
«Ein Unglück kommt selten allein»
Bericht:
Dr. med. Lydia Unger-Hunt
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Bei den «Swiss Derma Day and STI reviews and updates», organisiert von der Universitätsklinik für Dermatologie am Universitätsspital Bern, berichteten Experten unter anderem über den derzeitigen Stand der Prävention von sexuell übertragbaren Krankheiten, welche Koinfektionen bei welchen Patientengruppen besonders häufig sind und wie sich die Sars-CoV-2-Pandemie auf das Sexualverhalten ausgewirkt hat.
Zu Beginn einige Zahlen zu sexuell übertragbaren Infektionen («sexually transmitted infections», STI): 2019 waren laut Schätzungen der WHO 156 Millionen Menschen mit Trichomonas vaginalis infiziert, 127 Millionen mit Chlamydien, 87 Millionen mit Gonorrhö und sechs Millionen mit Syphilis.1 Die jährliche STI-Neuinfektionsrate liegt demnach bei 376 Millionen Neuinfektionen, das sind mehr als eine Million pro Tag, veranschaulichte Dr. med. Oliver Brandt, Oberarzt an der Abteilung für Dermatologie am Universitätsspital Basel.
Koinfektionen: höchstes Risiko bei Jungen
Zum Thema Koinfektionen bei STI verweist der Dermatologe auf einen Artikel im Deutschen Ärzteblatt, dessen Titel «Ein Unglück kommt selten allein» von Dr. Brandt als «sehr passend» eingestuft wird.2 Das Vorliegen von Koinfektionen mit mehreren Erregern «ist nicht weiter verwunderlich, gibt es doch mehr als 30 STI», erinnert der Dermatologe: Neben Gonorrhö, Syphilis, Chlamydien zählen dazu auch Candida, Skabies, Klebsiellen, Viren (HPV, HSV, HIV, HBV) und verschiedene Parasiten.
Einer niederländischen Studie an 26 STI-Kliniken zufolge hatten 13,3% der Klienten eine oder mehrere Infektionen.3 Nach Gruppen aufgeteilt war bei fast 20% der MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) eine STI nachweisbar, bei heterosexuellen Frauen und heterosexuellen Männern (Männern, die Sex mit Frauen haben, MSW) war die Rate mit rund 12% etwas niedriger. Mehr als 85% der STI bei heterosexuellen Frauen und Männern waren Chlamydien. Lediglich 1,2% der Untersuchten wiesen eine STI-Koinfektion auf, wovon mehr als die Hälfte auf MSM verfielen. Das höchste Risiko für eine einfache STI oder eine Koinfektion war bei jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren zu finden, unabhängig von der sexuellen Orientierung. Dr. Brandts Fazit für die Praxis lautet: «Die grosszügige Testung junger Patienten vor allem auf Chlamydien ist gerechtfertigt, und bei MSM ist immer die Möglichkeit multipler Infektionen zu erwägen.»
Chlamydien und Gonokokken
Diese beiden häufigsten bakteriellen STI weltweit sind ebenfalls bei Jungen sehr verbreitet. «Koinfektionen sind häufig, laut Literatur haben 10–40% der Gonokokken(GN)-Infizierten auch Chlamydien (CT), während umgekehrt 5–15% der mit Chlamydien Infizierten auch eine Gonokokkeninfektion haben», berichtet Dr. Brandt.4,5 Koinfektionen seien damit «häufiger, als statistisch zu erwarten» sei. Auch eine amerikanische Studie an Jugendlichen zeigte bei GN-Infektion eine häufige CT-Koinfektion (42,7%), verglichen mit 11,1% der CT-Infizierten, die auch eine NG-Infektion hatte.6 Die Autoren zogen daraus den Schluss, dass die Empfehlungen der Centrs for Dicease Control and Prefention (CDC), wonach bei jeder GN-Infektion stets auch Chlamydien mitzubehandeln sind, vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen gerechtfertigt sind, «und zwar bereits vor Verfügbarkeit der Laborergebnisse», ergänzt Dr. Brandt.
Syphilis und HIV
In einer Studie hatten 34% der eingeschlossenen Syphilispatienten (MSM in Europa) eine HIV-Koinfektion; «syphilitische Läsionen erhöhen das Risiko für eine HIV-Infektion und Transmission deutlich».8 Laut einer Studie der dermatologischen Klinik in Dresden wurden bei 63% der untersuchten HIV-infizierten Personen zusätzliche STI diagnostiziert. Bei 17% (davon 72% MSM) wurde Syphilis nachgewiesen.8 «Syphilis ist bei HIV-Patienten, vor allem MSM, eine häufige Koinfektion, für diese Patientengruppe ist daher ein spezielles Screeningprogramm erforderlich», so der Experte.
