Das Schöne an der Dermatologie

«An der Haut gibt es immer etwas zu tun»

Prof. Dr. med. Ralph M. Trüeb ist vielen von uns bekannt und es bedarf wohl keiner ausführlichen Vorstellung. Haare sind seine Passion – das ist kein Geheimnis. Im Gespräch erzählte er uns, wie es überhaupt zu seiner Begeisterung für die Trichologie gekommen ist und wie er seiner Leidenschaft in der täglichen Praxis nachgeht.

Bevor Prof. Dr. med. Ralph M. Trüeb sich für den Schritt in die Praxis entschieden hat, war er lange Jahre in ärztlicher Leitungsfunktion am Universitätsspital Zürich und in der dermatologischen Poliklinik tätig. Die Haarsprechstunde, Autoimmunsprechstunde und Psoriasis-Sprechstunde am Universitätsspital Zürich gehen auf seine Initiative zurück. Ausserdem ist Prof. Trüeb Gründungspräsident der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Trichologie und Autor/Herausgeber von 6 Büchern.

Herr Professor Trüeb, warum haben Sie sich für eine Praxis entschieden?

R. Trüeb: Ich war 20 Jahre am Universitätsspital Zürich tätig. Als leitender Arzt der Poliklinik und Haarsprechstunde und der Autoimmunsprechstunde hatte ich dort alle Ziele erreicht, die ich erreichen konnte. Auf einem Punkt stehenzubleiben, war für mich nicht vorstellbar und so hatte ich schon das nächste Ziel vor Augen, sobald ich eines erreicht hatte. Der Reiz einer eigenen Praxis lag für mich in der Selbstständigkeit und dem viel intensiveren Patientenkontakt. Am Unispital war die Zeit für meine Privatsprechstunde sehr begrenzt und ich hatte zuletzt mehr Ärzte betreut, die Patienten betreuen, als Patienten selbst. Jetzt habe ich meine eigenen Patienten, die ich auch über längere Zeit selbst verfolge. Zudem habe in der Praxis sehr viel dazugelernt, was man an einer akademischen Institution nicht lernt, was sich schliesslich auch in meinem Buch «The Difficult Hair Loss Patient» niedergeschlagen hat. Dieses Buch handelt vom Umgang mit Patienten in der Praxis, es geht darin auch um psychologische Aspekte der Patientenführung, der Compliance usw.

Wie kam es zu Ihrer Begeisterung für die Trichologie?

R. Trüeb: Es war mehr ein Zufall, der mich zur Trichologie brachte. Ich war noch Assistenzarzt und es gab noch keine Haarsprechstunde. Allerdings gab es eine Oberärztin, die sich sehr für die Haarpatienten interessierte, im Speziellen für Patienten mit Alopecia areata. Als sie mich fragte, ob ich ihre Nachfolge antreten und ihre Patienten übernehmen möchte, sagte ich zu. Zu diesem Zeitpunkt absolvierte ich auch gerade den Militärdienst als Truppenarzt der Offiziersschule. Man kann sich ausmalen, dass es in der schönen Tessiner Landschaft nur wenige Offiziersschüler gab und ich somit nicht viel zu tun hatte. Also nahm ich kurzerhand das dickste Handbuch der Trichologie und las dieses von der ersten bis zur letzten Seite einfach mal durch. Als ich dann an die Uniklinik zurückgekommen bin, war ich derjenige, der theoretisch am meisten zu diesem Thema wusste, allerdings fehlte mir da noch die praktische Erfahrung. Im Anschluss an ein Interview zu einem Haarthema im Schweizer Fernsehen kamen viele Anfragen für Termine. Da erkannte ich den Bedarf für eine Haarsprechstunde am Universitätsspital Zürich. Der Klinikdirektor genehmigte meinen Vorschlag und liess mir freie Hand. Anfangs leitete und führte ich die Sprechstunde noch selbst, später wurde die Sprechstunde institutionalisiert mit einem Assistenzarzt in der Rotation und mir als Oberarzt bzw. später mit mir als leitendem Arzt. Ich merkte, dass ich einen guten Draht zu den Haarpatienten hatte und mir diese Tätigkeit Spass machte. Vor allem das positive Feedback der Patienten ermunterte mich, weiterzumachen und mich in diese Thematik zu vertiefen.

