
Was beim Notfallpatienten nicht verpasst werden sollte – Thorax, Abdomen, Zerebrum
Autor:
Dr. med. Omar Abdel Aziz
Klinik für Anästhesie, Präklinische Notfall- und Schmerzmedizin
Universitätsspital Basel
Ärztlicher Leiter, Sanität Basel
E-Mail: omar.abdelaziz@usb.ch
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Die in der Praxis tätigen Ärzte sind regelmässig auch mit Notfallpatienten konfrontiert. Neben Notfallpatienten mit nicht lebensbedrohlichen Erkrankungen stellen sich gelegentlich auch solche mit akuten vitalen Bedrohungen vor. Im Folgenden sollen einzelne Krankheitsbilder kurz angeschnitten und wichtige Merkpunkte in der Diagnostik sowie Therapie genannt werden.Zudem zeigt der Artikel auf, wie der heutige Rettungsdienst in der Schweiz funktioniert und welche Punkte bei einer Alarmierung des Rettungsdienstes und für einen effizienten Rettungseinsatz notwendig sind.
Keypoints
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Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte müssen auf Notfallsituationen vorbereitet sein.
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Basismaterial für die Therapie von Notfallpatienten, Teamtraining und definierte Abläufe helfen in der optimalen Betreuung von Notfallpatienten. Die Algorithmen der Rettungsdienste können dabei wertvolle Hilfe leisten.
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Klassische Symptome leiten rasch auf eine Verdachtsdiagnose. Es soll aber besonders auch an die untypischen Symptome gedacht werden und eine breite Differenzialdiagnose erwogen werden.
Wenn wir von Notfallpatienten in der Hausarztpraxis hören, denken wir im ersten Moment an nicht vitale Beeinträchtigungen des Allgemeinzustandes. Notfallpatienten in einem lebensbedrohlichen Zustand sehen wir in der Praxis selten: Entweder werden diese Patienten durch die Sanität behandelt oder sie stellen sich direkt im Spital vor. Dadurch stellt sich für die niedergelassene Ärztin resp. den niedergelassenen Arzt die Frage: Soll ich auf Notfallpatienten vorbereitet sein? Wie soll diese Vorbereitung aussehen?
Das Rettungswesen in der Schweiz
In der Schweiz kommen bei einem Notfalleinsatz der Sanität diplomierte Rettungssanitäter HF (Höhere Fachschule) zum Einsatz. Mindestens eine Person im Zweierteam, in vielen Fällen beide, weisen diese Kompetenz auf. Die Rettungssanitäter werden in der dreijährigen Ausbildung auf HF-Niveau in der Bewältigung aller relevanten notfallmedizinischen Situationen fundiert ausgebildet. Dementsprechend sind die Einsatzkompetenzen der diplomierten Rettungssanitäter hoch. Ein Notarztsystem ist nicht in jeder Region etabliert, und so kann es durchaus sein, dass im Einsatz kein Notarzt vor Ort ist. In einigen Regionen wird daher mit Rettungssanitätern gearbeitet, die eine Zusatzausbildung in Anästhesiepflege aufweisen.
Abb. 1: Algorithmus der Sanität Basel für die Behandlung eines ACS. Alle Algorithmen der Sanität Basel sind im Internet frei auf der Website der Sanität im Unterbereich Ärztliche Leitung downloadbar.
Alarmierung
Jede Alarmierung der Sanität wird auf einer Notrufzentrale entgegengenommen. Dabei verwenden viele Zentralen heute strukturierte Abfrageschemata, die dem Disponenten die relevanten und kritischen Rückfragen vorgeben, die für die korrekte Disponierung der Einsatzmittel relevant sind. Diese Abfrageschemata sind durch den Disponenten teils obligatorisch einzuhalten. Wichtige Punkte, die abgefragt werden sind: Wo ist der Einsatzort (in der Regel die erste Frage überhaupt)? Was ist passiert? Wo befindet sich der Patient (insbesondere wenn der Hausarzt alarmiert: Ist der Patient in der Praxis oder am Domizil)? Ist der Zugang einfach möglich?
Falls die Lokalisierung der Örtlichkeit nicht eindeutig bezeichnet werden kann, soll der Rettungsdienst auf der Strasse in Empfang genommen und zur Praxis respektive zum Patienten eingewiesen werden. Eine kurze und strukturierte Übergabe hilft dem Rettungsdienst für eine rasche Übernahme des Patienten. Ist der Patient bereits für ein besonderes Zielspital angemeldet, muss dies dem Rettungsdienst mitgeteilt werden. Allerdings kann das Rettungsteam, wenn der Zustand des Patienten dies erfordert, entscheiden, dass ein anderes Zielspital angefahren wird.
