
Therapieerweiternde Neuromodulationsverfahren
Bericht: Torsten U. Banisch, PhD
Die Verfahren zur invasiven und nichtinvasiven Neuromodulation werden stetig weiterentwickelt. Trotz aller Fortschritte sind begleitende Studien zumeist klein und daher schwierig zu interpretieren. Bei der 9. Dreiländertagung Kopfschmerz wurde ein Überblick über diese Therapielandschaft gegeben und rezente Studien und Therapieansätze wurden vertieft dargestellt.
Fortschritte mit peripherer Neuromodulation bei Kopfschmerz
Neuromodulierende Verfahren verändern die Aktivität des Gehirns, des Rückenmarks oder peripherer Nerven durch den Einsatz von Elektrizität, magnetischen Feldern oder anderen Modalitäten.1 PD Dr. med. Tim Jürgens vom KMG Klinikum Güstrow in Deutschland stellte nichtinvasive Verfahren, welche periphere oder zentrale Strukturen stimulieren, und deren Anwendung und klinischen Nutzen genauer vor.
Transkutane Vagusnervstimulation mit positiven Daten bei der Migräneprophylaxe
Bei der akuten transkutanen Vagusnervstimulation (tVNS) wird ein Hautast des Nervus vagus im Bereich der Ohrmuschel mittels Elektrode stimuliert. Eine Studie an Migränepatient:innen, welche feststellen sollte, ob mit der Behandlung eine Schmerzfreiheit nach zwei Stunden erreicht werden kann, zeigte positive, aber nicht signifikante Effekte.2 Auch eine prophylaktische Wirkung bei episodischer Migräne war limitiert, mit einer nicht signifikanten Abnahme der Zahl der Migränetage.2 Eine weitere Studie an Patient:innen mit chronischer Migräne konnte ebenfalls numerische, aber keine signifikanten Verbesserungen nachweisen.3 Eindeutigere Ergebnisse zur tVNS lieferte die PREVA-Studie. Hier wurde das Zusammenspiel von herkömmlicher Medikation und Neuromodulation an Patient:innen mit Clusterkopfschmerz untersucht und eine Verbesserung in der Prophylaxe ermittelt.4 Bei akuten Attacken konnte eine Wirksamkeit ausschliesslich bei episodischen Clusterkopfschmerzen (CH) festgestellt werden, es bestand kein signifikanter Unterschied bei chronischen CH.5,6 Dies schränkt die Anwendung der Therapie ein, da in der klinischen Praxis vor allem Patient:innen mit chronischen CH anspruchsvoller in der Behandlung sind.
Vielversprechende Migränedaten bei transkutaner trigeminaler Stimulation
Die transkutane Supraorbitalis-Neurostimulation (tSNS) ist in der Migränebehandlung weit verbreitet, hier wird der Stimulator auf der Stirn der Patient:innen angebracht. Die PREMICE-Studie untersuchte im prophylaktischen Setting, ob Patient:innen (n=67) mit ≥2 vorherigen Migräneattacken nach einer täglichen Behandlung für 20 Minuten über drei Monate einen Nutzen haben.7 Nach zwei Monaten lag die Anzahl der Responder (>50%ige Reduktion) bei 38,1%, gegenüber 12,1% in der Sham-Gruppe. Zudem konnten Unterschiede bei den monatlichen Migräneattacken und Kopfschmerztagen ermittelt werden, diese waren jedoch nach drei Monaten nicht mehr signifikant.7 Bei einem ähnlichen Verfahren, der externen trigeminalen Nervenstimulation (e-TNS), wird eine Stimulation von mehr als einer Stunde durchgeführt. Die ACME-Studie konnte zeigen, dass bei Migränepatient:innen (n=106) bereits nach einstündiger Anwendung eine signifikante Verbesserung beim Schmerzempfinden vorlag, welche auch nach 24 Stunden noch anhielt.8 Diese positiven Daten wurden von der TEAM-Studie (n=538) gestützt, bei der moderate bis schwere Migräneattacken über 2 Stunden konstant mit e-TNS behandelt wurden. 25,5% der Patient:innen in der Verumgruppe waren nach zwei Stunden schmerzfrei, gegenüber 18,3% in der Sham-Gruppe, die Behandlung war gut verträglich und es traten keine schweren behandlungsbedingten unerwünschten Ereignisse auf.9
Elektrische Fernneuromodulation (REN) als Prophylaxe und akute Migränetherapie
Eine Neuentwicklung in der Migränebehandlung ist die elektrische Fernneuromodulation (REN), eine extratrigeminale Stimulation. Hier wird für 45 Minuten TNS-artig am Oberarm stimuliert, was profunde Effekte auf den Trigeminus hat. In einer Initialstudie wurden Patient:innen (n=252) innerhalb einer Stunde nach Attackenbeginn für 45 Minuten stimuliert, mit signifikanten Verbesserungen beim Schmerzempfinden nach zwei Stunden und einer lang anhaltenden Wirkung von bis zu 48 Stunden.10 Signifikante Verbesserungen wurden auch bei der Schmerzfreiheit und den MBS («most bothersome symptoms») erzielt.10
Eine Post-hoc-Analyse, welche REN mit einer Akutmedikation verglich, konnte zeigen, dass das Verfahren der pharmakologischen Behandlung nicht unterlegen war.11 Im prophylaktischen Setting wurden Patient:innen (n=179) über einen Zeitraum von acht Wochen jeden zweiten Tag für 45 Minuten behandelt. Die Anzahl der Kopfschmerztage war signifikant reduziert, sowohl bei chronischer als auch episodischer Migräne.12
Es handelt sich somit um ein solides therapeutisches Verfahren. Ein Therapieansatz wäre die Anwendung von REN bei akuten Attacken, bei gleichzeitiger Verminderung des Auftretens neuer Episoden – ein Paradigmenwechsel bei der Behandlung.
