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Wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen

Akute, subakute und chronische Prurigo: Besteht ein Zusammenhang?

Die moderne Dermatologie unterscheidet drei Ausprägungen der Prurigoerkrankung, wenngleich bisher keine klaren Definitionen dafür erstellt werden konnten und die Begriffe uneinheitlich verwendet werden. Liegt der Grund dafür möglicherweise darin, dass diese drei Formen einen Erkrankungsverlauf darstellen und ineinander übergehen können?

Keypoints

  • Bei den Prurigo-Erkrankungen unterscheidet man zwischen einer subakuten, akuten und chronischen Ausprägung

  • Eine klare Definition und Abgrenzung der drei Formen konnte bisher nicht formuliert werden.

  • Nur für die chronische Prurigo liegen Definition, Klassifikation und einheitliche Terminologie vor

  • Verschiedene Quellen schlagen Übergangsszenarien von einer Prurigo-Art zur anderen vor.

  • Ob tatsächlich Zusammenhänge zwischen den drei Ausprägungen der Prurigo bestehen und ob diese ineinander übergehen, konnte bisher durch Forschungsbemühungen nicht geklärt werden.

Der Begriff Prurigo stammt vom lateinischen „prurire“ (jucken) ab und beschreibt eine heterogene Gruppe von Hauterkrankungen, die durch intensiv juckende Papeln und Knoten charakterisiert ist. Aufgrund der Vielzahl der möglichen klinischen Präsentationen und der Verwendung von Hunderten von Bezeichnungen für Prurigoerkrankungen seit dem 19. Jahrhundert wurde der interne Diskurs innerhalb des dermatologischen Fachbereichs verkompliziert und in gewisser Weise auch gehemmt. Für Prurigoerkrankungen fehlt bis heute eine klare Definition und die derzeit verwendete Terminologie erscheint uneinheitlich.1–3

Die moderne Dermatologie unterscheidet dennoch zwischen einer akuten, subakuten und chronischen Form der Prurigo. Doch bis heute bleiben weitere Fragen ungeklärt. Besteht etwa ein Zusammenhang zwischen den Formen? Können die beschriebenen Formen ineinander übergehen oder bestehen sie völlig unabhängig voneinander? Sollten die Prurigoformen zusammengefasst oder strikt getrennt werden?

Prurigo simplex acuta

Die Prurigo simplex acuta ist eine seltene Hauterkrankung, die im Kindesalter beobachtet wird. Zu den primären Läsionen gehören urtikarielle Papeln oder Vesikeln, die mit intensivem Juckreiz einhergehen. Sekundäre Exkoriationen mit serös-hämorrhagischen Krusten sind häufig zu erkennen. Die isoliert stehenden Effloreszenzen zeigen sich oft am Rumpf und an den oberen Extremitäten. Der Juckreiz und die Hautveränderungen bestehen meist nur für eine vergleichsweise kurze Zeit (1–6 Wochen), wobei es zumeist zu einer folgenlosen Abheilung kommt. Eine postläsionelle Hypo- oder Hyperpigmentierung ist jedoch möglich. Es wird angenommen, dass eine Reaktion auf vorausgegangene Insektenstiche für die Hautveränderungen verantwortlich sein könnte. Auch gastrointestinale Beschwerden (z.B. Gastroenteritis) werden als Ursache in Betracht gezogen.4,5

Chronische Prurigo

Lediglich für die chronische Form der Prurigo konnte man sich 2018, im Rahmen eines europaweiten Projektes, auf eine Definition, Klassifikation und Terminologie einigen.3 Um die Diagnose einer chronischen Prurigo stellen zu können, müssen folgende 3 Kriterien erfüllt sein:

  1. Vorhandensein von multiplen juckenden Hautläsionen (lokalisiert oder generalisiert),

  2. Juckreiz über mindestens 6 Wochen und

  3. Anamnese oder Zeichen eines anhaltenden Kratzverhaltens (Kratzartefakte, hypo- oder hyperpigmentierte Flecken oder Narben).

Chronischer Juckreiz (≥6 Wochen) kann dermatologischer, systemischer, neurologischer, psychiatrischer/psychosomatischer, multifaktorieller oder unbekannter Natur sein. Der anhaltende Juckreiz und das daraus resultierende verlängerte Kratzverhalten induzieren neuronale Sensibilisierungsphänomene, die schließlich in einen „Juckreiz-Kratz-Zyklus“ münden. Der chronische Pruritus und das chronische Kratzen führen schließlich zu sekundären „pruriginösen“ Hautveränderungen, die wiederum jucken. Durch diesen Teufelskreis aus Jucken und Kratzen wird das Fortbestehen der chronischen Prurigo mit ihren typischen pruriginösen Hautveränderungen und dem quälenden chronischen Pruritus bedingt. Bei den pruriginösen Hautveränderungen handelt es sich um hautfarbene oder erythematöse, hyperkeratotische, schuppende und vielfach exkoriierte sowie mit serös-hämorrhagischen Krusten bedeckte Papeln, Knoten oder Plaques. Die Läsionen können vereinzelt, gruppiert oder disseminiert angeordnet sein. Typischerweise sind sie aber symmetrisch an den Streckseiten der Extremitäten und am Stamm verteilt, während Handflächen und Fußsohlen nur sehr selten betroffen sind.