Thorax – akutes Koronarsyndrom, Aortendissektion/Aortenaneurysma
Das akute Koronarsyndrom (ACS) dient als Sammelbegriff für den ST-Hebungsinfarkt, den Non-ST-Hebungsinfarkt sowie die Angina pectoris. Das bekannte Risiko bei einem aktuen Myokardinfarkt umfasst den Myokardschaden und den damit verbundenen kardiogenen Schock, die Gefahr von Arrhythmien und den Herz-Kreislauf-Stillstand. Im ersten Moment denken wir dabei an die klassische Population mit einem kardialen Risikoprofil. Dabei darf nicht vergessen werden, dass bei bestimmten Populationen auch atypische Manifestationen bekannt sind: Insbesondere bei Frauen, Diabetikern und niereninsuffizienten Patienten sind stumme oder unspezifische Symptome im Rahmen eines ACS bekannt.1 Im Rahmen eines Kokainkonsums kann auch bei scheinbar gesunden Patienten ohne kardiales Risikoprofil ein akutes ACS auftreten.
Bei den klassischen Symptomen wie Thoraxschmerzen oder Engegefühl ist zu beachten, dass bis zu 22% der Patienten stechende Schmerzen und 13% pleuritische Schmerzen angeben.2 In bis zu einem Drittel aller bestätigten Fälle fehlen die Thoraxschmerzen.3 Die Diagnose stützt sich auf die klinische Präsentation, ein 12-Kanal-EKG sowie eine Bestimmung des kardialen Troponins (Troponin C). Hierbei soll beachtet werden, dass v.a. im Frühstadium EKG-Veränderungen noch fehlen können. Allerdings sollen neue Veränderungen im EKG im Sinne eines Links-/Rechtsschenkelblocks als Verdachtsmoment für ein ACS gewertet werden.
Die Behandlung des ACS umfasst die restriktive Sauerstoffgabe, die suffiziente Analgesie, eine frühzeitige Thrombozytenaggregationshemmung sowie die situative Nitratabgabe. Es ist eine sofortige Zuweisung in ein Spital mit der Möglichkeit zur notfallmässigen Koronarangiografie anzustreben.
Bei einer Aortendissektion kommt es zu einem Einriss der Intimaschicht in der Aorta, wohingehend es bei einem Aortenaneurysma zu einer Ausstülpung der gesamten Aortenwand kommt. Die vitale Bedrohung entsteht durch das Risiko für eine Ruptur mit einer unkontrollierten Blutung und das Risiko für Gefässverschlüsse durch den fortgesetzten Einriss der Aorta. Nicht selten können, beispielsweise im Rahmen einer Aortendissektion nach Stanford-Typ A (Einriss bis in die Aorta ascendens), damit auch die Abgänge in die Karotis abgedrückt werden, sodass sich initial das Bild eines Schlaganfalls präsentiert. Der Intimaeinriss kann sich auch in die Koronargefässe oder in das Perikard fortsetzen, sodass differenzialdiagnostisch auch an ein ACS oder andere Ursachen eines kardiogenen Schocks gedacht werden muss.
Begünstigende Faktoren für eine Aortendissektion/ein Aortenaneurysma sind u.a. ein kardiales Risikoprofil sowie angeborene Bindegewebsschwächen wie bei Marfan-Syndrom. Besonders gefährdet sind Raucher, Männer und Patienten fortgeschrittenen Alters. Ein erhöhtes Rupturrisiko besteht ab einem Durchmesser von 5,5cm sowie generell bei Frauen.
Ein klassisches Symptom sind vernichtende Thorax-/Rückenschmerzen. Die Symptome können aber auch wie ein ACS oder ein Schlaganfall imponieren. Besonders Walk-in-Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit haben ein erhöhtes Risiko, dass die Aortendissektion verpasst wird.
Neben dem klinischen Bild gehören eine Seitendifferenz des Pulses oder fehlende Pulse an den oberen/unteren Extremitäten zu den klassischen Zeichen. Dennoch wurde in einer Studie bei 38% aller Patienten die Diagnose verpasst, weil kein Pulsdefizit vorhanden war.4 Bei bis zu 37% aller Patienten einer Studie mit bestätigter Stanford-Typ-A-Aortendissektionen wurde eine unkorrekte Erstdiagnose gestellt.5 Signifikante Faktoren hierfür waren u.a. eine Selbstvorstellung auf der Notfallstation oder Zeichen einer koronaren Minderperfusion.
Die initiale Therapie besteht aus einer raschen, aber nicht zu schnellen Senkung des Blutdrucks, idealerweise mit einem Betablocker und/oder Urapidil. Eine notfallmässige Zuweisung in ein Spital mit herzchirurgischen Möglichkeiten ist anzustreben, weil dies unter Umständen bei den Aortendissektionen vom Stanford-Typ A notwendig ist.
