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Enthesiopathien und Tendinopathien

Sehnenerkrankungen sind häufig, aber nicht immer die Folge eines «Overuse». Im Interview erklärt die Rheumatologin Dr. med. Barbara Meier, bei welchen Symptomen man an ein entzündlich-rheumatisches Geschehen denken sollte und mit welchen Massnahmen sich ein hartnäckiger Verlauf vermeiden lässt.

Welche Enthesiopathien und Tendinopathien sind häufig?

B. Meier: In der Spezialsprechstunde sehe ich vor allem Patienten mit Beschwerden am Schultergelenk, insbesondere mit degenerativen Problemen der Rotatorenmanschette, und Tendinopathien der Hüftabduktoren. Möglicherweise stehen beim Allgemeinarzt andere Lokalisationen im Vordergrund.

Wie unterscheiden sich die Krankheitsbilder und was haben sie gemeinsam?

Die Enthesitis betrifft die Enthese, also den Bereich, an dem die Sehne am Knochen anhaftet, mit einer Grössenordnung von ca. 2 Millimetern. Als Tendinopathie werden Erkrankungen des Sehnenverlaufs bezeichnet. Die Erkrankungen können isoliert oder kombiniert auftreten. Beides führt häufig zu starken Schmerzen und kann sehr einschränkend sein. Sehnen bestehen aus bradytrophem Gewebe mit schwacher Durchblutung und schlechter Heilungstendenz. Das erklärt, warum die Probleme häufig, aber nicht immer, chronisch verlaufen und zum Teil sehr schwierig zu behandeln sind.

Wodurch werden die Beschwerden verursacht?

B. Meier: Ganz grundsätzlich kann man zwei Ursachen unterscheiden: die mechanisch-degenerativen Veränderungen infolge eines «Overuse» oder einer mit dem Alter auftretenden Abnutzungserscheinung und die selteneren Beschwerden im Rahmen einer entzündlich-rheumatologischen Grunderkrankung.

Wie äussern sich die Beschwerden?

B. Meier: Charakteristisch ist, dass der Schmerz zunimmt, wenn der jeweilige Muskel beansprucht wird. Das Gleiche passiert, wenn Druck auf die Sehne ausgeübt wird, beispielsweise bei der klinischen Untersuchung. Dieses Einklemmen der Sehne, das als «Impingement» bezeichnet wird, kann auch bei einem peritrochantären Schmerzsyndrom infolge von Tendinopathien der Hüftabduktoren vorkommen. Die betroffenen Patienten können nachts typischerweise nicht auf der Seite liegen, weil die Sehne durch den Druck eingeklemmt wird.

Wie kann man die Enthesio- von den Tendinopathien unterscheiden?

B. Meier: Bei Beschwerden, die über einen längeren Zeitraum bestehen, sind oftmals die Enthese und der Sehnenverlauf betroffen. Isolierte Entzündungen im Bereich der Enthese sind charakteristisch für entzündlich-rheumatische Erkrankungen aus dem Formenkreis der Spondylarthritis. Klinisch ist eine Differenzierung nicht immer möglich. Eine Ausnahme sind gut palpierbare Lokalisationen, wie die Achillessehne. Die mechanischen Tendinopathien betreffen dort in der Regel das mittlere Sehnendrittel. An der Achillessehne lassen sich die Auftreibungen gut ertasten und sind klar abgesetzt von der Enthese, sodass eine Enthesitis im Rahmen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung oft schon bei der klinischen Untersuchung ausgeschlossen werden kann. Bei Beschwerden der Rotatorenmanschette benötigt man dagegen eine Bildgebung zur Diskriminierung.

Welche Symptome deuten auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung hin?

B. Meier: Wenn sich ein hartnäckiger Therapieverlauf abzeichnet, empfehle ich, in der Anamnese nach weiteren Hinweisen auf eine Spondylarthritis zu suchen. Das können entzündlich anmutende Rückenschmerzen, eine periphere Arthritis, Uveitis, Psoriasis oder chronisch-entzündliche Darmerkrankung sein. Mir kommt dazu ein Patient in den Sinn, der jahrelang über einen Tennisellbogen klagte. Im Ultraschall liess sich nicht mit Sicherheit feststellen, ob es sich um eine Enthesitis im Rahmen einer Spondylarthritis handelt. Die Systemanamnese, bei der der Patient über eine Psoriasis der Haut berichtet, zusammen mit den charakteristischen Entzündungszeichen im Enthesebereich und der Krankheitsverlauf, führten dann zur Diagnose. Plötzlich fügte sich alles zusammen.

Wie geht man bei der Abklärung von Enthesio- und Tendinopathien vor?

B. Meier: Die klinische Untersuchung mit der Frage einer typischen Druckdolenz im Sehnenverlauf oder an der Enthese ist essenziell. Die Untersuchung der benachbarten Gelenkregionen ist wichtig, um begünstigende Faktoren für eine Tendinopathie zu identifizieren und andere Schmerzursachen auszuschliessen. So sollte beispielsweise bei einem Tennisellbogen die Halswirbelsäule gut untersucht werden, denn die Symptome können unter Umständen Folge einer Radikulopathie oder einer spondylogenen Ausstrahlung sein. Bei Hinweisen auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung sind eine Laboruntersuchung von CRP und HLA-B27 sowie eine erweiterte Bildgebung indiziert.

Welche Behandlungsmöglichkeiten existieren?

