
Anorektale Manifestationen sexuell übertragbarer Infektionen
Autor:
Prof. Dr. med. Stephan Lautenschlager
Institut für Dermatologie und Venerologie Stadtspital Zürich
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Laut einer aktuellen Studie haben 45% der Frauen und 44% der Männer Erfahrungen mit Analverkehr. Dabei ist das Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erregern besonders erhöht. Hier lesen Sie, wie sich diese im anorektalen Bereich manifestieren und welche Formen in der Klinik am häufigsten auftreten.
Keypoints
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Neben einer Sexualanamnese ist eine Untersuchung der Analregion unter Zuhilfenahme eines Proktoskops, von Abstrichen für PCR und Kultur sowie serologischen und allenfalls histologischen Abklärungen für eine korrekte Diagnose von STI unabdingbar.
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Nicht selten kommt es zu Koinfektionen mit unterschiedlichen Erregern an unterschiedlichen Orten (oral/pharyngeal, genital, anal/rektal), was bei der Abklärung berücksichtigt werden muss.
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Patienten müssen individuell über mögliche Übertragungsrisiken informiert und gemäss den gängigen Guidelines (z.B. IUSTI.org) abgeklärt und behandelt werden.
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Um möglichst frühzeitig weitere Ansteckungen zu vermeiden, sind neben einer schnellen, adäquaten Diagnostik und Therapie auch die intensivierte Partnerbenachrichtigung und -therapie von grösster Bedeutung.
Seit über 20 Jahren sind wir in der Schweiz mit steigenden Zahlen von Geschlechtskrankheiten konfrontiert, die lediglich durch die Covid-19-Pandemie zwischenzeitlich gebremst wurden. Zahlreiche Erreger können neben genitalen auch anorektale Veränderungen verursachen. Während es sich hierbei gelegentlich um eine Ausbreitung der Infektion per contingentatem handelt, findet überwiegend eine direkte Inokulation nach rezeptivem Analverkehr häufig bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), aber auch bei Frauen statt. Perianal und teilweise endoanal ist die klinische Präsentation von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, Herpes, Kondylomen oder Ulcus molle vergleichbar mit derjenigen in der Genitalregion. Bei Patienten mit Proktitis findet sich bei zahlreichen Erregern eine unspezifische Symptomatik in variierender Intensität, weshalb die Erregeridentifikation im Labor von grosser Bedeutung ist.
Anorektale Manifestationen
Anorektale Manifestationen von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) umfassen ein breites Spektrum an unterschiedlichen Erregern mit teilweiser Bevorzugung der perianalen, endoanalen oder rektalen Lokalisation. Primär sind MSM und heterosexuelle Frauen betroffen, die Analverkehr praktizieren. Eine aktuelle Studie aus Lausanne an knapp 4000 jungen Erwachsenen zeigt, dass 45% der Frauen und 44% der Männer Erfahrungen mit Analverkehr haben und dieser zunehmend an Popularität gewinnt. Analverkehr scheint direkt und indirekt mit einem erhöhten Risiko für STI assoziiert zu sein, indem einerseits im Vergleich zu Vaginalverkehr seltener Kondome verwendet werden und andererseits diese Sexualpraktik mit einer höheren Promiskuität und anonymen Sexualkontakten vergesellschaftet ist. Neben genito-analen Übertragungen müssen auch oro-anale Infektionen und Infektionen via Gegenstände (gemeinsame Anal-Duschen, Spielzeuge etc.) berücksichtigt werden.
