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Internistische Herausforderungen wie Antikoagulation und Herzschrittmacher bei dermatochirurgischen Patienten

<p class="article-intro">Die Kombination von Faktoren wie steigender Lebenserwartung, Antikoagulation und technischem Fortschritt erfordert vom chirurgisch tätigen Dermatologen präoperativ, intraoperativ und postoperativ einiges an Umsicht. Als Dermatochirurgen müssen wir vor allfälligen Operationen immer häufiger internistische und technische Details abklären, planen und organisieren.</p> <p class="article-content"><div id="keypoints"> <h2>Keypoints</h2> <ul> <li>Bridging wird nach den nun vorliegenden umfangreichen Daten aus der genannten DESSI-Studie nicht mehr empfohlen.</li> <li>Der Einsatz von Elektrokautern bei Patienten mit Herzschrittmachern ist grunds&auml;tzlich m&ouml;glich, birgt jedoch Risiken und ist deshalb kritisch zu hinterfragen und bei jedem Patienten gesondert zu evaluieren. Au&szlig;erdem m&uuml;ssen die intraoperativen Empfehlungen beachtet werden.</li> <li>Mit entsprechendem Hintergrundwissen k&ouml;nnen wir aus dem Schrittmacherausweis und einem EKG eines Patienten die wichtigsten Informationen zur pr&auml;operativen Evaluierung erheben, im Zweifel muss pr&auml;operativ ein schrittmacherkundiger Kardiologe konsultiert werden.</li> <li>Im Falle des Einsatzes eines Elektrokauters bei Schrittmacherpatienten soll in der Dermatochirurgie ein bipolarer Kauter eingesetzt werden. Dieser soll mit kurzen Bursts und langen Pausen verwendet werden.</li> <li>Im Falle einer OP bei Schrittmacherpatienten, bei der evtl. ein Elektrokauter eingesetzt wird, muss in jedem Fall ein schrittmachergeschulter Kardiologe unmittelbar erreichbar sein.</li> </ul> </div> <h2>Steigendes Lebensalter</h2> <p>Erfreulicherweise steigt die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen stetig an. Durch das Erreichen eines h&ouml;heren Lebensalters erh&ouml;ht sich jedoch auch die kumulative UV-Lichtexposition und damit die Zahl an Hauttumoren, vor allem im Kopf-Hals-Bereich. Mit steigendem Lebensalter gibt es auch immer mehr Patienten, die aufgrund von verschiedenen internistischen Erkrankungen auf die Einnahme von blutverd&uuml;nnenden Medikamenten angewiesen sind. Es entsteht somit eine immer gr&ouml;&szlig;er werdende Schnittmenge an Patienten, die einerseits dermatochirurgische Behandlungen ben&ouml;tigen und andererseits auch antikoagulierende und thrombozytenaggregationshemmende Medikamente einnehmen m&uuml;ssen. Hinzu kommt nun noch der technische Fortschritt, der bewirkt, dass bei einer stets wachsenden Zahl von Patienten &ndash; die h&auml;ufig unter einer blutverd&uuml;nnenden Therapie stehen &ndash; verschiedene Arten von elektrischen Schrittmachersystemen implantiert werden.</p> <h2>Antikoagulanzien und Thrombozytenaggregationshemmer</h2> <p>Zum Umgang mit Antikoagulation bei Operationen an der Haut existiert eine deutsche S3-Leitlinie, wobei die Studien, auf die sich die Leitlinie st&uuml;tzt, &uuml;berwiegend klein und retrospektiv angelegt waren. Um das Blutungsrisiko bei dermatochirurgischen Patienten unter Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern besser absch&auml;tzen zu k&ouml;nnen, hat die Dermatosurgical Study Initiative (DESSI) der Deutschen Gesellschaft f&uuml;r Dermatochirurgie 2011 die bisher gr&ouml;&szlig;te mir bekannte prospektive Studie zum Umgang mit Antikoagulanzien in der Dermatochirurgie initiiert.<sup>1</sup> Es handelt sich um eine prospektive Multicenter-Kohortenstudie. Die Ergebnisse wurden erstmals im Journal der European Academy of Dermatology and Venerology publiziert (JEADV 2017; online 19. J&auml;nner).