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Internistische Herausforderungen wie Antikoagulation und Herzschrittmacher bei dermatochirurgischen Patienten
Jatros
Autor:
OA Gernot Lechner
Abteilung für Dermatologie<br> Klinikum Wels<br> E-Mail: gernot.lechner@klinikum-wegr.at
30
Min. Lesezeit
23.11.2017
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<p class="article-intro">Die Kombination von Faktoren wie steigender Lebenserwartung, Antikoagulation und technischem Fortschritt erfordert vom chirurgisch tätigen Dermatologen präoperativ, intraoperativ und postoperativ einiges an Umsicht. Als Dermatochirurgen müssen wir vor allfälligen Operationen immer häufiger internistische und technische Details abklären, planen und organisieren.</p>
<p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bridging wird nach den nun vorliegenden umfangreichen Daten aus der genannten DESSI-Studie nicht mehr empfohlen.</li> <li>Der Einsatz von Elektrokautern bei Patienten mit Herzschrittmachern ist grundsätzlich möglich, birgt jedoch Risiken und ist deshalb kritisch zu hinterfragen und bei jedem Patienten gesondert zu evaluieren. Außerdem müssen die intraoperativen Empfehlungen beachtet werden.</li> <li>Mit entsprechendem Hintergrundwissen können wir aus dem Schrittmacherausweis und einem EKG eines Patienten die wichtigsten Informationen zur präoperativen Evaluierung erheben, im Zweifel muss präoperativ ein schrittmacherkundiger Kardiologe konsultiert werden.</li> <li>Im Falle des Einsatzes eines Elektrokauters bei Schrittmacherpatienten soll in der Dermatochirurgie ein bipolarer Kauter eingesetzt werden. Dieser soll mit kurzen Bursts und langen Pausen verwendet werden.</li> <li>Im Falle einer OP bei Schrittmacherpatienten, bei der evtl. ein Elektrokauter eingesetzt wird, muss in jedem Fall ein schrittmachergeschulter Kardiologe unmittelbar erreichbar sein.</li> </ul> </div> <h2>Steigendes Lebensalter</h2> <p>Erfreulicherweise steigt die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen stetig an. Durch das Erreichen eines höheren Lebensalters erhöht sich jedoch auch die kumulative UV-Lichtexposition und damit die Zahl an Hauttumoren, vor allem im Kopf-Hals-Bereich. Mit steigendem Lebensalter gibt es auch immer mehr Patienten, die aufgrund von verschiedenen internistischen Erkrankungen auf die Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten angewiesen sind. Es entsteht somit eine immer größer werdende Schnittmenge an Patienten, die einerseits dermatochirurgische Behandlungen benötigen und andererseits auch antikoagulierende und thrombozytenaggregationshemmende Medikamente einnehmen müssen. Hinzu kommt nun noch der technische Fortschritt, der bewirkt, dass bei einer stets wachsenden Zahl von Patienten – die häufig unter einer blutverdünnenden Therapie stehen – verschiedene Arten von elektrischen Schrittmachersystemen implantiert werden.</p> <h2>Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer</h2> <p>Zum Umgang mit Antikoagulation bei Operationen an der Haut existiert eine deutsche S3-Leitlinie, wobei die Studien, auf die sich die Leitlinie stützt, überwiegend klein und retrospektiv angelegt waren. Um das Blutungsrisiko bei dermatochirurgischen Patienten unter Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern besser abschätzen zu können, hat die Dermatosurgical Study Initiative (DESSI) der Deutschen Gesellschaft für Dermatochirurgie 2011 die bisher größte mir bekannte prospektive Studie zum Umgang mit Antikoagulanzien in der Dermatochirurgie initiiert.<sup>1</sup> Es handelt sich um eine prospektive Multicenter-Kohortenstudie. Die Ergebnisse wurden erstmals im Journal der European Academy of Dermatology and Venerology publiziert (JEADV 2017; online 19. Jänner).<br /> In die Studie wurden über 9000 Patienten aus neun hautchirurgischen Zentren (Bochum, Darmstadt, Leipzig, Ludwigshafen, Mannheim, München, Münster, Münster-Hornheide, Tübingen) eingeschlossen. Es wurden typische dermatochirurgische Eingriffe durchgeführt, wie die Exzision von Basalzellkarzinomen, malignen Melanomen und Plattenepithelkarzinomen, gefolgt von der Entfernung anderer Tumore, Operationen aufgrund von Hidradenitis suppurativa/Acne inversa und phlebologischen Indikationen. Die meisten Eingriffe wurden im Kopf-Hals- Bereich vorgenommen.<br /><br /> Unter anderem wurden folgende Ergebnisse erhoben: Bei insgesamt 7,14 % der Patienten wurde postoperativ eine Blutung registriert, wobei bereits die Notwendigkeit eines Verbandswechsels als solche gewertet wurde. Als schwere postoperative Blutungen wurden solche gewertet, die ärztliches Eingreifen erforderten. Sie ereigneten sich bei 0,91 % der Patienten. Meist konnten diese mit dem Elektrokauter gestillt werden.