
Revision von Art. 71 KVV
Sofern die Voraussetzungen dazu erfüllt sind, kann die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) ein Arzneimittel im Einzelfall vergüten, obwohl es nicht auf der Spezialitätenliste (SL) aufgeführt ist. Anpassungen gibt es auch bei Generika und Biosimilars.
Der Bundesrat hat an seiner Sitzung vom 22. September 2023 die Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV), der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) und der Arzneimittelverordnung (VAM) verabschiedet.
Diese Revisionen erlauben einen rascheren Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln und verbessern die Gleichbehandlung der Patientinnen und Patienten. Zudem wird der Verkauf von Generika und Biosimilars gefördert. Das Einsparpotenzial dieser Massnahmen wird auf rund 250 Millionen Franken jährlich geschätzt.
Die revidierten Verordnungen sind am 1. Januar 2024 in Kraft getreten – mit einigen wichtigen Änderungen für die Ärzteschaft in der Schweiz.
Einzelfallvergütung
Nutzenbewertung durch den Vertrauensarzt
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Alle Vertrauensärzte müssen nun dasselbe Nutzenbewertungsmodell (OLUTool Non-Onko oder Onko) verwenden und bewerten die geplante Therapie mit Nutzenkategorien (Rating A, B, C oder D).
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Liegen für seltene Krankheiten keine klinischen Studien für die betreffende Indikation vor und ist eine Ablehnung absehbar, so muss der Vertrauensarzt nun einen klinischen Fachexperten beiziehen. Dieser gibt eine Therapieempfehlung ab.
Bedeutung für die Kommunikation zwischen behandelndem Arzt & Patient
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Wird ein Kostengutsprachegesuch abgelehnt, so hat die Krankenkasse diesen Entscheid stets zu begründen.
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Falls die Ablehnung aufgrund der Bewertung des therapeutischen Nutzens erfolgt, ist diese beizufügen.
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Bei Rating C muss neu ein Therapieversuch von zwei Monaten stattfinden (Ausnahmesituationen bestehen). Ein erfolgreicher Therapieversuch ist in der Regel gegeben, wenn sich der Patient nach zwei Monaten noch unter Therapie befindet.
Bedeutung für die Herstellerfirmen
Neu wurden verbindliche Preisabschläge pro Nutzenkategorie (Rating A–C) für Art. 71a/b KVV-Fällen definiert. Prinzipiell sollen dadurch die Verhandlungen zwischen Hersteller und Krankenkasse entfallen und auf einen Ja-/Nein-Entscheid reduziert werden.
Generika und Biosimilars
Generika sind in der Schweiz rund doppelt so teuer und werden weniger oft eingesetzt als im Ausland. Mit der Revision der KVV und der KLV soll das Einsparpotenzial von Generika und Biosimilars erhöht und der Einsatz dieser gleich wirksamen und kostengünstigeren Arzneimittel gefördert werden.
Anpassung der Preisbindung
Einerseits wird die Preisbildung von gewissen Generika und Biosimilars angepasst. Andererseits wird die Kostenbeteiligung der Patienten für Arzneimittel (Selbstbehalt) beim Bezug teurer Originalpräparate erhöht. Der Selbstbehalt beträgt grundsätzlich 10% der die Franchise übersteigenden Kosten. Arzneimittel werden aber mit einem Selbstbehalt von 20% statt 10% belegt, wenn sie im Vergleich zu wirkstoffgleichen Arzneimitteln zu teuer sind. Dieser «erhöhte» Selbstbehalt wird neu mit der Revision der Verordnung auf 40 % festgelegt.
Nachweispflicht und differenzierter Selbstbehalt
Wenn medizinische Gründe gegen die Abgabe eines Generikums sprechen, kann weiterhin ein teureres Originalpräparat ohne erhöhten Selbstbehalt bezogen werden, aber das muss neu mit konkreten Fakten nachgewiesen werden. Die neuen Regeln zum differenzierten Selbstbehalt gelten auch für Biosimilars. Damit soll für die Versicherten der Anreiz geschaffen werden, vermehrt günstigere Generika und Biosimilars zu beziehen. (red)
Weiterführende Informationen
Quelle:
Presseinformation: «Der Bundesrat fördert Generika und Zugang zu lebenswichtigen Arzneimitteln», September 2023, Bern
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