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Individualisierte Behandlung von immunologischen Störungen

Die Präzisionsmedizin hält Einzug in die Dermatologie

Ansätze der Präzisionsmedizin erlauben eine individualisierte Behandlung der Patienten je nach vorherrschender immunologischer Störung. Dies hat durchaus klinische Konsequenzen, wie drei beim EADV vorgestellte Kasuistiken verdeutlichen.

Neuartige Methoden der Gewebeanalyse haben in der Dermatologie zu der Entwicklung zahlreicher zielgerichteter Therapien geführt, was nach Ausführung von Prof. Dr. med. Michel Gilliet von der Universität Lausanne eine echte translationale Revolution bedeutet hat.1 Die Erkenntnis über diverse immunologische Signalwege war der Schlüssel zur Entwicklung gezielter Therapien wie Biologika, aber auch von «small molecules».

T-Zellen können sich in verschiedene Untergruppen differenzieren (Th1, Th2 und andere). Es gibt angeborene Signalwege, die von dendritischen und anderen immunpräsentierenden Zellen gesteuert werden, und einen Signalweg, der durch die Aktivierung des Inflammasoms gesteuert wird. Im Ergebnis werden entzündungsspezifische Interleukine freigesetzt. «Auch wenn die verschiedenen Immunwege stark vereinfacht sind, stehen sie direkt mit bestimmten Hautkrankheiten in Verbindung», erklärte Prof. Gilliet.

«Obwohl zielgerichtete Therapien sehr wirksam sind, gibt es immer noch etliche Patienten, die nicht auf die Therapie ansprechen», so Prof. Gilliet. Was hierfür verantwortlich ist, kann meistens nicht geklärt werden: Zum einen könnte beim falschen Signalweg angegriffen werden, zum anderen stecken manchmal auch Immun-Escape-Pfade oder sogar paradoxe Reaktionen dahinter. Um die zugrundeliegenden Mechanismen zu ergründen, wird in der Abteilung von Prof. Gilliet bei allen Patienten mit entzündlichen Hauterkrankungen ein präzisionsmedizinischer Ansatz verfolgt.Die Ärzte entnehmen hierfür 4mm grosse Stanzbiopsien von Hautläsionen, führen eine RNA-Extraktion durch und erstellen Transkriptionsprofile: Dadurch können verschiedene Immunmodule identifiziert werden. «Was wir herausgefunden haben, ist, dass es bei der Psoriasis überwiegend Th17-Gene gibt, während wir bei der atopischen Dermatitis (AD) Th2-verwandte Gene oder Typ-I-Interferon-Gene bei kutanem Lupus finden», so Prof. Gilliet. Der Th1-Signalweg herrscht bei Lichen planus vor, B-Zellen bei bullösen Erkrankungen.Diese Immunmodelle können also auch zur Identifizierung von Krankheiten verwendet werden.

Nach den Erfahrungen von Prof. Gilliet tragen diese Bestimmungen massgeblich dazu bei, die Diagnose entzündlicher Hauterkrankungen zu verbessern. In seiner Abteilung können nur 61% der Patienten rein klinisch diagnostiziert werden, 85%, wenn eine histologische Untersuchung durchgeführt wird. Wird jedoch zusätzlich zur klinischen Untersuchung und zur Histologie die molekulare Signatur bestimmt, liegt der Vorhersagewert der Diagnose bei 100%.

Drei Fallberichte aus der Praxis

Am Ende des Vortrags stellte Prof. Gilliet drei Fallberichte vor, welche die klinischen Folgen eines präzisionsmedizinischen Ansatzes in der Dermatologie verdeutlichen.

1. Patient mit drei Episoden von Erythrodermie

Ein 86-jähriger Mann stellte sich mit einer dritten Episode von Erythrodermie vor. Zuvor hatte er bereits eine Arzneimittelreaktion auf ein pflanzliches Medikament gezeigt, aber sonst wies der Mann keine atopische Disposition auf. «Wir wendeten bei diesem Patienten unseren personalisierten Ansatz an und sahen ein Gencluster bei AD und ein dominantes Th2-Profil. Auf der Grundlage des Th2-Profils wurde er mit Dupilumab behandelt und sprach hervorragend darauf an. Dies war das erste Beispiel dafür, wie erfolgreich ein solcher personalisierter Ansatz sein kann», erklärte Prof. Gilliet.

2. Patient mit schwerer, refraktärer Psoriasis

Ein 63-jähriger Mann mit schwerer, seit langer Zeit bestehender Psoriasis zeigte sich gegenüber diversen therapeutischen Optionen resistent. Er sprach weder auf die konventionelle Therapie mit Methotrexat und Fumarsäure an noch auf Apremilast oder Zytokinblocker (sowohl Anti-IL-17- als auch Anti-IL-23-Blocker wurden in der Vergangenheit versucht).

Die Läsionen sahen klinisch wie Psoriasisläsionen aus, auch eine Biopsie bestätigte das histologische Bild einer Psoriasis. Die molekulargenetische Bestimmung zeigte dagegen, dass bei dem Patienten neben dem zu erwartenden Th17-Cluster auch ein dominantes Th2-Cluster vorhanden war.

Wie Prof. Gilliet erläuterte, war dies der Grund für die Behandlung des Patienten mit Dupilumab, auf das der Patient nach nur einer Dosis hervorragend ansprach.

