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Teledermatologie im Basler Gefängnis

«Eine Win-win-Situation für alle»

Seit August 2021 können Amtsärzte aus dem Untersuchungsgefängnis in Basel ihre Kollegen vom Universitätsspital um dermatologischen Rat fragen – per Diensthandy. Wie das genau funktioniert, was die Patienten davon halten und wohin der Einsatz von künstlicher Intelligenz führen könnte, erzählen der leitende Amtsarzt Dr. med. Thomas Bart und der Chefarzt der Dermatologie am Universitätsspital, Prof. DDr. med. Alexander Navarini.

Die wenigsten wissen, wie die Gefängnismedizin genau abläuft. Wie kann man sich das nun in Kombination mit der Teledermatologie vorstellen?

Th. Bart: Wir Gefängnisärzte sind sozusagen die Hausärzte im Untersuchungsgefängnis und haben dort auch eine eigene kleine Praxis, in die die Insassin oder der Insasse kommen kann. Wenn dann bei der Untersuchung fachliche Fragen zu dermatologischen Manifestationen aufkommen, kann ich mit dem Diensthandy ein Foto schiessen und über ein Programm an die Kollegen im Universitätsspital senden. In der Weboberfläche werden dabei noch Angaben zum Patienten und zum Befund vermerkt. In aller Regel kommt dann am nächsten, spätestens übernächsten Werktag eine Diagnose mitsamt Therapievorschlag zurück. Das ist wirklich sehr einfach.

Wie kam es zu der Kooperation?

A. Navarini: Zu uns ins Unispital kamen sicher ein bis zwei Mal pro Woche Gefängnisinsassen, jeweils in Begleitung von zwei Polizisten. Uns war natürlich bewusst, dass dadurch hohe Kosten für die Allgemeinheit entstehen, und deshalb haben wir dem Gefängnis das Projekt aktiv vorgeschlagen. Von dort kam auch sofort eine positive Reaktion.

Th. Bart: Es ist wirklich eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. In der Gefängnismedizin muss man wahrscheinlich noch mehr als in der Allgemeinarztpraxis darauf achten, vorhandene Ressourcen optimal einzusetzen. Deshalb ist alles, was die Effizienz steigert, ohne dabei die Qualität zu kompromittieren, willkommen. Mit der Teledermatologie können wir jetzt innerhalb von 48 Stunden ohne logistischen Aufwand fachlichen Rat einholen. Für die Insassen wiederum ergibt sich der Vorteil, dass es für die meisten per Teledermatologie angenehmer ist, weil sie sich nicht so «präsentiert» fühlen. Viele schämen sich, wenn sie in Handschellen zur Untersuchung geführt werden.

… die Reaktionen waren also auch unter den Insassen positiv?

Th. Bart: Unsere Insassen sind, was das betrifft, so wie jeder andere Patient auch. Beim «normalen Laienpatienten» ist das Vertrauen in die Diagnose umso grösser, je mehr Hightech involviert ist. Das spielt uns in dem Fall also in die Hände. Natürlich gibt es aber immer wieder Insassen, die aus Prinzip ins Unispital zum Spezialisten wollen. Diese Diskussionen sind in den meisten Fällen aber schnell erledigt, sobald sie erfahren, dass man 3 Monate auf einen Termin warten muss.

Waren die Wartezeiten zuvor ein grosses Problem?

Th. Bart: Auf einen Termin im Unispital muss man schon mitunter mehrere Wochen, manchmal sogar Monate, warten. Das ist schon rein aus medizinischer Sicht unbefriedigend. In der Gefängnismedizin ist man aber noch mit dem schellen Wechsel der Insassen im Untersuchungsgefängnis konfrontiert. Wenn ich einen Termin in 2 Monaten erhalte und der Insasse wird in 6 Wochen entlassen, nützt das herzlich wenig.

Prof. Navarini, welche anderen Vorteile sehen Sie in der Teledermatologie – auch ausserhalb des Gefängnisses?

A. Navarini: Natürlich haben die Patienten mit der Teledermatologie den Vorteil, sich Zeit zu sparen – und auch wir Dermatologen sparen dadurch Zeit. Man unterschätzt aber auch, dass der Patient in einer Arztkonsultation gestresst ist. Die Leute sind meistens nervös und vergessen zum Teil wichtige Aspekte aus der Vorgeschichte. Sitzt der Patient aber zu Hause, kann er seine Gedanken ordnen und alles in Ruhe aufschreiben.

Was brauchen Sie als Dermatologe, um eine gesicherte Diagnose stellen zu können?

A. Navarini: Idealerweise bekommen wir ein Übersichtsfoto, eines vom betroffenen Areal und gegebenenfalls eine Nahaufnahme. Die Fotos müssen dabei bei einer Beleuchtung aufgenommen werden, die ungefähr dem Tageslicht entspricht. Also nicht im schummrigen Zimmer oder in grellem Licht. Und man muss stark hineinzoomen, um zu sehen, ob es auch wirklich scharf ist. Damit können wir dann eine gute Arbeitsdiagnose stellen, die ausreicht, um einen Therapieentscheid zu treffen – darum geht es ja primär.

