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Orale Antikoagulation beim älteren Patienten
DAM
Autor:
OA Dr. Lukas Fiedler
Abteilung für Innere Medizin, Landesklinikum Baden-Mödling<br> Standort Mödling<br> E-Mail: lukas.fiedler@moedling.lknoe.at
30
Min. Lesezeit
08.09.2016
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<p class="article-intro">Diese Patientengruppe stellt den behandelnden Arzt vor besondere Herausforderungen. Komedikationen, Komorbiditäten und verminderte Adhärenz zu den verschriebenen Medikationen erschweren die sichere und standardisierte Therapie.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite22_1.jpg" alt="" width="600" height="382" /></p> <p>Der ältere Patient ist in der Literatur mit 75 Jahren und älter definiert.<sup>1, 2</sup> Das Alter selbst stellt einen signifikanten Risikofaktor für Vorhofflimmern, venöse Thromboembolien und Blutungsereignisse dar.<sup>3, 4</sup> Dieser Umstand erfordert eine individualisierte, möglichst einfache und sichere Verschreibungspraxis für Patienten mit einer Indikation für eine orale Antikoagulation. Diese bewegt sich immer im Spannungsfeld zwischen Blutungsrisiko und thromboembolischem Event. Direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) haben gegenüber den bewährten Vitamin-K-Antagonisten eindeutig Vorteile. Es werden weniger Interaktionen mit anderen Medikamenten oder Nahrungsmitteln berichtet. Und aufgrund des vorhersagbaren pharmakokinetischen Profils wirken DOAK nicht nur schneller und haben eine kürzere Halbwertszeit als Vitamin-K-Antagonisten, sondern sie sind auch ohne Routinekontrolle der Gerinnungsparameter zugelassen. Dies bedeutet einen zusätzlichen Vorteil in der Akzeptanz der Präparate beim Patienten und ärztlichen Personal.</p> <h2>Risikoscores</h2> <p>Zur besseren Einschätzung des Blutungs- und Schlaganfallrisikos sind Risikoscores das adäquate Hilfsmittel. Für die Einschätzung des Blutungsrisikos ist der HAS-BLED-Score (Tab. 1) etabliert. Zur Beurteilung des thromboembolischen Risikos hat der CHA<sub>2</sub>DS<sub>2</sub>-VASc-Score (Tab. 2) die beste Evidenz bei einfacher Anwendbarkeit. Eine mögliche Unterbehandlung mit oraler Antikoagulation kann damit möglicherweise verhindert werden. Bei beiden wird das Alter berücksichtigt, auch wenn die Altersgrenze mit 65 Jahren niedriger gewählt wurde.</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite22_2.jpg" alt="" width="415" height="1019" /></p> <h2>Der antikoagulierte Patient ≥75 Jahre</h2> <p>Die Datenlage zu der speziellen Gruppe der älteren Patienten stützt sich auf Subgruppenanalysen und Metaanalysen aus den großen DOAK-Studien.<br /> <br /> Jedes einzelne DOAK zeigte bei Patienten ≥75 Jahre zumindest die gleiche Effektivität wie Vitamin-K-Antagonisten (Warfarin). Dies gilt für die Reduktion des Risikos von ischämischem Schlaganfall, systemischer Embolie und venösen Thromboembolien. In den Studien zu Vorhofflimmern wurde eine signifikante Risikoreduktion für ischämischen Schlaganfall und systemische Embolie für Dabigatran 150mg und Apixaban beobachtet.