© Michael - stock.adobe.com

SSI-Kongress

Multiresistente Keime: Wo stehen wir?

Der Kampf gegen Medikamentenresistenzen gehört zu den «Top 10» Gesundheitszielen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Am grössten ist das Problem in den Ländern Südostasiens und Afrika. Internationale Reisen und Migration tragen zur Verbreitung von resistenten Keimen aus diesen Ländern bei. Noch wichtiger ist aber die Entstehung von Resistenzen durch eine zu häufige oder falsche Anwendung von Antibiotika.

Im Jahr 2014 verfasste der Ökonom Jim O’Neill im Auftrag des britischen Premierministers David Cameron und dem gemeinnützigen Wellcome Trust einen Report über antimikrobielle Resistenzen (AMR). Dieser prognostizierte, dass im Jahr 2050 ca. 10 Millionen Todesfälle infolge von AMR auftreten.1 Vier Jahre später schätzte das Netzwerk der «Antimicrobial Resistance Collaborators» die Zahl der AMR-assoziierten Todesfälle weltweit auf 4,95 Millionen – Tendenz steigend.2 Wie ein Blick auf die verschiedenen Kontinente zeigt, rangieren Afrika und der Süden Asiens bei den AMR-assoziierten Todesfälle an oberster Stelle. Die meisten Todesfälle wurden in Zusammenhang mit resistenten Escherichia coli (E. coli), Staphylococcus aureus (Staph. aureus), Klebsiella pneumoniae (K. pneumoniae), Streptococcus pneumoniae (Strept. pneumoniae) und Acinobacter baumanii (A. baumanii) verzeichnet. «Letztere findet man auf den Intensivstationen vieler Länder - unter anderem in der Schweiz – weshalb man sie gut im Auge behalten muss», sagte Dr. med. Walter Zingg, Leitender Arzt, Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich.

<< Spital-assoziierte Transmissionen sind vermutlich auch in der Schweiz einer der Hauptfaktoren für die Zunahme von Antibiotikaresistenzen.>>
W. Zingg, Zürich

Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs: Eine auf 474 Punkt-Prävalenz Erhebungen in 99 Ländern basierende Untersuchung bezifferte die Anzahl der Spital-assoziierten Medikamentenresistenzen weltweit auf 136 Millionen jährlich. Die Krankheitslast, gemessen an den Spital-assoziierten Medikamentenresistenzen, war in bevölkerungsreichen Länder wie beispielsweise China oder Pakistan am grössten. Die höchsten Kosten infolge der Infektionen trugen Länder mit mittleren Einkommen.3

Die Situation in Europa und der Schweiz

In Europa gehen die meisten «Healthcare»-assoziierten oder nosokomialen Infektionen mit Todesfolge auf das Konto von 3GCREC (E. coli mit Resistenz gegen Cephalosporine der 3. Generation), MRSA (Methicillin-resistente Staph. aureus), CRPA (Pseudomonas aeruginosa mit Resistenz gegen Carbapeneme) und 3GCRKP (K. pneumoniae mit Resistenzen gegen Cephalosporine der 3. Generation). Die Summe der verlorenen Lebensjahre («disability-adjusted life-years», DALYs) verursacht durch AMR/MDR («multidrug resistance») war in Italien, Griechenlang und Rumänien am grössten. Diese Länder weisen im Vergleich zu den übrigen Ländern einen höheren Anteil an Carbapenem-resistenten oder Colistin-resistenten E. coli, K. pneumoniae, Acinobacter spp. und P. aeruginosa auf.4

Über die Situation in der Schweiz geben die Analysen des Schweizerischen Zentrums für Antibiotikaresistenzen, ANRESIS, Auskunft. Diesen zufolge haben die DALYS infolge von AMR/MDR in der Zeit von 2010 bis 2019 zugenommen.5 Die mit Abstand grösste Anzahl von Todesfällen wird auf Infektionen mit 3GCREC zurückgeführt. Interessant sind die regionalen Unterschiede: So war die Krankheitslast gemessen an der Summe der DALYs infolge von AMR/MDR in den französischsprachigen Landesteilen höher, als in den deutschsprachigen Regionen.

