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Eisenmangel bei chronischen Erkrankungen
Leading Opinions
Autor:
Regina Scharf
Medizinjournalistin<br/> <br/> Quelle:<br/> Iron Academy 2015, 30. April 2015, Zürich
30
Min. Lesezeit
10.06.2015
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<p class="article-intro">Im Fokus der diesjährigen Iron Academy stand die Betreuung chronisch kranker Menschen in der Hausarztpraxis. Der Eisenmangel war nur ein Thema, daneben gab es zahlreiche Informationen zur Abklärung und Betreuung von Patienten mit Tumorleiden, Herz- und Niereninsuffizienz sowie chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Während typische Alarmsymptome („red flags“) einer malignen Erkrankung, wie Hämoptysen oder Meläna, gut bekannt sind, gibt es eine Vielzahl von unspezifischen Symptomen, wie Müdigkeit oder Gewichtsverlust, die bereits monatelang vor einer Krebsdiagnose bestehen, aber zunächst oft nicht zugeordnet werden können. Mit dem Ziel einer möglichst frühen Dia­gnose hat das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 2005 Leitlinien mit Symptomen verschiedener Krebsformen herausgegeben. Diese sollen den Allgemeinmediziner in seiner Entscheidung unterstützen, Patienten mit Krebsverdacht an einen Spezialisten zu überweisen.<sup>1</sup> Eine kürzlich erschienene Studie zeigte nun, dass seit der Herausgabe der Guidelines tatsächlich viele Krebsformen, beispielsweise das Kolon- und Pankreaskarzinom, früher erkannt wurden.<sup>2</sup> Auf die Diagnose einiger Krebsformen, beispielsweise des Lungen- und Mammakarzinoms, hatte das Vorgehen jedoch kaum Einfluss. Ob die Verkürzung des Intervalls von den ersten Symptomen bis zur Diagnose auch zu besseren Heilungschancen führt, untersuchten Torring et al.<sup>3</sup> Die Ergebnisse zeigten, dass eine frühe Diagnose bei „Red flag“-Symptomen wichtig ist, um die Prognose zu verbessern. Für unspezifische Symptome konnte ein solcher Zusammenhang nicht gezeigt werden. „Noch besser ist es, wenn wir bereits die Vorstufen einer Krebserkrankung erkennen“, sagte Prof. Dr. med. Daniel Betticher, Chefarzt der Medizinischen Klinik und Onkologe am Freiburger Spital, Fribourg, und wies auf die Bedeutung von regelmässigen Vorsorgeuntersuchungen hin.<br /> <br /> Müdigkeit ist ein Symptom, das häufig im Zusammenhang mit Krebserkrankungen beobachtet wird. Studien zeigen bei mehr als einem Drittel der Karzinompatienten eine Anämie, ca. 45 % haben eine Transferrinsättigung (TSAT) <20 % .<sup>4</sup> „Bei vielen Krebs­­- pa­tienten sind unabhängig vom Karzinomtyp die Eisenwerte niedrig“, so Betticher. Es sei daher wichtig, bei Karzinompatienten neben dem Blutbild das Ferritin und die TSAT zu bestimmen. Die Indikation zur Eisensubstitution wird gestellt, wenn die Eisenspeicher leer sind und der Patient an einem absoluten Eisenmangel (Ferritin <30μg/l, TSAT <20 % ) leidet (Abb. 1).<sup>5</sup> „In diesem Fall erfolgt die Substitution am besten intravenös“, sagte Betticher. Zeigt das Labor hohe Ferritinwerte (>800μg/l) und ein gesättigtes Transferrin (>50 % ), handelt es sich um eine Eisenüberladung. Eine Eisensubstitution ist nicht indiziert. Dazwischen existiert eine Übergangszone, die funktionelle Eisenmangelanämie („functional iron deficiency anemia“, FIDA). In diesem Bereich haben die Patienten oft ausreichend hohe Ferritinwerte (bis zu 800μg/l), die Transferrinsättigung kann aber varriieren. Betroffene mit einer niedrigen TSAT (<20 % ) profitieren von einer Eisensubstitution. „Bei einer hohen TSAT (>20 % ) kann man Eisen geben, dann aber in Verbindung mit Erythropoetin“, sagte der Spezialist. „Wir verabreichen in diesen Fällen eher eine Bluttransfusion.