<br /> In die Studie wurden &uuml;ber 9000 Patienten aus neun hautchirurgischen Zentren (Bochum, Darmstadt, Leipzig, Ludwigshafen, Mannheim, M&uuml;nchen, M&uuml;nster, M&uuml;nster-Hornheide, T&uuml;bingen) eingeschlossen. Es wurden typische dermatochirurgische Eingriffe durchgef&uuml;hrt, wie die Exzision von Basalzellkarzinomen, malignen Melanomen und Plattenepithelkarzinomen, gefolgt von der Entfernung anderer Tumore, Operationen aufgrund von Hidradenitis suppurativa/Acne inversa und phlebologischen Indikationen. Die meisten Eingriffe wurden im Kopf-Hals- Bereich vorgenommen.<br /><br /> Unter anderem wurden folgende Ergebnisse erhoben: Bei insgesamt 7,14 % der Patienten wurde postoperativ eine Blutung registriert, wobei bereits die Notwendigkeit eines Verbandswechsels als solche gewertet wurde. Als schwere postoperative Blutungen wurden solche gewertet, die &auml;rztliches Eingreifen erforderten. Sie ereigneten sich bei 0,91 % der Patienten. Meist konnten diese mit dem Elektrokauter gestillt werden.<br /><br /> Aufgeschl&uuml;sselt nach Art der blutverd&uuml;nnenden Medikamente wurden folgende Prozents&auml;tze an postoperativen Blutungen erhoben:</p> <ul> <li>Clopidogrel 2,86 % </li> <li>Phenprocoumon 2,28 % </li> <li>ASS 1,42 % </li> <li>niedermolekulare Heparine 0,6 % (nicht im Sinne eines Bridging)</li> </ul> <p>Unter dualer Therapie zeigten sich folgende Prozents&auml;tze postoperativer Blutungen:</p> <ul> <li>ASS und Clopidogrel 3,57 % </li> <li>ASS und niedermolekulares Heparin 1,32 % </li> </ul> <p>Die mit 9,26 % h&ouml;chste Quote an postoperativen Blutungen hatten Patienten, bei denen Phenprocoumon vor&uuml;bergehend durch ein niedermolekulares Heparin (NMH) ersetzt worden war (Bridging).<br /> Aufgrund dieser Daten gaben die Studienautoren folgende Empfehlungen f&uuml;r den Umgang mit Antikoagulanzien bei Operationen an der Haut: Eine Behandlung mit Thrombozytenaggregationshemmern wie ASS und Clopidogrel sollte nicht unterbrochen werden. Bei einer dualen Pl&auml;ttchenaggregationshemmung ist aber abzukl&auml;ren, ob der Eingriff zu einem sp&auml;teren Zeitpunkt durchgef&uuml;hrt werden kann, zu dem der Patient auf eine Monotherapie umgestellt werden kann. (Nach Stentimplantationen ist meist f&uuml;r einen befristeten Zeitrahmen eine duale Pl&auml;ttchenaggregation notwendig.) Ist das nicht m&ouml;glich, soll unter der Kombinationstherapie operiert werden.<br /><br /> Was die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK) betrifft, wird generell &uuml;blicherweise die Herstellerempfehlung &uuml;bernommen, die Therapie 24 Stunden vor einer Operation abzusetzen und fr&uuml;hestens eine Stunde postoperativ wieder aufzunehmen.<br /> Zu VKA wie Phenprocoumon wird empfohlen, bei Operationen mit erh&ouml;htem Blutungsrisiko (wie etwa bei Operationen im Kopf-Hals-Bereich) pr&auml;operativ die INR zu bestimmen. Der Eingriff sollte in diesen F&auml;llen nur durchgef&uuml;hrt werden, wenn die INR im therapeutischen Bereich liegt. Bei INR-Werten oberhalb des therapeutischen Bereiches sollte mit der OP gewartet werden, bis der Wert im empfohlenen Bereich liegt.<br /> Aufgrund der erhobenen hohen postoperativen Blutungsraten unter NMH bei vor&uuml;bergehend pausiertem Phenprocoumon (Bridging) wird von diesem Vorgehen abgeraten. Bereits in den S3-Leitlinien aus dem Jahr 2010 wurde Bridging nicht empfohlen, nun liegen dazu aber erstmals umfangreichere dermatochirurgische Daten vor.