
«Ich vergleiche das gern mit Interkontinentalflügen»
Termine online vereinbaren, Rezepte elektronisch verschreiben, Online-Konsultationen durchführen – es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, im Rahmen einer entsprechenden Digitalisierung die Abläufe in einer dermatologischen Praxis zu vereinfachen und den Alltag von Ärzten und Patienten effizienter zu gestalten. Doch vor welche Herausforderungen stellen digitale Angebote den anbietenden Arzt? Worauf gilt es besonders zu achten? Und welche Wünsche bestehen seitens der Patienten? Wir sprachen mit Dr. med. Christian Greis, MBA, Dermatologe am Universitätsspital Zürich und Gründer des Online-Dienstes derma2go, welcher eine Plattform zur Digitalisierung der dermatologischen Praxis bietet.
Erst Ende letzten Jahres hat die FMH ein Positionspapier zur Telemedizin veröffentlicht. Dieses stellt dar, dass digitale Angebote eine entscheidende Rolle bei der Wahl einer Arztpraxis spielen. Welche Angebote sind die gefragtesten?
C. Greis: Zur Klärung dieser Fragestellung haben einige Dermatologen und ich uns zusammengeschlossen, um Daten von etwa 850 dermatologischen Patienten mittels eines Fragebogens zu erheben. Die Ergebnisse wurden im Jahr 2018 im «Journal of Dermatological Treatment» veröffentlicht.
76,34% der Befragten bekundeten Interesse, digitale Angebote medizinischer Versorgung als Teil der ärztlichen Beratung in Anspruch zu nehmen. 90,8% könnten sich eine Online-Terminvereinbarung vorstellen, 84,41% würden sogar die Erstanmeldung bei einem Dermatologen über eine Website vornehmen. 76,56% fänden elektronisch verschriebene Rezepte sinnvoll. 42,03% hätten Interesse daran, sich online über Videos mit für Laien aufbereiteten medizinischen Inhalten zu informieren. Bei 34,53% besteht Interesse an einer tatsächlichen Online-Konsultation.
Diese gross angelegte Patientenbefragung zeigt klar auf, dass digitale Angebote dermatologischer Leistungen mit hoher Wahrscheinlichkeit gut angenommen werden würden.
Wie stehen die Dermatologen selbst zu dieser grossen Bandbreite digitaler Möglichkeiten?
C. Greis: Vonseiten der Dermatologen herrscht definitiv ein reges Interesse daran, digitale Angebote zur Verfügung stellen zu können. Besonders die Terminvereinbarung über die eigene Homepage wird oft gewünscht. Naturgemäss hat auch das Bedürfnis nach einer Möglichkeit, ärztliche Konsultationen online durchführen zu können, im Zuge der Covid-19-Pandemie stark zugenommen. Es hat sich jedoch auch zuvor bereits ein Trend in diese Richtung abgezeichnet.
Worin liegen die Stärken der Teledermatologie, wo ist vielleicht noch Vorsicht geboten?
C. Greis: Sobald die entsprechende digitale Ausrüstung vorhanden ist und die Abläufe etabliert sind, besteht eine Vielzahl von Vorteilen. Sowohl auf Patienten- als auch auf Ärzteseite lässt sich einiges an Zeit gewinnen, was das Potenzial birgt, Kosten einzusparen. Auch das wiederum kommt im Endeffekt beiden Seiten zugute.
Die Terminvereinbarung mittels eines Online-Tools ist einfach und erspart den Patienten die Sorge, telefonisch potenziell nicht mit dem gewünschten Arzt verbunden zu sein. Ebenso ist es möglich, den Dermatologen um eine Ersteinschätzung zu bitten, was wiederum eine nachfolgenden Arztbesuch überflüssig machen kann. Bei Ekzemen oder bestimmten entzündlichen Dermatosen wie der Psoriasis kann eine ärztliche Handlungsempfehlung sicherlich auch gut online gegeben werden.
Vorsicht ist jedoch bei schwierigeren Fällen geboten, u.a. auch bei der Beurteilung von Muttermalen. Den Ausschluss von Hautkrebs nur über eine Online-Konsultation sehe ich in jedem Fall sehr kritisch. Ich denke aber, der Grossteil der Dermatologen kann recht gut von Fall zu Fall einschätzen, bei welchen Diagnosen eine Online-Betreuung Sinn ergibt und bei welchen eher weniger.
