Mass an Rationalität und Logik begegnet werden.</li> </ul> </div> <h2>Patrone der Hautkrankheiten</h2> <p>In der katholischen Kirche kennt man zwei Martyrien der Haut: Schinden und Rösten. Der heilige Bartholomäus, einer der zwölf Jünger Jesu, war nach dessen Tod als Wanderprediger tätig und verkündete seinen Glauben bis nach Persien. Dort erlitt er auch sein Martyrium: Seine Haut wurde ihm bei lebendigem Leibe abgezogen (Abb. 1) – er wurde geschunden. Seitdem gilt er nicht nur als Patron u. a. der Lederarbeiter und Gerber, sondern auch als Helfer bei Hautkrankheiten.<br /> Der heilige Laurentius hingegen war Archidiakon von Papst Sixtus II., welcher unter Kaiser Valerian hingerichtet wurde. Kurz nach dessen Ermordung wurde auch Laurentius hingerichtet, da er den Kirchenschatz anstatt dem Kaiser den Armen und Kranken schenkte. Laurentius wurde schliesslich auf einem eisernen Gitterrost zu Tode gebraten. Noch am Rost soll er zum Kaiser gesagt haben: «Wisse, du armer Mensch, mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir aber bringt es ewige Pein.» Dementsprechend wird er u. a. als Helfer bei Verbrennungen angerufen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Derma_2001_Weblinks_lo_derma_2001_s11_abb1_gerstmayr.jpg" alt="" width="300" height="459" /></p> <h2>Religiöse Stigmata</h2> <p>Gegenstand zahlreicher popkultureller Darstellungen sind die religiösen Stigmata, man denke nur an die Hollywood-Verfilmungen «Stigmata» und «Die Passion Christi». Bei Stigmata handelt es sich um Wundmale gleich denen Jesu Christi, welche sich auf dem Körper eines Mystikers zeigen. Sie können auf den Handflächen, der Stirn, der Brust und evtl. am Rücken entstehen und symbolisieren eine enge Verbindung zu Gott. In der Medizin aber bezeichnet der Begriff Stigma das Kennzeichen einer bestimmten Krankheit oder Konstitution.<br /> Die von Mel Gibson verfilmte «Passion Christi» aus dem Jahr 2004 soll neben den Evangelien u. a. die Vision der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick (1774–1824) (Abb. 2) zum Vorbild gehabt haben, welche vom romantischen Schriftsteller Clemens Brentano aufgezeichnet wurde. Anna Katharina Emmerick war Augustiner Chorfrau und Mystikerin. Bereits als Kind zeigte sie sich religiös und berichtete von ersten Visionen und Offenbarungen. Als junge Frau trat sie ins Kloster ein, statt wie von ihren Eltern beabsichtigt vorteilhaft zu heiraten. Dort jedoch erkrankte sie bald so schwer, dass sie das Bett nicht mehr verlassen konnte. Die Wundmale Jesu Christi traten an ihrem Körper auf, und in den darauffolgenden zwölf Jahren durchlitt sie jeden Freitag die Passion Christi in mystischen Visionen.<br /> Das Wort Stigmata taucht zum ersten Mal in einem Brief an die Galater (6, 17) des Apostels Paulus auf. Es ist jedoch nicht klar, ob Paulus sich auf die Narben bezog, die ihm im Zuge von Züchtigungen aufgrund seines Glaubens zugefügt worden waren, oder tatsächlich auf eine mystische Stigmatisation. Es ist jedenfalls nichts von religiösen Stigmata am Körper des heiligen Paulus bekannt. Der erste geschichtlich gesicherte Fall von Stigmatisation ereignete sich bei dem heiligen Franz von Assisi (1181/2–1226). Bis zum heutigen Tag sind insgesamt 454 Fälle bekannt.