3. Personalisierter Ansatz: Patient mit atopischer Dermatitis und Immunwechsel

Ein 77-jähriger Mann wurde mit Dupilumab behandelt, erlitt jedoch nach den ersten drei Injektionen einen erneuten Krankheitsschub. Der vor der Therapie verfolgte personalisierte Ansatz hatte ein Th2-Profil ergeben. Nach dem Versagen von Dupilumab wurden erneut Gen- und Transkriptionsanalysen durchgeführt: Bei dieser Untersuchung wies der Patient ein dominantes Th1-Profil auf. «Wir haben dies bei einigen Patienten festgestellt», erklärte Prof. Gilliet. Offensichtlich kommt es bei manchen Patienten, die nicht oder nicht mehr auf Dupilumab ansprechen, zu einem Wechsel der Immunachse auf Th1. Der Patient wurde daraufhin mit einem JAK-1/2-Inhibitor (Abrocitinib) behandelt. Nach 4 Wochen Behandlung zeigte er ein vollständiges Ansprechen.

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Schlägt bei einem Patienten mit einer entzündlichen Hauterkrankung trotz umfangreicher Diagnostik die Therapie nicht an, kann ein präzisionsmedizinischer Ansatz wertvollen Input liefern

Ein personalisierter Ansatz ist auch im Zusammenhang mit sogenannten paradoxen Reaktionen unter zielgerichteter Therapie wichtig: Etwa 5,8% der mit Anti-IL-17A behandelten Patienten entwickeln ekzematöse Hautläsionen. «Sobald wir ein genetisches Profil dieser Läsionen erstellen, erhalten wir ein klares Th2-Profil, das auf einen Wechsel von Th17 zu Th2 hinweist», erklärte Prof. Gilliet. Nach Erfahrung von Prof. Gilliet ist in diesen Fällen eine Behandlung mit breiterem Ansatzpunkt angezeigt. «Ich denke, dass in all diesen Fällen [von Immunwechsel] die optimale neue Behandlung ein JAK-1/2-Inhibitor ist, der ein breiteres Spektrum blockiert», schloss Prof. Gilliet.

Personalisierte Ansätze sind auch bei der Diagnose hilfreich

Eine im Rahmen der Late-Breaker-Sitzung vorgestellte Studie zeigte, dass genetische Untersuchungen auch dabei helfen könnten, entzündliche Hauterkrankungen früher zu diagnostizieren. Immer noch vergehen global mehr als sieben Jahre, ehe die Diagnose «Hidradenitis suppurativa (HS)» gestellt werden kann.2 Für eine angemessene Behandlung der HS ist eine frühzeitige Therapie von entscheidender Bedeutung, da nur durch frühzeitiges Einschreiten eine Narbenbildung verhindert werden kann. Ein Grund für die verzögerte Diagnostik ist das Fehlen von Biomarkern, mit denen sich ein frühes Krankheitsstadium erkennen lässt. Bis heute gelten Biopsien als Goldstandard für die Untersuchung molekularer Veränderungen in der Haut von HS-Patienten. Für die Diagnose von HS im Frühstadium und für die langfristige Krankheitsüberwachung in Studien ist jedoch ein reproduzierbarer und weniger invasiver Ansatz erforderlich. Daher untersuchten Dr. med. Kristina Navrazhina, Icahn School of Medicine at Mount Sinai (USA), und ihr Team, ob man mit Klebestreifenabrisstests frühe und späte molekulare Veränderungen bei HS nachweisen und Biomarker für die Krankheitsaktivität identifizieren könne.3Dabei werden Klebestreifen auf die Haut angedrückt und langsam abgezogen, wodurch Schichten des Stratum corneum entfernt werden. Die Methode hinterlässt allenfalls ein transientes Erythem und ist damit wesentlich weniger invasiv als der Goldstandard Biopsie. In der Studie wurden die Klebestreifen von läsionaler und gesund aussehender Haut in mindestens 10cm Entfernung von läsionaler Haut von HS-Patienten (n= 22) und gesunden Kontrollpersonen (n=21) entnommen und einer RNA-Sequenzierung unterzogen.

Eine Hochregulierung bekannter HS-Biomarker (z.B. IL-17, TNF-α) wurde sowohl in der nichtläsionalen als auch in der läsionalen Haut von HS-Patienten im Vergleich zu Kontrollen festgestellt. Darüber hinaus identifizierten die Tests mehrere neue therapeutische Ziele in läsionaler und nichtläsionaler Haut der HS-Patienten, die signifikant häufiger vorkamen als in der Haut gesunder Kontrollen (p<0,05), darunter OX40, JAK3 und der C-C-Chemokin-Rezeptor 4. Die Tatsache, dass bei der Expression von Genen innerhalb der Th17- und TNF-α-Signalwege zwischen Klebestreifentests und Biopsie eine signifikante Korrelation besteht, zeigt, dass die Ergebnisse der Klebestreifenabrisstests valide sind. Zudem war der klinische Schweregrad von HS mit einer höheren Expression von Biomarkern in läsionaler und/oder nichtläsionaler Haut von HS verbunden. «Bereits Haut im Hurley-Stadium 1 unterscheidet sich von normaler Haut, auch wenn sie noch normal aussieht», erklärte Dr. Navrazhina.

Klinisch besonders interessant ist, dass mithilfe der Klebestreifenabrisstests zuverlässig Hautbiomarker für HS im Früh- und Spätstadium unterschieden werden können. Dies könnte nach Ausführung von Dr. Navrazhina künftig eine valide und minimalinvasive Methode sein, um Patienten zu identifizieren, die von einer frühzeitigen therapeutischen Intervention profitieren.

1 Gilliet M: Vortrag «Precision medicine approaches in dermatology». Präsentation ID D1T08.1D 2 Saunte DM etal.: Br J Dermatol 2015; 173: 1546-9 3 Navrazhina K: Vortrag «Skin tape stripping is a minimally-invasive approach that accurately detects biomarkers of early and chronic disease in hidradenitis suppurativa». Präsentation D2T01.3H, EADV 2023

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