<br /><br /> Aufgeschlüsselt nach Art der blutverdünnenden Medikamente wurden folgende Prozentsätze an postoperativen Blutungen erhoben:</p> <ul> <li>Clopidogrel 2,86 % </li> <li>Phenprocoumon 2,28 % </li> <li>ASS 1,42 % </li> <li>niedermolekulare Heparine 0,6 % (nicht im Sinne eines Bridging)</li> </ul> <p>Unter dualer Therapie zeigten sich folgende Prozentsätze postoperativer Blutungen:</p> <ul> <li>ASS und Clopidogrel 3,57 % </li> <li>ASS und niedermolekulares Heparin 1,32 % </li> </ul> <p>Die mit 9,26 % höchste Quote an postoperativen Blutungen hatten Patienten, bei denen Phenprocoumon vorübergehend durch ein niedermolekulares Heparin (NMH) ersetzt worden war (Bridging).<br /> Aufgrund dieser Daten gaben die Studienautoren folgende Empfehlungen für den Umgang mit Antikoagulanzien bei Operationen an der Haut: Eine Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern wie ASS und Clopidogrel sollte nicht unterbrochen werden. Bei einer dualen Plättchenaggregationshemmung ist aber abzuklären, ob der Eingriff zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden kann, zu dem der Patient auf eine Monotherapie umgestellt werden kann. (Nach Stentimplantationen ist meist für einen befristeten Zeitrahmen eine duale Plättchenaggregation notwendig.) Ist das nicht möglich, soll unter der Kombinationstherapie operiert werden.<br /><br /> Was die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) betrifft, wird generell üblicherweise die Herstellerempfehlung übernommen, die Therapie 24 Stunden vor einer Operation abzusetzen und frühestens eine Stunde postoperativ wieder aufzunehmen.<br /> Zu VKA wie Phenprocoumon wird empfohlen, bei Operationen mit erhöhtem Blutungsrisiko (wie etwa bei Operationen im Kopf-Hals-Bereich) präoperativ die INR zu bestimmen. Der Eingriff sollte in diesen Fällen nur durchgeführt werden, wenn die INR im therapeutischen Bereich liegt. Bei INR-Werten oberhalb des therapeutischen Bereiches sollte mit der OP gewartet werden, bis der Wert im empfohlenen Bereich liegt.<br /> Aufgrund der erhobenen hohen postoperativen Blutungsraten unter NMH bei vorübergehend pausiertem Phenprocoumon (Bridging) wird von diesem Vorgehen abgeraten. Bereits in den S3-Leitlinien aus dem Jahr 2010 wurde Bridging nicht empfohlen, nun liegen dazu aber erstmals umfangreichere dermatochirurgische Daten vor.<sup>1</sup></p> <h2>Technischer Fortschritt</h2> <p>Der rasante medizintechnische Fortschritt führt dazu, dass gerade bei Patienten unter blutverdünnender Therapie immer häufiger unterschiedliche Arten von elektrischen Schrittmachersystemen implantiert werden. Gerade bei diesen antikoagulierten Patienten ist, trotz aller Alternativen der Blutstillung und trotz der generellen Bestrebung, sparsam mit kaustischen Verfahren umzugehen, doch häufig der Einsatz von Elektrokaustik notwendig.<br /> Die dazu vorhandenen verschiedenen Regelwerke in Form von Leitlinien und Richtlinien sind allerdings teilweise sehr umfangreich und nicht in allen Punkten für die Dermatochirurgie relevant. Ich möchte im Folgenden die Inhalte aus verschiedenen Leitlinien zusammenfassen, die meines Erachtens für Dermatochirurgen wichtig und wesentlich sind.<sup>3, 4</sup><br /> Da bei der oben definierten Patientengruppe der multimorbiden Patienten mit Herzschrittmachern und Antikoagulationstherapie die meisten Eingriffe in Lokalanästhesie durchgeführt werden, ist man als Dermatochirurg meist der einzige anwesende Arzt und somit auch für das perioperative Management der Herzschrittmacher verantwortlich.<br /> Enorm wichtig für die Wahrscheinlichkeit einer Störung von Schrittmachersystemen bei Verwendung von Elektrokaustik ist letztlich immer die Länge des Strompfades, den ein elektrisches Gerät im menschlichen Körper erzeugt. Das gilt sowohl für Herzschrittmacher als auch für die Kaustik.<br /> Der monopolare Kauter hat als effekterzeugende Elektrode üblicherweise eine kleine Kugel oder eine Spitze. Die zweite Elektrode, welche den Strom fließen lässt, wird großflächig an Rumpf, Oberarm oder Oberschenkel platziert, um keinen thermischen Effekt zu erzeugen. Da die meisten dermatochirurgischen Eingriffe bei älteren, multimorbiden Patienten im Kopf-Hals-Bereich zum Entfernen von Basaliomen und Spinaliomen durchgeführt werden, ist in diesem Bereich die Kugelelektrode des Kauters zu verwenden. Die flächige zweite Elektrode könnte kaum sinnvoll platziert werden, ohne den thorakalen Bereich mit dem Schrittmacheraggregat als Strompfad miteinzuschließen. Aus meiner Sicht ist deshalb in der Dermatochirurgie bei Patienten mit implantiertem Schrittmacheraggregat nur ein bipolarer Kauter anzuwenden. Als Elektroden fungieren hierbei die Pinzettenspitzen, wodurch sich ein sehr kurzer Strompfad ergibt.