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Leading Opinions_Innere_1503_Weblinks_Seite8.jpg" alt="" width="662" height="495" /></p> <h2>Rehabilitation und Betreuung bei chronischen Herzerkrankungen</h2> <p>Vor allem ältere Menschen sind häufig von einer Herzinsuffizienz betroffen. Diese führt zu einer Abnahme der Lebensqualität und zu einer erhöhten Morbidität und Mortalität. Die medikamentöse Behandlung der Herzinsuffizienz erfolgt üblicherweise mit ACE-Hemmern, Betablockern und Aldosteron-Rezeptorantagonisten. Dabei gilt die Devise „start low, go slow“, sagte Prof. Dr. med. Georg Noll von der HerzKlinik Hirslanden, Zürich. Neben der Pharmakotherapie wird stabilen Patienten ein physisches Training zur Steigerung der Leistungsfähigkeit empfohlen. Zu den nicht medikamentösen Behandlungsmassnahmen gehören unter anderem die Kontrolle kardiovaskulärer Risikofaktoren und die Normalisierung des Körpergewichts. Eine Salzrestriktion auf <3g/d ist nach dem Erscheinen der PURE-Studie nicht länger haltbar.<sup>6</sup> Diese hatte gezeigt, dass das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse und Tod bei einer geschätzten Kochsalzzufuhr von 3–6g/d am niedrigsten ist und bei höherer, aber auch geringerer Zufuhr ansteigt (J-Kurve). „Ebenfalls auf wackligen Füssen steht die Flüssigkeitsrestriktion“, sagte der Herzspezialist. Diese habe vor allem dazu geführt, dass die Patienten mehr Durst hätten.<br /> Verschiedene Faktoren können die Manifestation einer Herzinsuffizienz oder eine Symptomverschlechterung begünstigen. Ein wichtiger Faktor ist die mangelnde Therapietreue. „Da die Patienten diese Information nur ungern preisgeben, empfiehlt es sich, statt nach der Medikamenteneinnahme danach zu fragen, ob sie ihre Tabletten gut vertragen“, riet Noll. <br /> Zwei weitere Faktoren, die bei herzinsuffizienten Menschen mit einer reduzierten Leistungsfähigkeit und Lebensqualität assoziiert sind, sind Anämie und Eisenmangel. Die Ergebnisse der FAIR-HF-Studie mit rund 460 Patienten (NYHA-Klasse II, III) haben gezeigt, dass die wöchentliche Verabreichung von Eisencarboxymaltose nach 24 Wochen im Vergleich zu Placebo eine deutliche Verbesserung der Lebens­- qualität und der NYHA-Klasse zur Folge hatte.<sup>7</sup> Dieser Effekt war unabhängig davon, ob die Patienten von einem Eisenmangel mit oder ohne Anämie betroffen waren. Der Benefit einer Langzeittherapie (52 Wochen) mit Eisen i.v. bei Herzinsuffizienz und Eisen­- mangel wurde in der kürzlich publizier­- ten CONFIRM-HF-Studie bestätigt.<sup>8</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Leading Opinions_Innere_1503_Weblinks_Seite9.jpg" alt="" width="634" height="404" /></p> <p><strong>Abb. 2:</strong> CGA-Klassifikation der chronischen Nierenkrankheit (nach Improving Global Outcomes [KDIGO] CKD Work Group9)</p> <h2>Der niereninsuffiziente Patient in der Hausarztpraxis</h2> <p>Über 500 000 Personen in der Schweiz haben eine eingeschränkte glomeruläre Filtrationsrate (GFR) und mehr als 4000 Menschen sind dialysepflichtig. Das Screening auf eine chronische Nie­- reninsuffizienz („chronic kidney di­­- se­ase“, CKD) empfiehlt sich für Risi­­- kogruppen wie Personen mit Dia­betes mellitus (Typ 1 oder 2), Hyper­tonie und familiären Nierenerkrankungen und umfasst die ein- bis zweijährliche Kontrolle von Serumkreatinin, Elektrolyten (NaCl, K, Ca, P), Hämogramm sowie einen Urinstatus (Streifentest, Sediment, evtl. Urinkultur). Die Formel der CKD-EPI (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) hat die bislang gebräuchliche MDRD(„modification of diet in renal disease“)-Formel zur Berechnung der GFR und des CKD- Stadiums (1–5) abgelöst.