© Getty Images/iStockphoto

Sicherheit im Strassenverkehr: Wie man die Fahreignung prüft

<p class="article-intro">Ihr Patient kommt mit einem Schreiben des Strassenverkehrsamts: Seine Fahreignung müsse geprüft werden. Welcher Arzt eine solche Prüfung durchführen darf, welche Voraussetzungen man erfüllen muss und was man bei der Prüfung beachten muss, erklärte der Verkehrsmediziner Dr. med. Rolf Seeger vom Institut für Rechts- und Verkehrssicherheit in Zürich an der SwissFamilyDocs Conference in Montreux.</p> <hr /> <p class="article-content"><p>Der Mann ist 75 Jahre, leidet ab und zu unter Schwindelattacken und Schw&auml;cheanf&auml;llen. Er f&auml;hrt sehr gerne Auto und m&ouml;chte keinesfalls darauf verzichten. Seine Kinder machen sich aber Sorgen: Kann der Vater noch fahren? Darf er das &uuml;berhaupt noch?<br /> Bei bis zu 10 % der Senioren (&gt;70 Jahre), sch&auml;tzt Rolf Seeger, ist die Fahreignung zweifelhaft oder nicht mehr gegeben. Der Verkehrsmediziner und sein Team untersuchen pro Jahr 10 000 Personen bez&uuml;glich Fahreignung, davon 800 bis 1000 &uuml;ber 70-J&auml;hrige. &laquo;Das ist aber nur ein kleiner Prozentsatz der Senioren&raquo;, sagte Seeger. &laquo;Die &uuml;brigen untersuchen Sie als Haus&auml;rzte &ndash; Sie haben hier eine wichtige Triage-Funktion.&raquo;<br /> F&uuml;r Inhaber eines Motorfahrzeugausweises (s&auml;mtliche Kategorien) ist ab dem 70. Lebensjahr alle zwei Jahre eine &auml;rztliche Kontrolluntersuchung obligatorisch. Inhaber von Fahrausweisen einer h&ouml;heren Kategorie m&uuml;ssen sich bereits ab dem Erwerb des Ausweises regelm&auml;ssigen Kontrolluntersuchungen unterziehen: bis zum Alter von 50 Jahren alle f&uuml;nf Jahre und danach bis zum 70. Lebensjahr alle drei Jahre. Ausserdem muss die Fahrtauglichkeit nach schweren Unf&auml;llen und schweren Krankheiten untersucht werden.</p> <h2>Neue Verordnung</h2> <p>Per 1. 7. 2016 wurde die Verkehrszulassungsverordnung ge&auml;ndert und der Bundesrat hat neue Vorschriften erlassen (Artikel 25 Bst. e und f des Strassenverkehrsgesetzes). Darin sind die Anforderungen an die Untersucher neu in vier Stufen gem&auml;ss der Art der Fahreignungsuntersuchung definiert (Tab. 1, Abb. 1). Stufe 1 entspricht der periodischen Fahrtauglichkeitspr&uuml;fung von &uuml;ber 70-J&auml;hrigen. Durchf&uuml;hren kann diese Untersuchungen jeder Facharzt, der die Schulungsmodule 1&ndash;3 bei der Schweizerischen Gesellschaft f&uuml;r Rechtsmedizin (SGRM) besucht oder unter www.medtraffic.ch selbst deklariert hat, dass er &uuml;ber die entsprechenden Kenntnisse verf&uuml;gt (Tab. 2). F&uuml;r Untersuchungen der Stufe 2 &ndash; Fahreignungspr&uuml;fung bei Bewerbern und Inhabern von h&ouml;heren F&uuml;hrerausweiskategorien &ndash; ben&ouml;tigt der Arzt zus&auml;tzlich die Module 4&ndash;5. Neu ist unter anderem auch, dass man bei unklarem Ergebnis den Patienten zur Zweituntersuchung an einen Kollegen weiterverweisen kann, der die Voraussetzungen f&uuml;r die verkehrsmedizinischen Untersuchungen der Stufen 3 und 4 erf&uuml;llt. &laquo;Finden Sie, Ihr Patient sei nicht mehr fahrt&uuml;chtig, m&ouml;chten aber das gute Verh&auml;ltnis zu ihm nicht dadurch st&ouml;ren, dass Sie ihm das Fahren verbieten, schicken Sie ihn zu einem Arzt der Stufe 3 oder 4 mit dem Hinweis &lsaquo;Fahreignung unklar&rsaquo; &raquo;, sagte Seeger. &laquo;So geben Sie den Schwarzen Peter weiter.