Dr. Bart, welche Anlaufschwierigkeiten gab es bei dem Projekt zu meistern?

Th. Bart: Die üblichen, die man von einem neuen IT-Projekt kennt. Die weniger Technikaffinen, wie zum Beispiel ich, müssen sanft an das Projekt herangeführt werden. Und auch das typische «Chefarztsyndrom» – und das betrifft mich ebenso –, dass man meistens zum Einsatz kommt, wenn die Kollegen entweder krank oder in den Ferien sind. Da braucht es ein bisschen Zeit, bis man sich wieder eingelesen bzw. eingeklickt hat. Aber abgesehen davon ist das System wirklich einfach und für jeden handhabbar.

Hatten Sie auch schon den Fall, dass der Facharzt den Patienten trotzdem vor Ort sehen wollte?

Th. Bart: Bis jetzt noch nicht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das einmal der Fall sein wird.

Prof. Navarini, ist die Teledermatologie in Ihren Augen ein Bonus für die Dermatologie oder ihre Zukunft?

A. Navarini: Nun, die Medizin allgemein ist konservativ und es dauert lange, bis sich etwas ändert. Ich gehe aber davon aus, dass immer mehr Konsultationen online stattfinden werden. Dieser Prozess ist, glaube ich, nicht mehr aufzuhalten. Primär werden es aber die Kontrollen und nicht die Erstkonsultationen sein. Als Dermatologen haben wir ja unsere Freude am Beruf durch den persönlichen Kontakt mit den Patienten – das ist nicht zu unterschätzen.

Funktioniert die Teledermatologie auch per künstlicher Intelligenz?

A. Navarini: Tatsächlich probieren wir das gerade in der PASSION-Studie für Kinder in afrikanischen Ländern aus. Hier können uns Eltern Fotos schicken, die dann gleichzeitig von einem Teledermatologen und einem Computer auf die häufigsten fünf Hautkrankheiten geprüft werden. So wollen wir den Computer in diesen Krankheiten schulen.

Vielleicht wird es durch die künstliche Intelligenz schon bald zertifizierte Diagnosetools geben, durch die sich Patienten eine erste Diagnose im Internet gratis abholen können. Ob das dann für die Medizin wirklich zuträglich sein wird, das werden wir sehen. Der wahre Wert der Dermatologie wird in Zukunft, glaube ich, in der Intervention liegen und in der Diagnose von seltenen Krankheiten. Dementsprechend haben wir auch die Ausbildung am Universitätsspital angepasst.

Dr. Bart, zum Abschluss: Wissen Sie, ob die Teledermatologie auch in anderen Gefängnissen in der Schweiz eingesetzt werden soll?

Th. Bart: Das ist eine schwierige Frage, weil der Strafvollzug in kantonaler Hand ist. Wir Mediziner sind dem Gesundheitsdepartement angehörig und das müsste in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Justizdepartements gehen. In Basel sind wir in der glücklichen Situation, ein sehr enges und vertrauensvolles Verhältnis zu haben. Ich persönlich kann mir vorstellen, dass die Teledermatologie auch für andere Kantone eine Bereicherung wäre.



Wir danken für das Gespräch!




Was kann die Teledermatologie?

Im Gespräch mit Dr. med. Christian Greis, Gründer & CEO der online-Hautpraxis derma2gound Facharzt für Dermatologie und Venerologie am Universitäts-spital Zürich:

«Mit der Teledermatologie können wir 80–85% der Fälle online abschliessen. In Gefängnissen könnte diese Zahl sogar höher liegen, weil die Anfragen von Ärzten gestellt werden, wodurch komplexere Diagnostiken und Therapien möglich sind. Nach dem Erfolg in Basel haben wir im Januar auch ein Projekt in Gefängnissen in Lingen (Niedersachsen, Deutschland) ausgerollt, wo bereits im ersten Monat 20 Anfragen bearbeitet werden konnten. Hier gehen wir nach dem erfolgreichen Pilotprojekt nun in die tägliche Implementierung über.

Neben Gefängnissen gibt es aber auch andere Anwendungsfälle, etwa in Apotheken, in Pflegeheimen oder bei zuweisenden Ärzten. Für Letztere gibt es in Basel nun ein eigenes Pilotprojekt. Im Allgemeinen schätze ich, dass in 10 Jahren 30% der Dermatologie online erfolgt und wir Dermatologen vermehrt hybrid arbeiten werden. Sicherlich werden wir auch Patienten vor Ort sehen, weil es für komplexere Diagnostiken, Verfahren oder auch Gespräche notwendig ist. Aber eine Ersttriage oder Verlaufskontrollen könnten wir online durchführen.

Ich selbst verbringe bei meiner ärztlichen Tätigkeit etwa eine Stunde am Tag vor dem PC und mache das auch gerne. Es ist eine gute Abwechslung, man kann zügig arbeiten und dadurch vielen Patienten in kurzer Zeit helfen. Gerade von jungen Kolleginnen weiss ich, dass die Teledermatologie auch eine gute Zuverdienstmöglichkeit neben dem Elterndasein ist. So gesehen bieten sich viele, teils sehr unterschiedliche Vorteile.»

Mehr zum Pilotprojekt für Zuweiser unter: www.dermakonsil.ch

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