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Neue Versorgungsmodelle

«In 10 Jahren wird sich Hospital@Home etabliert haben»

Seit 2 Jahren behandelt das Spital Zollikerberg Patientinnen und Patienten im Hospital at Home. Christian Ernst, Klinikleiter und mitverantwortlich für das Projekt, berichtet von seinen Erfahrungen und wie es nach dem Projektende weitergeht.

Sie selbst waren einer der grössten Kritiker von «Visit». Heute gehören Sie zu den Befürwortern: Was hat Sie überzeugt?

C. Ernst: Anfangs dachte ich, wir würden mit dem Projekt in Konkurrenz zu unserer eigenen Abteilung treten. Im Verlauf habe ich aber erkannt, dass Hospital at Home eine Ergänzung des bisherigen Angebots darstellt, für das auch eine Nachfrage existiert. Mit «Visit» sprechen wir Patientinnen und Patienten aller Altersgruppen an, die bei bestimmten Diagnosen oder einem bestimmten Schweregrad der Erkrankung akut medizinisch hospitalisiert werden würden. Wir können zudem den Ausbau der Spitalbetten reduzieren und ein sehr gutes Outcome generieren. Es zeigen sich bereits positive Aspekte wie kürzere Aufenthalte, eine integrierte Versorgung und gesamthaft gesehen eine finanziell günstigere Versorgung.

Sie haben gesagt, mit diesem Modell reagiere das Spital auf die veränderten Bedürfnisse der Gesellschaft. Was meinen Sie konkret damit?

C. Ernst: Damit meine ich einerseits die demografischen Veränderungen mit einer Zunahme von älteren Patientinnen und Patienten, die häufig auch im Alter von 80 Jahren noch sehr fit sind. Gleichzeitig haben wir die jüngeren Patientinnen und Patienten, wie beispielsweise eine 30-jährige berufstätige Frau mit Kindern, die ihre Arbeit und ihr häusliches Setting aufrechterhalten muss und sagt, sie könne nicht wegen einer Antibiotikatherapie im Spital bleiben. In beiden Fällen bin ich überzeugt, dass es dem Genesungsprozess zuträglich ist, wenn die Patient:innen durch «Visit» in ihrem gewohnten Lebensumfeld behandelt werden können.

Ihre Vision ist, dass «Visit» am Spital Zollikerberg in 10 Jahren fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung sein wird. Würden Sie das heute auch noch so sagen?

C. Ernst: Da muss ich mich korrigieren: nicht in 10, sondern in 3 Jahren, davon bin ich überzeugt. Der einzige Punkt, der noch nicht abschliessend geklärt ist, betrifft die Art der Finanzierung, das heisst, ob wir uns mit den Krankenversicherern auf eine Abgeltung der stationären Leistungen nach DRG einigen können oder auf den ambulanten Tarif Tarmed. Davon abgesehen glaube ich, dass sich «Visit» in den nächsten 2 bis 3 Jahren als reguläres Angebot etabliert haben wird.

Die Rehospitalisationsrate und die Aufenthaltsdauer konnten im Vergleich zur stationären Spitalbehandlung mit «Visit» reduziert werden, aber nicht die Behandlungskosten. Kann man angesichts der Gesundheitskosten über neue Versorgungsmodelle diskutieren, ohne nachzuweisen, dass diese auch zu einer Kostenreduktion führen?

C. Ernst: Wir sehen, dass wir die Behandlungskosten mit «Visit» schon allein durch den Wegfall der Hotelleriekosten zu einem gewissen Prozentsatz reduzieren können. Schaut man sich die gesamten Behandlungskosten an und nicht nur die Kosten, die durch die Fallpauschale gedeckt sind, dann erweist sich «Visit» sicherlich nicht als teurer, sondern als gleichwertig oder sogar kostengünstiger. Das liegt beispielsweise daran, dass die Patientinnen und Patienten im «Visit» zu jeder Tageszeit entlassen werden können und nicht wie im Spital warten müssen, bis die Morgenvisite vorbei ist, oder auch dass nach der Spitalbehandlung weniger Physiotherapie nötig ist, weil diese bereits von Anfang an im häuslichen Setting stattgefunden hat.

