
Selten und potenziell lebensbedrohlich
Bericht: Dr. med. Lydia Unger-Hunt
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Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine seltene, chronische Erkrankung, die sich durch wiederkehrende Schwellungen von Haut, Schleimhäuten und inneren Organen bemerkbar macht. Ein kurzer Überblick über Prävalenz, Symptomatik, Diagnostik und Therapie.
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist definitionsgemäß eine seltene Krankheit, da nicht mehr als fünf von 10000 Menschen von ihr betroffen sind.1 Gekennzeichnet ist diese genetisch bedingte, chronische Erkrankung durch wiederkehrende Ödeme der Haut, Schleimhäute und inneren Organe. Diese Schwellungen treten spontan auf, können unterschiedlich lange andauern und sind oft schmerzhaft. Besonders gefährlich sind Schwellungen im Kehlkopfbereich, da sie zu Atemnot führen können. 2
Prävalenz
HAE betrifft weltweit etwa einen von ca. 50.000 Menschen.3 Die Dunkelziffer könnte jedoch höher sein, da die Krankheit oft fehldiagnostiziert wird. Die meisten Betroffenen sind bei Auftreten der ersten Symptome zwischen acht und zwölf Jahren alt, aber auch Babys und Kleinkinder können bereits Symptome zeigen.4
Pathophysiologie
Die für HAE typischen Schwellungen werden nicht durch allergische Reaktionen oder klassische Entzündungsprozesse verursacht, sondern durch fehlerhafte Regulation von Proteinen im Blut – genauer gesagt, durch den Defekt eines Proteins namens ‚C1-Esterase-Inhibitor‘ oder kurz C1-INH.5
C1-INH reguliert Entzündungsreaktionen im Körper und verhindert, dass zu viel Bradykinin freigesetzt wird.6 Bradykinin hat die – an sich wichtige – Aufgabe, Blutgefäße zu erweitern und deren Durchlässigkeit zu erhöhen. Fehlt nun das Protein C1-INH oder funktioniert es nicht richtig, wird Bradykinin quasi unkontrolliert freigesetzt (also auch dann, wenn es nicht erforderlich wäre).6 Die Folge: Die erweiterten und durchlässigen Blutgefäße lassen nun mehr Flüssigkeit in die umliegenden Gewebe, was wiederum die typischen Schwellungen bedingt.
Drei Haupttypen von HAE werden unterschieden:
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Typ 1 (85% der Fälle): Der Körper produziert zu wenig C1-INH.7
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Typ 2 (15% der Fälle): Das C1-INH ist zwar vorhanden, funktioniert aber nicht richtig.7
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HAE mit normalem C1-INH: Eine seltenere Form, bei der andere genetische Faktoren zu den Symptomen führen.4
Zu den Triggerfaktoren zählen Stress, Infektionen, Operationen oder auch bestimmte Medikamente.8 Männer und Frauen sind zwar gleichermaßen betroffen, bei Frauen sind allerdings häufigere und schwerere Anfälle möglich, da auch Hormone wie Östrogen eine Rolle spielen können.9
Symptome
Die Schwellungen treten in Episoden auf, die sich in Dauer und Intensität unterscheiden können.4 Es gibt dafür drei bevorzugte Stellen am Körper:
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Schwellungen an den Extremitäten (Hände, Arme, Beine, Füße, Genitalien, Gesicht, Hals). Diese Schwellungen können mehrere Stunden bis Tage anhalten und sind oft schmerzhaft.10
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Magen-Darm-Beschwerden: Schwellungen der Darmwand lösen starke Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall aus. Dies wird oft fälschlicherweise als Blinddarmentzündung oder Reizdarmsyndrom diagnostiziert.11,12
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Schwellungen im Halsbereich: Die gefährlichste Komplikation von HAE sind Schwellungen im Kehlkopf- oder Rachenbereich. Sie sind potenziell lebensgefährlich, da sie die Atemwege blockieren können. 2
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Zudem können Schwellungen auch im Gehirn auftreten (was zu Schlaganfall-ähnlichen Symptomen führt), sowie in Muskulatur, Gelenken und Nieren.13
Diagnostik
Die Diagnostik von HAE umfasst die Bestimmung der C1-INH-Konzentration und -Aktivität, sowie Bestimmung der C4-Konzentration im Plasma14 und genetische Tests zur Identifizierung von Mutationen im betroffenen Gen.15 Wichtig ist außerdem die Familienanamnese, da HAE autosomal dominant vererbt wird.16
Therapie
HAE ist nicht allergisch bedingt und spricht daher auch nicht auf Antihistaminika oder Kortison an.17 Eine Heilung ist derzeit noch nicht möglich, es stehen jedoch verschiedene Therapieoptionen zur Verfügung. Laut derzeit gültiger Leitlinie ist das wichtigste Behandlungsziel die völlige Kontrolle der Krankheit mit Normalisierung des Lebens der Patient:innen.18 Dazu ist eine Langzeitprophylaxe (LTP) notwendig, wobei mehrere Medikamente eingenommen werden (von täglich bis monatlich):18,19
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C1-INH-Substitution: Die regelmäßige Injektion von C1-INH wird zur Vorbeugung von Anfällen eingesetzt20,21
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Androgene steigern die C1-INH-Produktion(als Second-Line-Therapie)22
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Monoklonale Antikörper (Lanadelumab)verringern die Bradykinin-Produktion.23
Trotz dieser Prophylaxe kann es zu akuten Anfällen kommen, Patient:innen sollten daher immer ihre Notfallmedikation dabei haben:24