<br /> Besonders interessant ist das vermehrte Auftreten von Stigmata während Krisenzeiten der römisch-katholischen Kirche und des christlichen Glaubens. Therese Neumann (1898–1962) zum Beispiel war eine katholische Mystikerin, die von Stigmatisationen betroffen gewesen sein soll. Sie diente dem «Konnersreuther Kreis», einer Reihe katholischer Intellektueller, als Inspiration für einen aktiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime und für ein klares Bekenntnis zum Katholizismus und den im christlichen Naturrecht verankerten Menschenrechten.<br /> Die religiösen Stigmata treten stets spontan auf, d. h. ohne äussere Einwirkung, und zwar genau an den Körperstellen, an welchen sich die Wunden des gekreuzigten Jesus Christus befanden. Anders als bei herkömmlichen Wunden der Haut gibt es bei ihnen keinen natürlichen Heilungsprozess und medizinische Therapieversuche sind wirkungslos. Die Wunden entzünden sich nicht und werden nicht fötid; im Gegenteil, sie sollen sogar einen wunderbaren Duft nach Rosen verströmen.<br /> Eine Ausnahme stellte die Stirnwunde der heiligen Rita von Cascia (1381–1457) (Abb. 3) dar, welche bis zu ihrem Tode – ganze 15 Jahre lang – nicht heilen wollte und immer grösser wurde, bis sie schliesslich das ganze Gesicht überzog. Diese Wunde war äusserst übelriechend, weshalb sich die heilige Rita von allen Menschen in ein Kloster zurückzog. Mit den heutigen dermatologischen Kenntnissen hätte sich vermutlich herausgestellt, dass es sich bei dieser Art von Wunde um ein Basaliom handelte.<br /> Grundsätzlich kann zwischen temporären Stigmatisationen, welche nur zu bestimmten Zeiten (z. B. an religiösen Feiertagen) auftreten und sich danach sehr schnell zurückbilden, und konstanten Stigmatisationen unterschieden werden. Stigmata werden in verschiedenen Formen beobachtet, wie etwa in Form von Strichen, Kreisen, Buchstaben oder Kreuzen. Überwiegend betreffen Stigmata das weibliche Geschlecht (86 vs. 14 % ) sowie Angehörige eines religiösen Ordens der römisch-katholischen Kirche.<br /> In vielen Fällen treten zusätzlich zur Stigmatisation paranormale Phänomene auf. Zu diesen zählt man u. a. das Überleben ohne Nahrung (Inedia), Hyperthermie, das Erkennen von geweihten Gegenständen und Reliquien (Hierognosis), die Einsicht in die Biografie und das Seelenleben des Gegenübers (Herzensschau) sowie die Unverwesbarkeit des Körpers (oder von Teilen davon) nach dem Tode.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Derma_2001_Weblinks_lo_derma_2001_s11_abb2_gerstmayr.jpg" alt="" width="300" height="396" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Derma_2001_Weblinks_lo_derma_2001_s12_abb3_gerstmayr.jpg" alt="" width="300" height="430" /></p> <p><strong>Falsche Stigmata</strong><br /> Doch nicht jede Person, die angibt, an Stigmata zu leiden, ist tatsächlich auch von ihnen betroffen. Oftmals handelt es sich nur um den Versuch, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen oder sonstigen Profit aus der Stigmatisierung zu schlagen. Die Wunden können künstlich herbeigeführt werden, z. B. im Zuge religiös begründeter Selbstverstümmelung, eines bewussten Betruges oder einer Autosuggestion oder Hypnose. Dermatologische bzw. psychodermatologische Krankheitsbilder, welche wie Stigmata erscheinen können, sind u. a. das schmerzhafte Ekchymosen- Syndrom, die hysterische Konversion, die Artefaktkrankheit und das Münchhausen- Syndrom sowie das kutane Dysästhesie- Syndrom. Das schmerzhafte Ekchymosen- Syndrom, auch bekannt als Gardner- Diamond-Syndrom, tritt fast ausschliesslich bei Frauen auf und zeichnet sich durch die schubweise Manifestation schmerzhafter Hautblutungen mit einer Reihe möglicher Begleitsymptome aus. Die Veränderungen der Haut können bewusst durch die Infektion autologer Erythrozyten provoziert werden. Vielfach wird dieses Krankheitsbild auch als Konversionsneurose gedeutet.