Bekanntermassen können anorektale Infektionen durch Syphilis, Gonokokken, HPV und Lymphogranuloma venereum (LGV) (Tab. 1) verursacht werden. In den letzten Jahrzehnten sind jedoch auch vermehrt Herpes simplex und Nicht-LGV-Chlamydien-Infektionen sowie Infektionen mit Erregern, die typischerweise durch Schmierinfektionen übertragen werden, beschrieben worden. Diese umfassen beispielsweise Giardia lamblia, Entamoeba histolytica, Campylobacter, Shigellen und Hepatitis A. Insbesondere bei immunsupprimierten Patienten bei einer HIV-Infektion muss noch an Pilzinfektionen (z.B. Candida, Cryptosporidien, Mykobakterien oder Viren (z.B. Zytomegalievirus) gedacht werden. Dieses breite Spektrum an möglichen intestinalen STI bedeutet für die Ärzteschaft eine grosse Herausforderung. Auch die nicht seltenen Koinfektionen mit mehreren Erregern sollten nicht vergessen werden, was die Wichtigkeit der breiten Abklärung unterstreicht.
Histologie und Klinik
Abhängig von den Erregern und der Lokalisation resultieren unterschiedliche klinische Bilder. Wenn die perianale Region mit ihrem verhornten Plattenepithel mit Hautanhangsgebilden betroffen ist, unterscheidet sich die Präsentation beispielsweise einer Syphilis, Herpes, von Kondylomen oder eines Ulcus molle nicht von derjenigen in der Genitalregion. Der Analkanal, der sich oberhalb der Linea anocutanea über etwa 2cm bis zur Linea dentata erstreckt, ist jedoch miz unverhorntem, hochsensiblem Plattenepithel ausgekleidet. Infektionen an dieser Lokalisation sind gewöhnlich sehr schmerzhaft und begleitet von Konstipation und Tenesmen. Proximal der Linea dentata geht das Plattenepithel in das hochprismatische, weitgehend schmerzunempfindliche, schleimproduzierende Zylinderepithel des Rektums über. Die rektale Infektion führt zur Proktitis, die gekennzeichnet ist durch Schleimabgänge, gelegentlich Blutung und, wenn keine Begleitentzündung des Anoderms vorhanden ist, durch relativ wenig Schmerzen. Die Linea dentata bildet auch die Grenze des Lymphabflusses, was erklärt, weshalb rektale Infektionen nicht mit einer inguinalen Lymphadenopathie einhergehen und folglich nicht selten übersehen werden. Von einer Proktokolitis – die meist durch andere Erreger verursacht wird – sprechen wir, wenn die Mukosa bis max. 15cm ab ano betroffen ist.
Häufigste klinische Präsentationen
Insbesondere bei drei unterschiedlichen anorektalen Manifestationen müssen STI differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden: Ulzera oder Erosionen, vegetierende Läsionen und Proktitis.
Ulzerationen und Erosionen
Hier sollte in erster Linie an Syphilis und Herpes gedacht werden.
Syphilis
Nach einer durchschnittlichen Inkubationszeit von 3 Wochen (9-90 Tage) kommt es zu einem schmerzlosen Ulkus am Ort des Erregereintritts. Neben der klassischen genitalen Lokalisation sind anorektale Primäraffekte am häufigsten. Diese können einerseits perianal bis endoanal (Abb.1), andererseits auch rektal lokalisiert sein. Massgeblich verantwortlich für die meist verspätete Diagnosestellung ist neben dem fehlenden Verdacht bei extragenitalen Primäraffekten auch der Umstand der nicht selten atypischen Präsentation. Neben den sprichwörtlich chamäleonartigen Bildern im Rahmen der sekundären Syphilis kann auch das primäre Stadium unterschiedliche Manifestationen verursachen. Sowohl multiple Primäraffekte, wie knotige, rhagadiforme und phagedänische Formen, als auch herpetiforme Ulzerationen wurden beschrieben. Speziell knotige Läsionen oder Fissuren lassen dann eher an Hämorrhoiden, Analfissuren oder gar Neoplasien denken. Die