&raquo; Bis zum 31. 12. 2017 gilt eine &Uuml;bergangsregel: &Auml;rzte der Stufe 1 d&uuml;rfen die regelm&auml;ssigen Kontrollen bei Senioren weiterhin nach bisherigem Recht ohne Anerkennung durch die kantonale Beh&ouml;rde durchf&uuml;hren. Die Termine f&uuml;r die erforderlichen Schulungsmodule sind unter www.medtraffic.ch zu finden.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_tab1.jpg" alt="" width="1427" height="2255" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_abb1.jpg" alt="" width="1420" height="1480" /></p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_tab2.jpg" alt="" width="1442" height="1159" /></p> <h2>Neu: zwei Gruppen in Bezug auf medizinische Anforderungen</h2> <p>In Bezug auf die medizinischen Mindestanforderungen gibt es in der neuen Verordnung, wie in der EU, nur noch zwei und nicht mehr drei Gruppen: Die erste Gruppe umfasst Lenker von Privatfahrzeugen bis zu 3,5 Tonnen, die zweite Gruppe Fahrer von LKW, Taxi oder Bus sowie Verkehrsexperten. Es gibt also keine spezielle Gruppe mehr f&uuml;r Busfahrer. &laquo;F&uuml;r einige Buschauffeure gelten aber trotzdem noch zus&auml;tzliche Bestimmungen&raquo;, sagte Seeger. &laquo;So zum Beispiel f&uuml;r solche, die an einem Diabetes oder einer Epilepsie leiden.&raquo; Ge&auml;ndert wurden zudem einige gesetzliche Mindestanforderungen, zum Beispiel wurde die Mindestgr&ouml;sse f&uuml;r die Gruppe 2 aufgehoben, und in der Gruppe 1 d&uuml;rfen nun auch geh&ouml;rlose Ein&auml;ugige Auto fahren. Das erforderliche Sehverm&ouml;gen wurde ebenfalls an EU-Recht angepasst: F&uuml;r die Gruppe 1 betr&auml;gt die Sehsch&auml;rfe neu besseres Auge: =0,5/schlechteres Auge: =0,2. Bei einem Visus von weniger als 0,7/0,2 muss der Patient allerdings noch vom Augenarzt ein Attest einholen. Das Gesichtsfeld muss horizontal mindestens 120 Grad betragen. &laquo;&Auml;ltere Menschen drehen bei der Pr&uuml;fung des Gesichtsfeldes oft den Kopf, sobald sie die Bewegung des Arms sehen&raquo;, sagte Seeger. &laquo;Das k&ouml;nnen Sie verhindern, indem Sie sich eine Taschenlampe vor die Nase halten &ndash; dann wird der Fixationsreiz viel st&auml;rker.&raquo;<br /> Ge&auml;ndert haben sich auch die Vorgaben f&uuml;r Diabetiker. Neu ist unter anderem, dass Typ-1-Diabetiker den Blutzucker vor und w&auml;hrend l&auml;ngerer Fahrten messen m&uuml;ssen.