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Frühjahrskongress der SGAIM

Klimaveränderung und Gesundheit

Die Fakten zeigen es: Die Klimaveränderung ist real und menschengemacht. Die Folgen sind überwiegend negativ und beeinflussen alle Lebensbereiche, darunter auch die Gesundheit. Warum die Transformation hin zu einer Welt ohne CO2-Emissionen so schwierig ist und er dennoch verhalten optimistisch ist, schilderte der Klimatologe Professor Dr. Reto Knutti von der ETH Zürich am SGAIM-Frühjahrskongress in Basel.

Die Welt wird wärmer. Mit dramatischen Folgen für die Umwelt, wie die Bilder von ausgetrockneten Seen in der Schweiz, Waldbränden in Nordamerika und Australien oder die Flutkatastrophe von ungesehenem Ausmass in Pakistan zeigt. «Doch nicht nur die Bilder der zerstörten Natur berühren uns, sondern auch diejenigen der davon betroffenen Menschen», sagte Reto Knutti, Professor für Klimaphysik an der ETH Zürich. «Im 4.Report on Climate change haben wir geschrieben, dass die Klimaerwärmung eindeutig ist», so Knutti, einer der Mitautoren des 2007 erschienen Berichts. Gemäss den globalen Temperaturaufzeichnungen von 1850 bis 2022 ist die weltweite Temperatur durchschnittlich um 1,2 Grad angestiegen. In der Schweiz beträgt der Anstieg das 2-Fache des globalen Durchschnitts. Vor allem seit Ende 1980, Anfang 1990 habe die Erwärmung deutlich zugenommen.

Der menschliche Einfluss auf das Klima ist eindeutig. Der Weg, um das zu zeigen, waren 3 Kilometer tiefe Bohrungen im Eis der Antarktis. Je tiefer man bohrt, desto älter ist das Eis und die darin eingeschlossenen Luftblasen mit Treibhausgas. Über die Analyse der wichtigsten Treibhausgase Methan und CO2 lässt sich das Klima über eine Million Jahre rekonstruieren. Dabei sieht man, dass die Treibhausgase Schwankungen unterliegen: über Hundertausende von Jahren hoch und runter und am Ende ein dramatischer Anstieg. Es sei kein Diplom in Statistik nötig, um zu erkennen, dass sich etwas verändert habe. «Wir haben die Zusammensetzung der Atmosphäre schneller verändert, als das über Millionen von Jahren zuvor passiert ist», so der Wissenschaftler.

Gesundheitliche Folgen der Klimaveränderung

Die möglichen Szenarien reichen von einer moderaten Zunahme der globalen Durchschnittstemperatur von 2 Grad Celsius bis zu einem desaströsen Temperaturanstieg von 4 Grad Celsius und weitaus grösseren regionalen Unterschieden, wie zum Beispiel eine Zunahme der Temperatur von 10 bis 12 Grad in der Arktis.

Die Klimaveränderung hat direkte und indirekte Folgen für unsere Gesundheit. Hitzewellen mit heissen Tagen und Nächten stellen vor allem für ältere Menschen ein Gesundheitsrisiko dar. Die erste Hitzewelle in Europa im Jahr 2003 forderte etwa 70000 zusätzliche Todesfälle. Aktuell liesse sich einer von drei Todesfällen infolge von Hitze direkt auf die Klimaveränderung zurückführen. Klimamodelle zeigen, dass die Zahl der Hitzetage mit Temperaturen über 30 Grad bis zum Jahr 2100 auf 30–60 zunimmt. Doch schon jetzt werden an verschiedenen Orten der Welt eindrückliche Temperaturrekorde aufgestellt. Bisher habe man von einem neuen Temperaturrekord gesprochen, wenn die vorhergehende Höchsttemperatur um ein oder zwei Zehntel-Grad überschritten worden sei. Mit Temperaturen von 51,6 Grad Celsius im Juni im Irak, 38,7 Grad im April in Spanien und 45,4 Grad in Thailand wurden die bislang gemessenen Temperaturrekorde um 4–5 Grad gebrochen.