Ein weiterer Vorteil von Online-Konsultationen liegt zweifelsohne darin, dass das Schamgefühl der Patienten reduziert zu werden scheint. Wir können beobachten, dass viele der eingeschickten Fälle die Haut unter der Gürtellinie betreffen.
Sie sind Gründer des Online-Dienstes «derma2go», welcher sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz vertreten ist. Welche Leistungen bieten speziell Sie an? Gibt es landesspezifische Unterschiede in der Nachfrage?
C. Greis: Bei derma2go handelt es sich um eine Online-Plattform, welche dem Dermatologen die Errichtung einer Online-Praxis anbietet. Über diese ist es den Patienten möglich, innerhalb kurzer Zeit online den ärztlichen Ratschlag eines Dermatologen einzuholen.
Der Patient kann also über die Plattform, welche auch auf der Homepage des Arztes verlinkt werden kann, den Dermatologen seiner Wahl online kontaktieren, ohne dass zuvor ein persönlicher Kontakt stattgefunden hat. Das Tool erlaubt den Ärzten auch die Verordnung von Medikamenten. In Deutschland können sich Patienten die verordneten Arzneimittel sogar versandkostenfrei per DHL direkt nach Hause liefern lassen. Natürlich besteht nach einer Online-Konsultation auch noch die Möglichkeit, einen persönlichen Termin zu vereinbaren.
Im Zuge der Entwicklung der Plattform arbeiteten und arbeiten wir mit führenden Ärzten aus der Schweiz, Österreich, Deutschland und neuerdings auch aus Spanien zusammen. Teilweise handelt es sich um niedergelassene Dermatologen, teilweise um Ärzte von grossen Spitälern wie dem Universitätsspital Basel. So können wir das Tool an eine möglichst grosse Bandbreite verschiedener Bedürfnisse anpassen.
Länderspezifisch allerdings gibt es vonseiten der Dermatologen nicht allzu unterschiedliche Bedürfnisse. Es sind eher die rechtlichen Rahmenbedingungen, die voneinander abweichen, insbesondere unterschiedliche Verrechnungssysteme der Krankenkassen.
Wie sieht es aktuell mit der Vergütung telemedizinischer Leistungen in der Schweiz aus?
C. Greis: Leider ist es den Krankenkassen hier noch nicht gelungen, ein vernünftiges Vergütungsmodell zu etablieren. Da es sich bei der Telemedizin um eine doch recht neue, moderne Sparte der Medizin handelt, ist es aber auch verständlich, wenn die Anpassung der Vergütungsmodelle noch Zeit braucht.
In der Regel wird dem Patienten die Online-Konsultation nun also mit 75 Franken verrechnet, die er privat begleichen muss. Die grosse Mehrheit der Patienten (85,4%) wünscht sich laut der oben erwähnten von uns durchgeführten Befragung telemedizinische Angebote als Teil der Versicherungsleistung.
Die Krankenkassen haben meiner Meinung nach aber die Relevanz telemedizinischer Leistungen durchaus erkannt und erkennen die Tatsache an, dass Online-Konsultationen zur Kostenreduktion der ärztlichen Betreuung beitragen können.
Sind die Erfolgsraten von Online-Konsultationen vergleichbar mit denen herkömmlicher Konsultationen?
C. Greis: Zu dieser Fragestellung liegen noch keine genauen Zahlen vor. Dafür wäre eine doppelblind durchgeführte Studie vonnöten.
Was sich aber auf jeden Fall feststellen lässt, ist, dass bei 88% unserer Patienten online eine Verdachtsdiagnose gestellt werden kann. Bei 75% davon lässt sich ein anschliessender Arztbesuch vermeiden. Auch wenn der Patient nach einer Online-Konsultation dennoch die Arztpraxis aufsuchen muss, z.B. wie erwähnt bei Verdacht auf Hautkrebs, können die behandelnden Ärzte online zumindest eine Verdachtsdiagnose und die Therapieindikation feststellen. In der Praxis selbst können dann Abstriche getätigt und Biopsien entnommen werden, das kann eine Online-Konsultation naheliegenderweise nicht bieten.
Wie sieht die rechtliche Situation aus? Was empfehlen Sie den Ärzten, um sich rechtlich abzusichern?
C. Greis: Die Schweiz ist europaweit Vorreiter beim Anbieten digitaler Angebote und hat dementsprechend eine liberalere Gesetzgebung. Aus diesem Grund durften wir hier auch die ersten Ärzte mit derma2go ausstatten.
