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Praxisnaher Überblick

Psychiatrische Differenzialdiagnosen der Depression

In ihrem Referat beim Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders zeigte Prof. Dr. med. Annette Brühl in einem Crashkurs, wie wichtig psychiatrische Differenzialdiagnosen sind.

Sie startete mit einem Überblick und Zahlen zu depressiven Erkrankungen und Komorbiditäten. Denn Komorbiditäten sind bei depressiven Erkrankungen nicht nur häufig, sondern oftmals die Regel. So werden 59% der Patient:innen mit einer Lebenszeitdiagnose Depression in ihrem Leben mindestens eine komorbide Angsterkrankung entwickeln. Dabei gehen Angsterkrankungen meistens einer Depression voraus und gelten auch als ein Risikofaktor für die Rekurrenz einer Depression.

Während ihres Referats betonte Prof. Brühl wiederholt, wie wichtig es sei, «genau hinzugucken» und auch im Verlauf immer wieder den «diagnostischen Blick» aufzusetzen. So solle man die Patient:innen beobachten und nicht schon bei der ersten Diagnose stecken bleiben. «Fragen Sie sich immer wieder: Gibt es noch zusätzliche Symptome, die auf Komorbiditäten hinweisen?», meinte Prof. Brühl. Auch die neuen S3-Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) fordern die behandelnden Ärzt:innen auf, bei Nichtansprechen auf Antidepressiva und Psychotherapie die Diagnose zu überprüfen, Komorbiditäten oder eine depressiogene Medikation zu suchen – eben nochmals genau hinzuschauen.

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Prof. Dr. med. Annette Brühl betonte in ihrem Vortrag unter anderem die Wichtigkeit der Verlaufsdiagnostik bei Patient:innen mit Depression

Prof. Brühl bekräftigte auch, wie wichtig eine ordentliche Diagnostik bei einer Erstdiagnose sei. Sie verwies auf das frei verfügbare Tool «MINI» («mini international neuropsychiatric interview»), um innerhalb von 15–20 Minuten eine grosse Breite an möglichen Störungen zu prüfen. Des Weiteren sollten alle Patient:innen bei der Erstdiagnose oder Verlaufsänderungen eine Blutuntersuchung sowie, wenn indiziert, auch eine Bildgebung verordnet bekommen, damit man einerseits keine somatischen Erkrankungen verpasst und andererseits gute Basiswerte für die Verlaufskontrollen hat. Denn es gibt zahlreiche somatische Erkrankungen als Differenzialdiagnose einer Depression, welche von endokrinen über neurologische bis hin zu kardiovaskulären Erkrankungen reichen. Zudem gibt es viele psychiatrische Komorbiditäten bei Depressionen wie die bereits genannten Angststörungen, aber auch verschiedene Suchterkrankungen wie Alkohol-, Medikamenten- und Drogenabhängigkeit. Generell gehen Komorbiditäten mit ein ungünstigeren Verlauf, schlechterem Ansprechen auf Medikamente und einem höheren Chronifizierungs- und Suizidrisiko einher. Des Weiteren können diese Komorbiditäten, wenn unbehandelt, eine Therapieresistenz begünstigen. Zudem können verschiedene somatische Erkrankungen eine Depression zur Folge haben. So gibt es eine hohe Prävalenz von komorbider Depression bei Patient:innen mit chronischen somatischen Erkrankungen wie Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen oder entzündlichen Erkrankungen wie zum Beispiel Reizdarm. Auch hier gilt: Diese Patient:innen haben ein besseres Outcome, wenn die Depression behandelt wird.

Abschliessend verwies Prof. Brühl auf die Wichtigkeit der Verlaufsdiagnostik. Auch die S3-Leitlinien der DGPPN betonen, dass ein Monitoring bei depressiven Störungen oft nicht systematisch genug erfolge. Dies sei nicht nur unethisch bezüglich der Patientensicherheit, sondern auch, weil nicht wirksame Behandlungen unnötig lange fortgeführt werden. Ein regelmässiges Monitoring führe also zu besseren Resultaten und es gibt zahlreiche frei verfügbare Tests, welche dafür verwendet werden können.

15th Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorder, 11. April 2024, Zürich

bei der Sprecherin

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