Gemeinsame Entscheidungsfindung bei der Besprechung des Reanimationsstatus – geteilte Verantwortung, geteilte Last?
Autor:innen:
Dr. med. Armon Arpagaus1,2
Sebastian Gross1
Dr. med. Christoph Becker1
Prof. Dr. med. Sabina Hunziker1,3
1Medizinische Kommunikation
Universitätsspital Basel
2Innere Medizin
Universitätsspital Basel
3Medizinische Fakultät
Universität Basel
E-Mail: sabina.hunziker@usb.ch
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Die Entscheidung, ob im Falle eines Herzstillstands eine Reanimation durchgeführt werden soll oder nicht, ist für Patientinnen und Patienten oft schwierig zu fällen und wirft für die Betroffenen existenzielle Fragen auf. Diese Gespräche sind daher auch für die Ärzteschaft herausfordernd. Welche Hilfestellung bietet die vorliegende Evidenz für eine patientenzentrierte Durchführung solch sensibler Gespräche?
Keypoints
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Die Besprechung des Reanimationsstatus bei Eintritt ins Spital ist für Ärzt:innen im klinischen Alltag ein wichtiges und herausforderndes Thema.
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Dieses Gespräche sollte frühzeitig bei Hospitalisation geführt und die Präferenzen und Erwartungen der Patient:innen sollten in diese Entscheidung miteinbezogen werden.
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Hierbei ist ein wichtiger Teil, die Patient:innen über die medizinischen Möglichkeiten im Falle einer Reanimation aufzuklären, da die Einschätzung der Prognose häufig ausschlaggebend für einen Entscheid über Reanimation sein kann.9
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Insbesondere bei Patient:innen mit infauster Prognose ist ein Gespräch über lebensverlängernde Massnahmen herausfordernd. Verschiedene Kommunikationsinterventionen und Entscheidungshilfen können helfen, das Wissen der Patient:innen zu verbessern und das Reanimationsgespräch zu erleichtern.
Die Reanimation als interventio-nelle medizinische Massnahme
Trotz medizinischer Fortschritte und Richtlinien, wie eine kardiopulmonale Reanimation1,2 durchgeführt werden sollte, hat sich die Überlebenswahrscheinlichkeit für Patient:innen nach einer Reanimation in der letzten Dekade nur unwesentlich verbessert.1
Im Durchschnitt überlebt nach einer Reanimation3 ausserhalb des Spitals nur jeder/jede 10. Patient:in bis zum Ende des Spitalaufenthalts, wobei die Überlebenswahrscheinlichkeit je nach Studie zwischen 8 und 18% beträgt.4 Bei hospitalisierten Patient:innen, welche während des Spitalaufenthaltes einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit mit 15–34%1 etwas grösser, zeigt jedoch eine deutliche Varianz.5–7 Wird ein:e Patient:in beispielsweise am Monitor überwacht, ist die Überlebenswahrscheinlichkeit dank früher Erkennung und entsprechender möglicher Massnahmen höher.8 Des Weiteren sind auch im Falle einer erfolgreichen Reanimation die möglichen kurz- und langfristigen Schäden nicht zu unterschätzen. So erleidet beispielsweise die Hälfte der Überlebenden aufgrund einer hypoxischen Enzephalopathie bleibende neurokognitive Beeinträchtigungen.6
Viele Patient:innen überschätzen die Wahrscheinlichkeit des Überlebens ohne neurologische Defizite nach einer Reanimation stark.9 Die Einschätzung der Prognose ist jedoch häufig Grundlage für den Reanimationsentscheid.9 Daher ist es wichtig, Patient:innen über die medizinischen Möglichkeiten im Falle einer Reanimation aufzuklären, damit diese eine «informierte» Entscheidung treffen können. Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) empfiehlt in der Besprechung des Reanimationsstatus eine realistische Information mit Einbezug des aktuellen Gesundheitszustands und des voraussichtlichen Krankheitsverlaufs zu geben.10
Die Gespräche über den Reanimationsentscheid werden häufig sehr unterschiedlich gehandhabt. Teilweise erinnern sich Patient:innen nicht einmal, dass ein solches Gespräch stattgefunden hat.11 Daher ist es wichtig, Patient:innen schon im Vorfeld möglichst gut zu informieren (z.B. bei der Besprechung einer Patientenverfügung). Ausserdem sollten diese Gespräche einfach und verständlich geführt werden, damit sie verstanden werden und erinnerlich sind. Hier könnten verschiedene Kommunikationsinterventionen helfen, das Wissen der Patient:innen zu verbessern und das Reanimationsgespräch zu erleichtern.12 Insbesondere deshalb, weil diese Gespräche von vielen Ärzt:innen als sehr herausfordernd empfunden werden.13
Wie spreche ich über Reanimationsentscheide? Von partizipatorischer Entscheidungsfindung bis hin zu «breaking bad news»
In der heutigen patientenzentrierten Medizin werden Patient:innen zunehmend in medizinische Entscheidungsfindungen miteingebunden, was zu einer besseren Versorgungsqualität führen kann. Es besteht auch vonseiten der Patient:innen eine Mehrheit von circa 60%, welche medizinische Entscheidungen zusammen mit den behandelnden Ärzt:innen fällen möchten, während nur circa 20% selbst entscheiden resp. medizinische Entscheide ganz dem Arzt/der Ärztin überlassen wollen.14
Eine solche gemeinsame (partizipatorische) Entscheidungsfindung wird auch als «shared decision-making» bezeichnet. Mittels einer Aufklärung über die Vor- und Nachteile möglicher Behandlungsoptionen sollen Patient:innen auf eine kollaborative Weise mit dem Arzt/der Ärztin und dessen/deren Expertise eine informierte Entscheidung fällen können.15 Dies wird vor allem dann empfohlen, wenn mindestens zwei gleichwertige Behandlungsoptionen bestehen, die sog. «Equipoise». Die Besprechung des Reanimationsstatus ist ein klassisches Beispiel hierfür. Dabei werden jeweils Vor- und Nachteile jeder Behandlungsoption erläutert und anschliessend die Präferenzen der Patient:innen bezüglich eines Entscheides abgewogen.
