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Bessere Frühdiagnose, effektivere Immuntherapie, unbeliebter Sonnenschutz
Jatros
30
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23.11.2017
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<p class="article-intro">Im Rahmen des Jahrestreffens der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) in Genf erörterten viele Vorträge das Thema Hautkrebs, dessen Inzidenz stetig steigt. Dennoch scheitern Präventionsmaßnahmen – auch am Widerstand der Bevölkerung.</p>
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<p class="article-content"><p>Registerdaten von sechs Populationen mit mäßiger bis hoher Melanominzidenz zufolge nahmen zwischen 1982 und 2011 Melanome um mehr als 3 % pro Jahr zu, ein Trend, der sich mindestens bis zum Jahr 2022 fortsetzen wird. „Die Melanome, die wir in Hochrisikogruppen entdecken, sind dünne Melanome. Tragisch ist, dass sich die echten Killer, nämlich die dicken Melanome, bei Personen ohne Nävi entwickeln“, erklärte Prof. Myrto-Georgia Trakatelli, Aristotle-Universität, Thessaloniki, Griechenland. Histologisch gibt es Hinweise, welche die Unterscheidung zwischen einem Nävus und einem Melanom erleichtern (Tab. 1).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Jatros_Derma_1704_Weblinks_s12_tab1.jpg" alt="" width="1099" height="781" /></p> <h2>Frühe Diagnose mit dem Dermatoskop</h2> <p>Die Dermatoskopie spielt bei der frühen Diagnose eines Melanoms eine entscheidende Rolle, da so Melanome erkannt werden können, ehe sie klinisch verdächtig werden. Für Patienten kann es lebensrettend sein, wenn ein frühes Melanom unter sehr vielen pigmentierten Läsionen identifiziert wird. „Das Dermatoskop ist das Stethoskop des Dermatologen, vor allem für junge Dermatologen gilt, sich so viele pigmentierte und nicht pigmentierte Hautläsionen anzusehen wie möglich“, so der Rat von Prof. Rana Anadolu, Dermatologische Klinik, Ankara, Türkei. Nävi zeigen oft vergleichbare Eigenschaften bei einem Patienten: Sie sind meistens symmetrisch, haben eine Farbe und eine Struktur. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich Melanome vom Rest der pigmentierten Läsionen eines Patienten. „Suchen Sie nach dem Chaos: Eine Asymmetrie bezüglich der Farbe und Struktur sind typische Kennzeichen eines Melanoms“, erklärte Prof. Anadolu. Im Zweifel sollte lieber eine Zweitmeinung eingeholt oder exzidiert werden.</p> <h2>Künstliche Intelligenz revolutioniert Frühdiagnose von Hautkrebs</h2> <p>„Neue Hightech-Bildverfahren werden künftig zusammen mit künstlicher Intelligenz die frühe Diagnose von Melanomen und Nichtmelanomhautkrebs neu definieren“, erklärte Prof. H. Peter Soyer, Dermatologisches Forschungszentrum an der Universität Queensland in Woolloongabba, Australien, anlässlich der offiziellen EADVPressekonferenz. Im Februar dieses Jahres wurde hierzu eine Schlüsselpublikation veröffentlicht, die zeigt, wie leistungsstark die neue Technologie ist:<sup>1</sup> Hier wurde eine Maschine geprüft, die nach Dateneingabe mit konvolutionalen neuronalen Netzwerken (CNN) lernfähig ist und Melanome diagnostizieren kann. CNN sind künstliche neuronale Netzwerke und erlernen die Filter, die in traditionellen Algorithmen noch eingegeben werden müssen. Dies macht sie unabhängig von Vorwissen. Die Gruppe an der Stanford-Universität von Kalifornien benutzte nur Pixel und Krankheitskennzeichnungen, mit denen sie die Maschine „fütterten“ oder besser gesagt „trainierten“. Insgesamt