
Auch auf unspezifische Vorzeichen achten
Bericht: Dr. med. Lydia Unger-Hunt
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Das hereditäre Angioödem (HAE) ist gekennzeichnet durch schubartige ödematöse Schwellungen der Haut und der Schleimhäute, die zu Symptomen wie ein – auch einseitig – geschwollenes Gesicht, geschwollene Hände oder Füße, Bauchschmerzen sowie Atembeschwerden führen können. Oft kündigt sich eine Attacke durch unspezifische Vorzeichen oder Frühsymptome an, wie Hautausschläge, Taubheitsgefühle oder auch Stimmungsschwankungen.
Vor der Entwicklung einer HAE-Attacke mit Schwellung sind Prodromal-Symptome häufig. Meist ist dies das Erythema marginatum, ein scharf begrenzter, nicht juckender, rosaroter Hautausschlag, sowie Kribbeln beziehungsweise Taubheitsgefühle am Stamm; ebenfalls berichtet wird über psychologische beziehungsweise mentale Anzeichen, wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit, Reizbarkeit und Aggressivität sowie depressive Verstimmungen.1, 2 Diese Vorzeichen treten bei bis zu 96% aller Betroffenen auf.1 Eine bevorstehende Attacke im Rachen macht sich durch Schluckbeschwerden, eine raue Stimme, Pfeifen oder Keuchen beim Atmen, eine geschwollene Zunge, Husten, metallischen Geschmack im Mund und Kurzatmigkeit bemerkbar.3, 4
Schwellungen ja – Juckreiz nein
Am häufigsten sind Schwellungen an Armen und/oder Beinen; sie treten bei so gut wie allen Betroffenen auf. Diese Hautschwellungen fühlen sich meist prall an und erscheinen optisch blass oder hautfarben. In den meisten Fällen liegt ein Spannungsgefühl vor, manchmal ein Brennen, aber kein Juckreiz. Ausgeprägte Schwellungen können starke Schmerzen hervorrufen, die Funktion der Extremitäten kann dadurch wesentlich beeinträchtigt sein.5, 6
Das intestinales Angioödem tritt bei bis zu 93% der Patient:innen auf.5 Die Folgen sind neben Bauchschmerzen auch teilweise heftiges Erbrechen und Durchfall, Krämpfe und Wasseransammlung im Bauchraum. Betroffene fühlen sich meist so schlecht, dass sie während der Attacke im Bett bleiben müssen; im schlimmsten Fall kommt es zur Ausbildung eines Schocks. Die Symptome im Verdauungstrakt können auch auftreten, ohne dass die Haut beteiligt ist.7 79% der Patient:innen erleben eine Schwellung am Gesicht, mit Beteiligung von Lippen, Wangen und dem Gewebe rund um die Augen.5, 8 Bei 65% tritt eine Schwellung in der Genitalregion auf, Schwellungen an den Hoden können die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigen.9, 6
52% der Betroffenen erleben im Laufe des Lebens Schwellungen an der Schleimhaut im Inneren des Halses, also an Kehlkopf, aber auch an der Zunge, am Schlund oder an der Luftröhre.5 Diese Attacken können Erstickungsanfälle auslösen, die bei bis zu 5% der diagnostizierten Patient:innen beziehungsweise bei fast einem Drittel (31%) der nicht-diagnostizierten Patient:innen zum Tod führen.10 Besonders betroffen davon sind junge Erwachsene, aber auch Kinder und Jugendliche.
Bei 5% der Betroffenen äußern sich die Schwellung im Gehirn, die Folgen sind Kopfschmerzen, Krampfanfälle und Lähmung von Armen oder Beinen.
Die Schwellungen treten meist schubartig auf: Sie entwickeln sich über einen Zeitraum von zwölf bis 36 Stunden und klingen innerhalb von Stunden oder von zwei bis fünf Tagen wieder ab.