<sup>1</sup></p> <h2>Technischer Fortschritt</h2> <p>Der rasante medizintechnische Fortschritt f&uuml;hrt dazu, dass gerade bei Patienten unter blutverd&uuml;nnender Therapie immer h&auml;ufiger unterschiedliche Arten von elektrischen Schrittmachersystemen implantiert werden. Gerade bei diesen antikoagulierten Patienten ist, trotz aller Alternativen der Blutstillung und trotz der generellen Bestrebung, sparsam mit kaustischen Verfahren umzugehen, doch h&auml;ufig der Einsatz von Elektrokaustik notwendig.<br /> Die dazu vorhandenen verschiedenen Regelwerke in Form von Leitlinien und Richtlinien sind allerdings teilweise sehr umfangreich und nicht in allen Punkten f&uuml;r die Dermatochirurgie relevant. Ich m&ouml;chte im Folgenden die Inhalte aus verschiedenen Leitlinien zusammenfassen, die meines Erachtens f&uuml;r Dermatochirurgen wichtig und wesentlich sind.<sup>3, 4</sup><br /> Da bei der oben definierten Patientengruppe der multimorbiden Patienten mit Herzschrittmachern und Antikoagulationstherapie die meisten Eingriffe in Lokalan&auml;sthesie durchgef&uuml;hrt werden, ist man als Dermatochirurg meist der einzige anwesende Arzt und somit auch f&uuml;r das perioperative Management der Herzschrittmacher verantwortlich.<br /> Enorm wichtig f&uuml;r die Wahrscheinlichkeit einer St&ouml;rung von Schrittmachersystemen bei Verwendung von Elektrokaustik ist letztlich immer die L&auml;nge des Strompfades, den ein elektrisches Ger&auml;t im menschlichen K&ouml;rper erzeugt. Das gilt sowohl f&uuml;r Herzschrittmacher als auch f&uuml;r die Kaustik.<br /> Der monopolare Kauter hat als effekterzeugende Elektrode &uuml;blicherweise eine kleine Kugel oder eine Spitze. Die zweite Elektrode, welche den Strom flie&szlig;en l&auml;sst, wird gro&szlig;fl&auml;chig an Rumpf, Oberarm oder Oberschenkel platziert, um keinen thermischen Effekt zu erzeugen. Da die meisten dermatochirurgischen Eingriffe bei &auml;lteren, multimorbiden Patienten im Kopf-Hals-Bereich zum Entfernen von Basaliomen und Spinaliomen durchgef&uuml;hrt werden, ist in diesem Bereich die Kugelelektrode des Kauters zu verwenden. Die fl&auml;chige zweite Elektrode k&ouml;nnte kaum sinnvoll platziert werden, ohne den thorakalen Bereich mit dem Schrittmacheraggregat als Strompfad miteinzuschlie&szlig;en. Aus meiner Sicht ist deshalb in der Dermatochirurgie bei Patienten mit implantiertem Schrittmacheraggregat nur ein bipolarer Kauter anzuwenden. Als Elektroden fungieren hierbei die Pinzettenspitzen, wodurch sich ein sehr kurzer Strompfad ergibt.<br /> Auch bei Herzschrittmachern geht es unter anderem um die L&auml;nge des Strompfades.<br /> Als verantwortlicher Dermatochirurg muss man pr&auml;operativ immer bestimmte Dinge abkl&auml;ren und organisieren, um bei Patienten unter Antikoagulation zumindest die M&ouml;glichkeit f&uuml;r die Anwendung einer Kaustik zu schaffen.<br /> Es ist wesentlich, zu wissen, welche Art von Schrittmacher der Patient implantiert hat und ob dieser mit unipolarer oder bipolarer Sonde arbeitet, da ein langer Strompfad, wie bei unipolarer Sonde, die St&ouml;rwahrscheinlichkeit erh&ouml;ht. Implantierte bipolare Elektroden werden zeitweise zu einem sp&auml;teren Zeitpunkt in einen unipolaren Modus umprogrammiert (Abb. 1&ndash;3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s38_abb1.jpg" alt="" width="1417" height="857" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s38_abb2_3.jpg" alt="" width="684" height="857" /><br /><br /> Besonders wichtig ist es, Patienten nicht zu &uuml;bersehen, die einen Defibrillator mit oder ohne Schrittmacher implantiert haben (im Schrittmacherausweis erkennbar durch die Buchstaben ICD), da diese Ger&auml;te pr&auml;operativ durch einen schrittmacherkundigen Kardiologen umprogrammiert oder deaktiviert werden m&uuml;ssen, unter gleichzeitiger Monitorisierung des Patienten und externer Defibrillationsbereitschaft. Weiters gilt es, Patienten zu identifizieren, die schrittmacherpflichtig sind, die also eine permanente Stimulation des Herzens durch den Schrittmacher ben&ouml;tigen (&uuml;blicherweise erkennbar durch permanente Schrittmacher-Spikes im EKG). Funktionsst&ouml;rungen des Herzschrittmachers durch eine elektrische Kaustik h&auml;tten in diesen F&auml;llen besonders schwerwiegende Auswirkungen.