Wirkungsvolle Therapie mit transkranieller Magnetstimulation bei episodischer Migräne
Erstmals 2010 in einer Studie vorgestellt, konnte die «single puls» transkranielle Magnetstimulation (TMS) bei Patient:innen (n=164) mit episodischer Migräne mit Aura durch einen einzelnen Puls eine Schmerzfreiheit nach 2 Stunden bei 39% gegenüber 22% in der Shamgruppe erzielen. Das Gerät wurde seitdem stetig weiterentwickelt und ist als leichte, portable Version verfügbar.13 Auch Daten zu einer prophylaktischen Wirkung gibt es bereits: In einer offenen Beobachtungsstudie (n=179), bei der TMS zweimal täglich zum Einsatz kam, nahm die Häufigkeit von Tagen mit Kopfschmerzen/Migräne nach dreimonatiger Behandlung signifikant ab.14
Die kraniale Elektrostimulation bei Kopf- und Gesichtsschmerz
Eine weitere Neuerung ist die kraniale Elektrostimulation (CES), welche nachweislich die Rate an Alphawellen erhöht und Beta-/Gammawellen reduzieren kann.15 Das Gerät wird an die Ohrläppchen angebracht und ist für mehrere Indikationen, wie Depression, Schlafstörung und Schmerz, zugelassen – jedoch gibt es kaum Daten zu Kopf- und Gesichtsschmerz.15 Eine rezente Studie mit 22 Patient:innen mit Glossodynie, welche das Gerät täglich über einen Monat angewendet hatten, konnte zwar Verbesserungen in der Schmerzstärke aufzeigen, diese waren jedoch nicht signifikant.16
Kinetische Oszillationsstimulation bei chronischer Migräne
Bei der kinetischen Oszillationsstimulation (KOS) wird das Gerät in ein Nasenloch eingebracht und mittels Oszillation der parasympathische Reflexbogen induziert, was darauf abzielt, den Trigeminus positiv zu beeinflussen. In der rezenten PM007-Studie wurden 132 Patient:innen, die zum Grossteil ausbehandelt waren, einen Monat lang einmal pro Woche behandelt.17 Es konnte bei einer 30%igen Response-Rate eine signifikante Abnahme der Zahl der schweren bis mittelschweren Kopfschmerztage von 47,1% gegenüber 25,4% in der Shamgruppe ermittelt werden – ein Ergebnis, das nach einem Nachbeobachtungszeitraum von vier Wochen Bestand hatte.17
Invasive Neuromodulation bei chronischem Clusterkopfschmerz und Migräne
PD Dr.med.Andreas Nowacki von der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital in Bern gab einen Überblick über die Grundlagen und Anwendungsgebiete der invasiven Neuromodulation. Der allgemeine Angriffspunkt von Therapien bei episodisch auftretenden Clusterkopfschmerzen sind die trigeminalen Hirnnervenkerne.18 Auch die Schmerzmatrix, also Verschaltungen im Bereich des Thalamus, des singulären Kortex und des Hypothalamus, spielt eine Rolle.19 Diese Erkenntnisse bildeten die Grundlage für das Verfahren der tiefen Hirnstimulation (DBS), welche die posteriore hypothalamische Region stimuliert.
Eine häufig verwendete Alternativbehandlung ist die okzipitale Nervenstimulation (ONS): Hier werden die beiden Okzipitalnerven stimuliert. Da diese mit dem Nervus trigeminus verschaltet sind, wird vermutet, dass dem Krankheitsbild ein gemeinsames Netzwerk zugrunde liegt.
