
Alles spricht für die Kombination SGLT2-Hemmer plus GLP-1-RA
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Um diabetische Komplikationen frühzeitig zu erkennen und zu behandeln, ist eine regelmässige Untersuchung der Patienten mit Diabetes mellitus durch den Hausarzt essenziell. Durch eine gute Blutzuckereinstellung kann das Auftreten von Langzeitschäden deutlich verzögert werden. Am Update Refresher Allgemeine Innere Medizin ging Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Leiter Diabetologie am Universitätsspital in Zürich, auf die verschiedenen mikrovaskulären Spätfolgen ein und erläuterte, worauf in Prävention und Behandlung zu achten ist.
Die Langzeitschäden bei Diabetes mellitus sind abhängig von der glykämischen Exposition. «Je höher das HbA1c ist und je länger eine Diabeteserkrankung dauert, umso eher treten Komplikationen auf», erläuterte Lehmann. Doch es gibt eine gute Nachricht: Mit einer intensiven Behandlung können Folgeschäden einer Diabeteserkrankung deutlich reduziert werden. Wird zum Beispiel das HbA1c bei Patienten mit Typ-1-Diabetes (DM1) von 9% auf 7% reduziert, nimmt die Häufigkeit von Retino-, Nephro- und Neuropathie um 40–75% ab.1–3 Auch andere Risiken können – sowohl bei DM1 als auch bei DM2 – durch eine adäquate Behandlung gesenkt werden, so zum Beispiel das Risiko für den 3-Punkte-MACE (nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Schlaganfall oder Tod durch Schlaganfall oder Herzinfarkt) um 57%.4
Ähnlich wie bei Rauchern die kumulierte Exposition in Pack-Years angegeben wird, kann bei Diabetikern die kumulierte glykämische Exposition in HbA1c-Jahren angegeben und anhand des Resultats abgeschätzt werden, wann mit dem Auftreten von diabtischen Spätfolgen zu rechnen ist.5 Dabei gilt: 1 HbA1c-Jahr = 1 Jahr mit HbA1c von 7% (1% über dem Zielwert von 6%). «Man weiss, dass es bei DM1 für das Auftreten der meisten mikrovaskulären Komplikationen die Belastung von 60–70 HbA1c-Jahren braucht. Bei einem HbA1c von 8% ist aber bereits nach 27 Jahren und bei einem HbA1c von 10% nach 15 Jahren mit dem Auftreten der Komplikationen zu rechnen»,5, 6 erklärte Lehmann. Weitere Risikofaktoren, wie Hypertonie, Dyslipidämie und viszerale Adipositas, die bei Typ-2-Diabetikern häufig vorhanden sind, sowie Rauchen beschleunigen den Prozess zusätzlich. Bei DM2-Patienten kommt hinzu, dass die Diagnose meistens erst etwa zehn Jahre nach Beginn der Erkrankung gestellt wird und sich in dieser Zeit bereits 15 HbA1c-Jahre kumuliert haben.
«Eine regelmässige Kontrolle der Diabetespatienten in der Allgemeinpraxis ist wichtig», betonte der Diabetologe. Mindestens einmal pro Jahr sollte der Hausarzt zum Beispiel die Füsse begutachten, die Sensibilität mit der Stimmgabel oder dem Monofilament prüfen, die peripheren Pulse palpieren, die grösseren Gefässe auskultieren und die Patienten zur augenärztlichen Kontrolle schicken. Ausserdem sollten regelmässig die Albuminurie und mindestens einmal pro Jahr die eGFR bestimmt werden. «Spätestens dann, wenn die glomeruläre Filtrationsrate unter 30ml/min/1,73m2 sinkt, sollte der Patient einem Nephrologen zugewiesen werden», so Lehmann.
