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PEPra

Ein Gesamtpaket für Prävention in der Arztpraxis

Prävention und Gesundheitsförderung zählen zu den Kernkompetenzen von Grundversorgerinnen und Grundversorgern. In der Praxis aber erweisen sich diese Themen oft als schwierig und teilweise auch frustrierend. Mit dem Projekt «PEPra – Prävention mit Evidenz in der Praxis» schafft die FMH-Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte zusammen mit weiteren Partnern ein Gesamtpaket, das die Grundversorgerinnen und Grundversorger bei diesen Tätigkeiten unterstützt.

Dass Präventiona in der ambulanten medizinischen Grundversorgung einen zentralen Stellenwert hat, ist seitens der Ärzteschaft unbestritten.1 Ebenso unbestritten ist ihr Potenzial: Ein Grossteilb der Bevölkerung sucht mindestens einmal jährlich eine Arztpraxis auf und kann bei dieser Gelegenheit auf Präventionsthemen angesprochen werden.Ärztinnen und Ärzte können ihre Patientinnen und Patienten zu Verhaltensänderungen oder zu anderen präventiven Massnahmen motivieren, sie beraten und unterstützen. Sie leisten so einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von vermeidbaren Krankheiten.

Die Umsetzung in der Praxis hingegen ist mit verschiedenen Schwierigkeiten verbunden:1–6

  1. Zeit: Beratung in Zusammenhang mit Prävention braucht Zeit – diese ist in der Sprechstunde jedoch begrenzt. Zudem steht die präventive Arbeit in der Konsultation zeitlich gewissermassen in Konkurrenz mit der klassischen Versorgung erkrankter Personen, da die hausärztlichen Sprechstunden gut ausgelastet sind. Das Problem ist folglich keine Mengenausweitung, sondern eine Frage der Allokation der zeitlichen Ressourcen.

  2. Motivation und Geduld: Präventive Massnahmen zielen meist auf die Reduktion von Risikofaktoren und auf die Stärkung von Schutzfaktoren ab, die beide oft nur über Verhaltensänderungen zu erreichen sind. Verhaltensänderungen zu erreichen ist insofern schwierig, als sie untrennbar mit der Motivation der Patientin oder des Patienten verbunden sind und mit Rückschlägen und Misserfolgen einhergehen. Gefragt sind also Kommunikationsmethoden, die bei der Motivation der Patienten ansetzen, sowie Geduld von allen Beteiligten.

  3. Unterstützende Tools und Vernetzung mit weiteren Angeboten: Für eine zielgerichtete und effiziente Beratung zu Prävention und Gesundheitsförderungsthemen in der Arztpraxis braucht es spezifische Toolsc, welche in der Konsultation unterstützend eingesetzt werden können. Solche Tools existieren zwar, sind aber oft nur mit aufwendiger Suche auffindbar. Dasselbe gilt für vor- und nachgelagerte Angebote im Bereich Prävention, wie z.B. Bewegungsförderungsangebote, Rauchstoppberatungen oder Suchtberatungsangebote.

  4. Strukturelle und finanzielle Rahmenbedingungen: Für Beratungsleistungen muss nicht nur genügend Zeit zur Verfügung stehen, sie müssen auch adäquat abgegolten werden. Dies gilt für die ärztliche Beratung ebenso wie auch für Beratungsleistungen, welche von medizinischen Praxisfachpersonen erbracht werden. Diese Rahmenbedingungen sind in der Schweiz ungenügend, würden aber durch die Einführung der Tarifstruktur TARDOC eine Verbesserung erfahren.

Will man präventive Arbeit in der Arztpraxis fördern, muss man sich dieser Schwierigkeiten annehmen. Der vierte Punkt – die Verbesserung der strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen für präventive Arbeit in der Grundversorgerpraxis – ist und bleibt ein zentrales Anliegen von Ärztevereinigungen der Grundversorger und von einschlägigen Fachgesellschaften.

Als Antwort auf die drei erstgenannten Schwierigkeiten hat die FMH zusammen mit weiteren Partnern das Projekt «PEPra – Prävention mit Evidenz in der Arztpraxis» lanciert.

Was ist PEPra?

