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Resistente Gonorrhoe-Erreger: ein globales Problem
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02.05.2019
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<p class="article-intro">Besonders in Asien und den westlichen USA kommt es zu vermehrter Resistenzentwicklung des Gonorrhoe-Erregers Neisseria gonorrhoeae, doch auch in der Schweiz ist Achtsamkeit geboten: Gonokokken verfügen über eine ausgeprägte genomische Plastizität, was ihnen eine rasche Anpassung an ihre Umwelt erlaubt. Ob Antibiotika noch wirken und welche, weiss Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager, Chefarzt am Dermatologischen Ambulatorium des Stadtspitals Triemli, im Interview zur aktuellen Situation.</p>
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<p class="article-content"><p><em><strong>Bei der Behandlung der Gonorrhoe werden Resistenzen gegen bestimmte Antibiotika, insbesondere gegen Azithromycin, zunehmend zum Problem. Wie schätzen Sie die Lage aktuell in der Schweiz ein? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Tatsächlich ist es in den letzten Jahren weltweit zur Ausbreitung von Stämmen mit verminderter Empfindlichkeit und selten auch Resistenzen gegen Cephalosporine und v. a. Azithromycin gekommen. Infolgedessen existieren mehrere Surveillance-Programme zur Überwachung der Resistenzentwicklung, insbesondere der World Health Organization (WHO) und der Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Die europäischen Daten werden ebenfalls überwacht, schweizweit existiert jedoch kein entsprechendes Netzwerk. Hingegen zeigen eigene Daten, dass die verminderte Empfindlichkeit, insbesondere gegenüber Ceftriaxon, in der Schweiz aktuell noch kein Problem darstellt, die Situation jedoch genau überwacht werden sollte. Dies bedingt aber, dass unbedingt eine Kultur mit Resistenzprüfungen bei allen Fällen durchgeführt werden muss.</p> <p><em><strong>Wie beurteilen Sie die Lage europaweit? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Letztlich ist die zunehmende Resistenzentwicklung ein globales Problem, wobei speziell Asien und die Westküste der USA stärker betroffen sind. Für Europa gilt, dass für Ceftriaxon, das aktuell als letztes verbleibendes Erstlinienmedikament empfohlen werden kann, die Resistenz auf niedrigem Niveau (< 0,5 %) stabil ist. Resistenzen gegen Ceftriaxon und Einzelfälle mit Multiresistenz sind jedoch bekannt, speziell in Grossbritannien und Frankreich. Bei Azithromycin zeigte sich ein ausgeprägterer Anstieg der Resistenzen in den letzten Jahren in Europa von 5–15 % resistenter Stämme mit zusätzlich einer hohen Rate an nur intermediär empfindlichen Formen. Der Trend ist in Europa uneinheitlich und beispielsweise in Deutschland eher rückläufig. In Ländern, wo Azithromycin als Erstlinienmedikament bei Chlamydieninfektionen verschrieben wird, besteht eine höhere Rate an Resistenzen gegen Neisseria gonorrhoeae, da in 10–20 % Koinfektionen vorliegen.</p> <p><em><strong>Welche Personengruppen sind besonders gefährdet? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> In Asien bestehen mehr resistente Keime. Überwachungsdaten aus nordeuropäischen Ländern zeigen, dass ein Viertel der Gonorrhoefälle reiseassoziiert sind, die Hälfte davon wurde in Asien erworben. Somit sollte immer eine Reiseanamnese erhoben werden. Zusätzlich sind selbstverständlich Personengruppen betroffen, die häufig ungeschützten genitalen, analen oder oralen Verkehr haben, namentlich die Gruppe der promiskuitiven Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), sowie die der Sexworker und Sexworkerinnen.</p> <p><em><strong>Welche Behandlungsoptionen stehen Patienten mit resistenten Keimen noch offen? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Bisher konnte auch bei multiresistenten Keimen durch Anwendung der sogenannten dualen Therapie (Ceftriaxon in Kombination mit Azithromycin) mit erhöhter Dosis die Infektion beseitigt werden. Dies gelang beispielsweise durch die Verwendung von 1 g Ceftriaxon in Kombination mit 1,5–2 g Azithromycin. Bei solchen Keimen ist jedoch wichtig, auch die Resistenzlage gegenüber den Fluoroquinolonen, Tetrazyklinen und Penicillin abzuklären, da bei fehlender Resistenzentwicklung die sogenannten alten Präparate durchaus wieder eingesetzt werden können. Allenfalls kann auf Gentamicin (240 mg i. m., in Kombination mit Azithromycin) respektive Spectinomycin bei der genitalen oder anorektalen Gonorrhoe zurückgegriffen werden. Phase-III- und Phase- II-Studien sind aktuell mit Solithromycin, Zoliflodacin und Gepoditacin als Alternative im Gange.</p> <p><em><strong>Warum ist die Resistenzentwicklung gerade bei Gonorrhoe-Erregern schon so weit fortgeschritten? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Die Gonokokken haben es fertiggebracht, auf alle bisher eingesetzten Medikamente, beginnend bei den Sulfonamiden über Penicillin, Tetrazykline bis zu Fluorquinolonen und jetzt auch Cephalosporinen, Resistenzen zu bilden. Dies ist möglich durch eine ausgeprägte natürliche Transformationskompetenz, d. h., dass DNA-Sequenzen aufgenommen und ausgeschleust werden können. Dies erlaubt einen horizontalen Gentransfer innerhalb der eigenen, aber auch nah verwandter Spezies, wie das vor allem im Rachenraum passieren kann. Diese ausgeprägte genomische Plastizität und die daraus resultierende Variabilität der Proteinexpression sowie Antigenität von Neisseria gonorrhoeae sind die Grundlage für eine schnelle Anpassung der Bakterien an Umweltbedingungen. Die variable Oberflächenbeschaffenheit begünstigt die Gonokokken zusätzlich dabei, sich der Immunantwort entziehen zu können.</p> <p><em><strong>Wie erklären Sie sich den Anstieg der Zahl von Gonorrhoe-Infektionen generell in Westeuropa seit den 1990er-Jahren? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Tatsächlich existiert in Europa und insbesondere in der Schweiz seit 1996 eine Zunahme der Fälle von damals ca. 250 auf aktuell über 3000 Fälle jährlich (laut dem Bundesamt für Gesundheit). Dies ist das Resultat von zunehmenden ungeschützten genitalen und analen Kontakten, insbesondere jedoch auch ungeschützten oralen Kontakten, v. a. bei anonymen Kontakten und im Sexgewerbe. Das Zunehmen der Zahl an ungeschützten Kontakten ist unter anderem durch die guten Methoden zur Behandlung der HIV-Infektion, die schwindende Bereitschaft, Kondome korrekt und regelmässig zu verwenden, sowie die Unkenntnis der Risiken bei orogenitalen Kontakten zu erklären.</p> <p><em><strong>Inwiefern ist der häufig symptomlose Verlauf der Erkrankung bei der Entwicklung resistenter Bakterien von Bedeutung? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Speziell die pharyngeale Infektion verursacht in einer grossen Mehrheit der Fälle keine Symptome. Zusätzlich existieren im Rachenraum weitere apathogene Neisserien, die einen DNA-Austausch erlauben. Je länger eine Infektion besteht, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Austausches. Bei der weiblichen genitalen Gonorrhoe ist zusätzlich zu bedenken, dass in etwa der Hälfte ebenfalls keine Symptome bestehen und die Infektion somit über Monate unbemerkt verlaufen kann.</p> <p><em><strong>Gibt es Möglichkeiten für Dermatologen, in der Praxis der Resistenzentwicklung entgegenzuwirken? </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Der wichtigste Punkt ist, die Resistenz mittels einer Kultur abzuklären und die Infektion nicht nur mit einem DNA-Nachweis zu diagnostizieren. Wenn beispielsweise bei der Therapie die Resistenzentwicklung bereits bekannt ist (z. B. bei der Therapie des Partners), dann kann primär die Behandlung mit einem entsprechenden Antibiotikum in korrekter Dosierung erfolgen. Wenn keine Daten vorhanden sind und der Patient im Verlauf nicht überwacht werden kann, sollte die duale Therapie (500 mg Ceftriaxon i. m. und 1 g Azithromycin p. o.) eingesetzt werden. Um die Azithromycin-Resistenzentwicklung einzudämmen, sollte wenn möglich für die Behandlung einer Chlamydieninfektion bevorzugt Doxycyclin gegeben werden.</p> <p><em><strong>Warum gestaltet sich die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Gonorrhoe so schwierig? Und für wie vielversprechend halten Sie den Meningokokken- Impfstoff MeNZB, der ja in einer retrospektiven Studie mit reduzierten Infektionsraten assoziiert wurde?<sup>1</sup> </strong></em><br /><em><strong>S. Lautenschlager:</strong></em> Durch die variable Oberflächenbeschaffenheit der Gonokokken können sich diese der Immunantwort entziehen. Die Erkrankung hinterlässt deshalb auch keine ausreichende Immunität, man kann sich ja durchaus mehrmals mit Gonokokken infizieren. Neben dieser Antigenvariabilität gibt es weitere Mechanismen, die die Entwicklung einer Vakzine so schwierig machen, insbesondere der beschriebene Gentransfer. <br />Tatsächlich konnte in Kuba, Neuseeland und Norwegen eine geringere Inzidenz von Gonokokkeninfektionen bei Personen direkt nach Impfung gegen Meningokokken der Gruppe B nachgewiesen werden. Die hohe Homologie der primären Sequenz zwischen Neisseria meningitidis und Neisseria gonorrhoeae sowie die Tatsache, dass viele Virulenzfaktoren Ähnlichkeiten aufweisen, liessen an die Möglichkeit einer Kreuzschutzwirkung denken. Leider zeigte sich eine rasche Reduktion des Impfschutzes nach zwei Jahren, weshalb die Produktion der getesteten Vakzine MeNZB eingestellt wurde.</p> <p><em><strong>Vielen Dank für das Gespräch!</strong></em></p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Petousis-Harris H et al.: Effectiveness of a group B outer membrane vesicle meningococcal vaccine against gonorrhoea in New Zealand: a retrospective case-control study. Lancet 2017; 390(10102): 1603-10</p>
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