Wie ist Ihre Praxis organisiert? Behandeln Sie ausschliesslich Patienten mit Haarproblemen und werden diese auch von Kollegen zu Ihnen geschickt?

R. Trüeb: Wir führen eine normale dermatologische Praxis, aber wir sehen sehr viele Haarpatienten. Ich selbst konzentriere mich vor allem auf die Patienten mit Haarproblemen und würde schätzen, dass 90% meiner persönlichen Patienten Haarpatienten sind. Nicht wenige werden auch von Kollegen an mich überwiesen. Zusätzlich habe ich die Anerkennung als Weiterbildungsstätte für den Facharzt der Dermatologie und Venerologie und wir haben auch eine Assistenzarztstelle für den FA Dermatologie. Grundsätzlich hat jeder von uns seine eigenen Patienten, wobei die Assistenzärztin in Weiterbildung mich ruft, sodass ich meiner Lehrtätigkeit nachkommen kann. Sie sieht Haarpatienten und allgemein dermatologische Patienten und ich staune immer wieder, was wir da alles zu sehen bekommen. Doch aufgrund meiner langjährigen Erfahrung bin ich da nie überfordert und kann immer etwas erklären. Das macht mir Spass. Daneben biete ich Trichology Traineeships für alle Interessierten an. Das lief ganz gut vor Corona, momentan läuft da gar nichts. Meine Stellvertreterin Dr. Caballero-Uribe ist derzeit noch in Mutterschaftsurlaub. Sie ist eine ausgebildete Dermatologin, eine hervorragende Chirurgin und deckt auch das ganze Spektrum der Ästhetik bei uns ab. Ich beschränke mich da auf Botox. Die kosmetische Dermatologie verdrängt die allgemeine Dermatologie bei uns nicht. Die allgemeine Dermatologie ist die Basis, die kosmetische die Kür. Die Haare liegen dazwischen – sie sind medizinisch, aber auch kosmetisch hochrelevant.

Schönheit wird gemeinhin mit Gesundheit gleichgesetzt. Wie wichtig ist es in unserer Gesellschaft mittlerweile, Massnahmen zur Erhaltung und Wiederherstellung unserer Schönheit zu setzen?

Mein Leitsatz lautet «Look at your hair the way you look at your face», das war auch der Titel eines Artikels, den wir einmal zu diesem Thema publiziert haben. In der kosmetischen oder auch ästhetischen Dermatologie hat man sich lange Zeit überwiegend um die Haut und um das Aussehen des Gesichtes gekümmert. Was total vernachlässigt wurde, waren die Haare. Das macht aus meiner Sicht keinen Sinn. Darum machen wir nicht nur die Haare, sondern wir beziehen in unsere Beratungen auch noch das Gesicht mit ein. Wobei wir in unserer Praxis dafür sind, es nicht zu übertreiben. Wir sind für Natürlichkeit und die Erhaltung bzw. Wiederherstellung des eigenen Gesichtes. Wir machen keine hohen Wangenknochen, wo nie welche waren, keine übertrieben grossen Lippen, wo die Lippen nie gross waren. Bei den Haaren kann man hingegen nichts falsch machen oder es übertreiben. Man läuft nicht Gefahr, zu viele Haare oder hässliche Haare zu machen.

Was hat es mit dem tanzenden Bären in Ihrer Praxis auf sich?

R. Trüeb: Der Bär steht bei den Inuit als Symbol für die Medizin bzw. die Heilkunst. Es gibt auch unter den indigenen Völkern in Amerika die Bärengesellschaft. Dabei handelt es sich um Medizinmänner, die Rituale feiern, welche sehr schamanistisch angefärbt sind. Die Inuitkunst faszinierte mich, als ich einmal Kanada war, und der Bär und die ihm zugeschriebene Bedeutung gefielen mir sehr gut. Nun hat dieser Steinbär einen ganz zentralen Platz in der Praxis gefunden und steht an einem Ort, an den man nach Feng-Shui einen Energiestein platzieren würde.

