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„Lupe – Seele – Melanom“
Jatros
Autor:
Dr. Christine Dominkus
30
Min. Lesezeit
24.05.2018
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<p class="article-intro">Infolge der verfügbaren neuen innovativen Medikamente und der Intensivierung der fächerüber­greifenden Zusammenarbeit kann das Melanom heute sowohl bei Früherkennung als auch im fortgeschrittenen Stadium sehr gut behandelt werden, so Univ.-Prof. Dr. Norbert Sepp bei der Fortbildungsveranstaltung „Lupe – Seele – Melanom“ im April 2018 im Ordensklinikum Elisabethinen in Linz. Dabei darf aber nicht auf das psychosoziale Umfeld der Patienten vergessen werden.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Die Inzidenz wie auch die Mortalität des malignen Melanoms sind im Zunehmen. Die jährlichen Neuerkrankungen in Österreich belaufen sich auf 5000 Fälle. Mit der Verbesserung der Früherkennung und der Einführung neuer hochwirksamer Therapiekonzepte, die zu einem längeren Überleben geführt haben, ist auch die Behandlung intensiver, komplexer, langwieriger geworden und hat sich tendenziell aus dem Krankenhausbereich in den ambulanten Bereich verschoben, berichtete Prof. Dr. Barbara Sperner-Unterweger, Univ.-Klinik für Psychiatrie II, Innsbruck.<br />„Obwohl es die sogenannte Krebspersönlichkeit nicht gibt, kann psychischer Stress, als ein Faktor von vielen, für die Krankheitsentstehung und den Verlauf von Bedeutung sein“, so Sperner-Unterweger. Klar ist, dass eine Krebserkrankung für die Betroffenen immer eine große Herausforderung darstellt. Die Patienten müssen sich zum Beispiel mit Alltagsängsten, Zukunftsängsten, Angst vor dem Rezidiv und Körperbildstörungen auseinandersetzen. Funktionseinschränkungen durch Schmerzen, Lymphödem oder Fatigue verändern den sozialen, beruflichen und persönlichen Bereich. Das Leben wird auf den Kopf gestellt. In der psychoonkologischen Arbeit ist es ein Ziel, den Patienten einen Zugang dazu zu eröffnen, dass neben den Belastungen durch die Krankheit das Leben jedes einzelnen Betroffenen auch noch Teile von Gesundheit aufweist. Diese gesunden Anteile zu stärken stellt eine wichtige Aufgabe in der Psychoonkologie dar. Interventionsprogramme für Melanompatienten über 6 Wochen, basierend auf verhaltenstherapeutischen Ansätzen, fördern Gesundheitsverhalten und vermitteln Stressmanagement. Diese psychoedukativen Angebote können die Krankheitsbewältigung positiv beeinflussen und die Lebensqualität fördern. Jede maligne Erkrankung erfordert spezifische Anpassungsleistungen. Alltagsängste, Zukunftsängste, Angst vor dem Rediziv und Körperbildstörungen stellen große Herausforderungen dar.</p> <p><strong><strong>Depression</strong></strong></p> <p>Den Zusammenhang zwischen Depression, Angst und Lebensqualität bei Melanompatienten untersuchte die Gruppe um Beutel M et al. 2015 in einem Langzeit-Follow-up.<sup>1</sup> Disstress war besonders bei Frauen mittleren Alters ausgeprägt, beide Geschlechter hatten Einschränkungen im Funktionsniveau und wiesen mehr Ängste und depressive Symptome auf als die gesunde Kontrollgruppe. In einer Untersuchung zu religiösen und spirituellen Bedürfnissen kam die Arbeitsgruppe um Haußmann et al. 2017 zu dem Schluss, dass diese unabhängig von der Phase der Erkrankung und auch unabhängig von aktuellen Belastungen sind.<sup>2</sup> Für die Mehrheit der PatientInnen haben die Bedürfnisse nach Unterstützung und Sicherheit große Bedeutung. Besonders erwähnt wird auch die Suizidalität, die insgesamt bei Krebspatienten nicht höher liegt als bei anderen Patientengruppen, allerdings besteht zum Zeitpunkt der Diagnose (und bis zu 6 Monate nach Diagnose) ein deutlich erhöhtes Suizidrisiko. Bestimmte Medikamente wie Interferon, Kortikosteroide, Vinblastin etc. können depressiogen wirken. „Depressive Patienten sind unsichtbar, sie wollen nicht auffallen oder ihren Arzt belasten. Wir als Ärzte müssen aktiv durch Fragen auf diese Patienten zugehen“, sagte Sperner-Unterweger. Schlafstörungen sind auch ein sehr belastendes Symptom in der Depression und schlafanstoßende Medikamente wie beispielsweise Mirtazapin oder Trazodon können da hilfreich sein.