«Diese Temperaturen stellen unsere Adaptationsmöglichkeiten und unsere Resilienz in Frage», sagte Knutti. Eine indirekte Folge für unsere Gesundheit infolge der Klimaveränderung ist die Verbreitung von «vector born diseases» wie z.B. von Zikavirus-Infektionen. Eher spekulativ sind Verhaltensänderungen im Zusammenhang mit den erhöhten Temperaturen. Erste Untersuchungen weisen auf eine Zunahme von Gewalt und Aggressivität bei heissem Wetter hin.1 Auch das vermehrte Auftreten von Notfällen infolge psychischer Probleme wird beschrieben. Woran man im ersten Moment nicht denkt, ist die zunehmende Zahl von Todesfällen infolge der Luftverschmutzung. Diese verursacht jährlich zwischen 5 und 10 Millionen Todesfälle weltweit und sorgt für enorme Kosten. «Der Elefant im Raum sind aber die durch den Klimawandel ausgelösten Konflikte und die Migration, die infolge des weltweiten Temperaturanstiegs weiter zunehmen.»

Die Klimaveränderung ist über Jahrhunderte unumkehrbar

Die Herausforderungen sind gross, und anhand von Computermodellen lässt sich zeigen, dass die Veränderungen sehr schnell vonstatten gehen. Eine exakte Antwort auf die Frage, was dagegen unternommen werden kann, konnte auch Knutti nicht liefern. Stattdessen skizzierte er das Szenario eines abrupten Stopps der CO2-Emissionen. Dieser hätte eine leichte Reduktion des atmosphärischen CO2 und eine geringe Temperaturabnahme zur Folge, aber keinesfalls eine dramatische Veränderung. «Eine schnelle und einfache Lösung für dieses Problem gibt es nicht», so Knutti. Die Klimaveränderung bleibt über 1000 Jahre oder länger bestehen und damit weit über einen Zeitraum hinweg, der für die Menschen von heute relevant ist. Weil die Folgen der Klimaveränderung immer deutlicher und die Konsequenzen immer schwerwiegender werden, wäre es einfacher und kostengünstiger das Problem jetzt zu lösen, anstatt über Jahrtausende die Konsequenzen zu tragen. Ein wichtiger Faktor, der einer solchen Entscheidung im Weg steht, ist, dass das heutige System auf kurzfristiges Denken angelegt ist. Was heute einen bestimmten Wert hat, ist in Zukunft weniger wert und alles, was über eine Zeitspanne von 20 Jahren hinausgeht, ist uns egal. «Die Frage, was uns die Zukunft wert ist oder welche Risiken wir bereit sind zu tragen, lässt sich nicht wissenschaftlich lösen; sie muss von der Gesellschaft beantwortet werden.»

Netto null bis 2050

Aktuell emittieren wir pro Jahr 40–50 Milliarden Tonnen Treibhausgas. Daran wird sich auch in den nächsten Jahren nicht viel ändern; einige Länder werden etwas mehr Treibgas ausstossen, andere etwas weniger. Die Folge wird eine globale Erwärmung von knapp 3 Grad sein. Um die CO2-Emissionen auf null zu senken, müsste man den Ausstoss um 80% reduzieren. Die übrigen 20% Emissionen vor allem aus der Landwirtschaft und industriellen Prozessen etc., die schwer zu vermeiden sind, müssten abgeschieden (CO2-Sequestrierung) und unterirdisch gespeichert werden. Dadurch liesse sich bis ins Jahr 2050 eine Emissionskurve im Bereich von netto null erreichen. «Netto null bedeutet eine fundamentale Transition in praktisch allen Lebensbereichen», so Knutti.