fehlenden inguinalen Lymphknotenschwellungen und Schmerzen verhindern meist die Diagnose eines rektalen Primäraffekts, was erklärt, dass vor allem bei homosexuellen Patienten die Diagnose der Syphilis häufig erst im Stadium II, dann aufgrund der Exantheme, gestellt wird. Da eine klinische Diagnose im Stadium I infolge der grossen klinischen Variabilität mehrheitlich nicht zuverlässig gestellt werden kann, sollte die Diagnose im Labor bestätigt werden. In der Frühphase kann die Infektion noch stumm verlaufen und anorektal weist die Dunkelfelduntersuchung eine geringe Spezifität auf, weshalb hier die PCR-Abklärung immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Herpes-simplex-Infektion
Bei einer Seroprävalenz in der Schweiz von circa 60-80% für den Typ I und 20% für den Typ II handelt es sich um eine ausgesprochen häufige Infektion, die mehrheitlich oligo- bis asymptomatisch verläuft. In der Mehrzahl der Fälle kommt es durch eine unbemerkte Virusausscheidung zur Übertragung. Mehrheitlich sind anogenitale Infektionen durch das Typ-II-Virus bedingt, jedoch ist insbesondere bei jungen Frauen und MSM bei Primoinfektionen mehrheitlich TypI verantwortlich, der im Verlauf seltener Rezidive an dieser Lokalisation aufweist. Bei gruppierten Bläschen auf gerötetem Grund bestehen keine diagnostischen Schwierigkeiten, jedoch ist die klinische Präsentation vielfältig, weswegen auch bei isolierten Ulzera, Erosionen, Fissuren und Follikulitiden, v.a. bei rezidivierend auftretenden Läsionen an eine herpetische Infektion gedacht werden muss. Seltenere Ursachen für perianale oder endoanale Ulzera (Tab. 1) umfassen das Ulcus molle, die Donovanose oder Infektionen mit Methicillin-resistentem Staphylococcus aureus oder beta-hämolytischen Streptokokken derGruppe A, die gelegentlich ebenfalls sexuell übertragen werden können. Die Streptokokken manifestieren sich eher als nässende, relativ scharf begrenzte perianale Rötung, in der Literatur als perianale streptogene Dermatitis bekannt.
Vegetierende Läsionen
Bei plaqueartig oder papulös wachsenden Veränderungen besteht insbesondere ein Verdacht auf eine HPV-Infektion, eine Syphilis im Stadium II oder – bereits viel seltener – auf Mollusca contagiosa. Die HPV-Infektion mit etwa 40 sexuell übertragbaren Subtypen stellt weltweit die häufigste Geschlechtskrankheit dar und betrifft bis zu 80% der sexuell aktiven Bevölkerung. Mehrheitlich verläuft die Infektion jedoch asymptomatisch oder subklinisch. Gemäss dem onkogenen Potenzial werden die HPV-Typen entweder in Low-Risk- oder High-Risk-Varianten eingeteilt. Bei MSM ist die endoanale Region vor der perianalen und genitalen Lokalisation am häufigsten betroffen; als wichtigster Risikofaktor ist die Anzahl an Sexualpartnern bekannt. Neben den typischen verrukösen Papeln (Condylomata acuminata) durch die Low-Risk-Typen 6 und 11 findet sich ein klinisch heterogenes Spektrum der analen intraepithelialen Neoplasie (AIN) durch High-Risk-Typen (v.a. 16 und 18), die sich bowenoid (Abb. 2), verrukös, erythroplakisch oder als Leukoplakie manifestieren können. Im fortgeschrittenen Stadium II der Syphilis kann es intertriginös, insbesondere perianal und in der Rima ani, zu konfluierenden nässenden Plaques – den Condylomata lata – kommen. Sie sind besonders reich an Erregern und folglich wichtig bei der Übertragung des Erregers. Seltener kommt es durch eine direkte Erregerausbreitung aus dem Primäraffekt zu einer ähnlichen Symptomatik. Neben knotigen Läsionen im Rahmen einer Skabies müssen auch Mollusca contagiosa differenzialdiagnostisch abgegrenzt werden.
