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Unkomplizierte Harnwegsinfekte – Antibiotika differenziert einsetzen

<p class="article-intro">Harnwegsinfektionen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen. Da das klinische Erscheinungsbild sehr heterogen sein kann, ist es notwendig, standardisierte diagnostische und therapeutische Entscheidungen zu treffen. Der nachfolgende Beitrag befasst sich vor allem mit den unkomplizierten Harnwegsinfekten und der Frage, wann der Einsatz von Antibiotika sinnvoll ist.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Harnwegsinfektionen werden entsprechend der Lokalisation in untere (Harnr&ouml;hre und Harnblase) und obere (ein- oder beidseitige Nierenbecken-Niereninfektion) sowie sporadisch akute, rezidivierende oder chronische Infektionen unterteilt. Aufgrund des unterschiedlichen Managements ist es f&uuml;r den prognostischen Verlauf des Patienten von entscheidender Bedeutung, eine rasche Differenzierung zwischen unkompliziertem und kompliziertem Harnwegsinfekt vorzunehmen.<br /> <br /> Komplizierte Harnwegsinfektionen zeichnen sich durch strukturelle (anatomische) und funktionelle Ver&auml;nderungen der ableitenden Harnwege aus, die Harnwegsinfek&shy;tionen beg&uuml;nstigen. Diese Ver&auml;nderungen k&ouml;nnen den Erkrankungsverlauf des Betroffenen ma&szlig;geblich beeinflussen. Die Klassifizierung eines Harnwegsinfektes ist f&uuml;r den klinischen Alltag in der allgemeinmedizinischen Praxis essenziell. Eine leicht umsetzbare und sinnvolle Klassifikation, die das klinische Bild, die bestehenden Risikofaktoren und Therapieoptionen ber&uuml;cksichtigt, wurde von der Arbeitsgruppe der European Association of Urology (EAU) etabliert (Abb. 2).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite12_1.jpg" alt="" width="602" height="705" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite12_2.jpg" alt="" width="596" height="310" /></p> <h2>Diagnostik unkomplizierter Harnwegsinfektionen</h2> <p>Mit den diagnostischen Methoden soll zum einen gekl&auml;rt werden, ob eine therapiebed&uuml;rftige Harnwegsinfektion vorliegt, zum anderen soll der ausl&ouml;sende Erreger festgestellt werden. Trotz der H&auml;ufigkeit von Harnwegsinfektionen und ihrer Bedeutung f&uuml;r die t&auml;gliche klinische Praxis stellt die Diagnostik noch immer eine gro&szlig;e Herausforderung dar. So ist eine Diagnosestellung alleine anhand klinischer Kriterien mit einer Fehlerquote von bis zu einem Drittel behaftet. Selbst der Einsatz niedrigschwelliger Testinstrumente wie Urinteststreifen vermag die diagnostische Genauigkeit nur in geringem Umfang zu erh&ouml;hen. Nur die grunds&auml;tzliche Durchf&uuml;hrung einer Urinkultur mit Bestimmung auch niedriger Erregerzahlen, Differenzierung und Empfindlichkeitspr&uuml;fung k&ouml;nnte in der Zusammenschau mit den klinischen Symptomen die diagnostische Ungenauigkeit verringern (Goldstandard). Eine solche Maximaldiagnostik bei nicht selektierten Patienten ist jedoch weder &ouml;konomisch sinnvoll noch im Alltag praktikabel.<br /> Um die Vortest(Pr&auml;)-Wahrscheinlichkeit zu erh&ouml;hen, nimmt die Anamnese der Patienten einen wesentlichen Stellenwert ein. In der AWMF-S3-Leitlinie f&uuml;r unkomp&shy;lizierte Harnwegsinfekte steht, dass bei allen Patienten, bei denen eine Harnwegsinfektion best&auml;tigt oder ausgeschlossen werden soll, eine gr&uuml;ndliche Anamnese von Symptomen, Befunden und Risikofaktoren erhoben werden muss, wie z.B. Dysurie, Pollakisurie, imperativer Harndrang, verst&auml;rkte oder neu aufgetretene Inkontinenz, Makroh&auml;maturie, suprapubischer Schmerz, Flankenschmerz, Fieber, Geruch und/oder Tr&uuml;bung des Urins, fr&uuml;here Harnwegsinfektionen, auff&auml;lliger pathologischer Fluor vaginalis oder vaginale Irritation sowie Risiko&shy;faktoren f&uuml;r einen komplizierten Verlauf. Mittlerweile ist hierf&uuml;r auch ein diagnostischer Fragebogen in deutscher Sprache erh&auml;ltlich, der sogenannte &bdquo;Acute Cystitis Symptom Score&ldquo; (ACSS), der mit einem Schwellenwert von 6 und h&ouml;her eine sehr gute diagnostische Genauigkeit hat. Einen sehr guten &Uuml;berblick &uuml;ber das weitere diagnostische Vorgehen bei symptomatischen Patienten nach der Anam&shy;nese bietet der Entscheidungsbaum aus der Leitlinie (Abb. 3).