«Driver» von Antibiotikaresistenzen

An erster Stelle der Faktoren, die zur Entwicklung von AMR/MDR beitragen, steht der falsche oder zu häufige Antibiotikaeinsatz, gefolgt von der Übertragung multiresistenter Keimen im Gesundheitswesen.6 Mit der globalen Zunahme des Lebensstandards und dem besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung steigen der Antibiotikagebrauch und damit auch die Resistenzen. Etwa 33% der Differenzen bei den Antibiotikaresistenzen zwischen den Ländern sind auf Unterschiede im Gebrauch zurückzuführen. Bezieht man die Korruption, den wichtigsten sozioökonomischen Faktor, der zur Ausbreitung der Resistenzen beiträgt, mit ein, steigt der Anteil auf 63%.7

Für die Resistenzentwicklung spielt längst nicht nur der menschliche Antibiotikakonsum eine Rolle, sondern auch die in der Tierzucht eingesetzten Antibiotika, die über die Ausscheidung in die Umwelt gelangen und mit der Nahrung wieder aufgenommen werden. Wie eine Studie zeigt, leiten zudem globale Antibiotikaproduzenten – vor allem in Indien und Bangladesh – pro Tag mehrere Kilogramm das heisst im Jahr mehreren Tonnen Antibiotika direkt mit dem Abwasser in die Umwelt.8 Auch in Ländern mit hohem Einkommen wurden Antibiotikarückstände im Abwasser von Kläranlagen gefunden. Das deutet darauf hin, dass die heute eingesetzten Technologie nicht zu einer vollständigen Eliminierung von Antibiotika führen.

Häufiger als angenommen tragen nosokomiale Infektionen zur Entwicklung und Ausbreitung von AMR/MDR bei. Eine Studie in der die genetischen Sequenzen und epidemiologischen Daten von mehr als 1700 K. pneumoniae-positiven Proben, die von Patienten aus 244 Spitälern in 32 Ländern stammten, analysiert wurden konnte zeigen, dass bei über der Hälfte der Spitäler mit Carbapenemase-positiven Isolaten von K. pneumoniae eine Übertragung innerhalb des Spitals stattgefunden hatte.9 «Persönlich glaube ich, dass die Spital-assoziierten Transmissionen auch in der Schweiz einer der Hauptfaktoren für die Zunahme von Multiresistenzen sind», sagte W. Zingg.

Reisetätigkeit und Migration fördern Verbreitung von AMR/MDR

Die Wahrscheinlichkeit einer Kolonisation mit multiresistenten Bakterien, ist nach der Reise in Länder mit einer hohen Prävalenz für ESBL («extended spectrum beta-lactamase») produzierende Bakterien gross. Eine deutsche Untersuchung, die 230 zuvor ESBL-PE (ESBL-produzierende Enterobakterien) negative Reisende nach der Rückkehr aus Südindien, Iran und Pakistan testete, zeigte bei 23% eine positive Probe.10 Einen interessanten Einblick in die Dynamik der Akquisition zeigte eine Untersuchung mit 20 Probanden, die während ihres Aufenthalts in Vientiane (Laos) täglich Stuhlproben abgeben musste. Wie die Ergebnisse zeigten, waren alle Probanden zu irgendeinem Zeitpunkt ihres rund 3-wöchigen Aufenthalts mit ESBL-produzierenden gramnegativen Bakterien kolonisiert. Die Kolonisation änderte sich laufend, wobei die Akquisition von neuen Stämmen dazu führte, dass der initiale gramnegative ESBL-resistente Stamm nicht mehr nachweisbar war.11

Niedriger scheint das Risiko einer Akquisition der besonders gefürchteten CP-CRE «carbapanemase-produzierenden carbapenem-resistenten Enterobakterien» und MCRE («mcr-mediierten colistin-resistenten Enterobakterien») zu sein, wie eine Multicenterstudie aus den USA zeigt. Von den 412 internationalen Reisenden waren nach der Rückkehr <1% mit CP-CRE und 5% mit MCRE kolonisiert.12 Am häufigsten mit der Akquisition von gramnegativen MDR assoziiert, waren Reisen nach Südostasien und Peru. Eine hohe Kolonisation mit MDR, vor allem ESBL-PE zeigte sich auch bei Patienten, die aus Ländern mit einer hohen MDR-Prävalenz repatriiert wurden.13