</p> <p><strong><strong>Fatigue</strong></strong></p> <p>Eines der häufigsten Symptome bei onkologischen Patienten mit Prävalenzraten >60 % ist Fatigue. Die andauernde psychisch-emotionale Müdigkeit ohne Erholung durch Schlaf kann in jedem Stadium der Erkrankung auftreten, beeinflusst das Befinden und die kognitiven Fähigkeiten, soziale wie auch Alltagsfunktionen. Hilfreich sind vor allem Informationen über die Fatiguesymptomatik, sportliche Aktivierung, „mind-body interventions“ und Psychoedukation. Einige pharmakologische Studien zeigen, dass Methylphenidat­en eventuell positive Effekte haben kann.</p> <p><strong><strong>Delir</strong></strong></p> <p>Zu den Risikofaktoren für die Ausbildung eines nicht substanzinduzierten Delirs zählen eine Demenz, „mild cognitive impairment“ (MCI), Depression und ein bereits vorangegangenes Delir. Weitere Risikofaktoren für ein Delir sind Alkoholmissbrauch, Einnahme bestimmter Medikamente, Elektrolytstörungen (Natrium!), akute Infekte, Malnutrition/Dehydratation, Hypoxie, Stress/Angst, Schlafentzug, soziale Isolation und Multimorbidität. Als Therapie ist in erster Linie die Behandlung der Risikofaktoren bzw. der Auslöser zu nennen, weiters vor allem nichtpharmakologische Interventionen, wie Frühmobilisation, Förderung der Kommunikation, Einbeziehen von Bezugspersonen, Sitzwachen, Vermeidung von Fixierung. Falls diese therapeutischen Strategien nicht ausreichen, kann die Gabe von Antipsychotika (z.B. Risperidon 0,25mg bis 1mg/2mg) für die Dauer von zwei Tagen bzw. so lange, bis das Delir abklingt, erfolgen.<br />In der Diskussion wurde der ärztliche Rat für Melanompatienten „Sie sollten die Sonne meiden“ kritisch hinterfragt. Solcherlei Empfehlungen sind im Alltag nicht leicht umzusetzen und lösen Ängste aus, welche die Lebensqualität des Melanompatienten senken. Diese Aussage ist vonseiten des Hautarztes mit Vorsicht zu verwenden, betonte Prof. Sepp.</p> <h2>Diagnostik</h2> <p>Die Auflichtmikroskopie habe die Früherkennung revolutioniert, betonte Univ.-Prof. Dr. Harald Kittler, Wien. „Wir erkennen Melanome, die wir vor 20 Jahren nicht erkannt hätten.“ Die Evolution der Melanomdiagnostik erfreut sich eines ungebrochenen Fortschritts. Während es früher öfter Fälle gab, die als senile Lentigo missinterpretiert wurden, gibt es heute hilfreiche bildgebende Verfahren in der Diagnostik. „Auch die Patienten kommen früher, die Pathologen diagnostizieren früher, meist sehen wir nur mehr Melanome in situ, die nach der Exzision geheilt sind“, so Kittler. Dennoch gibt es neben diesen Sonnenseiten auch einige Schattenseiten, betonte der Experte und stellte provokante Fragen in den Raum: Gibt es Problemzonen wie ungewöhnliche Lokalisationen, ungewöhnlich frühes Auftreten oder eine ungewöhnliche Präsentation des Melanoms? Bedeutet die Früherkennung nicht auch einen Schaden neben all dem Nutzen, der damit verbunden ist? Kittler: „Denn in der Regel wachsen Melanome langsam und wir haben Zeit.“ Problemzonen stellen akrale Lokalisationen oder das Nagelbett dar. Auch pigmentierte Läsionen auf den Fersen oder Fußsohlen verunsichern. Täuschend wirken manchmal Hyperpigmentierungen der Nägel bei Frauen, die unbequeme High Heels bevorzugen, oder bei Fußballern, die enge Fußballschuhe tragen, berichtete Kittler. Solche Veränderungen wachsen nicht aus, weil das Trauma rezidivierend stattfindet. Eine weitere Problemzone stellt das Melanom der Genitalregion (vaginales Melanom) dar. Melanome am Capillitium (DD blauer Naevus am Capillitium) und das Melanom des hohen Lebensalters sind schwierig zu entdecken. Die DD bei sebhorrhoischer Keratose stellt mitunter auch eine Herausforderung an den Dermatologen. „Dennoch ist es ratsam, nicht jede Läsion mit Verdacht auf Melanom zu exzidieren, denn wir müssen selektiv vorgehen“, sagte Kittler. Von der unterstützenden Aussagekraft digitaler Geräte ist Kittler jedoch überzeugt. „Die computergestützte Diagnostik ist nicht unser Feind, sie sollte vielmehr als Unterstützung in unserer Arbeit gesehen werden. Digitale Verlaufskontrollen erleichtern das Leben.