Besonderheiten der Symptome bei Kindern
Krampfartige Bauchschmerzen oder spontan auftretende, teigige und teils schmerzhafte Schwellungen an Armen und Beinen können auf ein HAE hinweisen und müssen daher immer abgeklärt werden. Folgende Merkmale weisen auf die Erkrankung hin, wenn sie wiederholt auftreten:
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Plötzliche Bauchschmerzen, teils mit Übelkeit und Erbrechen ohne erkennbare Ursache, insbesondere ohne Fieber und Durchfall
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Schwellungen an Armen und Beinen (spontan oder nach Stürzen oder Stößen)
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Schwellungen an Lippen, Hals oder im Gesicht (z. B. nach Zahndurchbruch oder Zahnbehandlung)11, 12
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Die ersten Symptome eines HAE setzen in den meisten Fällen nicht gleich nach der Geburt ein, sondern im Kindes- und Jugendalter, am häufigsten innerhalb der ersten zehn Jahre. Ein früherer Beginn kann auch ein Hinweis für einen schwereren Verlauf der Krankheit sein.5
Häufigkeit und Schweregrad
Häufigkeit und Schweregrad der Schwellungen können eine hohe Variabilität aufweisen – und zwar nicht nur von Patient:in zu Patient:in, sondern auch bei einer Person im Laufe ihres Lebens. Die Statistik zeigt, dass bei circa einem Viertel der Betroffenen die Attacken einmal pro Woche oder häufiger auftreten; mehr als ein Drittel hat mehr als eine Attacke pro Monat, und ebenfalls etwas mehr als ein Drittel hat mehr als eine Attacke im Jahr.13-15
Besonders bei Frauen kann sich die Krankheit während der Pubertät verschlimmern, ebenso wie durch die Anwendung von östrogenhaltigen Medikamenten, da Hormone bei der Entstehung der Krankheit eine Rolle spielen können.5, 16
Auslöser und Trigger
Ein spezifischer Auslöser lässt sich nicht ausfindig machen, es sind jedoch Trigger“bekannt, welche die Schwellungen begünstigen können.2, 17, 18
Dazu zählen:
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Mechanische Belastung wie z.B. Stöße oder Druck, eine Zahnoperation, Entfernung der Rachenmandeln, Intubation
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Infektionen, etwa eine Erkältung
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Psychischer Stress (positiv oder negativ), im Alltag, Beruf und in der Familie
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Hormonelle Veränderungen bei Frauen, etwa Menstruation oder Eisprung
Manche Medikamente, z. B. ACE-Hemmer (bei Bluthochdruck) können als Trigger wirken und sind daher kontraindiziert.2 Hormonelle Verhütungsmittel, die Östrogene enthalten, können die Krankheit verstärken.19, 20
Cave Verwechslungsgefahr!
Die Hautschwellungen des HAE können mit allergischen Hautreaktionen verwechselt werden, daher sollte auf Unterscheidungsmerkmale geachtet werden. HAE-Schwellungen entwickeln sich langsam über viele Stunden, eine allergische Reaktion erscheint deutlich rascher und klingt auch rascher wieder ab.21, 22 HAE-Schwellungen sind blasser als allergische Reaktionen und jucken nicht, sie sprechen nicht auf anti-allergische Medikamente wie Antihistaminika oder Kortikosteroide an. Die möglicherweise ebenfalls auftretenden Magen-Darm-Beschwerden können zu falschen Diagnosen wie etwa Reizdarm, Lebensmittel-Unverträglichkeiten, Gallen- und Nierensteinen oder Blinddarmentzündung führen, Schwellungen im Genitalbereich können als Harnwegsinfekte fehlinterpretiert werden.23, 24
Starke Belastung im täglichen Leben
Aufgrund dieser Vielzahl von Symptomen ist es wenig überraschend, dass das HAE mit einer starken Belastung in vielen Bereichen des täglichen Lebens verbunden ist, sowohl bei Betroffenen als auch bei deren Familien.