<sup>9</sup> Die CGA-Klassifikation der chronischen Nieren­erkrankungen erfolgt anhand von Ursache (Causa), GFR und Albuminurie (Abb. 2). Die Höhe der GFR und das Ausmass der Albuminurie sind wichtige prognostische Marker für das Auftreten kardiovaskulärer Komplikationen und für das Mortalitätsrisiko. <br /> Das Fortschreiten der CKD kann mit verschiedenen Massnahmen, beispielsweise einer guten Blutdruck- und Blutzuckerkontrolle gebremst werden. „Insgesamt sind diese Massnahmen aber immer noch ungenügend, um die Progression zu stoppen“, sagte Prof. Dr. med. Rudolf Wüthrich, Direktor der Klinik für Nephrologie, Universitätsspital Zürich. Abhängig vom CKD-Stadium treten bei den Betroffenen verschiedene Komplikationen auf. Dazu gehört unter anderem die ab CKD-Stadium 3 und speziell im Stadium 4 aufgrund eines Eisen- und Erythropoetinmangels auftretende renale Anämie. „Die Komplikationen der CKD müssen mit geeigneten Labortests gesucht und behandelt werden“, so der Spezialist. Die Abklärung der renalen Anämie umfasst ein Blutbild mit Indizes, Ferritin und TSAT sowie das CRP. Zusätzlich können auch der Anteil hypochromer Erythrozyten (HCR) und der Hb-Gehalt der Retikulozyten (CHr) bestimmt werden. Aufgrund der schlechten Eisenresorption wird bei CKD-Patienten eine parenterale Eisensubstitution empfohlen. Ziel der Behandlung sind ein Hb von 11–12g/dl, aber ≤13g/dl und gefüllte Eisenspeicher (Ferritin >100μg/l, TSAT >20 % ). „Um im Hinblick auf ein Nierenersatz­verfahren die Unterarmvenen für eine Shuntanlage zu schonen, kann es sinn­- voll sein, über mehrere Wochen hinweg kleinere Eisendosen (100–200mg) zu verabreichen“, sagte Wüthrich. Erythropoetin sollte erst dann zur Anämiebehandlung eingesetzt werden, wenn das Hb trotz gefüllter Eisenspeicher niedrig (<10g/dl) ist. Wüthrich wies darauf hin, dass Patienten, die für eine Nierentransplantation vorgesehen sind, aufgrund der Gefahr einer HLA-Sensibilisierung keine Bluttransfusion erhalten sollten. „Auch in solchen Fällen sollte lieber Eisen substi­tuiert werden.“</p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2015_Leading Opinions_Innere_1503_Weblinks_Seite10.jpg" alt="" width="616" height="398" /></p> <h2>Der gastroenterologische Patient in der Hausarztpraxis</h2> <p>Etwa 5–15 % der Zuweisungen aus dem ambulanten Setting an den Gastroenterologen sind auf einen Eisenmangel zurückzuführen. Neben dem Ziel eines Ausschlusses von relevanten chronischen Blutungsquellen, wie Angiodysplasien und Karzinomen, sind die Zöliakie sowie chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (IBD) vor allem bei jüngeren Patienten eine häufige Ursache für einen Eisenmangel. Da sich bei unbehandeltem M. Crohn die Krankheitsprognose verschlechtert, ist eine frühzeitige Diagnose wichtig. Wie Vavricka et al in einer Unter­suchung der Schweizer IBD-Kohorte zeigten, erfolgte die Diagnose „IBD“ in 25 % der Fälle mit einer sehr langen Verzögerung (>24 Monate).<sup>10</sup> Eine wichtige Rolle in der IBD-Diagnostik spielt die Calprotectin-Bestimmung im Stuhl. Der Calprotectin-Wert verhält sich proportional zur Migration neutrophiler Granulozyten durch die Gefässwand in den Darm und ist Ausdruck der intestinalen Schrankenstörung. „Der Nachweis von Calprotectin im Stuhl ist zwar nicht spezifisch für eine IBD, er ist aber ein Alarmsymptom“, so Dr. med. Luc Biedermann, Klinik für Gastroenterologie und Hepa­tologie, Universitätsspital Zürich. Zudem ist der Test ein verlässliches Screeninginstrument zur Unterscheidung zwischen einer entzündlichen Darmerkrankung und einem Reizdarmsyndrom.