Die Voraussetzung, um dieses Ziel zu erreichen, sind Investitionen in CO2-Lagerstätten und die Verfügbarkeit von synthetischen Treibstoffen für die Luftfahrt. Auf der anderen Seite entstünde eine Industrie vergleichbar mit der Grösse der heutigen Gas- und Ölindustrie. Für viele Erzeuger der CO2-Emissionen, zum Beispiel Autos und Öl- oder Gasheizungen, ist eine neue Technologie vorhanden, synthetische Treibstoffe für Flugzeuge werden folgen. Ändern muss sich auch das Verbraucherverhalten. Der Schweizer Fussabdruck beträgt mehr als das 2-Fache und liegt aktuell grösstenteils im Ausland. Unsere Kleidung und was wir in unseren Einkaufstaschen haben, ja sogar die Taschen selbst, die Computer usw., werden nicht in der Schweiz produziert. Immer mehr wird importiert. Auch im Gesundheitswesen gibt es Potenzial: 6% der Treibhausgasemissionen werden im medizinischen Sektor produziert – und dazu sehr viel Abfall. Hier müssen wir zu einer Kreislaufökonomie kommen, die verhindert, dass wir alles wegwerfen, was wir benutzen.

Erste positive Veränderungen

Damit das Klimaziel von netto null bis 2050 erreicht wird, müssten die Treibhausgasemissionen bis 2030 halbiert werden. Das Wissen ist vorhanden, viele Lösungen auch und trotzdem sind wir nicht «on Track». Verantwortlich dafür ist laut Knutti das abnehmende Interesse an fundierten Informationen. Vor allem die jungen Generationen lesen keine Zeitungen mehr, so der Wissenschaftler. Sie sind schwierig zu erreichen und verfügen nicht über genügend Basiswissen, um die Veränderungen zu verstehen. Ein weiterer Faktor sind ökonomische Interessen und die damit verbundene Macht und das Lobbying (sehen Sie dazu auch den Buchtipp). «Ein System zu verändern, von dem einige Leute profitieren, ist sehr schwierig». Als letzten und wichtigsten Punkt nannte Knutti die Kollision von Fakten und Werten. Jeder habe seine eigene Wahrnehmung und durch verschiedene Dinge beeinflusste Weltanschauung. Die globale Erwärmung sei messbar, aber die Leute wollten es nicht sehen.

«Ich weiss nicht, ob wir die Transformation schaffen, aber ich bin heute optimistischer, als ich es war.» Bislang seien viele Bereiche sehr still gewesen, wenn es um den Klimawandel ging. Das ändere sich nun und führe zu interessanten Diskursen. Ein Beispiel ist die Annahme des Klimagesetzes im Juni 2023, mit dem sich die Schweiz bis 2050 zur Klimaneutralität verpflichtet. Auch der medizinische Sektor ist aktiv geworden, wie der «Call for emergency action on climate crisis», in 200 medizinischen Fachzeitschriften rund um den Globus zeigt, oder die Strategie «Planetary Health» des Schweizerischen Fachverbands FMH. Für eine Veränderung sorgt aber auch, dass viele Firmen realisiert haben, das zwischen einem gesunden Planeten und einem gesunden Bankkonto kein Widerspruch besteht. Die Firmen haben erkannt, welche Möglichkeiten neue Produkte, Services und Technologien bieten, aber sie sehen auch die Gefahren des Nichtstuns, wie Kosten für Rechtsstreitigkeiten, CO2-Steuern, direkte Schäden und Reputationsrisiken. Natürlich spielt auch der Wettbewerb um Talente eine Rolle dabei, denn viele Bewerber fragen heute nach dem Klimaengagement der Firmen.

Die grösste Hebelwirkung, um die aktuelle Situation zu verändern, hätte ein gewisser politischer Rahmen. «Wir haben noch nie ein Umweltproblem durch individuelle Verantwortung oder Verhaltensänderung gelöst», sagte Knutti und nannte als Beispiele Müll, Wasser, Luftverschmutzung, Ozon, Asbest, Pestizide und zuletzt die Pandemie.

Frühjahrskongress der SGAIM, 10. bis 12. Mai 2023, Basel

1 Heilmann K et al.: The urban crime and heat gradient in high and low poverty areas. J Pub Economics 2021; 197: 104408

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