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Sozial: Patient:innen fehlen durchschnittlich rund 20 Tage pro Jahr im Beruf oder in ihrer Ausbildung; in vielen Fällen fehlt dafür das Verständnis beziehungsweise die erforderliche Unterstützung.25 Auch gesellschaftlich sind Betroffene benachteiligt, etwa beim Reisen.
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Emotional: Die Hälfte der Betroffenen gibt an, Angstzustände zu haben (vor allem aufgrund der Unvorhersehbarkeit zukünftiger Attacken und dem lebensbedrohlichen Risiko einer Attacke im Hals), ein Viertel leidet an Depressionen.26
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Familienplanung: Mehr als ein Drittel der Betroffenen zögert wegen des HAE, Kinder zu bekommen.27
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Finanziell: Die Hälfte der Patient:innen verweist auf eine Beeinträchtigung ihrer Karriere; das Management der Krankheit, der Verlust von Produktivität beziehungsweise Einkommen können sich ökonomisch negativ auswirken.25, 26
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Körperlich: Drei Viertel der Betroffenen geben Schmerzen an, ebenfalls häufig sind Behinderungen oder Entstellungen.25, 26, 28
Zusammenfassung
Das hereditäre Angioödem (HAE) ist eine komplexe und potenziell lebensbedrohliche Erkrankung, die durch wiederkehrende Schwellungsattacken an verschiedenen Körperstellen gekennzeichnet ist. Besonders gefährlich sind Schwellungen im Halsbereich, da sie zu Atemnot und Erstickungsanfällen führen können. Auch gastrointestinale Symptome oder Schwellungen im Gesicht und Genitalbereich können die Lebensqualität der Patient:innen erheblich beeinträchtigen.
Literatur:
1 Reshef A et al. Allergy Asthma Proc 2013; 34: 261-6 2 Bork K et al. Allergo J Int 2019; 28: 16-29 3 Agostoni A et al. J Allergy Clin Immunol 2004; 114: 51-131 4 Magerl M et al. Clin Exp Dermatol 2014; 39: 298-303 5 Bork K et al. Am J Med 2006; 119: 267-74 6 Johnston DT. J Am Osteopath Assoc 2011; 111: 28-36 7 https://hae-online.de/userfiles/files/Aktuelles/2019/Leitl_HAE_Final_Deutsch_2019_300119.pdf 8 Ghazi A et al. Biologics Targets Ther 2013; 7: 103-113 9 Eidelman FJ et al. BMC Blood Disord 2010; 10: 3 10 Bork K et al. J Allergy Clin Immunol. 2012; 130: 692-7 11 Bork K et al. Am J Med 2003; 114: 294 12 Göring HD et al. Hautarzt 1998; 49: 114-22 13 Banerji A et al. Allergy Asthma Proc 2015; 36: 213-7 14 Caballero T al. Allergy Asthma Proc 2014; 35(1): 47-53 15 Steiner U et al. Orphanet J Rare Dis 2016; 11: 43 16 Farkas H et al. Allergy 2017; 72: 300-13 17 Bork K et al. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 2011; 112: 58-64 18 Aygören-Pürsün E et al. Allergy 2013; 68:1034-9 19 Böckers M et al. Dtsch Med Wochenschr 1987; 112: 507-9 20 Bork K et al. Am J Med 2003; 114: 294-8 21 Bork K et al. Am J Gastroenterol 2006; 101: 619-27 22 Cicardi M et al. Allergy 2014; 69: 602-16 23 Hahn J et al. JDDG 2018; 16(12): 1443-1449 24 https://www.hae-im-fokus.de/wissen/symptome (zul abgerufen 20.2.2025) 25 Aygören-Pürsün E et al. Orphanet J Rare Dis 2014; 9: 99 26 Banerji A et al. Ann Allergy Asthma Immunol 2020; 124: 600-7 27 Fijen LM, et al. J Allergy Clin Immunol Pract 2022; 10: 2483-2486.e1 28 Longhurst H et al. Lancet 2012; 379: 474–81
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