“</p> <h2>Therapie</h2> <p>Über neue Behandlungsstrategien referierte OA Dr. Helmut Kehrer, Linz. Ihm ist der Aufbau der Dermatoonkologischen Abteilung bei den Elisabethinen zu verdanken, lobte Prof. Sepp seinen Oberarzt. Eingangs referierte Kehrer über Studien zur „sentinel lymph node mapping“ und die konsekutive Lymphadenektomie bei Metastasen. Eine geringe Verlängerung des rezidivfreien Überlebens rechtfertigt, bei fehlendem Vorteil für das Gesamtüberleben vermutlich nicht die komplette Lymphknotendissektomie bei positiven Sentinellymphknoten (SLN). Welche Subgruppen mit positivem SLN doch profitieren könnten, müsste erst in Studien untersucht werden. Faktum ist, dass es derzeit keine Leitlinie dazu gibt. Bei einer Metastasendicke >4mm ist aus seiner Sicht die komplette Entfernung angezeigt, bei einer Metastasendicke ≥2,0mm und ≤4,0mm sollte die komplette Lymphknotenadenektomie mit dem Patienten besprochen und angeboten werden. In der adjuvanten Therapie mit dem langfristigen Ziel, die Ausbildung von Metastasen zu verhindern, ist Interferon nach wie vor Standard. „Eine ganze Generation von Dermatologen ist mit Interferon aufgewachsen“, so Kehrer. Leider ist der Benefit durch Interferon nur klein; er beträgt lediglich 3 % beim tumorfreien und Gesamtüberleben. Bei exulzerierten Melanomen ergibt sich ein höherer Benefit beim tumorfreien Überleben (7 % ) und Gesamtüberleben (10 % ).<br />Die Hochdosis-Ipilimumab-Therapie mit 10mg/kg KG verlängert zwar das Überleben, ist allerdings mit einer hohen Toxizitätsrate vergesellschaftet. In den USA ist es von der FDA zugelassen, in der EU wurde kein Antrag auf Zulassung gestellt.<br />Kehrer berichtete auch über eine Studie, die am ESMO 2017 in Madrid präsentiert worden war: In dieser wurden Nivolomab<sup>3</sup> wie auch die Kombination der BRAF-Inhibitoren Dabrafenib 150mg 2x/d plus Trametinib 2mg im Vergleich zu Placebo untersucht.<sup>4</sup> Insgesamt zeigten sich ein verlängertes rezidivfreies Überleben und Gesamtüberleben sowohl für Nivolumab als auch für die Kombination Dabrafenib/Trametinib, allerdings wiesen 27 % der Patienten unter der zielgerichteten Kombinationstherapie schwere Nebenwirkungen auf, was bei 26 % zum Therapieabbruch führte. Die Immuntherapie mit Nivolumab war besser verträglich, nur 6 % der Patienten brachen die Therapie ab. <br />Zusammenfassend hielt Kehrer fest, dass das Ende der Interferontherapie defacto da sei, das Melanom keine Indikation für eine Monotherapie mit BRAF-Inhibitoren darstellte und wir mit Spannung die Zulassung der neuen Substanzen für Melanompatienten im Stadium III–IV zur adjuvanten Therapie im Quartal 4/2018 erwarten dürften. <br />Einen echten Durchbruch in der Melanombehandlung brachte die Immuncheckpoint-Blockade mit PD-1-Antikörpern, die heute aus der Therapie von Stadium-IV-Patienten nicht mehr wegzudenken sind, sagte Kehrer. Daten zu Pembrolizumab und Nivolumab, am ASCO 2016 und am ESMO 2017 vorgestellt, belegen eine gute Wirksamkeit, offene Fragen gibt es bezüglich der Behandlungsdauer und des Ansprechens bei Rezidiv. Im Ordensklinikum Linz wurden 58 Patienten mit PD-1-Antikörpern als Monotherapie behandelt, davon entwickelten 13 eine komplette Response. Nur ein Patient entwickelte seither einen Progress. „Wir sind weit davon entfernt, von Heilung zu sprechen“, so Kehrer, „allerdings ist die Prognose bei Patienten mit kompletter Response deutlich besser und vermutlich mit verlängerten Überleben verbunden.“</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Fortbildungsveranstaltung „Lupe – Seele – Melanom“ im Ordensklinikum Linz Elisabethinen, 12. April 2018
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<p><strong>1</strong> Beutel ME et al.: PLoS ONE 2015; 10(1): e0116440 <strong>2</strong> Haußmann A et al.: Psychother Psych Med 2017; 67: 413-419 <strong>3</strong> Weber J et al.: N Engl J Med 2017; 377: 1824-1835 <strong>4</strong> Hausschild A: ESMO 2017, Madrid</p>
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