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Sicherheit im Strassenverkehr: Wie man die Fahreignung prüft
Leading Opinions
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20.04.2017
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<p class="article-intro">Ihr Patient kommt mit einem Schreiben des Strassenverkehrsamts: Seine Fahreignung müsse geprüft werden. Welcher Arzt eine solche Prüfung durchführen darf, welche Voraussetzungen man erfüllen muss und was man bei der Prüfung beachten muss, erklärte der Verkehrsmediziner Dr. med. Rolf Seeger vom Institut für Rechts- und Verkehrssicherheit in Zürich an der SwissFamilyDocs Conference in Montreux.</p>
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<p class="article-content"><p>Der Mann ist 75 Jahre, leidet ab und zu unter Schwindelattacken und Schwächeanfällen. Er fährt sehr gerne Auto und möchte keinesfalls darauf verzichten. Seine Kinder machen sich aber Sorgen: Kann der Vater noch fahren? Darf er das überhaupt noch?<br /> Bei bis zu 10 % der Senioren (>70 Jahre), schätzt Rolf Seeger, ist die Fahreignung zweifelhaft oder nicht mehr gegeben. Der Verkehrsmediziner und sein Team untersuchen pro Jahr 10 000 Personen bezüglich Fahreignung, davon 800 bis 1000 über 70-Jährige. «Das ist aber nur ein kleiner Prozentsatz der Senioren», sagte Seeger. «Die übrigen untersuchen Sie als Hausärzte – Sie haben hier eine wichtige Triage-Funktion.»<br /> Für Inhaber eines Motorfahrzeugausweises (sämtliche Kategorien) ist ab dem 70. Lebensjahr alle zwei Jahre eine ärztliche Kontrolluntersuchung obligatorisch. Inhaber von Fahrausweisen einer höheren Kategorie müssen sich bereits ab dem Erwerb des Ausweises regelmässigen Kontrolluntersuchungen unterziehen: bis zum Alter von 50 Jahren alle fünf Jahre und danach bis zum 70. Lebensjahr alle drei Jahre. Ausserdem muss die Fahrtauglichkeit nach schweren Unfällen und schweren Krankheiten untersucht werden.</p> <h2>Neue Verordnung</h2> <p>Per 1. 7. 2016 wurde die Verkehrszulassungsverordnung geändert und der Bundesrat hat neue Vorschriften erlassen (Artikel 25 Bst. e und f des Strassenverkehrsgesetzes). Darin sind die Anforderungen an die Untersucher neu in vier Stufen gemäss der Art der Fahreignungsuntersuchung definiert (Tab. 1, Abb. 1). Stufe 1 entspricht der periodischen Fahrtauglichkeitsprüfung von über 70-Jährigen. Durchführen kann diese Untersuchungen jeder Facharzt, der die Schulungsmodule 1–3 bei der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) besucht oder unter www.medtraffic.ch selbst deklariert hat, dass er über die entsprechenden Kenntnisse verfügt (Tab. 2). Für Untersuchungen der Stufe 2 – Fahreignungsprüfung bei Bewerbern und Inhabern von höheren Führerausweiskategorien – benötigt der Arzt zusätzlich die Module 4–5. Neu ist unter anderem auch, dass man bei unklarem Ergebnis den Patienten zur Zweituntersuchung an einen Kollegen weiterverweisen kann, der die Voraussetzungen für die verkehrsmedizinischen Untersuchungen der Stufen 3 und 4 erfüllt. «Finden Sie, Ihr Patient sei nicht mehr fahrtüchtig, möchten aber das gute Verhältnis zu ihm nicht dadurch stören, dass Sie ihm das Fahren verbieten, schicken Sie ihn zu einem Arzt der Stufe 3 oder 4 mit dem Hinweis ‹Fahreignung unklar› », sagte Seeger. «So geben Sie den Schwarzen Peter weiter.» Bis zum 31. 12. 2017 gilt eine Übergangsregel: Ärzte der Stufe 1 dürfen die regelmässigen Kontrollen bei Senioren weiterhin nach bisherigem Recht ohne Anerkennung durch die kantonale Behörde durchführen. Die Termine für die erforderlichen Schulungsmodule sind unter www.medtraffic.ch zu finden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_tab1.jpg" alt="" width="1427" height="2255" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_abb1.jpg" alt="" width="1420" height="1480" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_tab2.jpg" alt="" width="1442" height="1159" /></p> <h2>Neu: zwei Gruppen in Bezug auf medizinische Anforderungen</h2> <p>In Bezug auf die medizinischen Mindestanforderungen gibt es in der neuen Verordnung, wie in der EU, nur noch zwei und nicht mehr drei Gruppen: Die erste Gruppe umfasst Lenker von Privatfahrzeugen bis zu 3,5 Tonnen, die zweite Gruppe Fahrer von LKW, Taxi oder Bus sowie Verkehrsexperten. Es gibt also keine spezielle Gruppe mehr für