Diabetische Neuropathie beginnt in der Regel an den Füssen
«Die diabetische Neuropathie entspricht in der Regel dem klassischen distal symmetrischen Typ mit Beginn in den längsten Nervenfasern, also distal an den Füssen», erläuterte Lehmann. In mehr als 95% der Fälle liegt eine Polyneuropathie vor. Am häufigsten sind die chronisch sensomotorische und die akut sensorische Form, etwas seltener die autonome Polyneuropathie. Sehr viel seltener (1–3,5%) findet man eine Mononeuropathie oder eine Mononeuroitis multiplex.
Bei atypischen Neuropathien, die schnell progressiv verlaufen, oder beim gleichzeitigen Auftreten von motorischen Symptomen empfiehlt es sich, einen Neurologen beizuziehen.
Für die schmerzhafte Neuropathie gibt es verschiedene symptomatische Therapien. Behandelt wird in der Regel mit Antidepressiva, Antikonvulsiva, Opiaten und bei lokalisierten Schmerzen auch mit einer Capsaicin-haltigen Salbe. «Schwieriger zu therapieren ist die autonome diabetische Neuropathie», so der Referent. Für Patienten mit orthostastischen Problemen empfiehlt er Kompressionsstrümpfe, Midodrin und Mineralkortikoide, bei einer Gastroparese kleinere und häufigere Mahlzeiten sowie Prokinetika, bei erektiler Dysfunktion PDE-5-Hemmer oder Prostaglandin-Injektionen und bei Blasendysfunktion Blasentraining, cholinerge Substanzen und Selbst-Katheterisierung. Für die periphere diabetische Polyneuropathie gibt es keine spezifische Therapie. Für diese Patienten sind regelmässige Kontrollen und eine gute podologische Betreuung sehr wichtig.
Visusverlust vermindern
Am Auge verursacht der Diabetes typischerweise drei Komplikationen: die frühzeitige Katarakt, die diabetische Retinopathie und das diabetische Makulaödem. Die diabetische Retinopathie verläuft meistens lange symptomfrei. «Der Patient bemerkt sie oft erst, wenn ein Makulaödem auftritt, das mit einem deutlichen Visusverlust einhergeht», so Lehmann. Weil die Progressionsrate ohne Therapie sehr hoch ist, ist für alle Diabetiker eine regelmässige augenärztliche Kontrolle zwingend.
Die ophthalmologische Erstuntersuchung sollte bei DM1 bei Kindern zwischen dem 8. und 11. Lebensjahr, bei Erwachsenen 5 Jahre nach der Diagnosestellung und bei DM2 sofort nach der Diagnosestellung erfolgen. Kontrolluntersuchungen sind bei Patienten ohne oder mit einer moderaten diabetischen Retinopathie halbjährlich oder jährlich angezeigt und bei schweren Formen nach drei Monaten, bei proliferativer Form eventuell auch früher.
«Mit einer effektiven Behandlung lässt sich der Visusverlust bei diabetischer Retinopathie um 90% vermindern», unterstrich Lehmann. Das Makulaödem kann mit fokaler Laserkoagulation oder intravitalen Anti-VEGF-Injektionen (Ranibizumab oder Aflibercept) behandelt werden, Neovaskularisationen mit panretinaler Laserkoagulation oder Ranibizumab. Eine Vitrektomie wird heute nur noch selten vorgenommen. «Wichtig: Steht eine Katarakt-Operation an, muss immer zuerst, falls vorhanden, das Makulaödem behandelt werden», betonte Lehmann.
DM2-Patienten sind die grösste Dialysegruppe
Die weltweite Prävalenz der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) ist mit 10% hoch. Die Hautursache ist – neben dem Bluthochdruck – der Diabetes mellitus. Unabhängig vom Diabetestyp entwickeln alle Zuckerkranken innert 10 bis 20 Jahren eine diabetische Nephropathie. «Allein die Patienten mit DM2 machen mehr als die Hälfte der Dialysepatienten aus», sagte Lehmann. Allerdings sterben die meisten von ihnen nicht an Nierenversagen, sondern an einer kardiovaskulären Ursache.