Die Betreuung der «Visit»-Patienten in den eigenen vier Wänden, erfolgt durch das Spitalpersonal. Was bedeutet das für die spitalinternen Ressourcen?

C. Ernst: Wir haben das Personal nicht aus den Abteilungen im Spital abgezogen, sondern ein eigenes Team für «Visit» zusammengestellt, einschliesslich dedizierter Pflegefachpersonen. Im ärztlichen Bereich haben wir mit «Visit» eine zusätzliche Rotationsstelle geschaffen. Dadurch sind wir kaum auf Widerstand gestossen und der Ablauf funktioniert gut. Im pflegerischen Bereich ist die Situation schwieriger. Das liegt unter anderem daran, dass «Visit» noch immer ein Projekt mit schwankender Auslastung ist und deshalb agiles Vorgehen erfordert. Die Mitarbeit erfordert aber nicht nur eine hohe Flexibilität, sondern auch Autonomie und eine hohe Eigenverantwortung. Nachdem es zu Beginn einige Fluktuationen gegeben hat, bewerben sich jetzt Leute, die speziell an diesem Arbeitsumfeld interessiert sind.

Sie haben berichtet, dass einige Patienten, die hospitalisiert werden müssen, aktiv eine «Visit»-Behandlung nachfragen. Was sind das für Patient:innen?

C. Ernst: Die ersten Patient:innen, die nach «Visit» gefragt haben, hatten davon auf dem Spitalplatz erfahren. Die Mund-zu-Mund-Propaganda funktionierte gut. Irgendwann begannen auch die Hausärzte uns Patient:innen spezifisch für die Hospital-at-Home-Behandlung zuzuweisen. Das war der Punkt, an dem wir gemerkt haben, dass es funktioniert. Vor allem die Hausärzte waren zu Beginn sehr kritisch, weil sie dachten, wir würden ihnen die Patient:innen wegnehmen. Auch intern mussten wir einige Überzeugungsarbeit leisten und die Mitarbeitenden daran erinnern, Patient:innen in das Projekt einzuschliessen. Inzwischen funktioniert das von alleine.

Wie hoch ist das Interesse anderer Spitäler an dem Behandlungsmodell?

C. Ernst: Das Interesse ist immens. Die anthroposophische Klinik Arlesheim hat unser Hospital-at-Home-Modell übernommen und testet es gerade im Rahmen eines Pilotprojekts. Grosses Interesse besteht auch bei den Spitälern, die die Gesundheitsversorgung in den Berggemeinden abdecken. Zusammen mit anderen Anbietern haben wir Ende des letzten Jahres die Hospital at Home Society gegründet. Ich bin wenig überzeugt, dass es in 10 Jahren noch alle Spitäler in der Schweiz gibt. Ich bin mehr davon überzeugt, dass sich in dieser Zeit die eine oder andere Form von Hospital at Home etabliert haben wird.

Wird das Projekt noch immer vor allem von der Stiftung Diakoniewerk Neumünster finanziert?

C. Ernst: Hier sind wir ein paar Schritte weitergekommen. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich subventioniert unser Projekt und übernimmt 55% der entstanden Behandlungskosten angelehnt an die DRGs. Dies bis zu einem definierten Gesamtvolumen. Die restlichen 45% der Kosten, welchen eigentlich die Kassen in einer Regelfinanzierung decken sollten, trägt derzeit die Stiftung Diakoniewerk Neumünster. Aktuell prüfen wir, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um das Projekt in eine Regelfinanzierung zu überführen. Dazu verhandeln wir mit den Krankenkassenverbänden.

Das Projekt läuft noch bis Ende 2024. Und dann?

C. Ernst: Im Idealfall haben wir bis dahin eine Lösung mit den Versicherern gefunden und können das Projekt in eine Regelfinanzierung überführen.

Vielen Dank für das Gespräch!
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