Proktitis
Bei Hinweisen auf eine Proktitis (Tab. 2) muss immer eine Sexualanamnese erhoben werden. Neben einer anogenitalen Inspektion und der Palpation des Abdomens und der inguinalen Lymphknoten ist eine Proktoskopie indiziert. Insbesondere ein Lymphogranuloma venereum, eine Herpes-simplex- und eine Gonokokken-Infektion (Abb. 3) sollten ausgeschlossen werden (Tab. 3).
Lymphogranuloma venereum(Nicolas-Favre)
Die klassische Form mit flüchtigem genitalem Ulkus und nachfolgenden ausgeprägten inguinalen Lymphknotenschwellungen ist in Europa zur Rarität geworden ist. Stattdessen sind wir seit 2003 mit einem neuartigen anorektalen Syndrom durch Chlamydia trachomatis Serovar L2b bei homosexuellen Männern, häufig HIV-infiziert, in allen westlichen Metropolen konfrontiert. Typischerweise kommt es zu anorektalen Schmerzen, Tenesmen und purulentem bis hämorrhagischem Ausfluss. Meist wird die Diagnose verzögert gestellt und nicht selten erfolgen initial chirurgische Therapien infolge komplizierend auftretender Granulome, Strikturen und perirektaler Abszesse (Abb. 4). Nach der Gonokokken- und Herpes-simplex-Infektion ist das LGV die dritthäufigste Ursache für eine Proktitis bei MSM. Am verlässlichsten kann die Diagnose mittels einer PCR aus dem Rektalabstrich oder aus Biopsaten auf die LGV-spezifischen Serotypen von Chlamydien gemacht werden. Therapie der Wahl ist Doxycyclin 2x100mg täglich für 3 Wochen.
Die häufigste Ursache für eine sexuell akquirierte Proktitis ist die Gonokokkeninfektion, die praktisch nur bei MSM symptomatisch verläuft und mit einem bis zu 9x höheren Risiko für eine HIV-Übertragung verbunden ist. Wenige Tage nach passivem Analverkehr kommt es zu charakteristischen Beschwerden (Tab.2). Proktologisch bestehen mehrheitlich eine diskret hämorrhagische Rektalschleimhaut oder wenig purulente Absonderungen. Seltener besteht das Bild einer akuten Proktitis mit ausgeprägter diffuser Schwellung der Mukosa, oberflächlichen Ulzerationen und purulenter Schleimabsonderung. Die Diagnostik kann kulturell – was den Vorteil einer gleichzeitigen Resistenzprüfung mit sich bringt – oder mittels PCR erfolgen. Die bei Frauen infolge der Anatomie in bis 40% gefundene Autoinokulation des Rektums bei genitaler Gonorrhö verläuft meist unbemerkt. Auch bei MSM scheint die Mehrzahl der Infektionen unbemerkt zu verlaufen. Bei lediglich urogenitaler Abklärung einer Gonorrhö oder Chlamydieninfektion werden mehr als die Hälfte der Gonokokkeninfektionen und knapp ein Viertel der Chlamydieninfektionen verpasst, weshalb anal/rektal und oral/pharyngeal ebenfalls ein Abstrich erfolgen sollte, was am besten mit einem sogenannten «Pooling» erfolgt, um die Kosten zu reduzieren. Abklärung und Therapie der sexuell akquirierten Proktitis sind in Tabelle 3 aufgelistet.
Ausgeprägt schmerzhafte Formen müssen an eine Herpes-simplex-Infektion denken lassen. Neben einem syphilitischen rektalen Primäraffekt müssen differenzialdiagnostisch weitere Bakterien, Parasiten und v.a. auch nicht infektiöse Formen wie entzündliche Darmerkrankungen abgegrenzt werden. Der Stellenwert von Mycoplasma genitalium bei der Proktitis war lange nicht schlüssig zu beurteilen. Aktuelle Leitlinien empfehlen jedoch auch bei der Proktitis eine Abklärung auf diesen Erreger.
Literatur:
beim Verfasser
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