PEPra ist ein Projekt der FMH und weiterer Trägerorganisationen zur Förderung der Prävention und Früherkennung in der ambulanten medizinischen Grundversorgung. Der Schwerpunkt liegt auf der Prävention und Früherkennung im Bereich der nicht übertragbaren Krankheiten (NCD) sowie der psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen. Das Projekt wird im Zusammenhang mit der Umsetzung der NCD-Strategie unterstützt durch die Projektförderung «Prävention in der Gesundheitsversorgung» (PGV) der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH). Vier Pilotkantone (Basel Stadt, Freiburg, St.Gallen und Luzern) sind am Projekt beteiligt.

Was bietet PEPra?

PEPra unterstützt die ärztlichen Grundversorgerinnen und Grundversorger sowie die medizinischen Praxisfachpersonen mit einem Gesamtpaket. PEPra baut dabei auf bereits erprobten, von der Ärzteschaft entwickelten nationalen Programmen und Ansätzen für Prävention in der Arztpraxisd auf und gestaltet diese durchlässig. Evidenzbasiert, patientenzentriert und praxisorientiert: Das sind die Leitprinzipien von PEPra.

PEPra richtet sich sowohl an die Ärzteschaft als auch an die medizinischen Praxisfachpersonen («Praxis als Team»). Dieser interprofessionellen Ausrichtung liegt die Überzeugung zugrunde, dass das Potenzial von präventiver Arbeit in der Arztpraxis verstärkt werden kann, wenn Arzt oder Ärztin und medizinische Praxisfachperson gleichermassen sensibilisiert sind und sogenannte «windows of opportunity» nutzen, um Patientinnen und Patienten auf relevante Themen anzusprechen. Zudem ist die vermehrte interprofessionelle Arbeit auch ein möglicher Weg, um das vorerwähnte Zeitproblem zu entschärfen.

Das PEPra-Gesamtpaket besteht aus drei Produkten (Abb. 1):

  • einem modularen Fortbildungsangebot,

  • einer Website mit konkreten Tools, Leitfäden und Empfehlungen,

  • Übersichten über bestehende vor- und nachgelagerte regionale Angebote im Bereich Prävention, wie z.B. ambulante Rauchstoppberatungen, Bewegungsförderungsangebote, Suchtberatung etc.

Abb. 1: Das PEPra-Gesamtpaket. Die Pfeile symbolisieren die Beziehungen der einzelnen Elemente untereinander. PEPra – Prävention mit Evidenz in der Praxis, FMH 2021

Die einzelnen Produkte beziehen sich aufeinander und bilden so ein kohärentes Gesamtpaket. Thematisch umfasst PEPra vorläufig die Themen der Programme, auf denen PEPra aufbaut,d ist aber so konzipiert, dass laufend weitere Themen integriert werden können.

Modulare Fortbildungen

Kernelement von PEPra sind die modularen Fortbildungen, welche sich an ärztliche Grundversorgerinnen und -versorger und an die medizinischen Praxisfachpersonen richten. Das Fortbildungsangebot besteht aus generischen wie auch themenspezifischen Modulen. Die Module sind kohärent, aber nicht hierarchisch aufgebaut, d.h., sie ergänzen sich und beziehen sich aufeinander, können aber je nach Bedarf einzeln besucht werden; der Einstieg ist in jedes Modul möglich.

In den Fortbildungen wird systematisch das «Was» (Theorie, wissenschaftliche Erkenntnisse) mit dem «Wie» (Kommunikations- und Beratungsmethoden, Haltungen, Tools etc.) verknüpft und ein Praxisbezug hergestellt. Das Fortbildungsangebot zielt somit auf die Vertiefung von Kompetenzen in den Bereichen, die so oft als schwierig empfunden werden: das Ansprechen einer Thematik, das Motivieren, das Unterstützen und das Begleiten von Patientinnen und Patienten (vgl. Punkt 2 der eingangs genannten Schwierigkeiten).