<sup>5</sup><br /> <br /><strong> Große Blutungen</strong><br /> Bei Patienten ≥75 Jahre wurde eine signifikante Reduktion von großen Blutungen im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten für Apixaban und Edoxaban beobachtet. In der Gesamtstudienpopulation zeigten sich alle DOAK dem Vitamin-K-Antagonisten in der Verhinderung großer Blutungen überlegen. Dabigatran 150mg zeigte bei den Älteren ein nicht signifikant erhöhtes Risiko für große Blutungen, während die niedrigere Dosis von 110mg ein ähnliches Risiko aufweist wie der Vitamin-K-Antagonist. In der gesamten Studienpopulation wies die Dabigatran-110mg-Dosierung eine signifikante und Dabigatran 150mg eine nicht signifikante Risikoreduktion gegenüber dem Vitamin-K-Antagonisten auf. <br /> <br /><strong> Gastrointestinale Blutungen</strong><br /> Bei älteren Patienten zeigte sich eine signifikante Erhöhung der gastrointestinalen Blutungen bei beiden Dosen Dabigatran im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten. Daten der anderen DOAK liegen für die Fragestellung nicht vor. In der gesamten Studienpopulation zeigte nur die höhere Dosis von Dabigatran 150mg, Rivaroxaban und Edoxaban 60mg einen signifikanten Anstieg der gastrointestinalen Blutungen.<br /> <br /><strong> Intrakranielle Blutungen</strong><br /> In der älteren Studienpopulation konnte eine signifikante Reduktion des intrakraniellen Blutungsrisikos für Dabigatran in beiden Dosierungen und für Apixaban gezeigt werden. Eine nicht signifikante Reduktion des Risikos konnte für Rivaroxaban demonstriert werden. Für Edoxaban sind diese Daten bei älteren Patienten nicht verfügbar. Die Reduktion des Risikos für intrakranielle Blutungen durch alle DOAK in der gesamten Studienpopulation stellt den zentralen Vorteil dieser neuen Therapie im Vergleich zu den Vitamin-K-Antagonisten dar.<br /> <br /><strong> Klinisch relevante Blutungen</strong><br /> Apixaban zeigte sich in der Verhinderung relevanter Blutungen in der Gruppe der älteren Patienten überlegen. Bei den übrigen DOAK zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Reduktion des Risikos für klinisch relevante Blutungen bei Patienten ≥75 Jahre. In der gesamten Studienpopulation zeigten sich Apixaban, Dabigatran 150mg und Edoxaban in beiden Dosierungen dem Vitamin-K-Antagonisten in der Reduktion des Risikos für klinisch relevante Blutungen über­legen.<br /> <br /><strong> Tödliche Blutungen</strong><br /> Gesamt waren tödliche Blutungen sehr selten. Lediglich Rivaroxaban zeigte sich in dieser Fragestellung dem Vitamin-K-Antagonisten überlegen. Für die übrigen DOAK zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der Verhinderung von tödlichen Blutungen. Für Edoxaban sind diese Daten nicht vorhanden. In der Gesamtstudienpopulation zeigten sich Rivaroxaban, Dabigatran 110mg und Edoxaban in beiden Dosierungen dem Vitamin-K-Antagonisten in der Reduktion des Risikos für tödliche Blutungen überlegen. Die Beurteilung dieser Daten hat, aufgrund des seltenen Auftretens dieses Ereignisses, mit Vorsicht zu erfolgen.<br /> <br /><strong> Dosierung Apixaban</strong><br /> Die Normaldosierung beträgt 2x 5mg Apixaban täglich. Die niedrigere Dosierung von 2x 2,5mg täglich ist bei mindestens zwei der folgenden Risikofaktoren empfohlen: Alter ≥80, Körpergewicht ≤60kg oder ein Serumkreatinin ≥1,5mg/dl. Bei schwerer Niereninsuffizienz, Kreatinin-Clearance (CrCl) <15ml/min, ist Apixaban kontraindiziert.<br /> <br /><strong> Dosierung Dabigatran</strong><br /> Die Standarddosis für Dabigatran beträgt 150mg 2x/Tag. Eine Dosisreduktion auf 2x 110mg täglich ist für Patienten mit einem Alter von ≥80 Jahren empfohlen. Dies gilt auch bei einer moderat eingeschränkten Nierenfunktion (CrCl von 30–45ml/min) oder unter Therapie mit Verapamil. Bei einer CrCl <30ml/min ist Dabigatran kontraindiziert.