</p> <h2>Beurteilung der Fahreignung</h2> <p>Bei der Beurteilung der Fahreignung muss der Arzt zwei Fragen beantworten: 1. Sind die medizinischen Mindestanforderungen erf&uuml;llt? 2. Liegen Krankheiten oder medizinisch bedingte Zust&auml;nde mit m&ouml;glicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrf&auml;higkeit vor? &laquo;Sie m&uuml;ssen aber nicht abkl&auml;ren, wie gut der Patient Auto f&auml;hrt&raquo;, stellte Seeger klar. Die periodischen Kontrolluntersuchungen werden vom Strassenverkehrsamt angeordnet. Da der Arzt in diesem Fall die Rolle eines Sachverst&auml;ndigen bzw. Gutachters innehat, gilt die &auml;rztliche Schweigepflicht gegen&uuml;ber der Beh&ouml;rde nicht, und der Arzt ist verpflichtet, korrekt zu berichten. &Uuml;bersieht der Arzt bei der Untersuchung der Fahreignung etwas Wesentliches, zum Beispiel eine Hemianopsie, und &uuml;berf&auml;hrt der Patient dann einen Fussg&auml;nger, kann der Arzt wegen Sorgfaltspflichtverletzung belangt werden. &laquo;Um angeklagt zu werden, muss man aber schon schwere Fehler begehen&raquo;, beruhigte Seeger.<br /> Auf das Formular an das Strassenverkehrsamt schreibt der Arzt: &laquo;Die medizinischen Mindestanforderungen werden erf&uuml;llt resp. nicht erf&uuml;llt. Es liegen keine Krankheiten oder medizinisch bedingte Zust&auml;nde mit m&ouml;glicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrf&auml;higkeit vor resp. es bestehen verkehrsrelevante Krankheiten oder medizinisch bedingte Zust&auml;nde mit m&ouml;glicher negativer Auswirkung auf Fahreignung oder Fahrf&auml;higkeit. &raquo; Die Best&auml;tigung der Fahreignung erfolgt dann jedoch durch das Strassenverkehrsamt.</p> <h2>Kognitive Tests nur bei begr&uuml;ndetem Verdacht</h2> <p>Unsicher sind sich manche Pr&uuml;f&auml;rzte auch, welche Tests zur Untersuchung der kognitiven F&auml;higkeiten gemacht werden sollen. Generell gilt, dass solche Tests nur bei begr&uuml;ndetem Verdacht notwendig sind. &laquo;Einzelne Kurztests helfen allerdings wenig&raquo;, sagte Seeger. &laquo;Gegebenenfalls muss man ein gr&uuml;ndliches Demenz-Screening machen.&raquo; Hierzu geh&ouml;ren: nochmalige klinische Untersuchung, Mini-Mental- State, Uhrentest sowie Trail Making Test A und B (Abb. 2). Die Fahreignung kann auch trotz gewisser kognitiver Einschr&auml;nkungen als positiv beurteilt werden: wenn man klinisch keine erheblichen Auff&auml;lligkeiten feststellt, die Kurztests unauff&auml;llig oder nur minimal auff&auml;llig sind, der Patient keiner teilweisen Betreuung bedarf, er keine Aggressivit&auml;t zeigt und eine gute Krankheitseinsicht hat. Keine Erlaubnis sollte man geben, wenn der Betroffene klinisch erhebliche Auff&auml;lligkeiten zeigt, in den Kurztests sehr auff&auml;llig abschneidet (z.B. MMS Die Untersuchung f&auml;llt nicht in den Tarmed-Tarif. Der Verkehrsmediziner empfiehlt, angemessen entsprechend arbeitsmedizinischen Leistungen abzurechnen, was minimal 260 Franken pro Stunde entsprechen w&uuml;rde. Als Grundtarif seien 120 bis 150 Franken gerechtfertigt, eine Abrechnung &uuml;ber die Krankenkasse sei klar illegal. Bei neuen behandlungsbed&uuml;rftigen Diagnosen k&ouml;nne man allenfalls ein Splitting machen.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_datafiles_data_Zeitungen_2017_Leading Opinions_Innere_1702_Weblinks_s13_abb2.jpg" alt="" width="1425" height="1301" /></p></p> <p class="article-quelle">Quelle: SwissFamilyDocs Conference 2016, Montreux </p>
Back to top