
©
Getty Images/iStockphoto
Update Wundmanagement
Jatros
30
Min. Lesezeit
22.11.2018
Weiterempfehlen
<p class="article-intro">Chronische Wunden stellen den behandelnden Arzt immer wieder vor therapeutische Probleme. In Europa treten sie am häufigsten in Form von diabetischem Fußsyndrom, Ulcera cruris oder auch Dekubitus in Erscheinung. Gerade beim diabetischen Fußsyndrom ist ein interdisziplinäres Vorgehen erforderlich.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Bis zu 15 % der Diabetiker leiden am diabetischen Fußsyndrom (DFS). Dieses Erkrankungsbild ist zudem die Hauptursache für nicht traumatische Amputationen: Von 60 000 Amputationen, die pro Jahr in Deutschland durchgeführt werden, entfallen 70 % auf Diabetiker. Das DFS hat zwar mehrere Ursachen, die größte Rolle spielt jedoch die Neuropathie, die in 60 % der Fälle Hauptursache ist. 20 % der DFS sind ischämisch bedingt, in weiteren 20 % liegt eine Mischgenese vor. „Im Gegensatz zur pAVK ist es beim DFS wichtiger, Patienten zu immobilisieren“, erklärte Prof. Dr. Sigrid Karrer, geschäftsführende Oberärztin der Klinik für Dermatologie, Universitätsklinik Regensburg (Deutschland). Diabetiker haben eine 3- bis 4-fach erhöhte Prävalenz einer pAVK, die auch mit einer deutlich schlechteren Prognose Hand in Hand geht. „Das größte Problem ist, dass Diabetiker gar nicht bemerken, wenn sie eine pAVK haben – so wird eine Diagnose oft nur verzögert gestellt“, erklärte Prof. Karrer. Ursache hierfür ist, dass die üblichen Symptome einer pAVK wie Claudicatio intermittens und Ruheschmerz bei gleichzeitig bestehender Neuropathie häufig fehlen. „Die einzige kausale Therapie der diabetischen Neuropathie ist eine Verbesserung der Diabeteseinstellung“, so Prof. Karrer. <br />Die schwerste Komplikation des diabetischen Fußes ist die diabetische Neuroosteoarthropathie, auch als Charcot-Fuß bezeichnet, bei der es zu einer progressiven Destruktion einzelner oder multipler Gelenke und/oder Knochen kommt. Neben der Neuropathie sind insbesondere Traumata ursächlich. Verdachtsmomente hierfür sind eine schmerzlose Rötung, Schwellung, Überwärmung und eventuell eine Deformität. Entscheidend ist hier die frühe Diagnosestellung, denn der Patient muss sofort vollständig druckentlastet und immobilisiert werden.</p> <h2>Regelmäßige Fußinspektion zur Vermeidung der Ulzera</h2> <p>Gerade beim DFS ist die Prävention von entscheidender Bedeutung. Tabelle 1 zeigt fünf Schlüsselelemente der Prävention. Neben der täglichen Fußinspektion ist eine regelmäßige podologische Behandlung, d.h. eine verletzungsfreie Fußpflege mit regelmäßiger Entfernung von Hornhautschwielen sowie der Behandlung von krankhaft verdickten oder zum Einwachsen tendierenden Zehennägeln, unbedingt empfehlenswert. Zudem dürfen Patienten nicht barfuß laufen. <br />Spezifisches Therapieziel ist es nach Ausführung von Prof. Karrer, Ulzera zu vermeiden. Nur ein multidisziplinäres und multifaktorielles Setting kann die Amputationsrate um mehr als 50 % senken: Diabetiker benötigen eine gute internistische Basistherapie mit dem Ziel, die Stoffwechselsituation zu optimieren. Zudem müssen Begleiterkrankungen, die die Immunkompetenz, die Hämoperfusion oder die Gewebeoxygenierung beeinträchtigen, adäquat behandelt werden. Bei nicht heilenden Fußläsionen oder Gefahr der Amputation ist die Indikation für Revaskularisationseingriffe großzügig zu stellen. Dabei sollte der perkutanen Angioplastie wenn möglich der Vorzug gegeben werden. Bei langstreckigen Verschlüssen ist in der Regel ein Bypass erforderlich. Durch eine rechtzeitige Revaskularisation könnte bei mehr als 80 % der Patienten eine relevante Verbesserung der Durchblutung erreicht