<br /> <br /><strong> Dosierung Edoxaban</strong><br /> Die Standarddosis für Edoxaban beträgt 60mg/Tag. Eine Dosisreduktion auf 30mg täglich ist für Patienten mit moderat eingeschränkter Nierenfunktion (CrCl von 30–50ml/min) oder einem Körpergewicht <60kg indiziert. Bei einer CrCl <15ml/min ist Edoxaban kontraindiziert.<br /> <br /><strong> Dosierung Rivaroxaban</strong><br /> Die Standarddosis beträgt 20mg 1x täglich. Eine Dosisreduktion auf 15mg täglich aufgrund des Alters ist bei Rivaroxaban nicht empfohlen, allerdings bei einer eingeschränkten CrCl ab 30–49ml/min. Die Anwendung von Rivaroxaban bei einer CrCl <15ml/min wird nicht empfohlen.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>DOAK sind bei Patienten ≥75 Jahre mindestens so effektiv wie Vitamin-K-Antagonisten. Dabigatran zeigte ein signifikant erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen und ein nicht signifikant erhöhtes Risiko für große Blutungen im Vergleich mit Vitamin-K-Antagonisten. Für die anderen DOAK sind diese Daten für ältere Patienten nicht publiziert. In der Gesamtpopulation der Studien (das heißt inklusive der „jüngeren“ Patienten) zeigte sich das gastrointestinale Blutungsrisiko bei Rivaroxaban, bei Dabigatran 150mg und bei Edoxaban 60mg im Vergleich mit Vitamin-K-Antagonisten erhöht. In der Verschreibungspraxis von jeglichem Antikoagulans sollte daher auf zusätzliche Risikofaktoren für gastrointestinale Blutungen nicht nur beim älteren Patienten geachtet werden. Insbesondere mit dem Wissen, dass ein erhöhtes Risiko für gastrointestinale Blutungen die Mortalität im Alter erhöht.<br /> Ein hohes Alter sollte per se aber kein Kriterium darstellen, um eine orale Antikoagulation mit DOAK zu unterlassen. Die intrakranielle Blutung stellt einen der stärksten Faktoren für die Mortalität bei Patienten unter oraler Antikoagulation dar. Die Verhinderung dieser neurologisch-internistischen Katastrophe stellt daher den großen Benefit der DOAK-Therapie dar.<br /> <br /> Möglicherweise sind diese Substanzen in der Patientengruppe der ≥75-Jährigen sogar noch effektiver. Im Gegensatz zu einem „One drug fits all“-Ansatz sollte eine individualisierte Therapie unter Berücksichtigung des Blutungsrisikos, der Komorbiditäten und der Komedikationen bei älteren Patienten Anwendung finden.</p></p>
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Yusuf S et al: Effects of clopidogrel in addition to aspirin in patients with acute coronary syndromes without ST-segment elevation. N Engl J Med 2001; 345(7): 494-502<br /><strong>2</strong> Mega JL et al: Rivaroxaban in patients with a recent acute coronary syndrome. N Engl J Med 2012; 366(1): 9-19<br /><strong>3</strong> Antithrombotic Trialists' (ATT) Collaboration et al: Aspirin in the primary and secondary prevention of vascular disease: collaborative meta-analysis of individual participant data from randomised trials. Lancet 2009; 373(9678): 1849-60<br /><strong>4</strong> Kyrle PA et al: Clinical scores to predict recurrence risk of venous thromboembolism. Thromb Haemost 2012; 108(6): 1061-4<br /><strong>5</strong> Sharma M et al: Efficacy and harms of direct oral anticoagulants in the elderly for stroke prevention in atrial fibrillation and secondary prevention of venous thromboembolism: systematic review and meta-analysis. Circulation 2015; 132(3): 194-204</p>
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