Als eine der Ursachen für die Verbreitung von MDR gilt die Migration. Eine Studie mit 1544 Migrantinnen und Migranten aus Asien und Afrika, die in Deutschland Asyl suchten, zeigte, dass 19% mit ESBL-PE kolonisiert waren, aber keiner der Studienteilnehmer mit CP-CRE. Die Autoren schlussfolgerten, dass bei Fehlen weiterer Risikofaktoren wie zum Beispiel ein vorausgegangener Spitalaufenthalt im Herkunftsland, die Kolonisation mit CP-CRE bei Migrantinnen und Migranten aus Ländern mit einer hohen ESBL-Prävalenz kein Problem zu sein scheint.14

Eine weiter Studie, die die Kolonisation mit MDR-Bakterien bei Patienten aus der Ukraine untersuchte, die in einem Frankfurter Spital behandelt wurden, zeigte, bei 16% einen positiven Test für MDR-gramnegative Keime, aber interessanter Weise keinen Hinweis auf MRSA. Die Prävalenz von CP-CRE betrug 9,7%, wobei alle der betroffenen Patienten in der Ukraine - teilweise aufgrund von Kriegsverletzungen - medizinisch vorbehandelt worden waren.15

Gemeinsames Jahresmeeting der Swiss Society of Infectious Diseases (SSI), Swiss Society for Hospital Hygiene (SSHH) with fibs (SIPI) und der Swiss Society of Tropical and Tracel Medicine (SSTTM), 13. bis 15. September 2023, Zürich.

1 Tackling drug-resistant infections globally: finale report and recommendations. The Review on antimicrobial resistance. Chaired bei Jim O’Neill. 2016. Einsehbar unter: www.amr-review.org 2 Antimicrobial Resistance Collaborators. Global burden of bacterial antimicrobial resistance in 2019: a systematic analysis. Lancet 2022; 399: 629-55 3 Balasubramanian R et al. Global incidence in hospital-associated infections resistant to antibiotics: An analysis of point prevalence surveys from 99 countries. PLoS Med 2023; 20: e1004178 4 Cassini A et al.: Attributable deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in the EU and the European Economic Area in 2015: a population-level modelling analysis. Lancet Infect Dis 2019; 19: 56-66 5 Gasser M et al.: Associated deaths and disability-adjusted life-years caused by infections with antibiotic-resistant bacteria in Switzerland, 2010 to 2019. Euro Surveill 2023; 28: 2200532 6 Holmes AH et al.: Understanding the mechanisms and drivers of antimicrobial resistance. Lancet 2016; 387: 176-87 7 Collignon P et al.: Antimicrobial resistance: the major contribution of poor governance and corruption to this growing problem. PLoS One 2015; 10: e0116746 8 Larsson DGJ et al.: Effluent from drug manufactures contains extremely high levels of pharmaceuticals. J Hazard Mater 2007; 148: 751-5 9 David S et al.: Epidemic of carbapenem-resistant Klebsiella pneumoniae in Europe is driven by nosocomial spread. Nat Microbiol 2019; 4: 1919-29 10 Meurs L et al.: Intestinal colonization with extended-spectrum beta-lactamase producing Enterobacterales (ESBL-PE) during long distance travel: A cohort study in a German travel clinic (2016-2017). Travel Med Infect Dis 2020: 33: 101521 11 Kantele A et al.: Dynamics of intestinal multidrug-resistant bacteria colonisation contracted by visitors to a high-endemic setting: a prospective, daily, real-time sampling study. Lancet Microbe 2021; 2: e151-58 12 Mellon G et al.: Acquisition of antibiotic-resistant bacteria by U.S. international travelers. N Engl J Med 2020; 382: 1372-74 13 Khawaja T et al.: Patients hospitalized abroad as importers of multiresistant bacteria-a cross-sectional study. Clin Microbiol Infect 2017; 23: 673 14 Ehlkes L et al.: No evidence of carbapenemase-producing Enterobacteriaceae in stool samples of 1,544 asylum seekers arriving in Rhineland-Palatinate, Germany, April 2016 to March, 2017. Euro Surveill 2019; 24: 1800030 15 Schultze T et al.: Molecular surveillance of multidrug-resistant Gram-negative bacteria in Ukrainian patients, Germany, March to June 2022. Euro Surveill 2023; 28: 2200850

Back to top