Dem «motivational interview» (MI) als klientenzentriertem Beratungsansatz mit dem Ziel, intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung aufzubauen, kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu.7 Die Wirkung der «motivierenden Gesprächsführung» wurde in über 200 kontrollierten Studien untersucht. Dass sie wirksamer ist als Standardinterventionen, konnte auch bei kurzen Gesprächen (<10Min.) nachgewiesen werden.8 In Kombination mit dem Ansatz des vom KHM entwickelten «Gesundheitscoachings»d wird das MI im Rahmen von PEPra als ein generisches Fortbildungsmodul für die Prävention in der Arztpraxis aufgebaut und positioniert.

Ein weiteres generisches Element stellen die EviPrev-Empfehlungen dar, die aufzeigen, bei welchen Patientinnen und Patienten zu welchem Zeitpunkt gestützt auf die vorliegende wissenschaftliche Evidenz welches Präventionsthema angesprochen werden soll. Zusammen mit weiteren Kommunikations- und Beratungstechniken wie dem «shared decision making» und der Kommunikation von Nutzen und Risiken sind sie Gegenstand eines weiteren generischen Moduls. Ergänzt wird das Fortbildungsangebot durch themenspezifische Module,e bei denen bewährte Interventions- und Beratungsmethoden sowie konkrete Tools zum jeweiligen Thema im Zentrum stehen.

Website für Prävention in der Arztpraxis

Die Website dient als Zugang für Anwender zu PEPra. Sie wird insbesondere Tools, Leitfäden, Patientenbroschüren und Empfehlungen enthalten, die mit wenigen Klicks aufgefunden und im Praxisalltag im direkten Gespräch mit den Patientinnen und Patienten verwendet werden können. Sie dient auch als Einschreibeplattform für PEPra-Fortbildungen.

Übersicht über vor- und nachgelagerte regionale Angebote

Gerade weil die Zeit für Konsultationen begrenzt ist und Verhaltensänderungen Zeit benötigen, kann es oft sinnvoll sein, Patientinnen und Patienten zu motivieren, bestehende Angebote im Bereich Prävention inner- und ausserhalb der Gesundheitsversorgung (Rauchstoppberatung, Bewegungsförderungsangebote, Suchtberatung etc.) in Anspruch zu nehmen. Im Rahmen des Projektes erstellen die Pilotkantone Übersichten über die bestehenden vor- und nachgelagerten Angebote in ihrer Region (oder entwickeln teilweise bestehende Übersichten weiter) und stellen sie auf der PEPra-Webseite zur Verfügung.

Wann wird PEPra umgesetzt?

PEPra ist ein Pilotprojekt. Die oben genannten Produkte sind im Aufbau begriffen. Die Website www.pepra.ch wird voraussichtlich ab Herbst 2021 etappenweise aufgeschaltet. Ausgewählte Fortbildungen werden ab Frühling 2022 in den vier Pilotkantonen angeboten. Möglichkeiten für eine nachhaltige Weiterführung nach der Projektphase werden im Rahmen des Projektes erarbeitet.

Fazit

Prävention in der Arztpraxis ist und bleibt anspruchsvoll. Mit dem im Rahmen des Projektes zu schaffenden koordinierten Gesamtpaket sollen die Ärzteschaft sowie die medizinischen Praxisfachpersonen in dieser Arbeit unterstützt werden. Die Projektevaluation wird zeigen, inwiefern das Projekt diesem Anspruch gerecht werden kann. Die Nachhaltigkeit aber hängt wesentlich davon ab, ob es parallel dazu gelingt, auch die verhältnispräventiven Bedingungen – die angesprochenen strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen – zu verbessern.

Steckbrief zum Projekt «PEPra – Prävention mit Evidenz in der Praxis»

  • Kontext: Nationale Strategie nicht übertragbare Krankheiten (NCD-Strategie), Massnahmenbereich 2 «Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV)»

  • Projektförderung: Unterstützt durch die Projektförderung «Prävention in der Gesundheitsförderung» (PGV) der Stiftung Gesundheitsförderung Schweiz (GFCH), im Rahmen einer «direkten Zusammenarbeit GFCH/BAG – FMH» (komplementär zur proaktiven Projektförderung)

