
«Sick Day Rules» sind essenzielles Patientenwissen
Bericht: Claudia Benetti
Medizinjournalistin
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Welche Antidiabetika müssen bei einer akuten Erkrankung abgesetzt, welche sollen weiter eingenommen werden? Und was ist bei einem Steroiddiabetes speziell zu beachten? Die Antworten darauf lieferte Prof. Dr. med. Peter Wiesli, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Frauenfeld, am FOMF Diabetes Update Refresher.
Werden Menschen mit Diabetes mellitus akut krank, müssen sie wissen, welche Präparate sie möglicherweise pausieren müssen – und welche sie auf keinen Fall absetzen sollten. So können Patient:innen mit Typ-1-Diabetes (T1D), die wegen einer akuten Erkrankung ihr Insulin pausieren, in eine Ketoazidose gleiten. Es kann aber auch problematisch werden, wenn bestimmte orale Antidiabetika wie Metformin und SGLT2-Inhibitoren (SGLT2i) trotz akuter Erkrankung nicht abgesetzt werden.
Regeln immer wieder thematisieren
Komplikationen wie eine Ketoazidose sind selten, aber gefährlich. Nicht nur das ärztliche Personal, auch die Betroffenen selbst müssen deshalb die «Sick Day Rules» verinnerlicht haben. «Menschen mit Diabetes müssen wissen, ob sie ihre blutzuckersenkenden Medikamente pausieren müssen oder ob sie sie weiter einnehmen sollen, wenn sie eine akute Gastroenteritis mit Erbrechen und Durchfall haben», erklärte Wiesli. Diese Regeln für Krankheitstage werden in der Sprechstunde am besten immer wieder thematisiert. Als Hilfsmittel kann auf der Homepage der SGED-SSED eine vorgedruckte Karte heruntergeladen oder als Plastikkarte bestellt werden, auf der notiert werden kann, welche Antidiabetika und auch anderen Medikamente (z.B. ACE-Hemmer, Diuretika) die Betroffenen bei einer akuten Erkrankung aussetzen sollen.
«Sick Day Rules» für Insulin …
«Bei einer länger andauernden Nahrungskarenz sollen Patient:innen mit T1D primär den Blutzucker (BZ) messen und das Insulin nicht komplett absetzen», erläuterte Wiesli. In der üblichen Dosis gespritzt werden soll das Basalinsulin. Denn bei T1D hält es den BZ im Nüchternzustand in einem stabilen Bereich.
Bei Menschen, die an einem Typ-2-Diabetes (T2D) mit Insulinmangel erkrankt sind, deckt hingegen das Basalinsulin oft auch einen Teil des prandialen Insulinbedarfs ab. Diese Patient:innen müssen deshalb die Dosis halbieren, wenn sie längere Zeit nichts mehr essen.
Zu den «Sick Day Rules» für Personen mit Diabetes und einer Insulintherapie gehört auch, dass sie bei einer akuten Erkrankung versuchen, Kohlenhydrate zuzuführen und genügend zu trinken. An T1D Erkrankte sollen ausserdem, sofern möglich, die Ketone im Blut messen (Abb. 1).
Ketone steigen immer an, wenn lange nichts mehr gegessen wird. «Nicht erhöhte Werte schliessen deshalb ziemlich zuverlässig eine Ketoazidose aus», so der Referent. Ab einer Keton-Konzentration von 3mmol/l besteht eine diabetische Ketoazidose mit Lebensgefahr. Bei Werten ab 1,5mmol/l sollten die Erkrankten daher ihren behandelnden Arzt oder ihre Ärztin kontaktieren.
Muss wegen eines erhöhten BZ-Spiegels Korrekturinsulin gespritzt werden, gilt die übliche Faustregel: 1IE kurz wirksames Insulin senkt den BZ im Schnitt um 2mmol/l. Bei einem BZ-Wert von beispielsweise 16,8mmol/l sollten somit 5IE eines kurz wirksamen Insulins – Humaninsulin (Actrapid®), Insulin aspart (NovoRapid®, Fiasp®), Insulin lispro (Humalog®, Lyumjev®), Insulin glulisin (Apidra®) – appliziert werden. Da Insulin nachts, insbesondere in der ersten Hälfte, meist besser wirkt, sollte, falls die Korrektur in der Nacht (ab 22h) erfolgt, nur die Hälfte der Dosis verabreicht werden, um Hypoglykämien zu vermeiden.
… und für orale Antidiabetika und GLP-1-Rezeptoragonisten
«Metformin muss bei akuter Erkrankung vor allem dann pausiert werden, wenn die Niere in Gefahr ist», erläuterte Wiesli. Dies ist bei Durchfall und Erbrechen der Fall, aber auch bei einer akuten oder chronischen Niereninsuffizienz und bei allen schweren Erkrankungen wie Hypoxie, Sepsis, Leberinsuffizienz oder schwerer Herzinsuffizienz.
Steht eine Untersuchung an, für die ein jodhaltiges Kontrastmittel (KM) gespritzt werden muss, kann Metformin bei einer eGFR von >45ml/min fortgeführt werden – sofern keine akute Niereninsuffizienz (AKI) besteht und das Kontrastmittel mit renalem Second-Pass-Effekt verabreicht wird, also verdünnt in der Niere ankommt. Bei einer eGFR von 30–45ml/min, einer AKI oder einer KM-Gabe mit renalem First-Pass-Effekt sollte Metformin dagegen bis 48Stunden nach der Untersuchung pausiert werden.
