
Urtikaria: Was gibt es Neues?
Autorin:
Dr. med. Christine Prodinger
Universitätsklinik für Dermatologie und Allergologie
Universitätsklinik der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität
Salzburg
E-Mail: ch.prodinger@salk.at
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Chronische spontane oder induzierbare Urtikaria führt zu deutlichen Einschränkungen, sie beeinträchtigt die Lebensqualität und wirkt sich auf die Leistung in Beruf und Schule aus. Als oberstes Therapieziel gilt es, rasch Beschwerdefreiheit zu erreichen. Dieser Artikel bietet eine Übersicht über aktuelle diagnostische und therapeutische Ansätze für die verschiedenen Subtypen der Urtikaria.
Urtikaria ist eine häufige Mastzell-mediierte Erkrankung, die sich mit Quaddeln, Angioödemen oder beidem präsentiert. Die Lebenszeitprävalenz für die akute Urtikaria, die weniger als 6 Wochen andauert, beträgt geschätzt 20%. Die beiden Subtypen der chronischen Urtikaria (CU), die chronische spontane (CSU) und chronische induzierbare (CIndU) Urtikaria, gehen mit einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität sowie beruflichen/schulischen Leistungsfähigkeit einher.
Epidemiologie
Neue repräsentative epidemiologische Daten aus Deutschland (anonymisierte Datenbank der gesetzlichen Krankenversicherung 2015–2018) lassen mit 0,5% eine etwas niedrigere 12-Monats-Prävalenz der CU im Vergleich zu Vorstudien vermuten, wobei die reale Prävalenz etwas höher sein wird (u.a. aufgrund von Erkrankten mit mild-moderaten Symptomen, die kein ärztliches Fachpersonal aufsuchen, oder fehl-/unterdiagnostizierten Betroffenen).1 Es wurde eine Reihe von Komorbiditäten von spezifischem Interesse identifiziert, die bei CU-Patienten häufiger auftreten als in der allgemeinen Bevölkerung (Tab. 1). Eine weitere Studie mit 1199 CU-Patienten fand bei 27,9% Autoimmunerkrankungen (inkl. Schilddrüsenerkrankung 25,4%, Vitiligo 2,3%, rheumatoide Arthritis 1,0%). Die chronische spontane Urtikaria mit begleitender Autoimmunerkrankung ist mit einer höheren Erkrankungsaktivität assoziiert, mit niedrigerem Gesamt-IgE wie auch dem autoimmunen Subtyp der CSU (Typ IIb).2
Die vorliegenden Prävalenzdaten und Komorbiditäten weisen auf eine ernst zu nehmende Belastung für das Gesundheitssystem hin, was die Bedeutung einer therapeutischen Optimierung der Erkrankung unter Berücksichtigung der aktuellen Behandlungsguidelines steigert.3
Biomarker
2021 wurde ein Update der internationalen EAACI/GA2LEN/EDF/WAO-Guidelines für Urtikaria veröffentlicht (Cochrane konform, GRADE-Methodik).4 Die Leitlinie empfiehlt zur Routinediagnostik der CSU ein Differenzialblutbild und die Bestimmung von Blutsenkungsgeschwindigkeit oder CRP sowie IgG-anti-TPO und Gesamt-IgE für Patienten beim Facharzt. Diese Werte geben nicht zuletzt auch Hinweise auf die Subtypenunterscheidung zwischen der autoallergischen CSU (Typ-I-aiCSU) und der autoimmunen CSU (Typ-IIb-aiCSU),welche sich in der Krankheitsaktivität, Laborbefunden sowie dem Ansprechen auf leitliniengerechte Therapien unterscheiden.
Hohe IgG-anti-TPO-Titer und niedriges Gesamt-IgE (aTPO↑IgE↓) sind ein praxistauglicher Marker zur Identifikation des CSU Typ IIb.5 In einer Studie mit 433 CU-Betroffenen war dieses Kriterium bei 11% zu finden. Anti-TPO↑IgE↓ war signifikant assoziiert mit höherem Alter zu Erkrankungsbeginn, weiblichem Geschlecht, Auftreten von Angioödemen und kürzerer Erkrankungsdauer. Daneben bestand auch eine signifikante Korrelation zu anderen Markern der aiCSU, wie dem Basophilen-Aktivierungstest (BAT) und dem autologen Serumtest (ASST), zur Basopenie und Eosinopenie (p<0,01 für alle). Patienten mit aTPO↑IgE↓ zeigten zudem ein schlechteres Ansprechen auf Antihistaminika (AH) im Vergleich mit anderen CU-Patienten (30% vs. 47%; p=0,01).
Der BAT gilt als valideste singuläre Methode zur Identifikation der Typ-IIb-aiCSU. Ein positiver BAT ist assoziiert mit längerer Erkrankungsdauer, höherer Erkrankungsaktivität, schlechtem Ansprechen auf AH und Omalizumab sowie besserem Ansprechen auf Cyclosporin A (CyA) und Fenebrutinib (Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitor, Phase II absolviert). In einer Studie mit 85 CSU-Patienten wurden bei Vorliegen eines positiven BAT (44%) und BHRA (basophiler Histaminfreisetzungstest, 28%) zudem eine höhere Erkrankungslast, verminderte Erkrankungskontrolle und Gesamt-IgE-Werte wie auch ein verstärktes Auftreten von Angioödemen, nächtlichen Symptomen und Schilddrüsenautoantikörpern festgestellt.6
Ein aktueller systematischer Review fasste schliesslich Indikatoren für Therapieansprechen zusammen.7 Stark assoziiert mit einem Nichtansprechen auf Antihistaminika der 2. Generation sind erhöhte Werte von CRP und D-Dimer sowie eine hohe Erkrankungsaktivität (gemessen mittels Urtikaria-Aktivitätsscore UAS/UAS7). Niedriges Gesamt-IgE ist assoziiert mit fehlendem Ansprechen auf Omalizumab, während ein positiver BHRA für den Einsatz von Cyclosporin A spricht.
