© peterschreiber.media - stock.adobe.com

Heureka-Moment

Die Zukunft liegt in der Systemonkologie

Dr. Juliane Winkler leitet das Labor für Tumorheterogenität und Metastasierung an der Medizinischen Universität Wien. Sie ist approbierte Apothekerin sowie Diplompharmazeutin und promovierte an der Universität Heidelberg.

Wie würden Sie Ihre Forschung in wenigen Sätzen beschreiben?

Metastasierung ist ein mehrstufiger Prozess, der zur Bildung eines Sekundärtumors in einem Organ führt, das weit von der primären Tumorstelle entfernt ist. Diesen Prozess beeinflussen nicht nur intrinsische Merkmale des Primärtumors und die extrinsische Tumorumgebung wie Immun- und Stromazellen und die extrazelluläre Matrix, sondern auch systemische Veränderungen des gesamten Körpers. In meinem Labor verwenden wir technologiegetriebene systemonkologische Ansätze, die zu aussagekräftigen Einblicken in die komplexe Metastasierungsbiologie führen. Wir entwickeln und wenden Einzelzell- und räumliche Omics-Technologien an, um besser zu verstehen, wie Veränderungen in Tumorzellen zur Metastasierung beitragen, wie entfernte Gewebe umgestaltet werden, um gestreute Tumorzellen zu beherbergen, und warum Metastasen oft therapieresistent sind.

Wie kam es zu Ihrem Forschungsprojekt?

Mich fasziniert die Komplexität von Krebs und insbesondere von Metastasen. Während meiner Doktorarbeit hörte ich auf einer Konferenz zum ersten Mal von Tumorheterogenität. Ich realisierte, dass wir, je mehr Details wir von der Krebserkrankung erfahren, zum Beispiel durch neue Technologien und Sequencing, umso weniger selbst fähig sind, diese Komplexität zu verstehen. Im Zusammenhang mit Metastasierung ist es wichtig, Krebs als systemische Erkrankung zu betrachten, die Immun- und Stromazellen und entfernte Organe betrifft – Krebs verändert den gesamten Körper. Daher kam ich zu dem Schluss, dass ein reduktionistischer Ansatz, bei dem klassischerweise ein Gen oder Signalweg in einem sehr engem Kontext untersucht wird, nicht genügend Einblick in die Funktionsweise dieses komplexen Prozesses gibt. In meinem Labor sammeln wir so viele Daten wie möglich über den Metastasierungsprozess und wenden maschinelles Lernen an, um Faktoren zu entdecken, die erklären können, warum bestimmte Tumoren metastasieren und andere nicht. Wir hoffen, dass wir mit diesem systemonkologischen Ansatz neue Blickwinkel für Metastasierung eröffnen, die zur Entwicklung innovativer Therapien führen.

Welcher Aspekt unterscheidet Ihren Job besonders von anderen?

Ich bin eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin. Ich liebe die Freiheit, meine Forschungsprojekte und -strategien so zu gestalten, dass sie meiner Meinung nach am relevantesten sind und mich begeistern. Ich bin immer auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, zum Beispiel einer neuen Technologie oder einer Methode, mit der wir Metastasen besser verstehen können. Ich freue mich jeden Tag darauf, etwas Neues auszuprobieren und zu lernen. In meinem Job ist es von entscheidender Bedeutung, neugierig und fähig zu sein, schnell von anderen zu lernen und diese neuen Fähigkeiten kreativ in einem anderen Kontext anzuwenden. Ich liebe es, mit Menschen zu arbeiten, von denen ich lernen kann und die genauso begeistert sind wie ich, ins kalte Wasser zu springen und schließlich schwimmen zu lernen.

Wie sieht die Zukunft Ihrer Forschung aus?

Wir verfügen jetzt über neue Technologien wie Einzelzell- und räumliche Omics, die Tumorgewebe detailliert charakterisieren und gleichzeitig die Integrität des Gewebes bewahren können. Die Anwendung maschinellen Lernens auf diese vielfältigen Daten eröffnet uns beispiellose Möglichkeiten, die Komplexität des Metastasenverlaufs auf einer völlig neuen Ebene zu untersuchen und gleichzeitig mehr Gewebeproben von Patient:innen einzubeziehen, um diesen Prozess im ursprünglichen Kontext zu untersuchen. Zur Beantwortung unserer speziellen Forschungsfragen erstellen wir derzeit eigene Datensätze. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit relevanter Datensätze können wir diese für viele verschiedene Forschungsfragen wiederverwenden. Ich denke, dass sich unser Labor und die Krebsforschung insgesamt immer mehr in Richtung Datenwissenschaft und Computerbiologie bewegen werden. Wir werden maschinelles Lernen und sorgfältig kuratierte Datensätze und Zellatlanten nutzen, um biologische Funktionen und therapeutische Interventionsstellen vorherzusagen. Dies wird die Art und Weise, wie wir Projekte und Experimente im Labor entwerfen, völlig verändern. Es sind aufregende Zeiten für die Wissenschaft. Ich freue mich sehr, dass ich eine neue Generation an Forscher:innen so ausbilden kann, dass sie sich dieser Herausforderung stellen können.

Heureka-Moment:

Junge Forschende stellen sich vor

Dr. Juliane Winkler
Unabhängige Gruppenleiterin
Zentrum für Krebsforschung, MedUni Wien
winklerlab.org

© MedUni Wien/feelimage
Back to top