Die CKD wird anhand der aufgrund der Nierenfunktion und der Albuminurie in verschiedene Stadien eingeteilt. Je höher die Albuminurie und je niedriger die GFR, desto höher ist das kardiovaskuläre Risiko. Bei DM1 ist die Mikroalbuminurie zu 80% spezifisch für eine manifeste Nephropathie. Bei DM2 ist sie hingegen nur zu 20–30% spezifisch für die diabetische Nephropathie. «Hier ist sie vielmehr Ausdruck einer generalisierten Endotheldysfunktion und ein Indikator dafür, dass der Patient gefässkrank ist», erklärte Lehmann. Hat ein Patient mit einer Mikroalbuminurie auch eine Retinopathie, ist die Diagnose einer diabetischen Nephropathie so gut wie sicher. Liegt keine Retinopathie vor, kommen viele andere Ursachen für die Mikroalbuminurie infrage.
Nephroprotektive Antidiabetika
Eine gute Prophylaxe und Therapie sind bei der diabetischen Nephropathie besonders wichtig. «Gut behandelt, kann die Dialysepflichtigkeit um viele Jahre hinausgezögert werden», betonte Lehmann. Zudem muss eine Mikroalbuminurie nicht zwingend in einem Nierenversagen münden, sondern kann über längere Zeit stabil bleiben oder sogar zurückgehen. «Voraussetzung ist eine adäquate Diabetesbehandlung», so der Spezialist. Der Abfall der glomerulären Filtrationsrate kann mit einer guten Blutzuckereinstellung und einer RAAS-Blockade mittels ACE-Hemmer oder Sartan deutlich verlangsamt werden.7–9
Zudem haben die SGLT2-Hemmer und die GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) eine nachgewiesene renoprotektive Wirkung. So reduzierten beispielsweise Empagliflozin in der EMPA-REG-OUTCOME- und Liraglutid in der LEADER-Studie den sekundären kombinierten renalen Endpunkt (Makroalbuminurie, Verdoppelung des Kreatininwerts, Dialyse/Transplantation oder renaler Tod) um 44% resp. 22%.10, 11 Für Canagliflozin liegen mit der renalen Outcome-Studie CREDENCE auch Daten für Typ-2-Diabetiker mit bestehender chronischer Nierenerkrankung vor: Die Behandlung mit Canagliflozin führte bei diesen Patienten im Vergleich zu Placebo zu einer Reduktion des kombinierten primären Endpunkts (Nierenerkrankung im Endstadium, Verdopplung des Kreatininwerts, Tod aufgrund einer kardiovaskulären oder renalen Ursache) um 30% und des Risikos für den nierenspezifischen kombinierten Endpunkt (Nierenerkrankung im Endstadium, Verdopplung des Kreatininwerts sowie renaler Tod) um 34%.12 Die Ergebnisse der CREDENCE-Studie führten dazu, dass Canagliflozin in der Schweiz vor Kurzem auch für die Senkung des Risikos der Progression einer diabetischen Nierenerkrankung bei erwachsenen Patienten mit Typ-2-Diabetes und Albuminurie zugelassen wurde.13
«Aufgrund der aktuellen Datenlage besteht die optimale Behandlung der diabetischen Nephropathie heute aus einem SGLT2-Hemmer und einer RAAS-Blockade»,14 bilanzierte Lehmann.
Effekte von SGLT2-Hemmern und GLP1-RA
Für alle mikro- und makrovaskulären Komplikationen ist eine gute Blutzuckerkontrolle essenziell. «Betrachtet man die Wirkungen, die SGLT2-Hemmer und GLP-1-RA neben der Blutzuckersenkung noch haben, spricht alles für die Kombination der beiden», so Lehmann. Beide schützen die Niere, senken das Risiko für den 3-Punkte-MACE und führen zu einem Gewichtsverlust. Darüber hinaus wirken sich die SGLT2-Hemmer günstig auf die Herzinsuffizienz aus und die GLP-1-RA auf das Schlaganfallrisiko (Tab. 1).