Die Einführung der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegen HIV hatte übrigens nachweislich einen Einfluss auf das Sexualverhalten von MSM. In einer Studie an 2300 MSM zeigte knapp ein Drittel zumindest eine STI, von diesen hatten 16,7% eine Koinfektion; STI wurden bei 25,0% der HIV-negativen Patienten ohne PrEP nachgewiesen, aber bei 40,3% der HIV-negativen PrEP-Betreibenden.9 MSM sollten daher häufig auf Syphilis, HIV, NG und CT getestet (alle 3–12 Monate) und unter PrEP besonders engmaschig überprüft werden.
Prävention: Mikrobizide, Screening, Impfung
Über Tests und andere Werkzeuge der Prävention berichtete danach PD Dr. med. Laurence Toutous-Trellu, Leitende Ärztin an der Abteilung für Dermatologie an den Universitätskrankenhäusern Genf.
Zu den lokal nachweislich wirksamen Präventionsmassnahmen zählen neben Kondomen auch Mikrobizide, die über Vaginalringe oder rektal Virostatika, Eintrittsinhibitoren oder antiretrovirale Wirkstoffe abgeben. «Studien haben hier eine zufriedenstellende Effektivität vor allem bezüglich der Prävention von HIV festgestellt, und sie sind weniger toxisch als oral einzunehmende Präparate», berichtet Toutous-Trellu. Die Beschneidung gilt aus rein mikrobiologischer Sicht ebenfalls als effektiv: Hier liegt ein geringeres Risiko für Genitalulzera, HPV- und HIV-Infektionen vor.10,11
Ein wichtiges Beispiel für Screening-Massnahmen ist die Syphilis: Global sind rund 143000 Totgeburten sowie 61000 Todesfälle von Neugeborenen darauf zurückzuführen, was bei Screening und Behandlung vor dem Ende des zweiten Trimesters «einfach vermeidbar wäre», betont die Dermatologin.12
Weitere Präventionsmassnahmen im Überblick
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Bei Herpes simplex funktioniert die langfristige Gabe von Valaciclovir gut gegen klinische Rezidive.
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Die PrEP kann die HIV-Inzidenz in Hochrisiko-MSM-Populationen um bis zu 86% senken und bietet gleichzeitig auch einen Schutz vor Hepatitis B.
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Zu Chlamydien/Syphilis liegen bislang nur zwei Studien vor, wonach die langfristige Gabe von Doxycyclin zu einer 75%igen Reduktion über 48 Monate führen kann.13,14
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Zur Impfung gegen Herpes simplex Typ 2, Syphilis und Gonorrhö laufen derzeit vielversprechende Studien.
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Als echte Erfolgsgeschichte gilt die HPV-Impfung.
Covid-19: STI ja oder nein?
Mit dieser brennenden Frage leitet Univ.-Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager, Chefarzt am Stadtspital Triemli Zürich, seinen Vortrag ein. Die Antwort ist klar: «SARS-CoV-2 wird in den Genitalsekreten ausgeschieden und zählt daher auch zu den STI – allerdings gibt es weitaus effektivere Methoden der Übertragung.» Die Pandemie hat teilweise erhebliche Auswirkungen auf die STI-Zahlen gezeigt: So wurden in der Schweiz in der ersten Pandemie-Welle aufgrund von Reisebeschränkungen und Lockdown im Vergleich zur Vorjahresperiode eine Reduktion von Chlamydien- und Gonokokken-Infektionen um 12% beziehungsweise 17% beobachtet, eine Senkung der HIV-Infektionen um 57% und der Frühsyphilis-Rate sogar um 85%.15
Differenzialdiagnostische Patientenfälle
Die differenzialdiagnostischen Herausforderungen stellt Prof. Lautenschlager mittels ausgewählter Patientenfälle vor. Eine schmerzhafte Schwellung des gesamten Penis kann demnach zwar «typischerweise» auf eine HSV-2-Infektion oder Gonorrhö zurückzuführen sein, aber eben auch auf eine Fremdkörperreaktion (nach Silikoninjektion aufgrund von Unzufriedenheit mit der Grösse) sowie auf ein chronisches Lymphödem nach rezidivierenden Streptokokkeninfektionen (Peniserysipel).