Entsprechend der klinischen Erscheinung der chronischen Prurigo wurden 5 Subtypen definiert. So wird zwischen dem papulösen Typ (juckende Papeln, Durchmesser <1cm), dem knotigen Typ (=Prurigo nodularis, juckende kuppelförmige Knoten >1cm), dem plaqueförmigen Typ (juckende flache Plaques >1cm), dem ulzerierten Typ (=Kyrle-Typ, Knoten bis Plaques mit zentralen Ulzera) und dem linearen Typ (linear angeordnete Läsionen) unterschieden.

Bei einer Person können auch mehrere der Subtypen der chronischen Prurigo koexistieren, wobei in den meisten Fällen einer vorherrschend und somit namensgebend ist. Am häufigsten kommt jedoch die knotige Form der chronischen Prurigo (=chronische noduläre Prurigo) vor. Die chronische noduläre Prurigo wurde früher, wie auch noch heutzutage, oft als „Prurigo nodularis“ bezeichnet. Der Begriff „chronische Prurigo“ gilt in der neuen europäischen Nomenklatur als Überbegriff („umbrella term“) aller 5 Subtypen. In den USA wird der Begriff „Prurigo nodularis“ nach wie vor als Bezeichnung für die chronische noduläre Prurigo verwendet und gilt aber auch als Überbegriff für alle 5 klinischen Subtypen. Dieser Umstand kann zu begrifflichen Missverständnissen führen.

Zumeist handelt es sich bei den Betroffenen mit chronischer Prurigo um ältere Menschen (Alter meist zwischen 50 und 70 Jahren). Frauen leiden unter der Erkrankung öfter als Männer. Bezüglich der Prävalenz und Inzidenz gibt es unterschiedliche Angaben. Man schätzt die Prävalenz der Prurigo chronica in unseren Breiten jedoch auf 70–100/100000 Personen.1,2,6

Prurigo simplex subacuta

Bereits im Jahre 1959 wurde die Prurigo simplex subacuta von Bohnstedt als „Stiefkind der Dermatologie“ bezeichnet. Den unrühmlichen Titel hat sie erhalten, weil sie damals, wie auch heute, nicht klar definiert war – und das trotz jahrzehntelanger Diskussion.7 In den vielen vergangenen Jahren haben sich unzählige Namen für das Erscheinungsbild etabliert. Um nur einige zu nennen: Kogoj’s prurigo subacuta, Darier’s prurigo vulgaris, Lutz’s prurigo multiforme, Von Zumbusch’s lichen urticatus, Lichen (Vidal) urticatus oder Strophulus adultorum. Die Tatsache, dass beispielsweise in den USA weitere Bezeichnungen („pruritic/chronic papular dermatitis in adults“ oder „itchy red bump disease) für das klinische Bild geläufig sind, hat die Kommunikation über dieses Krankheitsbild unter den Expert*innen nicht unbedingt erleichtert. Klinisch zeigen sich initial stark juckende, rote und alleinstehende Papeln (selten Papulovesikeln). Diese Primärläsion ist jedoch meist von den untersuchenden Ärzt*innen nicht nachweisbar, weil es von den Betroffenen zu einem raschen Zerkratzen der Papel kommt, woraufhin der Juckreiz schlagartig sistiert. Typische Residualeffloreszenzen sind exkoriierte („ausgelöffelte“), verkrustete, rötliche oder rotbraune Papeln. Abgeheilte Läsionen können sich als hypo- oder hyperpigmentierte Maculae oder Narben präsentieren. Die Läsionen sind symmetrisch am Stamm und den Streckseiten der Extremitäten verteilt. Auch Gesicht und Capillitium können betroffen sein, wohingegen Hand- und Fußsohlen frei bleiben. Daten zur Prävalenz oder Inzidenz sind nicht vorhanden. Betroffen sind v.a. Personen mittleren Alters (30–60 Jahre), wobei das Verhältnis von Frauen zu Männern bei 2:1 liegt. Die Ätiologie der Prurigo simplex subacuta ist bislang ungeklärt. Im Verdacht stehen jedoch endogene Ursachen (endokrinologisch, metabolisch, hormonell, hämatologisch, multifaktoriell).1,2,8,9

Diskussion

Bereits vor knappen 40 Jahren berichtete Greither von sogenannten „Übergangsfällen“, in denen es bei Personen mit lang andauernder Prurigo simplex subacuta zur allmählichen Entwicklung einer Prurigo nodularis gekommen ist. Erklären könnte man sich diesen Übergang folgendermaßen: Eine über viele Monate oder Jahre bestehende Prurigo simplex subacuta mit „Juckreiz-Sensibilisierung“ und der Entwicklung eines „Juckreiz-Kratz-Zyklus“ könnte zu einer dermatologischen Ursache für die Entwicklung einer chronischen Prurigo werden.