Abdomen – Mesenterialinfarkt
Neben den zahlreichen Differenzialdiagnosen eines vitalbedrohlichen akuten Abdomens, wie dem Ileus oder der Perforation, soll hier speziell der Mesenterialinfarkt erwähnt werden. Dabei kommt es zur Infarzierung der Mesenterialgefässe mit darauffolgender Ischämie der betroffenen Darmanteile. Oft – aber nicht nur – liegt hier eine thromboembolische Ätiologie zugrunde. Risikofaktoren hierfür sind ein kardiales Risikoprofil, Status nach Aorteneingriffen oder Trauma, Hämodialyse und Hypovolämie.
Der klinische Befund ist in der Regel unspezifisch, was wiederum auf einen Mesenterialinfarkt hinweisen kann («starke Schmerzen bei wenigen klinischen Befunden»). Laborchemisch konnten erhöhte I-Laktat- oder Amylasewerte nachgewiesen werden.6, 7Der wichtigste Schritt besteht in der Bildgebung und der ggf. daraus folgenden operativen Behebung der Minderperfusion.
Zerebrum – Schlaganfall
Bei einem Schlaganfall kommt es aufgrund einer thromboembolisch bedingten Ischämie oder einer Hämorrhagie zur Schädigung von Hirngewebe. Dabei liegt der Anteil des ischämischen Schlaganfalls bei ca. 80–90%. Das Risiko besteht im Zelluntergang und dem damit verbundenen Verlust von Hirnfunktionen. Faktoren, die das Auftreten eines Schlaganfalls begünstigen, sind Vorhofflimmern, Sepsis und ein kardiales Risikoprofil. Rund 80% aller Schlaganfallpatienten sind über 60Jahre alt.
Klassische Symptome sind Kopfschmerzen, Sehstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Dysarthrie, sensomotorische Ausfälle oder auch Fieber. Während die offensichtlichen Symptome rasch zur Verdachtsdiagnose Schlaganfall führen, sind die diskreten Symptome gefährlicher, weil sie nicht sofort an einen Schlaganfall denken lassen. Dies verzögert die Zeit bis zur entsprechenden Therapie. Präklinisch hilft hier der Face-Arm-Speech-Test (FAST), der Ausfälle der Mimik, der Armmotorik oder eine Aphasie nachweisen kann. Dabei gilt es zu beachten, dass der FAST eine Sensitivität von bis zu 88% hat, jedoch bis zu 40% der posterior bedingten Perfusionsstörungen nicht erfasst.8,9 Daher soll bei unspezifischen Symptomen wie plötzlichen Absenzen grosszügig eine notfallmässige Hospitalisation angestrebt werden.
Relevant ist die Frage nach dem letzten Zeitpunkt, zu welchem der Patient im neurologischen Ursprungszustand gesehen wurde. Davon hängt u.a. ab, ob im Spital ein Schlaganfallalarm ausgelöst wird, damit der Patient rasch einer möglichen Rekanalisierung zugeführt werden kann. Der Blutdruck ist bei systolischen Werten >220mmHg langsam bis auf Werte von circa 180mmHg zu senken (Bedarfshypertonie). Bei starken Hinweisen auf einen hämorrhagischen Schlaganfall kann eine Senkung des systolischen Blutdrucks auf 140mmHg erwogen werden. Wichtig ist eine langsame und kontrollierte Blutdrucksenkung mit bekannten Antihypertensiva wie beispielsweise Urapidil.
Literatur:
1 Pope JH et al.: Clinical features of emergency department patients presenting with symptoms suggestive of acute cardiac ischemia: a multicenter study. J Thromb Thrombolysis 1998; 6: 63 2 Lee TH et al.: Acute chest pain in the emergency room. Identification and examination of low-risk patients. Arch Intern Med 1985; 145: 65 3 Canto JG et al.: Prevalence, clinical characteristics, and mortality among patients with myocardial infarction presenting without chest pain. JAMA 2000; 283: 3223 4 Black JH et al.: Overview of acute aortic dissection and other acute aortic syndromes. UpToDate 2020. Zugriff am 30.04.2021 5 Hirata K et al.: Clinical predictors for delayed or inappropriate initial diagnosis of type A acute aortic dissection in the emergency room. PLoS One 2015; 10: e0141929 6 Cudnik MT et al.: The diagnosis of acute mesenteric ischemia: A systematic review and metaanalysis. Acad Emerg Med 2013; 20: 1087 7 Lange H, Jäckel R: Usefulness of plasma lactate concentration in the diagnosis of acute abdominal disease. Eur J Surg 1994; 160: 381 8 Kothari RU et al.: Cincinnati Prehospital Stroke Scale: reproducibility and validity. Ann Emerg Med 1999; 33: 373-8 9 Gulli G, Markus HS: The use of FAST and ABCD2 scores in posterior circulation, compared with anterior circulation, stroke and transient ischemic attack. J Neurol Neurosurg Psychiatry 2012; 83: 228-9
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