wurde eine Datenmenge von 129 450 klinischen Bildern von über 2032 verschiedenen Erkrankungen eingegeben. Im Anschluss wurde die Maschine im Vergleich zu 21 Dermatologen hinsichtlich ihrer Fähigkeit getestet, Nävi von Melanomen und Keratinozytenkarzinomen (Basalzellkarzinome, spinozelluläre Karzinome und aktinische Keratosen als In-situ- Karzinome) von benignen seborrhoischen Keratosen abzugrenzen. Beide Aufgaben bewältigte die Maschine vergleichbar gut wie die Dermatologen. Sie war in der Lage, den Rat zu geben, „Biopsie/Behandlung ist erforderlich“, oder „den Patienten zu beruhigen, da alles in Ordnung ist“. Nach Ansicht der Studienautoren können solche Maschinen mithilfe mobiler Geräte die Reichweite von Dermatologen über die Klinik hinaus vergrößern. Unter Umständen kann so eine Technik einen weltweiten Zugang zu dieser lebensrettenden Frühdiagnose ermöglichen. Diese Technologie könnte beispielweise in Dermatoskopen eingesetzt werden, welche zugleich eine automatische Analyse der Hautveränderungen abgeben. Dennoch werden diese Systeme nie den Dermatologen ersetzen, denn die Maschinen können zwar mit so vielen Bildern gefüttert werden, wie sie ein erfahrener Dermatologe in seinem ganzen Leben kaum zu Gesicht bekommt, aber sie können keine konzeptionellen Informationen wie Familienanamnese oder andere Symptome beurteilen. „Sie sehen nicht den ganzen Patienten“, so der tröstliche Schluss von Prof. Soyer.</p> <div id="fazit"> <h2>Sonnenschutz – hochwirksame, doch unbeliebte Prävention</h2> <p>„Es gibt eine enorme Evidenz für die Tatsache, dass ein regelmäßiger Sonnenschutz sowohl Melanome als auch Plattenepithelkarzinome verhindern kann“, erklärte Prof. Soyer. In einer Studie wurden 800 Studienteilnehmer, die im Bereich Nambour in Queensland, Australien, wohnten, ausgewählt. Sie sollten vier Jahre lang täglich ein Sonnenschutzmittel mit einem Lichtschutzfaktor von mindestens 15 auftragen. Eine Vergleichsgruppe aus demselben Wohnbezirk trug Sonnenschutzmittel nur wie üblich auf. Eine Nachuntersuchung nach 15 Jahren zeigte, dass in der Gruppe, die täglich Sonnenschutzmittel auftrug, 50 % weniger primäre Melanome und 73 % weniger invasive Melanome auftraten. Plattenepithelkarzinome kamen um 40 % weniger vor.<sup>2</sup> Eine weitere Berechnung geht davon aus, dass 1730 Melanome und 14 190 Plattenepithelkarzinome in Australien verhindert werden könnten, würde jeder Australier täglich Sonnenschutz verwenden. „Trotz dieser starken Evidenz benutzt nur ein Drittel aller Australier Sonnencreme, wenn sie an den Strand gehen, viele lehnen diese ab, weil sie braun werden wollen“, erklärte Prof. Soyer. Ähnlich beratungsresistent verhalten sich auch Bewohner nördlicher Gefilde: Hier erfreut sich der Solarienbesuch gerade in den Wintermonaten ungebrochener Beliebtheit. „Wir haben viele Euros investiert, um die Öffentlichkeit über die Gefahr von Solarien zu informieren – bisher leider nur mit geringem Erfolg“, erklärte Dr. Emilie van Deventer, Gruppenleiterin des Bestrahlungsprogramms der Weltgesundheitsorganisation, Genf, Schweiz, auf der EADV-Pressekonferenz. Solarien sind in den Vereinigten Staaten, Europa und Australien für mehr als 450 000 Fälle von weißem Hautkrebs und über 10 000 Melanome verantwortlich.<sup>3</sup> Der starke Zusammenhang zwischen Melanomen und Solarienbenutzung könnte auch daran liegen, dass gerade Menschen mit sehr hellem Hauttyp und Sommersprossen Solarien besuchen, wie eine aktuelle französische Studie zeigte.