Andere Quellen schlagen sogar vor, dass es sich bei der Prurigo simplex subacuta lediglich um eine Transition zwischen der akuten und der chronischen Prurigo handeln könnte.1,5 Tatsächlich lassen sich einige Parallelen zwischen den drei beschriebenen Formen der Prurigo finden (siehe Abb. 1). So sind die Prurigo simplex acuta und subacuta durch jeweils intensiv juckende primäre Hautläsionen charakterisiert. Deutlich unterscheiden sie sich jedoch in anderen Punkten. So ist die akute Form ausschließlich bei Kindern zu finden und sie zeigt eine Dauer von wenigen Wochen, während die Prurigo simplex subacuta vornehmlich bei Frauen mittleren Alters anzutreffen ist und Monate bis Jahre dauert.

Abb. 1: Gemeinsamkeiten der Prurigoarten

Gleichzeitig weisen auch die Prurigo simplex subacuta und die chronische Prurigo Ähnlichkeiten in puncto Patient*innenkollektiv, Dauer und möglicher Ätiologie auf. Von der chronischen Prurigo sind hauptsächlich ältere Personen, v.a. Frauen, betroffen. Auch die Prurigo simplex subacuta findet sich bei Menschen mittleren bis höheren Alters, insbesondere beim weiblichen Geschlecht. Für beide Erkrankungsbilder ist eine lange Dauer von Monaten oder Jahren charakteristisch und es kommen multiple Ursachen in Betracht. Ein deutlicher Unterschied besteht aber in der Entwicklung. Während die Prurigo simplex subacuta mit primären Hautveränderungen, die stark jucken, einhergeht, entwickeln sich die Hautveränderungen der chronischen Prurigo sekundär durch intensives Kratzen aufgrund von primärem chronischem Pruritus.

Abschließend sei nochmals erwähnt, dass es bis heute keine gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis darüber gibt, ob die drei Formen der Prurigo in Zusammenhang stehen oder ineinander übergehen können. Bei der Prurigo simplex acuta handelt es sich um ein Krankheitsbild, welches nur sehr selten gesehen und noch seltener dokumentiert wird, sodass sich auch eine Frage der Relevanz stellt. Die chronische Prurigo stellt die einzige Form dar, die mittlerweile durch klare Kriterien definiert wurde und in der medizinischen Literatur akzeptiert wird. Wie die Prurigo simplex acuta wartet auch die Prurigo simplex subacuta darauf, genauer definiert zu werden.

Um eine Definition und davon abhängiges Verständnis über mögliche Zusammenhänge der Prurigoarten zu erlangen, bedarf es zweifelsohne verstärkter Anstrengungen und Forschungsbemühungen in diesem Fachbereich der Dermatologie.

1 Wallengren J: Prurigo simplex or „itchy red bump“ disease: review and case series. Acta Derm Venereol 2021; 101(9) 2 Wallengren J: Prurigo: diagnosis and management. Am J Clin Dermatol 2004; 5(2): 85-95 3 Pereira MP et al.: European prurigo project: expert consensus on the definition, classification and terminology of chronic prurigo. J Eur Acad Dermatol Venereol 2018; 32(7): 1059-65 4 Jorizzo JL et al.: Prurigo: a clinical review. J Am Acad Dermatol 1981; 4(6): 723-8 5 Greither A: Pruritus und Prurigo. Der Hautarzt 1980; 31(7) 397-405 6 Ständer S et al.: IFSI-guideline on chronic prurigo including prurigo nodularis. Itch 2020; 5: e42 7 Bohnstedt RM: Prurigo simplex subacuta--a stepchild of dermatology. On the clinical picture, etiology and nosology of the disease. Der Hautarzt 1959; 10; 22-7 8 Akar HH et al.: Prurigo simplex subacuta or prurigo simplex acuta? Eur Ann Allergy Clin Immunol 2014; 46(4): 152-3 9 Uehara M, Ofuji S: Primary eruption of prurigo simplex subacuta. Dermatologica 1976; 153(1): 49-56

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