</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite14.jpg" alt="" width="" height="" /></p> <h2>Therapie unkomplizierter Harnwegsinfektionen</h2> <p>Die Indikation zur Antibiotikatherapie ergibt sich aus folgenden &Uuml;berlegungen: Bleibt eine unkomplizierte Harnwegsinfektion auf die Harnblase begrenzt, so ist auch bei rezidivierenden Episoden nicht mit gravierenden Komplikationen zu rechnen. Dies wurde auch in Langzeitstudien best&auml;tigt. Die Spontanheilungsraten der akuten unkomplizierten Zystitis sind hoch. Nach einer Woche liegen sie bei etwa 30&ndash;50 % . Bei der Therapie geht es deshalb im Wesentlichen darum, die klinischen Symptome rascher zum Abklingen zu bringen und damit die Morbidit&auml;t zu senken und die Lebensqualit&auml;t des Patienten zu erh&ouml;hen. In den wenigen placebokontrollierten Studien konnte allerdings gezeigt werden, dass mit einer Antibiotikatherapie im Vergleich zu Placebo die Symptome signifikant rascher abklingen. Des Weiteren wird bei empfindlichen Erregern eine signifikant raschere Elimination erreicht. Vor diesem Hintergrund k&ouml;nnte auch bei der akuten unkomplizierten Zystitis eine antibiotische Therapie empfohlen werden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite13_1.jpg" alt="" width="673" height="333" /> <img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite13_2.jpg" alt="" width="673" height="333" /></p> <h2>DEGAM pl&auml;diert f&uuml;r Zur&uuml;ckhaltung bei Antibiotikagabe</h2> <p>Zu diesen prim&auml;ren &Uuml;berlegungen hat die Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM) jedoch innerhalb der Leitlinie ein Minderheitsvotum abgegeben: Zwar besteht ein eindeutiger wissenschaftlicher Beleg, dass eine antibiotische Behandlung einer akuten unkomplizierten Zystitis zu einer schnelleren Heilung/Beschwerdelinderung f&uuml;hrt. Diese Erkenntnis l&auml;sst aber die Forderung nach einer allgemein indizierten antibiotischen Behandlung aller Betroffenen nicht zu. Insbesondere deshalb, weil der Verzicht auf eine antibiotische Therapie nicht mit einer Gef&auml;hrdung einhergeht. Daher wird eine rein symptomatische Therapie oder der Einsatz alternativer Medikamente als Strategie derzeit in prospektiven Studien evaluiert. Die DEGAM hat eine eigene Leitlinie &bdquo;Brennen beim Wasserlassen&ldquo; (www.degam.de/degam-leitlinien-379.html) herausgegeben, die derzeit aktualisiert wird.<br /> Falls eine antibiotische Therapie indiziert ist, gibt die S3-Leitlinie HWI konkrete Empfehlungen f&uuml;r die einzelnen Patientengruppen (vgl. Tab. 1 und 2). Ende 2016 wird die aktualisierte AWMF-S3-Leitlinie zu Harnwegsinfektionen erscheinen.</p></p> <p class="article-footer"> <a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a> <div class="collapse" id="collapseLiteratur"> <p>&bull; Alidjanov JF et al: German validation of the Acute Cystitis Symptom Score. Urologe A 2015; 54: 1269-76<br />&bull; Alos J et al: Antibiotic resistance of Escherichia coli from community-acquired urinary tract infections in relation to demographic and clinical data. Clin Microbiol Infect 2005; 11: 199-203<br />&bull; AWMF-S3-Leitlinie: Harnwegsinfektionen bei Erwachsenen, unkompliziert bakteriell ambulant erworben: Epidemiologie, Diagnostik, Therapie und Management. Registernummer 043&ndash;044<br />&bull; Bundesamt f&uuml;r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit; Paul-Ehrlich-Gesellschaft f&uuml;r Chemotherapie e.V.; Infektiologie Freiburg: GERMAP 2012 &ndash; Bericht &uuml;ber den Antibiotikaverbrauch und die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen in der Human- und Veterin&auml;rmedizin in Deutschland. Rheinbach: Antiinfectives Intelligence 2014<br />&bull; Christiaens TC et al: Randomised controlled trial of nitrofurantoin versus placebo in the treatment of uncomplicated urinary tract infection in adult women. Br J Gen Pract 2002; 52: 729-34<br />&bull; Deutsche Gesellschaft f&uuml;r Infektiologie: S3-Leitlinie: Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus. 1. 12. 2013. Available at: <a href="http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/092-001.html" target="_blank">http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/092-001.html</a><br />&bull; Ferry SA et al: The natural course of uncomplicated lower urinary tract infection in women illustrated by a randomized placebo controlled study. Scand J Infect Dis 2004; 36: 296-301<br />&bull; Little P et al: Developing clinical rules to predict urinary tract infection in primary care settings: sensitivity and specificity of near patient tests (dipsticks) and clinical scores. Br J Gen Pract 2006; 56: 606-12<br />&bull; Naber KG et al: Surveillance study in Europe and Brazil on clinical aspects and antimicrobial resistance epidemiology in females with cystitis (ARESC): implications for empiric therapy. Eur Urol 2008; 54: 1164-75<br />&bull; Rothberg MB et al: A cost-effectiveness model for designing sitespecific management algorithms. J Gen Intern Med 2004; 19(5 Pt 1): 433-43<br />&bull; van der Linden MW et al: NIVEL in 2004 Tweede Nationale Studie naar ziekten en verrichtingen in de huisartspraktijk. Klachten en aandoeningen in de bevolking en in de huisartspraktijk. Utrecht/Bilthoven: NIVEL/RIVM, 2004<br />&bull; Wagenlehner FME et al: Infektionen der Nieren und des Urogenitaltraktes. In Bodmann K-F, Grabein B (eds): Empfehlungen zur kalkulierten parenteralen Initialtherapie bakterieller Erkrankungen bei Erwachsenen. (Paul-Ehrlich-Gesellschaft). Chemotherapie Journal 2010; 19: 222-5<br />&bull; Wagenlehner FME et al: Therapie der unkomplizierten HWI aus urologischer Sicht. Med Welt 2012; 4: 181-4<br />&bull; World Health Organization: Antimicrobial resistance: global report on surveillance 2014. 1. 12. 2013. 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