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Multiple Dimensionen in Diagnostik und Therapie
Jatros
30
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14.03.2019
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<p class="article-intro">Voraussetzung für die erfolgreiche Behandlung eines chronischen Pruritus ist eine exakte und umfassende Diagnostik. Mit einem stufenweisen Therapieansatz und der Entwicklung neuer spezifischer Medikamente und mit besserem Verständnis der Pathophysiologie soll die Versorgung der Patienten verbessert werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Juckreiz kann ein Symptom unterschiedlichster Erkrankungen sein. Von einem chronischen Pruritus spricht man, wenn er länger als sechs Wochen anhält.<sup>1</sup> Klinisch zeigen sich vor allem drei Formen: ein Pruritus auf entzündeter Haut (atopische Dermatitis, T-Zell-Lymphom etc.) sowie ein chronischer Pruritus auf unveränderter, nicht entzündeter Haut; drittens gibt es Patienten mit chronischen Kratzläsionen, bei denen es unklar ist, ob der Pruritus zu Beginn auf entzündeter oder auf nicht entzündeter Haut aufgetreten ist.<sup>2</sup> „Diagnostik und Therapie hängen von dieser Einteilung ab, weshalb die klinische Klassifikation für die Praxis einen hohen Stellenwert hat“, erklärt Dr. Manuel P. Pereira, Kompetenzzentrum chronischer Pruritus (KCP), Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Münster.<br /> Dermatosen sind oft maskiert durch Kratzläsionen, aufgrund der vielfältigen Klinik ist daher eine exakte Diagnostik zur Ursachenfindung unerlässlich. Hinter einem Pruritus auf „normaler“, nicht entzündeter Haut kann sich ein Medikamenten- induzierter Pruritus, aber auch eine internistische Erkrankung verbergen. Näheren Aufschluss bei Patienten mit einer entzündlichen Hauterkrankung geben z.B. die direkte Immunfluoreszenz, das Labor (z.B. ANA, IgE) und gegebenenfalls eine Biopsie. Mit dem zusätzlichen Einsatz der bildgebenden Diagnostik soll eine internistische Krankheit (z.B. Tumorerkrankung) ausgeschlossen werden.</p> <h2>Stufenweises und individuelles Vorgehen im Rahmen einer multimodalen Therapie</h2> <p>Neben der deutschen S2k-Leitlinie3 zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus steht auch eine europäische Leitlinie<sup>4</sup> zur Verfügung. Ein stufenweises Vorgehen einer spezifisch antipruritischen Therapie sieht laut AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) folgendermaßen aus (www.awmf.org, Nr. 013/048):<br /> Auf Stufe eins erfolgen Diagnose und Therapie der zugrunde liegenden Erkrankung, bestehend aus der allgemeinen Basistherapie, Antihistaminika und gegebenenfalls topischen Steroiden. Bei bekannter Ursache erfolgt auf der zweiten Stufe eine symptomatisch-ätiologische Therapie (z.B. Naltrexon, Cholestyramin bei cholestatischem Pruritus etc.). Bei unbekannter Ursache oder Therapierefraktärität in der zweiten Stufe kann drittens eine symptomatische Therapie nach dem Prinzip der Unterbrechung der Pruritusinduktion helfen, z.B. mit zentral wirkenden Medikamenten.<br /> Zu den antiinflammatorischen Therapieoptionen gehören Phototherapie, Steroide (sollten aufgrund von Nebenwirkungen nur kurz im Notfall eingesetzt werden), topische Calcineurininhibitoren, Immunsuppressiva (z.B. CyA, MTX) und Dapson. Antipruritisch wirken z.B. Capsaicin, Gabapentinoide, Antidepressiva, Mu-Opioid- Rezeptor-Antagonisten und Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten. Als systemische Therapie stehen etwa bei Urtikaria (Nesselsucht) Antihistaminika zur Verfügung. Antikonvulsiva wirken beim neuropathischen (brachioradialen), urämischen, cholestatischen und aquagenen Pruritus, Antidepressiva beim neuropathischen und paraneoplastischen Pruritus. Immunsupressiva haben sich in der Indikation atopische Dermatitis und chronischer Prurigo bewährt, Mu-Opiod-Antagonisten (Naloxon, Naltrexon) beim urämischen Pruritus.<br /> „Aufgrund intensiver Forschung werden auch die Pathomechanismen bei der Entstehung der unterschiedlichen Formen des Pruritus immer besser verstanden“, sagt Pereira. Dies führte zur Entwicklung und dem Einsatz neuer Medikamente, wie etwa Biologika (Dupilumab, Tralokinumab, Nemolizumab) oder auch NK1RAntagonisten (Aprepitant, Serlopitant, Tradipitant). In den USA bereits zugelassen ist der PDE-4-Inhibitor Crisaborol für die atopische Dermatitis (AD). In Studien befindlich sind der TrkA-Inhibitor Pegcantratinib für die Indikation Psoriasis und der JAK-Inhibitor Tofacitinib bei Polycythaemia vera und AD. Vielversprechend sind auch laufende Studien zu den Opioidantagonisten bzw. -agonisten. „Diagnostik und Therapie müssen beim Pruritus jedenfalls individuell entschieden werden, da viele Faktoren wie Alter des Patienten, Komorbidität, Komedikation etc. eine wichtige Rolle spielen“, so Pereira.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie
und Venerologie (ÖGDV), 29. November bis
1. Dezember 2018, Innsbruck
</p>
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<p><strong>1</strong> Yosipovitch G et al.: N Engl J Med 2013; 368: 1625-34. Ständer S et al.: PLoS One 2010; 5: e10968. Ikoma A et al.: Nat Rev Neurosci 2006; 7(7): 535-47 <strong>2</strong> Ständer S et al.: Acta Dermatol Venereol 2007; 87(4): 291-4 <strong>3</strong> Ständer S et al.: J Dtsch Dermatol Ges 2017; 15(8): 860-73 <strong>4</strong> Weisshaar E et al.: Acta Derm Venereol 2012; 92(5): 563-81</p>
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