Ein Herpes genitalis wiederum kann sehr vielgestaltig sein: «Nicht immer treten die multiplen Erosionen oder Bläschen auf. Auch isolierte kleine Läsionen oder eine alleinige Schwellung können vorkommen.» Bei der Gonorrhö ist auf die Vielzahl der Strukturen zu achten, die betroffen sein können: Balanoposthitis, Epididymitis, Vesikulitis, Prostatitis, aber auch periurethrale Abszesse, Lymphangitis, Strikturen oder das isolierte Penisödem mit Fluor.
Ein allgemeiner Tipp: Wenn genitale Befunde nicht zu erklären sind, muss die Ganzkörperuntersuchung inklusive aller Schleimhäute (Mund, Augen) erfolgen, erklärt Prof. Lautenschlager: Bei einer jungen Frau mit Genitalblasen traten dabei Hinweise auf eine dermatologische Erkrankung auf, die schliesslich als Pemphigus vulgaris bestätigt wurde. Ein Pemphigus vulgaris, aber auch Dermatitis herpetiformis Duhring oder das bullöse Pemphigoid können mit genitaler Erstmanifestation auftreten.16
Bei einem Tropenrückkehrer, der sich bei Prof. Lautenschlager mit Malaise, Arthritis und schmerzhaften Hautknoten, aber ohne genitale Symptomatik präsentierte, kamen alle Tests auf tropische Krankheiten negativ zurück. «Die Anamnese war entscheidend: Der Patient gab zwar an, immer ‹safe sex› praktiziert zu haben, er hatte allerdings ungeschützten Cunnilingus – was zu einer disseminierten Gonokokkeninfektion führte. 90% dieser pharyngealen Infektionen machen keine Symptome und bleiben über Wochen unerkannt.» Die disseminierte Gonokokkeninfektion ist sehr selten (0,5–3% aller NG), doch bei der «klassischen Trias» aus Hautläsionen (v.a. hämorrhagische Pusteln), Arthritis und Tenosynovitis sollte sie als Diagnose zumindest erwogen werden.
Ein Patient mit seit einem Jahr asymptomatischer verruköser Veränderung an der Glans gab keine ausserehelichen Kontakte an. «Wiederum war die Anamnese entscheidend: Der Mann hatte seit einigen Jahren eine erektile Dysfunktion und behandelte diese mit einer Vakuumpumpe.» Diese Werkzeuge würden zwar in der Literatur als problemlos eingestuft, «es gibt aber sehr wohl Nebenwirkungen wie Hautnekrosen, Erosionen oder Ekchymosen und eben auch verruköse Massen, die durch den Unterdruck generiert werden», warnt der Facharzt. Seine «Take-home Message» lautet: «Ja, STI sind häufig – aber nicht jede genitale Läsion wurde auch sexuell übertragen.»
Quelle:
Swiss Derma Day and STI reviews and updates 2021,
27.–28. Januar 2021, live aus dem Kultur- und Kongresszentrum (KKL) Luzern
Literatur:
1 Rowley J et al.: Bull World Health Organ 2019 2 Zylka-Menhorn V: Dtsch Arztebl 2014; 111(4): A-126 3 Op de Coul ELM et al.: Int J STD AIDS 2014; 25(1): 40-51 4 Leonard CA et al.: Curr Clin Micro Rpt 2019; 6: 182-91 5 Althaus CL et al.: Health Technol Assess 2014; 18: 1-100 6 Nsuami M et al.: Sex Transm Dis 2004; 31: 424-7 7 Kojima N et al.: Curr Epidemiol 2018; 5: 24-38 8 Spornraft-Ragaller P et al.: Hautarzt 2005; 56: 58-62 9 Jansen K et al.: BMC Infect Dis 2020; 110:20 10 Senkomago V et al.: Sex Trans Dis 2016; 43: 572-8 11 Grabowski M et al.: NEJM 2017; 377: 2154-66 12 Peeling RW, Ye H: Bull World Health Organ 2004; 82(6): 439-4613 Bolan R: Clin Inf Dis 2020; 70: 1247-53 14 Molina JM et al.: NEjM 2015; 373: 2237-46 15 Steffen R et al.: Journal of Travel Medicine 2020;27(8):taaa180 16 Bohl TG et al.: Dermatologic Ther 2004; 17: 55-67
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