werden, mit einer Senkung der Amputationsfrequenz um ca. 80 % . <br />„Eine Druckbelastung, bakterielle Infektionen und die Ischämie sind drei wesentliche prognostische Faktoren: Liegt auch nur einer vor, reicht dies aus, die Wundheilung über Monate zu verzögern“, erklärte Prof. Karrer. Insofern ist eine Druckentlastung essenziell. Sie kann erreicht werden durch therapeutisches Schuhwerk, Orthesen, Gipstechnik, durch Benutzung von Gehstützen, eines Rollstuhls oder durch strikte Bettruhe. Allein die Schuhversorgung ist hier eine Wissenschaft für sich. Beim Charcot-Fuß kann es erforderlich sein, nekrotische Areale zu entfernen. <br />Die Wundbehandlung beim DFS unterscheidet sich nicht von der Behandlung anderer Wunden: Die Wundoberfläche soll bei jedem Verbandwechsel gründlich gereinigt werden. Die Auswahl der Wundauflage ist abhängig vom Wundheilungsstadium, der Exsudatmenge, Infektionszeichen und dem Vorliegen von Belägen. Bei belegten Wunden sollte ein suffizientes Wunddebridement durchgeführt werden. Hyperkeratosen müssen dringend entfernt werden, da sie zu einer Druckbelastung führen. <br />„Infektionen müssen rechtzeitig erkannt werden, doch das Ulkus ist per se keine Indikation für eine Antibiose“, erklärte Prof. Karrer. Zuvor sollte eine Gewebeprobe oder zumindest ein tiefer Wundabstrich in die Mikrobiologie zum Keimnachweis und zur Resistenzprüfung gesandt werden. Bei leichten Infektionen werden Amoxicillin/Clavulansäure oder Clindamycin und Ciprofloxacin eingesetzt. <br />34 % der Diabetiker haben Onychomykosen, die damit deutlich häufiger vorkommen als in der stoffwechselgesunden Bevölkerung. Sie sind ein Risikofaktor für das diabetische Fußsyndrom und Wegbereiter für bakterielle Infektionen. Die Therapie wird wie bei Nichtdiabetikern durchgeführt, allerdings gibt es öfter Rezidive bei Diabetikern. Terbinafin ist für Diabetiker aufgrund des günstigeren Nebenwirkungsprofils besser geeignet als Itraconazol.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2018_Jatros_Derma_1804_Weblinks_s18_tab1.jpg" alt="" width="1419" height="608" /></p> <h2>Ultima Ratio: Amputation</h2> <p>Vor jeder Amputation sollte ein gefäßchirurgisches Konzil erfolgen und es sollten plastisch rekonstruktive Maßnahmen erwogen werden, die einen Erhalt der Extremität ermöglichen. Die Amputation sollte immer so peripher wie möglich als sogenannte Grenzzonenamputation durchgeführt werden. Auch heute noch liegt die Fünfjahresmortalität nach Amputation bei bis zu 70 % .</p> <h2>Seltene Ursachen chronischer Wunden</h2> <p>Der Ausdruck Ulkus beschreibt lediglich einen Substanzdefekt in pathologisch verändertem Gewebe und stellt für sich noch keine Diagnose dar. In circa 80 % der Fälle besteht die Ursache in einer chronisch venösen Insuffizienz oder einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Diesem Defekt können aber auch über 100 unterschiedliche Differenzialdiagnosen zugrunde liegen, wozu u.a. Malignome, metabolische, hämatologische und neurologische Erkrankungen gehören. <br />„Vaskulitiden sind die Ursache von etwa 10 Prozent der Ulzera und damit die häufigsten der seltenen Ursachen“, sagte Prof. Karrer in ihrem Vortrag über seltene Ursachen von Wunden. Sie werden durch Infektionen, Paraproteinämien, Autoimmunerkrankungen und Medikamente ausgelöst. Bei Vaskulitiden kommt es primär zu entzündlichen Erkrankungen der Gefäßwände, auf die Hämorrhagie, Gefäßverschluss, Ischämie und Nekrose folgen. Zudem komplizieren bakterielle Superinfektionen oft das Bild. Klinisch imponiert neben den Nekrosen und sehr starken Schmerzen oft eine Livedo racemosa. <br />Aufschlussreich ist die Hautbiopsie, die optimalerweise 1–2 Tage nach