<br /> Stigmata können als somatischer Ausdruck einer Konversionsneurose gedeutet werden, und zwar unter folgenden Voraussetzungen:</p> <ul> <li>Vorliegen einer hysterischen Persönlichkeitsstörung mit hoher Suggestibilität und Somatisierungstendenz</li> <li>Intensive Auseinandersetzung mit der bildlichen Darstellung der Passion Christi</li> <li>Ekstase infolge von Askese, Isolation, Reizdeprivation, Krankheit, Fasten, anhaltendem Gebet oder Meditation</li> </ul> <h2>Wunderheilungen von Hautkrankheiten?</h2> <p>Bei sogenannten Wunderheilungen handelt es sich um unerklärliche Heilungsprozesse meist schwerwiegender Erkrankungen, die den Naturgesetzen zu widersprechen scheinen und deshalb einer göttlichen Macht oder übernatürlichen Kräften zugeschrieben werden. In der Religion waren Wunder immer von grosser Bedeutung, da sie als schlagender Gottesbeweis galten. Bereits im Buch der Könige im Alten Testament (2 Kön 5, 14f.) wurde von der wundersamen Heilung des Feldherrn Naaman vom Aussatz berichtet. Wahrscheinlich handelte es sich dabei um eine Psoriasis, die mit einer Balneophototherapie behandelt worden war.<br /> Schon der Philosoph Baruch de Spinoza (1632–1677) (Abb. 4) zweifelte in seinem Werk «Tractatus Theologico-Politicus» an der Möglichkeit eines Wunders und legte dar, dass es sich bei Wundern um rein gesetzmässige Ereignisse handle, wobei lediglich deren Ursachen uns unbekannt sind. Die oftmals mit Wundern eingehergehende Ignoranz gelte es wie ein politisches Projekt zu bekämpfen.<br /> Prof. Trüeb schilderte auch die weiterführende Behandlung eines von ihm publizierten Falles als Wunderheilung in einem Kloster der heiligen Thekla in Zypern, in welchem eine bestimmte Art von «Heilerde» an Hilfesuchenden Anwendung findet. Bei dem Patienten im von Prof. Trüeb publizierten Fallbericht handelte es sich um einen 8-monatigen Jungen mit dem juvenilen bullösen Pemphigoid, welcher erst im Alter von zwei Jahren nach dem Besuch ebendieses Klosters geheilt wurde. Natürlich könnte es sich hier um ein Wunder handeln – wenn wir unsere Vernunft gebrauchen, wie es schon Baruch de Spinoza von uns forderte, können wir jedoch erkennen, dass für das juvenile bullöse Pemphigoid eine hohe Spontanheilungsrate charakteristisch ist.<br /> Man sollte also achtsam sein bei Wunderheilungen, vor allem bei falschen Wunderheilern, wie z. B. dem Fernsehprediger aus den Vereinigten Staaten Peter Popoff, der das Leid seiner Mitmenschen ausnutzte, um Profit zu generieren. Im Neuen Testament wies Jesus diejenigen, die von ihm geheilt worden waren, an, darüber Stillschweigen zu bewahren, und er verurteilte jene, die des Spektakels willen um Wunder baten.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2020_Leading Opinions_Derma_2001_Weblinks_lo_derma_2001_s13_abb4_gerstmayr.jpg" alt="" width="300" height="346" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: «Haut und Heilige: Martyrium, Stigmata, Wunderheilungen
und Nothelfer der Haut», Vortrag von Prof. Dr. med.
Ralph M. Trüeb, 19. Dezember 2019, Basel
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p>Trüeb RM et al.: Childhood bullous pemphigoid: report of a case with characterization of the targeted antigens. J Am Acad Dermatol 1999; 40(2 Pt 2): 338-44</p>
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