Was sind für Sie die schönsten Momente der ärztlichen Tätigkeit, welches die herausforderndsten? Was bereitet Ihnen am meisten Freude?

R. Trüeb: Schön ist es natürlich, den Erfolg zu sehen. Ich war einer der Ersten, die in der Behandlung von Haarpatienten die standardisierten, globalen, fotografischen Aufnahmen und auch mikroskopischen Aufnahmen in Tandem einführten. Nur so kann man wirklich verfolgen, was passiert. Ursprünglich ging man nur im Rahmen von Studien so vor, um die Wirksamkeit einer Therapie zu belegen. Man hat ein Fototrichogramm als messbaren Wert und in der Übersichtsaufnahme das, was für den Patienten relevant ist. Das biete ich nun schon lange in der Praxis. Damit sieht man den Fortschritt und wie erfolgreich man sein kann. Und diesen Erfolg, diese Bilder mit den Patienten zu teilen ist natürlich eine Freude. Patienten, die wenig erwarten oder am Anfang der Behandlung noch nicht viel merken, weil das Ganze Zeit braucht, sehen, dass da sehr wohl etwas passiert, und sind dann unglaublich motiviert weiterzumachen. Ich habe da wirklich sagenhafte Verläufe und diese Verläufe bestätigen mich auch in meiner Behandlung. Wenn es einmal nicht so gut funktioniert, erkenne ich auf diese Weise rasch, dass ich Anpassungen vornehmen muss und nicht einfach mit dem Gleichen weitermachen kann. Dadurch habe ich mit der Zeit viele Variationen in der Behandlung eingeführt und verschreibe nicht nur ein Minoxidilpräparat, sondern verschiedene Magistralrezepturen in verschiedenen Konzentrationen, Formulierungen und auch Kombinationen, die ich individuell je nach Verlauf an die Patienten anpasse.

Gibt es Patienten, die ursprünglich aufgrund eines Haarproblems zu ihnen kamen und dann noch weitere Behandlungen wünschten?

R. Trüeb: Auf jeden Fall. An der Haut gibt es immer etwas zu tun – das ist das Schöne an der Dermatologie. Zudem geht es bei den Haaren ja nicht nur um Ästhetik, denn ein Haarausfall kann viele Ursachen haben. Einmal wurde mir ein Patient mit einer Alopecia totalis zugewiesen. Mir fielen seine groben Züge, grossen Hände, grossen Ohren, die grosse Nase und sein hervorstehendes Kinn auf. Auf meine Frage nach seinem Allgemeinbefinden klagte er über Kopfschmerzen. Eine Blutuntersuchung ergab erhöhtes somatotrophes Hormon. Daraufhin habe ich ihn mit Verdacht auf Akromegalie zum Endokrinologen geschickt, welcher dann auch sofort die Diagnose Hypophysentumor mit Akromegalie stellte. Dies zeigt, dass man stets den Blick offenhalten sollte. Wir haben auch als Erste den Haarausfall nach Covid-Infektion publiziert. Wir stellten fest, dass dieser nur bei Patienten auftritt, die im Zuge der Covid-Infektion Fieber über 38,5°C hatten. Das war nicht weiter erstaunlich, denn jede fiebrige Infektionskrankheit verursacht Haarausfall. Doch dann kam die grosse Diskussion, ob das Fieber die Ursache für den Haarausfall sei oder ob das Covid-Virus selbst den Haarfollikel befällt, ähnlich dem Dengue-Virus. Ich konnte dann jedoch beobachten, dass es auch nach fiebriger Covid-Impfreaktion zu Haarausfall kommt, somit ist der Haarausfall wohl eher eine Folge einer überschiessenden Reaktion des Immunsystems.

Wie ist es Ihnen während der Covid-Zeit ergangen? Haben Sie die Auswirkungen stark gespürt?

R. Trüeb: Nicht wirklich gespürt. Am Anfang des Lockdowns verzeichneten wir vielleicht über 2 Monate eine Einbusse von ca. 50%. Das hat sich rasch eingependelt und war kein Problem. Es ist einfach interessant zu beobachten, welche Auswirkungen eine durchlebte Covid-Infektion oder alleine die Impfung mit sich bringt. Wie die Leute mit der Haut und den Haaren darauf reagieren, oder psychologische Auswirkungen, das sind Aspekte, die durchaus interessant sind. Das Einzige, wo man es gemerkt hat, waren die Einschränkungen bei den Vortragsreisen. Privat mache ich jetzt mehr Schweiztourismus, das ist auch sehr schön.