<br /> Im Zweifelsfall muss pr&auml;operativ immer mit einem schrittmacherkundigen Kardiologen das perioperative Management f&uuml;r den einzelnen Schrittmacherpatienten festgelegt werden.<br /> Weiters sollte die Operationsplanung vor allem OP-Techniken ber&uuml;cksichtigen, bei denen mit m&ouml;glichst geringem Blutungsrisiko zu rechnen ist (zum Beispiel sollte ein prim&auml;rer Wundverschluss, falls dies m&ouml;glich ist, einem mehrzeitigen operativen Vorgehen vorgezogen werden).<br /><br /> Die intraoperativen Empfehlungen sollten eins zu eins aus den Leitlinien &uuml;bernommen werden (Tab. 1). Das intraoperative Monitoring durch EKG bez&uuml;glich Herzfrequenz kann bei Verwendung einer elektrischen Kaustik st&ouml;ranf&auml;llig sein, wobei die Pulswelle durch das Pulsoxymeter in diesem Falle (da optisch und nicht elektrisch gemessen) zuverl&auml;ssigere Daten zur Frequenz liefert. Postoperativ ist nat&uuml;rlich eine allf&auml;llig deaktivierte ICD-Funktion durch den Kardiologen wieder zu aktivieren und ich empfehle noch vor dem Ausschleusen aus dem OP-Bereich einen &bdquo;second look&ldquo; auf sich m&ouml;glicherweise anbahnende Nachblutungen. Es ist schlie&szlig;lich zu beachten, dass im Falle einer Revisions-OP wiederum das gleiche Prozedere &ndash; Deaktivierung einer ICD-Funktion durch den Kardiologen und Monitorisierung mit externer Defibrillationsbereitschaft &ndash; erforderlich w&auml;re.<br /><br /> Die Zukunft wird von uns Dermatochirurgen einen professionellen Umgang mit internistischen Patienten mit all ihren lebensnotwendigen Medikamenten und implantierten Schrittmachersystemen verlangen. Au&szlig;erdem werden wir Dermatochirurgen in einer zunehmend technisierten Zukunft auch gefordert sein, unser technisches Wissen zum sicheren Umgang mit verschiedenen lebenserhaltenden technischen Ger&auml;ten aktuell zu halten.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p><strong>1</strong> Koenen W et al.: Prospective multicentre cohort study on 9154 surgical procedures to assess the risk of postoperative bleeding &ndash; a DESSI study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2017, 31( 4): 724-31 <strong>2</strong> AWMF &ndash; S3-Leitlinien zum Umgang mit Antikoagulation bei Operationen an der Haut (DGDC, DDG). &Auml;rztezeitung Online 27.2.2017. https://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/haut-krankheiten/article/930573/haut-op-riskant-antikoagulation. html <strong>3</strong> Nowak B et al.: Empfehlungen zum Einsatz von Elektrokautern bei Patienten mit Herzschrittmachern und implantierten Defibrillatoren. Kardiologe 2010; 4(5): 3838 <strong>4</strong> Gombotz H et al.: Perioperatives Management von Patienten mit implantiertem Schrittmacher oder Kardioverter/ Defibrillator. Empfehlungen der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r An&auml;sthesiologie, Reanimation und Intensivmedizin, der &Ouml;sterreichischen Kardiologischen Gesellschaft und der &Ouml;sterreichischen Gesellschaft f&uuml;r Chirurgie. Anaesthesist 2009; 58(5): 485-98</p> </div> </p>
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