<sup>11</sup><br /> „Studien mit IBD-Patienten zeigen, dass die Korrektur von Eisenmangel und Anämie auch dann zu einer deutlichen Zunahme der Lebensqualität führt, wenn keine spezifischen Anämiesymptome vorliegen“, so Biedermann. Das Vorgehen bei der Eisensubstitution wird in den europäischen Richtlinien zur Diagnose und Behandlung der Eisenmangelanämie bei IBD (ECCO-Guidelines) beschrieben.<sup>12</sup><br /> Demnach ist grundsätzlich eine orale oder eine parenterale Substitution möglich. „In der Regel wird bei IBD-Patienten aber eine i.v. Gabe bevorzugt“, so der Spezialist. Grund sei die oftmals schlechte Verträglichkeit von peroralem Eisen bei IBD-Patienten. So wird auch im klinischen Alltag immer wieder eine vermehrte Krankheitsaktivität, schlimmstenfalls ein Schub nach peroraler Eisengabe beobachtet. Die Substitution kann anhand eines einfachen Schemas erfolgen (Abb. 3), das in der FERGIcor-Studie evaluiert wurde.<sup>13</sup></p></p>
<p class="article-quelle">Quelle: Medizinjournalistin<br/>
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Quelle:<br/>
Iron Academy 2015, 30. April 2015, Zürich
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<a class="literatur" data-toggle="collapse" href="#collapseLiteratur" aria-expanded="false" aria-controls="collapseLiteratur" >Literatur</a>
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<p><strong>1</strong> Referral guidelines for suspected cancer. NICE Guidelines [CG 27], 2005, www.nice.org.uk/guidance/cg27<br /><strong>2</strong> Neal RD et al: Comparison of cancer diagnostic intervals before and after implementation of NICE guide­lines: analysis of data from the UK General Practice Research Database. Br J Cancer 2014; 110: 584-592<br /><strong>3</strong> Torring ML et al: Time to diagnosis and mortality in colorectal cancer: a cohort study in primary care. Br J Cancer 2011; 104: 934-940<br /><strong>4</strong> Ludwig H et al: Prevalence of iron deficiency across different tumors and its association with poor performance status, disease status and anemia. Ann Oncol 2013; 24: 1886-1892<br /><strong>5</strong> Gilreath JA et al: Diagnosis and treatment of cancer-related anemia. Am J Hematol 2014; 89: 203-212<br /><strong>6</strong> O‘Donnell M et al: Urinary sodium and potassium excretion, mortality, and cardiovascular events. N Engl J Med 2014; 371: 612-623<br /><strong>7</strong> Anker SD et al: Ferric carboxymaltose in patients with heart failure and iron deficiency. N Engl J Med 2009; 361: 2436-2448<br /><strong>8</strong> Ponikowski P et al: Beneficial effects of long-term intravenous iron therapy with ferric carboxymaltose in patients with symptomatic heart failure and iron deficiency. Eur Heart J 2015; 36: 657-668<br /><strong>9</strong> Kidney Disease: Improving Global Outcomes (KDIGO) CKD Work Group: KDIGO 2012: Clinical Practice Guideline for the Evaluation and Management of Chronic Kidney Disease. Kidney Int 2013; 1(S3): S1-150<br /><strong>10</strong> Vavricka SR et al: Systematic evaluation of risk factors for diagnostic delay in inflammatory bowel disease. Inflamm Bowel Dis 2012; 18: 496-505<br /><strong>11</strong> van Rheenen PF et al: Faecal calprotectin for screening of patients with suspected inflammatory bowel disease: diagnostic meta-analysis. BMJ 2010; 341: c3369<br /><strong>12</strong> Dignass AU et al: European consensus on the diagnosis and management of iron deficiency and anaemia in inflammatory bowel diseases. J Crohns Colitis 2015; 9: 211-222<br /><strong>13</strong> Evstatiev R et al: FERGIcor, a randomized controlled trial on ferric carboxymaltose for iron deficiency anemia in inflammatory bowel disease. Gastroenterology 2011; 141: 846-853</p>
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