B. Meier: Zunächst einmal muss der Patient gut über seine Erkrankung aufgeklärt und instruiert werden. Wegen der schlechten Heilungstendenz bestehen die Probleme oft über einen längeren Zeitraum. Zudem ist seine Mitarbeit gefragt.Wichtig ist, dass alle Risikofaktoren, die zu einer Belastung der Sehne führen, möglichst vermieden oder behandelt werden. Als Beispiele: Ein Zug auf Hüftabduktoren lässt sich vermeiden, indem man beim Sitzen die Beine nicht übereinanderschlägt oder in Seitenlage ein Kissen zwischen den Knien platziert. Zudem wissen wir, dass bei Patienten mit Übergewicht eine Gewichtsreduktion oft positive Auswirkungen auf die Hüftabduktoren-Tendinopathie hat. Die systemische Schmerztherapie erfolgt bei guter Verträglichkeit bevorzugt mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Die zusätzliche lokale Behandlung mit NSAR zeigt vor allem bei Sehnen, die oberflächlich liegen (z.B. Tennisellbogen, Achillessehne) eine gute Wirkung. An dritter Stelle stehen mit Physiotherapie und Stosswellenbehandlung die physikalischen Massnahmen.

Was ist bei der Verordnung einer Physiotherapie zu beachten?

B. Meier: Die Physiotherapeuten benötigen möglichst umfassende Informationen. Das heisst eine möglichst präzise Beschreibung der Probleme, die wir vermuten oder diagnostiziert haben, die Lokalisation und Angabe, welche Sehnen betroffen sind, und ob neben der Tendinopathie allenfalls eine Bursitis oder sogar Partialrupturen bestehen. Zu der Verordnung gehört auch eine Behandlungsempfehlung. Im Falle einer Tendinopathie der Hüftabduktoren, wären das z.B. eine Kräftigung der Glutealmuskulatur, Dehnübungen des Tractus iliotibialis und die Instruktion eines Heimprogramms. Ich persönlich bin relativ zurückhaltend bei der Empfehlung von Weichteilbehandlungen. Immer wieder habe ich Fälle erlebt, bei denen durch Triggerpunktbehandlungen oder Massagen Druck nicht nur auf den Muskel, sondern auch auf die betroffene Sehne im Sinne eines Impingements erfolgte, was kontraproduktiv ist. Eine gute Behandlungsoption bei Tendinopathien ist hingegen die Stosswellentherapie.

Wie lautet Ihre Empfehlung, wenn diese Massnahmen nicht ausreichen?

B. Meier: Idealerweise sollte die Therapie möglichst früh begonnen werden, um eine Chronifizierung zu verhindern. Falls gut verträglich, wird man sicher rasch eine systemische NSAR-Therapie aufnehmen, z.B. in voller Dosierung bis zu zwei Wochen. Das Ziel ist, den Teufelskreis aus Schmerzen und Verspannungen zu durchbrechen und den entzündungshemmenden Effekt zu nutzen. Führen die besprochenen Massnahmen zu keinem Behandlungserfolg, kann eine Injektionstherapie durchgeführt werden. Der Einsatz von Steroiden zur Injektionstherapie ist von der Lokalisation abhängig und vor allem dann ideal, wenn eine Begleitbursitis besteht (z.B. subacromial). Wegen der ungünstigen Wirkung auf den Sehnenstoffwechsel werden Steroide aber heute eher zurückhaltend eingesetzt. Vor allem im Bereich der Achillessehne ist die Infiltration mit Kortison wegen der Rupturgefahr kontraindiziert. Als Alternativen können Injektionen mit Hyaluronsäure-Präparaten oder mit autologem konditioniertem Plasma («Eigenblut», PRP) erfolgen.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Injektion von Platelet-rich Plasma gemacht?

B. Meier: Platelet-rich Plasma (PRP) kann u.a. zur Behandlung von Tendinopathien der Achillessehne bei Sportlern, bei Epicondylitiden oder bei peritrochantärem Schmerzsyndrom eingesetzt werden. Das verletzte Gewebe führt zur Thrombozytenaktivierung und Freisetzung von Faktoren mit regenerativer Wirkung. Meine Erfahrungen mit dieser Methode sind relativ gut, wenn auch nicht bei allen Patienten eine vollständige Heilung erzielt werden kann. Die Therapie mit PRP ist hervorragend verträglich. Vermutlich würde die Behandlung häufiger angewendet, wenn es sich um eine Pflichtleistung der Krankenkassen handeln würde. Aufgrund der Kosten für den Patienten setze ich PRP meistens erst dann ein, wenn alle anderen Massnahmen ausgeschöpft sind.

Wie geht man bei der Abklärung von Enthesio- und Tendinopathien vor?

B. Meier: Wichtig ist, dass man die Übungen und Verhaltensmassnahmen, die man in der Physiotherapie gelernt hat, auch dann beibehält, wenn es einem besser geht. Eine erneute Überbelastung der betroffenen Sehne sollte vermieden werden. Das ist vor allem dann gut möglich, wenn die Patienten den Auslöser der Tendinopathie kennen. Kommt es doch einmal zu einer Überbelastung, empfiehlt es sich, lieber etwas früher ein NSAR einzusetzen. So lässt sich ein hartnäckiger Krankheitsverlauf unter Umständen vermeiden.

Unsere Gesprächspartnerin:

Dr. med. Barbara Meier
RheumaClinic Bethanien
Zürich
E-Mail: rheumaclinic@hin.ch

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