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Radikale Lymphadenektomie in Diskussion
Jatros
30
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15.03.2018
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<p class="article-intro">Bei Melanomen mit mehr als einem Millimeter Dicke und positivem Sentinellymphknoten war bislang die radikale Lymphadenektomie Standard. Aktuelle Daten aus kontrollierten Studien zeigen jedoch, dass dieses Vorgehen keinen Überlebensvorteil bringt, sehr wohl aber zu Nebenwirkungen und Komplikationen führt.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Status des Sentinellymphknotens ist bei Melanomen ab einem Millimeter Tumordicke ein bedeutsamer Prädiktor für Prognose und Rezidiv und wurde daher in das Staging-System des American Joint Committee on Cancer (AJCC) aufgenommen. Bei positivem Sentinellymphknoten ist seit vielen Jahren eine radikale Lymphadenektomie Standard. Allerdings wurde zunehmend die Frage gestellt, ob diese Maßnahme überhaupt zu einer Verbesserung des Überlebens führt, zumal die Datenlage widersprüchlich war und die Evidenz, die dieses Vorgehen stützte, zum Teil aus nicht kontrollierten Arbeiten stammte. Diese Frage konnte naheliegenderweise nur mit einer Studie beantwortet werden. Die Diskussionen zu dieser Studie wurden zum Teil sehr emotional geführt, wie Prof. Dr. Rudolf Stadler von der Universitätsklinik für Dermatologie, Venerologie, Allergologie und Phlebologie in Minden berichtet: „Die komplette Lymphadenektomie wurde in den 90er-Jahren in Deutschland flächendeckend eingeführt. Daher wurde eine intensive Debatte geführt, ob eine kontrollierte Studie zu dieser Fragestellung überhaupt ethisch vertretbar ist.“</p> <h2>Kein Überlebensvorteil durch radikale Lymphadenektomie</h2> <p>Schließlich gelangte man zu dem Schluss, dass die Studie (DeCOG-SLT) durchgeführt werden kann und soll und dies geschah schließlich mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe. Rekrutiert wurden mehr als 5000 Patienten, von denen 1269 Mikrometastasen entwickelt hatten. Der Randomisierung stimmten allerdings nur 483 zu, von denen 241 in den Beobachtungsarm kamen. Die erste geplante Auswertung erfolgte neun Jahre nach Studienbeginn. Die Ergebnisse wurden 2016 publiziert und zeigten keinen Vorteil durch die radikale Lymphadenektomie. Das metastasenfreie Überleben über drei Jahre war in den beiden Armen praktisch exakt gleich. Der primäre Endpunkt, das Überleben ohne Fernmetastasen, betrug nach drei Jahren im Beobachtungsarm 77,0 % (90 % CI: 71,9–82,1; 55 „events“) und im Operationsarm 74,9 % (69,5–80,3; 54 „events“). Auch hinsichtlich des Melanom-spezifischen Überlebens sowie des rezidivfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens traten keine signifikanten Unterschiede zwischen den Armen auf. Dafür waren Nebenwirkungen der kompletten Lymphadenektomie – insbesondere Lymphödeme – häufig.<sup>1</sup> Dieses Ergebnis blieb, so Stadler, in weiteren Auswertungen bis zu 48 Monate stabil.</p> <h2>Zweite kontrollierte Studie bestätigt DeCOG-SLT</h2> <p>Die Ergebnisse von DeCOG-SLT wurden mittlerweile in der MSLT-II-Studie auch für größere SLN-Metastasen bestätigt. Eingeschlossen waren 1939 Melanompatienten mit einer Tumordicke von 1,2 bis 3,5mm. Auch in dieser Arbeit wurde kein Überlebensvorteil durch die Lymphadenektomie beobachtet. Das Melanom- freie Überleben nach drei Jahren, der primäre Endpunkt der Studie, war in beiden Gruppen mit 86,0 % identisch.<sup>2</sup> Der Grund für diese Befunde dürfte in den Metastasierungswegen des Melanoms liegen. So zeigen Registerdaten, dass Melanome nur in 38,4 % der Fälle über die Lymphbahn streuen und dass mehrheitlich eine gemischte oder hämatogene Metastasierung vorliegt. Die Autoren dieser Arbeit gelangten zu dem Schluss, dass sich Lokalund Fernmetastasierung parallel und nicht seriell ereignen und die Dissektion der Lymphbahn aus diesem Grund keinen klinischen Vorteil bringe.<sup>3</sup><br /> Angesichts dieser Befunde müsse nun, so Stadler, der aktuelle Therapiestandard hinterfragt werden. Die beiden randomisierten, kontrollierten Studien seien als „practice changing“ zu verstehen. Da die komplette Lymphadenektomie offenbar keinen Überlebensvorteil bringt, solle man Patienten mit kleinen Mikrometastasen unter einem Millimeter diese häufig mit Komplikationen behaftete Prozedur ersparen. Bei höherer Tumorlast, also bei größeren Metastasen im SLN, sollten Vor- und Nachteile der Lymphadenektomie mit den Patienten besprochen werden.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie<br>
und Venerologie, 30. November bis 2. Dezember,<br>
Salzburg
</p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Leiter U et al.: Complete lymph node dissection versus no dissection in patients with sentinel lymph node biopsy positive melanoma (DeCOG-SLT): a multicentre, randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 2016; 17(6): 757-67 <strong>2</strong> Faries MB et al.: Completion dissection or observation for sentinel-node metastasis in melanoma. N Engl J Med 2017; 376(23): 2211-22 <strong>3</strong> Gassenmaier M et al.: Serial or parallel metastasis of cutaneous melanoma? A study of the German Central Malignant Melanoma Registry. J Invest Dermatol 2017; 137(12): 2570-7</p>
</div>
</p>
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