dem ersten Auftreten erfolgen sollte. Bevorzugte Entnahmestelle ist die frische Läsion oder der Randbereich einer Ulzeration. Es sollte ausreichend tief im Gewebe biopsiert werden und eventuell ist außerdem die Gewinnung von Material für eine direkte Immunfluoreszenz sinnvoll. Klassische Beispiele für Systemerkrankungen mit assoziierten Vaskulitiden sind Lupus erythematodes, rheumatoide Arthritis, Sklerodermie und auch entzündliche Darmerkrankungen. <br />„Wird ein Ulkus als therapierefraktär bezeichnet, wurde häufig die kausal relevante Ursache nicht diagnostiziert“, so die Erfahrung von Prof. Karrer. In jeden Fall wird eine Therapie erst dann langfristigen Erfolg zeigen, wenn die konkrete Ursache feststeht und kausal behandelt werden kann.</p> <h2>Kontaktsensibilisierung – häufige Komplikation beim Ulcus cruris</h2> <p>Eine beeinträchtigte Hautbarriere gehört zu den Faktoren, die zusammen mit einer genetischen Veranlagung der Ausbildung einer Kontaktallergie Vorschub leisten können. Die Kontaktallergie ist eine zellvermittelte Reaktion vom Typ IV, bei der auf eine primäre Sensibilisierung binnen 24–72h bei Allergen-Reexposition ein allergisches Ekzem entstehen kann. Die akute Phase ist gekennzeichnet von einem Erythem, das zu Erosionen und Krustenbildung neigt, beim chronischen Ekzem stehen neben dem Erythem Schuppung und Lichenifikation im Vordergrund. Zur Fehleinschätzung anderer Erkrankungen als „Kontaktekzem“ kommt es gar nicht selten. So werden z.B. Hautverletzungen, die durch das Abreißen von Pflastern entstehen, öfter als Pflasterallergie gewertet. Kontaktsensibilisierungen kommen in der Allgemeinbevölkerung in circa 10–20 % der Fälle vor. Eine deutsche Untersuchung fand bei 55,6 % der eingeschlossenen Ulcus-cruris-Patienten mindestens eine Kontaktsensibilisierung. Interessanterweise war die Sensibilisierungsrate nicht von der Ursache oder umgebenden Ekzemen abhängig, sondern davon, wie lange das Ulkus bestand. <br />Obenan bei den Ursachen standen PVP-Jod und Perubalsam. Neuerdings mehren sich auch die Berichte über Kontaktsensibilisierungen auf Kolophonium, das u.a. in vielen Hydrokolloidverbänden enthalten ist, und Propylenglykol, auch ein Bestandteil verschiedener Wundtherapeutika. Prof. Joachim Dissemond, Klinik für Dermatologie, Universitätsklinik Essen, erinnerte daran, dass die allergologische Testung bei Patienten mit chronischen Wunden und unklaren Ekzemen unbedingt zu einer differenzierten Diagnostik gehört. „Die gezielte Epikutantestung ist eine der Bastionen der Dermatologie“, so Dissemond. Nur nach eindeutiger Identifizierung kann die strikte Meidung der Allergene erfolgen. Er forderte abschließend unbedingt eine Deklaration von Allergenen, die in Wundtherapeutika verwendet werden.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 26. Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und
Venerologie (FOBI), Kurs „Update Wundmanagement“,
24. Juli 2018, München
</p>
Das könnte Sie auch interessieren:
KI in der Dermatologie
Die Dermatologie zählt zu den Fachgebieten der Medizin, in denen visuelle Befunde eine zentrale Rolle spielen. Die Haut als grösstes Organ des Menschen erlaubt oftmals eine Vorhersage ...
Systemtherapie des HER2-low fortgeschrittenen Mammakarzinoms
HER2-low- und HER2-ultralow-Mammakarzinome stellen besondere Herausforderungen dar, da sie sich sowohl in ihrer Prognose als auch im Therapieansprechen von HER2-positiven und HER2-zero- ...
Die menschliche Haut in der modernen Kunst
Dr. Ralph Ubl, Professor für neuere Kunstgeschichte an der Universität Basel, stellte sich der schwierigen Herausforderung, einem Raum voller erwartungsvoller Dermatologen das Organ Haut ...