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Tab. 1: Die Vorteile von GLP-1-RA und SGLT2-Hemmer: Alles spricht für die Kombination der beiden Substanzklassen
Die Schweizerische Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED) empfiehlt deshalb in ihren aktuellen Leitlinien, bei Typ-2-Diabetes Metformin bereits frühzeitig mit einem SGLT2-Hemmer oder einem GLP-1-RA zu kombinieren (Abb. 1).15 Der nächste Schritt ist die Dreierkombination aus Metformin, SGLT2-Hemmer und GLP-1-RA. Ist auch diese Massnahme nicht zielführend, ist Insulin indiziert. «Zusätzlich gehören natürlich immer auch Lebensstilmodifikationen und die Behandlung von kardiovaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck und Dyslipidämie dazu», betonte Lehmann.
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Abb. 1: Essenzielle Empfehlungen der SGED für die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 für Allgemeininternisten (2020; adaptiert nach Lehmann et al.)15
Bericht:
Claudia Benetti
Medizinjournalistin
Quelle:
FomF – Update Refresher Allgemeine Innere Medizin, 13.–16. Mai 2020, Zürich (Livestream)
Literatur:
1 Diabetes Control and Complications Trial Research Group: Progression of retinopathy with intensive versus conventional treatment in the Diabetes Control and Complications Trial. Ophthalmology 1995; 102: 647-61 2 The Diabetes Control and Complications (DCCT) Research Group: Effect of intensive therapy on the development and progression of diabetic nephropathy in the Diabetes Control and Complications Trial. Kidney Int 1995; 47: 1703-20 3 The Diabetes Control and Complications Trial Research Group: The effect of intensive diabetes therapy on the development and progression of neuropathy. Ann Intern Med 1995; 122: 561-68 4 Nathan DM et al.: Intensive diabetes treatment and cardiovascular disease in patients with type 1 diabetes. N Engl J Med 2005; 353: 2643-53 5 Lehmann R: Das Glukosegedächtnis meldet sich zurück. Swiss Med Forum 2009; 09: 398-401 6 Orchard TJ et al.: Cumulative glycemic exposure and microvascular complications in insulin-dependent diabetes mellitus. the glycemic threshold revisited. Arch Int Med 1997; 157: 1851-6 7 de Boer IH et al.; DCCT/EDIC Research Group: Intensive diabetes therapy and glomerular filtration rate in type 1 diabetes. N Engl J Med 2011; 365: 2366-76 8 Lewis EJ et al.: The effect of angiotensin-converting-enzyme inhibition on diabetic nephropathy. N Engl J Med 1993; 329: 1456-62 9 Brenner BM et al.: Effects of losartan on renal and cardiovascular outcomes in patients with type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2001; 345: 861-9 10 Wanner DH et al.; EMPA-REG OUTCOME Investigators: Empagliflozin and progression of kidney disease in type 2 diabetes. N Engl J Med 2016; 375: 323-34 11 Mann JFE et al.; LEADER Steering Committee and Investigators: Liraglutide and renal outcomes in type 2 diabetes. N Engl J Med 2017; 377: 839-84 12 Perkovic V et al.; CREDENCE Trial Investigators: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med 2019; 380: 2295-2306 13 Fachinformation Invokana® www.swissmedicinfo.ch 14 Chemey DZ et al.: Renal hemodynamic effect of sodium-glucose cotransporter 2 inhibition in patients with type 1 diabetes mellitus. Circulation 2014; 129: 587-97 15 Lehmann R et al.: Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED/SSED) für die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 (2020). https://www.sgedssed.ch/diabetologie/sged-empfehlungen-diabetologie
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