Um dies zu vereinfachen, gibt es für viele abzuwägende medizinische Optionen sog. Entscheidungshilfen («decision aids»). Diese können komplexe Sachverhalte, Risiken und Nebenwirkungen von medizinischen Interventionen beispielsweise bildlich darstellen und so das Wissen und das Verständnis erhöhen.16 In Falle des Gesprächs über mögliche Reanimationsmassnahmen empfiehlt sich zum Beispiel die Verwendung eines Schemas mit «Smileys» («Cates plots»; Abb. 1). Dieses stellt die Wahrscheinlichkeit für ein Überleben mit und ohne neurokognitive Einschränkungen bildlich dar und soll es dem Patienten einfacher machen, die Überlebenswahrscheinlichkeit zu verstehen.
Abb. 1: Bildliche Entscheidungshilfe («decision aid») zum besseren Verständnis der Überlebenschancen nach Herz-Kreislauf-Stillstand und Reanimation (nach Meaney et al., 2010; Girotra et al., 2013; Perkins und Cooke, 2012)6, 7, 25
Wenn die Wahrscheinlichkeit, eine Reanimation zu überleben, verschwindend gering ist, sind Reanimationsmassnahmen nicht sinnvoll, da die möglichen Schäden (Verlängerung des Leidens oder Überleben mit schwersten neurologischen Defiziten) den Nutzen überwiegen. In solchen Situationen, in denen eine Reanimation aus medizinischen Gründen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit aussichtlos ist, spricht man in der medizinischen Literatur von «Sinn- oder Aussichtslosigkeit therapeutischer Massnahmen» («futility»).17–19 Dies kann beispielsweise bei polymorbiden Patienten mit lebenslimitierenden Erkrankungen und einem aus medizinischer Sicht bald zu erwartenden Tod der Fall sein. Gespräche darüber werden von Ärzt:innen oft als belastend empfunden, und häufig besteht die Sorge, dass darüber zu sprechen, im Falle eines Kreislaufstillstandes auf Reanimationsversuche zu verzichten, zu einer emotionalen Belastung der Patient:innen führen könnte.20 Das Ansprechen von Prognose und Tod bei polymorbiden Patient:innen muss aber nicht grundsätzlich als belastend erlebt werden.21,22 Diese Gespräche sind kommunikativ jedoch anspruchsvoll und können Grund für rechtliche Klagen oder Beschwerden seitens der Patient:innen und vor allem der Angehörigen insbesondere in Bezug auf die ärztliche Kommunikation am Lebensende sein. Viele Ärzt:innen fühlen sich für diese schwierigen Gespräche zu wenig vorbereitet und wünschen sich entsprechende Kommunikationstrainings, vor allem darin, wie eine infauste medizinische Situation oder ein palliativer Therapieansatz mit den Patient:innen besprochen werden sollte.23,24
Literatur:
1 Gräsner JT et al.: Resuscitation 2021; 161: 61-79 2 Möckel M et al.: Leitlinien für CPR und kardiovaskuläre Notfallmedizin. AHA Guidelines Highlights. Deutsche Ausgabe. American Heart Association 2020; https://cpr.heart.org/en/resuscitation-science/cpr-and-ecc-guidelines 3 Yan S et al.: Crit Care 2020; 24: 61 4 Gräsner JT et al.: Resuscitation 2020; 148: 218-26 5 Schluep M et al.: Resuscitation 2018; 132: 90-100 6 Meaney PA et al.: Crit Care Med 2010; 38: 101-8 7 Girotra S et al.: N Engl J Med 2012; 367: 1912-20 8 Hessulf F et al.: Int J Cardiol 2018; 255: 237-42 9 Gross S et al.:Resusc Plus 2023; 14: 100383 10 Reanimationsentscheidung. https://www.samw.ch/de/Ethik/Themen-A-bis-Z/Reanimationsentscheidungen.html ; zuletzt aufgerufen am 14.8.2023 11 Becker C et al.: Swiss Med Wkly 2020; 150: w20194 12 Gamp M et al.: J Gen Inter Med 2019; 34: 447-57 13 Billings ME et al.: Acad Med 2009; 84: 1533-9 14 Becker C et al.: J Gen Intern Med 2023; 38: 1180-9 15 Whitney SN et al.: Ann Intern Med 2004; 140: 54-9 16 Stacey D et al.: Cochrane Database Syst Rev 2017; 4: CD001431 17 Beck K et al.: Resuscitation 2022; 172: 181-93 18 Wissenschaften SAdM: Swiss Med Wkly 2021; 151: w30121 19 Salathé M, Hoff P: Schweiz Ärzteztg 2021; 102: 1683-6 20 Hancock K et al.: Palliat Med 2007; 21: 507-17 21 You JJ et al.: CMAJ 2014; 186: 679-87 22 Emanuel EJ et al.: Arch Intern Med 2004; 164: 1999-2004 23 Walczak A et al.: Patient Educ Couns 2016; 99: 3-16 24 Cegala DJ, Lenzmeier Broz S: Med Educ 2002; 36: 1004-16 25 Perkins GD, Cooke MW: Emerg Med J 2012; 29: 3-5
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