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C1-INH-Konzentrate25,26
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Medikamente, die die Wirkung von Bradykinin blockieren27,28
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Medikamente, die Kallikrein hemmen, und damit auch die Bradykinin-Produktion hemmen.29
Ausblick
Auch wenn HAE eine schwerwiegende und potentiell lebensbedrohende Erkrankung ist, gibt es mittlerweile effektive Behandlungsmöglichkeiten. Die Therapie umfasst sowohl Akutmedikamente zur Behandlung von Anfällen als auch langfristige Maßnahmen zur Vorbeugung. Viele Betroffene können mit der richtigen Therapie ein weitgehend normales Leben führen.24
Literatur:
1 Deutsches Bundesministerium für Gesundheit: Seltene Erkrankungen. BMG 2025; verfügbar unter https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/seltene-erkrankungen.html (zuletzt aufgerufen am 19.2.2025)] 2 Farkas H: Management of upper airway edema caused by hereditary angioedema. Allergy Asthma Clin Immunol 2010; 6(1): 19 3 Aygören-Püsün E et al.: Epidemiology of Bradykinin-mediated angioedema: a systematic investigation of epidemiological studies. Orphanet J Rare Dis 2018; 13(1): 73 4 Bork K et al.: Hereditary angioedema: new findings concerning symptoms, affected organs, and course. Am J Med 2006; 119(3): 267-74 5 Bernstein JA: Severity of hereditary angioedema, prevalence, and diagnostic considerations. Am J Manag Care 2018; 24(14 Suppl): 292-8 6 Kaplan AP, Joseph K: The bradykinin-forming cascade and its role in hereditary angioedema. Ann Allergy Asthma Immunol 2010; 104(3): 193-204 7 Rosen FS et al.: Hereditary angioneurotic edema: two genetic variants. Science 1965; 148(3672): 957-8 8 Bernstein JA.: Update on angioedema: evaluation, diagnosis, and treatment. Allergy Asthma Proc 2011; 32(6): 408-12 9 Sinnathamby ES et al.: Hereditary Angioedema: Diagnosis, Clinical Implications, and Pathophysiology. Adv Ther 2012 (40): 814–27 10 Kusuma A et al.: Clinical impact of peripheral attacks in hereditary angioedema patients. Am J Med 2012;125(9):937 e917-24 11 Patel N et al.: Hereditary Angioedema and Gastrointestinal Complications: An Extensive Review of the Literature. Case Reports Immunol 2015; 2015: 925861 12 Rubinstein E et al.: Abdominal attacks and treatment in hereditary angioedema with C1-inhibitor deficiency. BMC Gastroenterol 2014; 14: 71 13 Lasek-Bal A et al.: Hereditary angioedema with dominant cerebral symptoms finally leading to chronic disability Clin Neurol Neurosurg 2015; 135: 38-40 14 Karim Y et al.: Normal complement C4 values do not exclude hereditary angioedema. J Clin Path 2004; 57(1): 213-4 15 Germenis AE et al.: International Consensus on the Use of Genetics in the Management of Hereditary Angioedema. J Allergy Clin Immunol Pract 2020; 8(3): 901-11 16 Johnson DT: Diagnosis and management of hereditary angioedema. J Am Osteopath Assoc 2011; 111(1): 28-36 17 Henao MP et al.: Diagnosis and screening of patients with hereditary angioedema in primary care. Ther Clin Risk Manag 2016; 12:701-11 18 Maurer M et al.: Consensus on treatment goals in hereditary angioedema: a global Delphi initiative. J Allergy Clin Immunol 2021; 148(6): 1526-32 19 Craig T et al.: Long-term prophylaxis therapy in patients with hereditary angioedema with C1 inhibitor deficiency. Ann Allergy Asthma Immunol 2018; 121(6): 673-9 20 Zuraw BL et al.: Nanofiltered C1 inhibitor concentrate for treatment of hereditary angioedema. N Engl J Med 2010; 363(6): 513-22 21 Craig T et al.: Long-term outcomes with subcutaneous C1-inhibitor replacement therapy for prevention of hereditary angioedema attacks. J Allergy Clin Immunol Pract 2019; 7(6): 1793-802 22 Grumas AS et al.: Current challenges and future opportunities in patient-focused management of hereditary angioedema: A narrative review. Clin Transl Allergy 2023; 13(5): e12243 23 Banerji A et al.: Effect of lanadelumab compared with placebo on prevention of hereditary angioedema attacks: a randomized clinical trial. JAMA 2018; 320(20): 2108-21 24 Maurer M et al.: The international WAO/EAACI guideline for the management of hereditary angioedema – the 2021 revision and update. Allergy 2022; 77(7): 1961-90 25 Craig TJ et al.: Efficacy of human C1 esterase inhibitor concentrate compared with placebo in acute hereditary angioedema attacks. J Allergy Clin Immunol 2009;124(4):801-8 26 Waytes AT, Rosen FS, Frank MM. Treatment of hereditary angioedema with a vapor-heated C1 inhibitor concentrate. N Engl J Med 1996; 334(25): 1630-4 27 Bork K et al.: Treatment of acute edema attacks in hereditary angioedema with a bradykinin receptor-2 antagonist (Icatibant). J Allergy Clin Immunol 2007; 119(6): 1497-503 28 Hernández Fernandez de Rojas D et al.: Treatment of HAE attacks in the Icatibant outcome survey: an analysis of Icatibant self-administration versus administration by Health Care Professionals. Int Arch Allergy Immunol 2015; 167(1): 21-8 29 Aygören-Pürsün E et al.: Oral Plasma Kallikrein Inhibitor for Prophylaxis in Hereditary Angioedema. N Engl J Med 2018; 379(4): 352-62
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