  • Projektträger: FMH

  • Trägerschaftspartner: Kollegium für Hausarztmedizin (KHM), Unisanté, Praxis Suchtmedizin Schweiz, Verein EviPrev, Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM), Konferenz der Kantonalen Beauftragten für Suchtfragen (KKBS), Verband medizinischer Praxisfachpersonen (SVA)/Association romande des assistantes médicales (aram)

  • Patronat: Schweizerische Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM), Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe), Pädiatrie Schweiz, Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG), Schweizerische Akademie für Psychosomatische und Psychosoziale Medizin (SAPPM), Schweizerische Gesellschaft für Suchtmedizin (SSAM), Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP)

  • Projektdauer: 2020–2024

  • Finanzierung GFCH: CHF 1,725 Mio. (inkl. Evaluation)

  • Gesamtbudget: ca. CHF 2,2 Mio. (inkl. FMH-interne Projektleitung)

  • Evaluation: Interface & IHAM&CC Luzern

  • Pilotkantone: Basel Stadt, Freiburg, St. Gallen, Luzern

a «Prävention» wird hier als Oberbegriff für Primär-, Sekundär-, Tertiär-, und Quartärprävention verwendet.

b In der Schweiz suchen 75–80% der Bevölkerung mindestens einmal jährlich eine Arztpraxis auf.

c So z.B. die Gesundheitscoaching-Tools ( https://www.gesundheitscoaching-khm.ch/ ), die EviPrev-Empfehlungen ( https://eviprev.ch/ ), Entscheidungshilfen ( https://www.unisante.ch/fr/centre-medical/professionnels-sante/aides-decision ) und Faktenboxen ( https://www.hardingcenter.de/de/transfer-und-nutzen/faktenboxen ), das Handbuch Praxis Suchtmedizin ( https://www.praxis-suchtmedizin.ch/ ) u.v.m.

d Dazu gehören das «Gesundheitscoaching» des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) ( https://www.gesundheitscoaching-khm.ch/ ), das Programm «Frei von Tabak» ( https://www.freivontabak.ch ), das von Unisanté angebotene Programm «PAPRICA» ( https://www.paprica.ch ), die beiden von der FMH entwickelten älteren Programme «Krise und Suizid» und «Früherkennung Risikokonsum Alkohol» sowie die «EviPrev-Empfehlungen» des gleichnamigen Vereins ( https://eviprev.ch ). Das Thema Sturzprävention wird in einem eigenen Projekt ausserhalb von PEPra entwickelt ( https://www.stoppsturz.ch/ ), ist aber thematisch in PEPra eingebunden.

e Es sind dies die folgenden Themen: Tabak, Alkohol, Drogenkonsum, Spiel- und Onlinesucht, Stress & Depression, Bewegung, Sturzprävention.

1 Cherix Zyska A: Quelle perception ont les médecins de famille en Suisse de leur rôle dans la prévention et la promotion de la santé? Université de Lausanne 2014. http://serval.unil.ch 2 Verein EviPrev: «FocusPrev I» und «FocusPrev II», 2006–2009. https://eviprev.ch/downloads/ 3Zufferey-Caiata M, De Pietro C: Evaluation du processus de mise en œuvre du projet-pilote Girasole. Rapport final à l’attention de l’Office fédéral de la santé publique. Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana (SUPSI), Manno 2018 4 Oetterli M et al.: Evaluation des Pilotprojekts im Kanton Tessin: Synthesebericht 2019. Interface, Luzern 2019 5 Neuner-Jehle S: Schlussbericht über das vom BAG subventionierte Projekt «Gesundheitscoaching KHM» 2015–2018. 2018 6 Steiger D, Brauchbar M: Analyse IST-Zustand präventiver Angebote im Sinne der Prävention in der Gesundheitsversorgung (PGV) in der ambulanten Praxis. 2018 EvalueScience, im Auftrag des BAG. 2018 7 Miller WR, Rollnick S: Motivierende Gesprächsführung. Motivational Interviewing: 3. Auflage des Standardwerks in Deutsch. Freiburg im Breisgau: Lambertus Verlag; 2015 8 Gache P, Sommer J: Comment motiver le patient à arrêter de fumer? Sensibilisation à l’entretien motivationnel. Rev Med Suisse 2018; 14: 229-30

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