«Ein SGLT2i soll wegen des Risikos für eine Ketoazidose immer abgesetzt werden, wenn Patient:innen für längere Zeit nicht mehr essen oder sich erbrechen», so der Referent. Auch bei Stress, Mangelernährung oder Dehydratation, bei jeder akuten schweren Erkrankung und perioperativ müssen diese Medikamente gestoppt werden. Eine kritische Situation besteht, wenn die Therapie bei Patient:innen mit Insulinmangel umgestellt wird, also Insulin abgesetzt und gleichzeitig ein SGLT2i eingeführt wird», so Wiesli. Typische Symptome der mit SGLT2i assoziierten euglykämischen diabetischen Ketoazidose sind Übelkeit, Erbrechen, Atemnot, Bauchschmerzen und eine Verschlechterung des Allgemeinzustands. Zu den Risikofaktoren dafür zählen ein Insulinmangel, Alkohol, Fasten oder Stresssituationen wie Operationen. Ist der BZ-Spiegel normal, werden therapeutisch sowohl Insulin als auch Glukose infundiert.
Bei Erbrechen und Durchfall sollten auch GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) pausiert werden. «Dies nicht etwa, weil eine Fortführung gefährlich sein könnte, sondern weil GLP-1-RA häufig gastrointestinale Nebenwirkungen auslösen und deshalb auch die Ursache von Durchfall und Erbrechen sein können», erklärte der Referent. Mangelernährung, Dehydrierung und eine akute Pankreatitis sind weitere Situationen, in denen ein GLP-1-RA vorübergehend nicht verabreicht werden sollte.
Bei einer akuten Erkrankung immer abgesetzt werden müssen, laut Wiesli, Pioglitazon und Sulfonylharnstoffe. «Denn ein Fastenzustand erhöht das Hypoglykämierisiko der Sulfonylharnstoffe zusätzlich. Das gilt im Übrigen auch für die Insuline», so der Experte.
Zu den Medikamenten, die bei einer Gastroenteritis am ehesten weitergeführt werden können, gehören die DPP4-Inhibitoren (Gliptine). Ein Absetzen lohnt sich jedoch, wenn eine ihrer sehr seltenen Nebenwirkungen, wie eine Pankreatitis oder ein Pemphigoid, auftritt.
Spezielle Aspekte beim Steroiddiabetes
Beim Steroiddiabetes variieren das BZ-Profil und die Therapie, je nachdem, welches Glukokortikoid verabreicht wird. Wird beispielsweise dreimal täglich kurz wirksames Dexamethason gegeben, steigt der Blutzucker dauerhaft an. Ein durch Dexamethason induzierter Steroiddiabetes kann daher in der Regel wie ein klassischer Diabetes mellitus behandelt werden.
Anders bei einer Therapie mit Prednison. «Mit Prednison ist der Blutzucker typischerweise am Morgen (nüchtern) normal, am Mittag hoch, am Abend noch höher und über Nacht sinkt er wieder auf einen Normalwert», so Wiesli (Abb. 2).1 Ein solches Profil haben geschätzt auch 5–7% der Personen mit Diabetes, die kein Prednison erhalten. «Für die Diagnose eines Steroiddiabetes unter Prednison sind deshalb der Nüchtern-BZ und das HbA1c zu Beginn einer Steroidbehandlung nicht geeignet», betonte der Referent. Es brauche dafür ein BZ-Tagesprofil.
Abb. 2: Kontinuierliches Glukose-Monitoring bei Personen mit und ohne Prednisolon-Therapie (adaptiert nach Burt MG et al., 2011)1
Ein milder Steroiddiabetes kann mit oralen Antidiabetika behandelt werden. Unproblematisch sind Metformin, DPP4i und GLP-1-RA. Von einem SGLT2i hingegen riet Wiesli eher ab, da diese Medikamente zumindest theoretisch mit einem höheren Risiko für eine Ketoazidose einhergehen. Ungeeignet sind Sulfonylharnstoffe und Glitazone.
«Oft braucht es zur Behandlung des Steroiddiabetes Insulin, insbesondere bei einer länger andauernden Therapie mit Prednison», betonte er. Verabreicht wird ein kurz wirksames Basisinsulin, das nicht länger als 24 Stunden wirkt. Dieses muss immer gleichzeitig mit dem Prednison appliziert werden. Weil Steroide in der Regel zu einer Insulinresistenz führen, wird meist eine höhere Insulindosis benötigt. Steroidgabe, Insulintherapie und Ernährung müssen zudem miteinander koordiniert werden. «Wird die Steroiddosis verändert, muss gleichzeitig auch die Insulindosis angepasst werden», sagte Wiesli.
Gestartet wird wie üblich mit 10IE Insulin. Die Dosis wird bei einer Therapie mit Prednison jedoch nicht auf Basis des Nüchtern-BZ schrittweise erhöht, sondern basierend auf dem postprandialen Wert am Abend, also wenn der BZ unter Prednison seinen Spitzenwert im Tagesverlauf erreicht hat. Titriert wird, bis der BZ am Abend auf den Wert am Morgen gesenkt ist. Die speziellen Empfehlungen für die Behandlung eines Steroiddiabetes können laut Wiesli auch in den normalen Diabetes-Guidelines nachgelesen werden.
Quelle:
FOMF Diabetes Update Refresher, 9. bis 12. November 2023, Zürich
Literatur:
1 Burt MG et al.: Continuous monitoring of circadian glycemic patterns in patients receiving prednisolone for COPD. J Clin Endocrinol Metab 2011; 96: 1789-96
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