<br /> Auch bei Herzschrittmachern geht es unter anderem um die Länge des Strompfades.<br /> Als verantwortlicher Dermatochirurg muss man präoperativ immer bestimmte Dinge abklären und organisieren, um bei Patienten unter Antikoagulation zumindest die Möglichkeit für die Anwendung einer Kaustik zu schaffen.<br /> Es ist wesentlich, zu wissen, welche Art von Schrittmacher der Patient implantiert hat und ob dieser mit unipolarer oder bipolarer Sonde arbeitet, da ein langer Strompfad, wie bei unipolarer Sonde, die Störwahrscheinlichkeit erhöht. Implantierte bipolare Elektroden werden zeitweise zu einem späteren Zeitpunkt in einen unipolaren Modus umprogrammiert (Abb. 1–3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s38_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="857" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s38_abb2_3.jpg" alt="" width="684" height="857" /><br /><br /> Besonders wichtig ist es, Patienten nicht zu übersehen, die einen Defibrillator mit oder ohne Schrittmacher implantiert haben (im Schrittmacherausweis erkennbar durch die Buchstaben ICD), da diese Geräte präoperativ durch einen schrittmacherkundigen Kardiologen umprogrammiert oder deaktiviert werden müssen, unter gleichzeitiger Monitorisierung des Patienten und externer Defibrillationsbereitschaft. Weiters gilt es, Patienten zu identifizieren, die schrittmacherpflichtig sind, die also eine permanente Stimulation des Herzens durch den Schrittmacher benötigen (üblicherweise erkennbar durch permanente Schrittmacher-Spikes im EKG). Funktionsstörungen des Herzschrittmachers durch eine elektrische Kaustik hätten in diesen Fällen besonders schwerwiegende Auswirkungen.<br /> Im Zweifelsfall muss präoperativ immer mit einem schrittmacherkundigen Kardiologen das perioperative Management für den einzelnen Schrittmacherpatienten festgelegt werden.<br /> Weiters sollte die Operationsplanung vor allem OP-Techniken berücksichtigen, bei denen mit möglichst geringem Blutungsrisiko zu rechnen ist (zum Beispiel sollte ein primärer Wundverschluss, falls dies möglich ist, einem mehrzeitigen operativen Vorgehen vorgezogen werden).<br /><br /> Die intraoperativen Empfehlungen sollten eins zu eins aus den Leitlinien übernommen werden (Tab. 1). Das intraoperative Monitoring durch EKG bezüglich Herzfrequenz kann bei Verwendung einer elektrischen Kaustik störanfällig sein, wobei die Pulswelle durch das Pulsoxymeter in diesem Falle (da optisch und nicht elektrisch gemessen) zuverlässigere Daten zur Frequenz liefert. Postoperativ ist natürlich eine allfällig deaktivierte ICD-Funktion durch den Kardiologen wieder zu aktivieren und ich empfehle noch vor dem Ausschleusen aus dem OP-Bereich einen „second look“ auf sich möglicherweise anbahnende Nachblutungen. Es ist schließlich zu beachten, dass im Falle einer Revisions-OP wiederum das gleiche Prozedere – Deaktivierung einer ICD-Funktion durch den Kardiologen und Monitorisierung mit externer Defibrillationsbereitschaft – erforderlich wäre.<br /><br /> Die Zukunft wird von uns Dermatochirurgen einen professionellen Umgang mit internistischen Patienten mit all ihren lebensnotwendigen Medikamenten und implantierten Schrittmachersystemen verlangen. Außerdem werden wir Dermatochirurgen in einer zunehmend technisierten Zukunft auch gefordert sein, unser technisches Wissen zum sicheren Umgang mit verschiedenen lebenserhaltenden technischen Geräten aktuell zu halten.</p></p>
<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Koenen W et al.: Prospective multicentre cohort study on 9154 surgical procedures to assess the risk of postoperative bleeding – a DESSI study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2017, 31( 4): 724-31 <strong>2</strong> AWMF – S3-Leitlinien zum Umgang mit Antikoagulation bei Operationen an der Haut (DGDC, DDG). Ärztezeitung Online 27.2.2017. https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/haut-krankheiten/article/930573/haut-op-riskant-antikoagulation. html <strong>3</strong> Nowak B et al.: Empfehlungen zum Einsatz von Elektrokautern bei Patienten mit Herzschrittmachern und implantierten Defibrillatoren. Kardiologe 2010; 4(5): 3838 <strong>4</strong> Gombotz H et al.: Perioperatives Management von Patienten mit implantiertem Schrittmacher oder Kardioverter/ Defibrillator. Empfehlungen der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, der Österreichischen Kardiologischen Gesellschaft und der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie. Anaesthesist 2009; 58(5): 485-98</p>
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