Therapie-Update
Unter anderem sind folgende Empfehlungen im therapeutischen Algorithmus der neuen Guidelines gelistet:4
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Erstlinien-Therapie: Standard-Dosierung H1-Antihistaminika der 2. Generation (AHsg); wenn notwendig soll eine Aufdosierung erfolgen (max. 4-fach).
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Zweitlinien-Therapie: Nach 2–4 Wochen oder früher, wenn die Symptome untragbar sind, wird Omalizumab (300mg alle 4 Wo) zusätzlich zu AH empfohlen. Die Dosis kann bis auf max. 600mg erhöht, das Verabreichungsintervall auf max. alle 2 Wochen verkürzt werden.
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Drittlinien-Therapie: Wenn kein ausreichendes Ansprechen nach 6 Monaten besteht oder früher bei untragbaren Symptomen, wird Cyclosporin A (bis 5mg/kgKG; off-label) zusätzlich zu AH empfohlen.
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H1-Antihistaminika der 1. Generation sollen vermieden werden (ungünstiges Nutzen-Risiko-Verhältnis).
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Kortikosteroide können nur als kurzzeitige Interventionen bei schweren Exazerbationen empfohlen werden, keinesfalls zur Langzeittherapie.
Kinder/Schwangerschaft
Omalizumab ist ein rekombinanter humanisierter monoklonaler Anti-IgE-Antikörper, der freies IgE bindet, freie IgE-Level senkt und dazu führt, dass die Expression von FcRI-Rezeptoren auf Basophilen und Mastzellen hinunterreguliert wird. Dieser Antikörper wurde 2014 zugelassen und wird mittlerweile als Add-on-Therapie auch bei CSU-Patienten ab dem 12. Lebensjahr, bei denen AH der 2. Generation zur Erkrankungskontrolle nicht ausreichen, empfohlen.8 Eine 16-wöchige retrospektive Real-World-Studie bestätigte die Wirkung von Omalizumab auch ausserhalb von Studien bei Jugendlichen (12–18 Jahre) mit einer gewichtsadaptierten Dosis von 150mg oder 300mg.9 Insgesamt 12 Patienten mit AH-refraktärer CU wurden mit 150mg oder 300mg Omalizumab alle 4 Wochen behandelt. 67% erreichten eine gute oder komplett kontrollierte CU (Urtikaria-Kontrolltest(UCT)-Wert ≥12) bereits nach der ersten Gabe. Der UCT-Score verbesserte sich innerhalb von 16 Wochen signifikant von 2,5 (0,0–5,8 Baseline) auf 15,0 (13,5–16,0) und ging mit einer deutlichen Verbesserung der Lebensqualität einher.
Omalizumab ist nicht für Kinder <12 Jahren und Personen mit anderen Formen der CU zugelassen, jedoch zeigt die Substanz auch gute Effektivität bei CIndU. Liao et al. beschrieben 2 schwangere Frauen mit refraktärer CSU, bei denen sich die Therapie mit Omalizumab als sicher und effektiv erwiesen hat.10 In ihrer Literaturrecherche haben sie weitere 11 Schwangere mit Omalizumab identifiziert, bei denen sich keine Sicherheitsbedenken gezeigt haben, die Geburten unauffällig waren und die Therapie zu einer Besserung der Urtikaria-Symptome geführt hat. In den Guidelines wird der gleiche Therapiealgorithmus mit Vorsicht für schwangere und stillende Frauen nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung empfohlen, sofern die Medikamente in der Schwangerschaft nicht kontraindiziert sind (z.B. ist Cyclosporin A assoziiert mit niedrigem Geburtsgewicht und Frühgeburtlichkeit).4
Pipeline
In klinischer Entwicklung sind neben zumindest drei Biosimilars auch next-generation anti-IgE monoklonale Antikörper, wie Ligelizumab, welches in einer Phase-II- sowie einer 52-wöchigen Verlängerungsstudie Wirksamkeit, Sicherheit und Überlegenheit gegenüber Omalizumab demonstrieren konnte. Die Sicherheit und Wirkung selektiver Bruton-Tyrosinkinase-Inhibitoren wird bei CSU aktuell untersucht, am weitesten fortgeschritten ist die Entwicklung von Remibrutinib (Phase III). Mit sämtlichen Anti-Zytokin- und Anti-Zytokinrezeptor-Biologika wie Dupilumab (Phase III), Tezepelumab, Mepolizumab, Benralizumab oder CDX-0159 laufen derzeit Studien, die zeigen werden, wo sie sich in die therapeutische Landschaft der Urtikaria und ihrer Endotypen einreihen ( clinicaltrials.gov ).
Literatur:
1 Weller K et al.: J Eur Acad Dermatol Venereol 2022; 36: 91-9 2 Kolkhir P et al.: Allergy Asthma Immunol Res 2021; 13: 545-59 3 Nochaiwong S et al.: J Allergy Clin Immunol Pract 2022; 10: 297-308 4 Zuberbier T et al.: Allergy 2022; 77: 734-66 5 Kolkhir P et al.: J Allergy Clin Immunol Pract 2021; 9: 4138-46.e8 6 Marcelino J et al.: Front Immunol 2021; 12: 742470 7 Fok JS et al.: Allergy 2021; 76: 2965-81 8 Agache I et al.: Allergy 2022; 77: 17-38 9 Song XT et al.: Allergy 2021; 76: 1271-3 10 Liao SLet al.: Front Immunol 2021; 12: 652973
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