In Deutschland wurde das Behandlungsverbot mittels Online-Konsultationen erst vor ein bis zwei Jahren aufgehoben. Durch die Covid-19-Pandemie wurden jetzt zusätzlich bessere Rahmenbedingungen geschaffen. Die Gesetzgebung entwickelt sich unter Jens Spahn als Gesundheitsminister nun aber ohnehinin die richtige Richtung: Die Digitalisierung wird vorangetrieben und legitimiert, was natürlich der Telemedizin zugutekommt.
Grundsätzlich braucht der Arzt, um Online-Konsultationen anzubieten, genau wie auch sonst in einer dermatologischen Praxis eine abgeschlossene Facharztausbildung. Und auf jeden Fall sollte die Berufshaftpflichtversicherung informiert werden, dass man diese neue Art der Medizin anbietet. Eine entsprechende Abdeckung teledermatologischer Fälle sollte schriftlich zugesichert werden.
Wenn wir schon über die rechtliche Situation sprechen: Worauf ist bezüglich des Datenschutzes zu achten?
C. Greis: Prinzipiell kontaktieren Patienten über immer mehr verschiedene digitale Kanäle, wie E-Mail, WhatsApp oder Facebook, den Arzt. Dies ist datenschutzrechtlich problematisch, da auf diesen Kanälen die Datensicherheit nicht gewährleistet werden kann. Es ist zudem unklar, auf welchen Servern die Daten möglicherweise zwischengespeichert werden. Ausserdem macht es die Schweigepflicht dem Arzt ohnehin unmöglich, seinen Patienten über diese Kanäle zu antworten.
Auch aus diesem Grund haben wir die derma2go-Plattform entwickelt: Wir wollten die Kontrolle der Datenströme und Speicherorte sicherstellen. Der Zugriff für den Benutzer erfolgt ähnlich geschützt wie beim Online-Banking. Wir arbeiten also datenschutzkonform nach der kürzlich EU-weit erlassenen Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).
Die Ausnahmesituation der vergangenen Monate war wahrscheinlich eine Bewährungsprobe für die digitale Dermatologie. Nehmen Sie etwas Bestimmtes aus dieser Zeit mit?
C. Greis: Wie bereits erwähnt, ist die Nachfrage nach Online-Konsultationen während der Covid-19-Pandemie exponentiell angestiegen und ist auch jetzt noch erhöht.
Ich vergleiche das gern mit Interkontinentalflügen zur Teilnahme an Konferenzen. Im Zuge der Pandemie ist vielleicht deutlich geworden, dass nicht jede Flugreise wirklich notwendig ist. Genauso verhält es sich in der Dermatologie mit gewissen Patientenfällen, von denen manche sich gut für eine Online-Konsultation eignen, was unnötige Wege ersparen kann. Auf jeden Fall hat die Corona-Krise die Potenziale des telemedizinischen Marktes klar aufgezeigt.
Wie schätzen Sie die Zukunft der digitalen Medizin ein?
C. Greis: Es zeichnet sich auf jeden Fall ein positiver Trend ab, der das Angebot von Online-Konsultationen erleichtern wird, vor allem aus rechtlicher Sicht. Ausserdem gibt es eine Reihe spannender Projekte. Neben derma2go bin ich auch an einem Netzwerk beteiligt, das an digitalen Angeboten interessierten oder in der Materie bereits versierten Dermatologen den Austausch von Erfahrungen erlaubt ( digital-dermatologists.com ).
Wir als Dermatologen haben natürlich einen Vorteil gegenüber Ärzten anderer Fächer, wie der inneren Medizin und Chirurgie, da es sich bei der Dermatologie um ein Fach mit grossem visuellem Anteil und recht klaren Therapiealgorithmen handelt. Das Erkennen von Bildern ist dabei essenziell – also hervorragend zur Digitalisierung geeignet. Nichtsdestotrotz ist eine Ausweitung telemedizinischer Angebote auf andere Fächer durchaus vorstellbar.
Unser Gesprächspartner:
Dr. med. Christian Greis, MBA
Oberarzt Dermatologie Universitätsspital Zürich
Gründer
derma2go
E-Mail: christian.greis@derma2go.com
Das Interview führte Jasmin Gerstmayr, MSc
Literatur:
• Greis C et al.: Unmet digital health service needs in dermatology patients. J Dermatolog Treat 2018; 29(7): 643-7
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