Busfahrer. «Für einige Buschauffeure gelten aber trotzdem noch zusätzliche Bestimmungen», sagte Seeger. «So zum Beispiel für solche, die an einem Diabetes oder einer Epilepsie leiden.» Geändert wurden zudem einige gesetzliche Mindestanforderungen, zum Beispiel wurde die Mindestgrösse für die Gruppe 2 aufgehoben, und in der Gruppe 1 dürfen nun auch gehörlose Einäugige Auto fahren. Das erforderliche Sehvermögen wurde ebenfalls an EU-Recht angepasst: Für die Gruppe 1 beträgt die Sehschärfe neu besseres Auge: =0,5/schlechteres Auge: =0,2. Bei einem Visus von weniger als 0,7/0,2 muss der Patient allerdings noch vom Augenarzt ein Attest einholen. Das Gesichtsfeld muss horizontal mindestens 120 Grad betragen. «Ältere Menschen drehen bei der Prüfung des Gesichtsfeldes oft den Kopf, sobald sie die Bewegung des Arms sehen», sagte Seeger. «Das können Sie verhindern, indem Sie sich eine Taschenlampe vor die Nase halten – dann wird der Fixationsreiz viel stärker.»<br /> Geändert haben sich auch die Vorgaben für Diabetiker. Neu ist unter anderem, dass Typ-1-Diabetiker den Blutzucker vor und während längerer Fahrten messen müssen.</p> <h2>Beurteilung der Fahreignung</h2> <p>Bei der Beurteilung der Fahreignung muss der Arzt zwei Fragen beantworten: 1. Sind die medizinischen Mindestanforderungen erfüllt? 2. Liegen Krankheiten oder medizinisch bedingte Zustände mit möglicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrfähigkeit vor? «Sie müssen aber nicht abklären, wie gut der Patient Auto fährt», stellte Seeger klar. Die periodischen Kontrolluntersuchungen werden vom Strassenverkehrsamt angeordnet. Da der Arzt in diesem Fall die Rolle eines Sachverständigen bzw. Gutachters innehat, gilt die ärztliche Schweigepflicht gegenüber der Behörde nicht, und der Arzt ist verpflichtet, korrekt zu berichten. Übersieht der Arzt bei der Untersuchung der Fahreignung etwas Wesentliches, zum Beispiel eine Hemianopsie, und überfährt der Patient dann einen Fussgänger, kann der Arzt wegen Sorgfaltspflichtverletzung belangt werden. «Um angeklagt zu werden, muss man aber schon schwere Fehler begehen», beruhigte Seeger.<br /> Auf das Formular an das Strassenverkehrsamt schreibt der Arzt: «Die medizinischen Mindestanforderungen werden erfüllt resp. nicht erfüllt. Es liegen keine Krankheiten oder medizinisch bedingte Zustände mit möglicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrfähigkeit vor resp. es bestehen verkehrsrelevante Krankheiten oder medizinisch bedingte Zustände mit möglicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrfähigkeit. » Die Bestätigung der Fahreignung erfolgt dann jedoch durch das Strassenverkehrsamt.</p> <h2>Kognitive Tests nur bei begründetem Verdacht</h2> <p>Unsicher sind sich manche Prüfärzte auch, welche Tests zur Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten gemacht werden sollen. Generell gilt, dass solche Tests nur bei begründetem Verdacht notwendig sind. «Einzelne Kurztests helfen allerdings wenig», sagte Seeger. «Gegebenenfalls muss man ein gründliches Demenz-Screening machen.» Hierzu gehören: nochmalige klinische Untersuchung, Mini-Mental- State, Uhrentest sowie Trail Making Test A und B (Abb. 2). Die Fahreignung kann auch trotz gewisser kognitiver Einschränkungen als positiv beurteilt werden: wenn man klinisch keine erheblichen Auffälligkeiten feststellt, die Kurztests unauffällig oder nur minimal auffällig sind, der Patient keiner teilweisen Betreuung bedarf, er keine Aggressivität zeigt und eine gute Krankheitseinsicht hat. Keine Erlaubnis sollte man geben, wenn der Betroffene klinisch erhebliche Auffälligkeiten zeigt, in den Kurztests sehr auffällig abschneidet (z.B. MMS Die Untersuchung fällt nicht in den Tarmed-Tarif. Der Verkehrsmediziner empfiehlt, angemessen entsprechend arbeitsmedizinischen Leistungen abzurechnen, was minimal 260 Franken pro Stunde entsprechen würde. Als Grundtarif seien 120 bis 150 Franken gerechtfertigt, eine Abrechnung über die Krankenkasse sei klar illegal. Bei neuen behandlungsbedürftigen Diagnosen könne man allenfalls ein Splitting machen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_abb2.jpg" alt="" width="1425" height="1301" /></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: SwissFamilyDocs Conference 2016, Montreux
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