Was raten Sie Kollegen, die sich auf Trichologie spezialisieren möchten?

R. Trüeb: Für die Haare muss man sich schon aktiv auf diesem Gebiet weiterbilden, und zwar breit. Was momentan läuft und womit ich gar nicht einverstanden bin, ist der Versuch, die ganze Trichologie auf die Trichoskopie zu reduzieren. Eigentlich nur mit einem kommerziellen Interesse, da werden online Trichoskopiekurse feilgeboten, da wird Geld gemacht. Ich finde man muss keinen Trichoskopiekurs nehmen, man muss zuerst einmal die Patienten sehen, sie breit anschauen. Eine gründliche Anamnese, klinische Befunderhebung, Lupenuntersuchung, auflichtmikroskopische Untersuchung durchführen und dann lernt man die Trichoskopie von selbst. Man muss einfach schauen, schauen und nochmals schauen. Die Trichoskopie ersetzt die bewährten Untersuchungen wie Trichogramm, Bakteriologie, Mykologie in keiner Weise. Das ist eine Tendenz, die mir eher missfällt. Es sollte stets der Patient im Vordergrund stehen und nicht der Merkantilismus. Also wenn ich ein Seminar gebe, werde ich ein breit angelegtes Konzept mitteilen. Man lernt nur am Patienten – am Anfang am besten mit einem Lehrer. In den Trichology Traineeships zeigen wir, wie strukturiert eine Haarsprechstunde sein sollte. Durch ein systematisches, routiniertes Vorgehen vermittelt man den Patienten Sicherheit – diese honorieren das und es braucht gar nicht so viel Zeit, wie man vielleicht vermutet.

Sie haben eingangs erwähnt, dass Sie bereits immer das nächste Ziel vor Augen haben. Was sind nun Ihre nächsten Ziele?

R. Trüeb: Eigentlich muss ich sagen, dass die Tätigkeit, so wie sie jetzt ist, sehr befriedigend für mich ist, sodass ich mir keine weiteren Ziele mehr stecke. Ich habe jeden Tag mit den Patienten eine Herausforderung, ich entwickle eine Beziehung zu ihnen, die langfristig ist. Ich möchte bestimmt nicht wieder irgendetwas ändern, wodurch ich meine Patienten nicht weiterverfolgen könnte. Viele meiner Patienten begleite ich nun schon über 10 Jahre, einige sind mir vom Unispital gefolgt, andere sind direkt hierhergekommen. So sehe ich auch, wie nachhaltig die Therapie ist.

Wann finden Sie die Zeit für das Verfassen Ihrer Bücher?

R. Trüeb: An den Abenden und an Wochenenden. Das macht mir einfach Spass und ich lerne viel durch das Schreiben dazu. Was man einmal geschrieben hat, das bleibt einem im Kopf. Mein neues Buch «The Hair in Infectious Disease», inspiriert durch Covid, wird in einem Jahr herauskommen. Mein momentan aktuellstes Buch heisst «Nutrition for Healthy Hair» – es befasst sich mit den Auswirkungen verschiedenster Nährstoffe und Krankheitsbilder auf den Zustand unserer Haare. Es wird darin auch auf die Frage eingegangen, was von klinischen Studien zu Nahrungsmittelergänzung und Verschönerung der Haare zu fordern ist.

Über welche Tätigkeiten suchen und finden Sie am ehesten den Ausgleich von Ihrem beruflichen Alltag?

R. Trüeb: Im Grunde genommen interessiere ich mich auch sehr für Kultur. Vor allem Literatur, Philosophie und Medizingeschichte, dies sieht man auch in meinen Büchern, in denen ich sehr gerne zitiere. Also ich setze gerne Krankheit, aber auch psychische Aspekte des Haares in einen geschichtlich-kulturellen, philosophischen Kontext, das bereitet mir unglaublich viel Spass.

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