ONS und DBS bei chronischen Clusterkopfschmerzen
Bis 2021 gab es zum ONS-Verfahren bei chronischen Clusterkopfschmerzen nur wenige, kleine retro- und prospektive Studien, welche eine hohe Variabilität zeigten.18 Im Mittel konnte eine Reduktion der Attackenhäufigkeit von 50% mit ONS erreicht werden.18 Die ICON-Studie aus dem Jahr 2021 war die erste multizentrische Doppelblindstudie. Sie wurde an 150 Patient:innen durchgeführt und ermittelte Verbesserungen bei der Frequenz der Attacken, sowohl im subtherapeutischen als auch im therapeutischen Setting.20 Ein Vorteil von ONS ist das niedrige chirurgische Risikoprofil mit nur selten auftretenden, gerätebedingten Komplikationen.
Die invasive DBS wird allgemein als letzte Therapieoption angesehen. Eine prospektive Studie aus dem Jahr 2016 (n=22) konnte zeigen, dass die Zahl der Kopfschmerztage und die Intensität durch die Behandlung signifikant reduziert waren.21 Gerade bei Respondern (>50%ige Reduktion) konnten beachtliche Erfolge erzielt werden, jedoch gab es auch Nicht-Responder mit keinerlei Verbesserungen.21 Eine umfassende Metaanalyse konnte eine signifikante Reduktion der Rate von Kopfschmerzattacken von 77% ermitteln.22 Die Studie zeigte auch, dass erfolgreiche Stimulationen in zwei Clustern erfolgten: zwischen Nucleus ruber und Nucleus subthalamicus oder in der Region posterior des Nucleus ruber. Beide Cluster zeigten bei einer strukturellen Konnektivitätsanalyse ein zugrunde liegendes Netzwerk, welches die trigeminalen Kerne mit dem Hypothalamus und Thalamus verbinden könnte.22
Zusammen mit der ermittelten Responder-Rate von 75% scheint DBS wirksamer als ONS zu sein, jedoch hat der Eingriff ein höheres chirurgisches Risikoprofil.22
ONS und DBS bei chronischer Migräne
Es gibt nur wenige Studien zur Wirkung von ONS bei chronischer Migräne. Eine grössere war die ONSTIM-Studie (n=110), welche eine 60–100%ige Reduktion der Attackenhäufigkeit bei etwa einem Drittel der Patient:innen zeigen konnte, verglichen mit einer medikamentös behandelten Gruppe und einer Preset-Gruppe.23 Der primäre Endpunkt der Studie, eine 50%ige Reduktion der Kopfschmerztage, wurde zwar verfehlt, aber eine Reduktion von 27% festgestellt. Die Studie war jedoch nicht verblindet und die Vergleichsgruppe nicht ideal gewählt.23
Auch eine weitere Studie mit 157 Patient:innen verpasste den primären Endpunkt (Reduktion der Kopfschmerzintensität von 50%), jedoch konnte in der aktiven Gruppe die Anzahl der Kopfschmerztage signifikant reduziert werden.24
Trotz der nur mässigen Erfolge ist ONS eine Alternative für Patient:innen, die medikamentös austherapiert sind und einen hohen Leidensdruck haben. Es gelten jedoch strikte Einschlusskriterien: So dürfen keine psychiatrischen oder psychosomatischen Charakteristika vorhanden sein und Patient:innen müssen die ICHD-3-Kriterien für chronische, primäre Kopfschmerzen und therapierefraktäre Kopfschmerzen erfüllen.25,26
Das Aufkommen parästhesiefreier Therapien
Aufgrund der Datenlage zu ONS und DBS ist der Nutzen noch ungewiss, aber die bereits gezeigten positiven Ergebnisse rechtfertigen ihren Einsatz. Es bedarf weiterer, grosser und qualitativ hochwertiger Studien, um einen besseren Einblick in die Wirksamkeit dieser Therapieformen zu ermöglichen. Aus dem Bereich der Rückenmarksstimulationen kommt mit der Burst-Stimulation eine Alternative zu den Parästhesietherapien.27 Hier werden hochfrequente Pulse verwendet, die unterhalb der Wahrnehmungsschwelle liegen, was auch eine Verblindung von Studien vereinfacht. Eine erste Beobachtungsstudie mit 17 Patient:innen mit chronischer Migräne oder chronischen Clusterkopfschmerzen hat gezeigt, dass diese Therapie nach einem Nachbeobachtungszeitraum von einem Jahr in Bezug auf die Attackenhäufigkeit und Intensität eine gute Wirksamkeit bei Migräne zeigt, mit noch besseren Daten bei Clusterkopfschmerzen.27
Quelle:
9. Dreiländertagung Kopfschmerz, 25.– 27. April 2024 in Interlaken, Schweiz
Literatur:
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