<sup>4</sup> Allen Aufklärungskampagnen zum Trotz haben immer noch viele medizinische Laien irrige Vorstellungen. Viele halten den Besuch eines Solariums für wichtig für ihre Schönheit und sogar für „gesund“, da sie sonst zu niedrige Vitamin-D-Spiegel befürchten.</p> </div> <h2>Immuntherapie: Werden künftig noch mehr Patienten profitieren?</h2> <p>Dank der Immuntherapie mit Checkpoint- Inhibitoren wie Ipilimumab, Pembrolizumab und Nivolumab haben sich die Behandlungsmöglichkeiten von Patienten mit metastasiertem Melanom deutlich verbessert. „Leider hat derzeit jedoch nur ungefähr ein Drittel der Patienten mit metastasiertem Melanom durch diese Therapie einen deutlichen Vorteil“, erklärte Prof. David E. Fisher, Direktor des Melanomprogramms am Massachusetts General Hospital Cancer Center in Boston, MA/USA. Neue Forschungsergebnisse weisen jedoch darauf hin, dass die Effizienz der Checkpoint- Inhibitoren durch Eingriffe in den Pigmentweg erhöht werden könnte. Allgemein bekannt ist, dass Patienten mit vielen UV-bedingten Mutationen am besten auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen. Prof. Fisher testete dies an einem Mausmodell: 75 % der Mäuse mit UV-mutierten Melanomen, die behandelt, geheilt und nach einigen Monaten wieder mit nicht mutierten Melanomen konfrontiert wurden, stießen die nicht UV-mutierten Melanome ab. Die initiale Immunantwort, die durch die UVMutation verstärkt wird, geht also über die UV-Mutationen hinaus und kann damit auch andere Melanome erkennen, ein Prozess, der in der Immunologie als „epitope spreading“ bekannt ist. „Die T-Zellen unserer Mäuse konnten normale Melanozytenproteine erkennen“, erklärte Prof. Fisher. Diese Experimente könnten einen enormen Einfluss darauf haben, wie Melanompatienten künftig behandelt werden. Patienten, die nicht gut auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen, tun dies vermutlich, da sie zu wenige Mutationen haben. Eventuell könnte die Erkrankung durch das Immunsystem auf nicht mutierte Proteinepitope ausgeweitet werden. „Wir glauben, dass Mutationen wichtig sind, aber nur um die erste inflammatorische Antwort zu triggern – im späteren Verlauf werden die Mutationen dann nicht mehr benötigt“, schloss Prof. Fisher.</p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: 26th European Academy of Dermatology and Venereology
(EADV), 13.–17. September 2017, Genf, Symposium „Melanom“
sowie Vortrag von Prof. Soyer „Can sunscreens prevent
skin cancer and ageing?“, offizielle EADV-Pressekonferenz
sowie Vortrag von Prof. Fisher „Do we need pigment
to develop melanoma?“
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<p class="article-footer">
<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Esteva A et al.: Dermatologist-level classification of skin cancer with deep neural networks. Nature 2017; 542(7639): 115-18. doi: 10.1038/nature21056. Epub 2017 Jan 25 <strong>2</strong> Green AC et al.: Reduced melanoma after regular sunscreen use: randomized trial follow-up. J Clin Oncol 2011; 29(3): 257-63. doi: 10.1200/JCO.2010.28.7078. Epub 2010 Dec 6 <strong>3</strong> www.apps.who.int/iris/bitstream/10665/255695/1/9789241512596- eng.pdf, zuletzt aufgerufen am 29. September 2017 <strong>4</strong> Grange F et al.: Prevalence of sunbed use, and characteristics and knowledge of sunbed users: results from the French population-based Edifice Melanoma survey. J Eur Acad Dermatol Venereol 2015; 29(Suppl 2): 23-30</p>
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