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Die Hüftfraktur im Alter
DAM
Autor:
Prim. Dr. Georg Pinter
Haus der Geriatrie<br> Abteilung für Geriatrie und Chronisch Kranke am Klinikum Klagenfurt
Autor:
Prim. apl. Univ.-Prof. Dr. Ernst J. Müller
Vorstand der Abteilung für Unfallchirurgie Klinikum Klagenfurt und LKH Wolfsberg<br> Akademische Lehrabteilung der Medizinischen Universität Graz<br> Sprecher Traumanetzwerk Kärnten und Osttirol<br> E-Mail: ernst.mueller@kabeg.at
30
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19.10.2017
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<p class="article-intro">Frakturen im Alter sind in der überwiegenden Zahl der Fälle durch die Kombination von Osteoporose und einem niederenergetischen Sturz bedingt. Jährlich stürzen etwa 30 % der über 65-jährigen und noch im eigenen Haushalt lebenden Personen, bei Heimbewohnern ist der Anteil sogar noch höher.</p>
<hr />
<p class="article-content"><p>Der Knochenbruch ist als Endpunkt der Systemveränderung Osteoporose zu sehen, am Extremitätenskelett u.a. als hüftnaher Oberschenkelbruch (Hüftfraktur). Eine Hüftfraktur ist für die Betroffenen nach wie vor ein sehr einschneidendes Ereignis und resultiert für viele Patienten in einer wesentlichen Einschränkung der Mobilität mit der Notwendigkeit, Gehhilfen zu verwenden, in einer Beeinträchtigung des allgemeinen Gesundheitszustandes und nicht selten der Notwendigkeit einer Unterbringung in einer Pflegeeinrichtung. Die Komplikationsrate im Rahmen der Versorgung ist nach wie vor sehr hoch, ebenso wie die Krankenhaus- und auch die 1-Jahres-Sterblichkeit.<br /> Die offensichtliche Fraktur ist als Indikator für ein fragiles und verletzliches System anzusehen, mit möglichen verheerenden allgemeinen und spezifischen Behandlungskomplikationen und Folgeerkrankungen. Dies wird einerseits bedingt durch die komplexen Frakturmuster bei osteoporotischem Knochen, mit reduzierter Verankerungsstabilität der Implantate, und andererseits durch die oftmals begleitende Polymorbidität des Patienten in Verbindung mit Gebrechlichkeit („frailty“) als Folge des natürlichen Alterungsprozesses.</p> <h2>Epidemiologie</h2> <p>Die Inzidenz der Hüftfraktur beträgt im deutschsprachigen Raum ca. 140/100 000 Einwohner und Jahr. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer. Bei über 65-Jährigen steigt die Inzidenz signifikant an (ca. 660/100 000 Einwohner und Jahr). Nahezu zwei Drittel der Betroffenen sind hochbetagt (>80 Lebensjahre). Das Lebenszeitrisiko, eine Hüftfraktur zu erleiden, beträgt für Frauen über 50 Jahre 22,9 % und für Männer über 50 Jahre 10,7 % .</p> <h2>Problemstellung</h2> <p>Der betagte Patient mit einer hüftnahen Oberschenkelfraktur ist beim Eintreffen im Krankenhaus in der Regel dehydriert, oft in einem reduzierten Ernährungszustand, ist verwirrt oder hat zumindest ein hohes Risiko, verwirrt zu werden, und weist häufig mehrere Begleiterkrankungen auf. Er befindet sich oft in einem labilen Gleichgewicht der Kompensation mit nur geringen Reserven, um Abweichungen auszugleichen. Er hat ein höheres Risiko für thromboembolische und gastrointestinale Komplikationen und ein höheres Risiko, an einer Infektion zu erkranken.<br /> Er versteht die medizinische Problematik und die möglichen Folgen der Verletzung und deren Behandlung nur bedingt oder überhaupt nicht und ist aufgrund seiner Begleiterkrankungen nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht kooperativ.<br /> Beim Erstkontakt im Krankenhaus besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, relevante Begleiterkrankungen und das daraus resultierende Risiko an Komplikationen zu übersehen und somit die ersten Möglichkeiten zur Optimierung des reduzierten Allgemeinzustandes ungenutzt verstreichen zu lassen.<br /> Aus der Literatur ergibt sich als Entscheidungs- und Handlungsgrundlage die essenzielle Erkenntnis, dass sich nur durch einen strukturierten und nachvollziehbaren Behandlungsablauf, basierend auf eindeutigen Entscheidungskriterien anhand von Patientenparametern und der Einbindung aller beteiligten Fachdisziplinen, die Behandlungsergebnisse für diese Patientengruppe verbessern lassen.</p> <h2>Strukturierter Behandlungspfad</h2> <p>Auf Grundlage dieser Erkenntnisse und eigener Erfahrungen wurde am Klinikum Klagenfurt a.W. ein durchgängiger Behandlungspfad für geriatrische Patienten mit einer hüftnahen Oberschenkelfraktur mit nachfolgenden Schwerpunkten etabliert:</p> <ol> <li>Eine primäre zeitnahe chirurgische Versorgung bis 24 (48) Stunden nach Aufnahme, um die intensiven Schmerzperioden zu minimieren, den stationären Aufenthalt zu verkürzen und schwerwiegende immobilisationsbedingte Komplikationen zu vermeiden.</li> <li>Eine chirurgische Entscheidungsfindung, die neben der Frakturlokalisation und -form auch das Patientenalter, den funktionellen Anspruch des Patienten, seinen mentalen Status (MiniCog-Test) und das individuelle perioperative Risiko berücksichtigt.</li> <li>Ein internistisch-geriatrisches Screening (u.a. ISAR-Score) zur Erfassung wesentlicher medizinischer Probleme des Patienten schon bei der Aufnahme und die Einleitung von therapeutischen Maßnahmen, falls erforderlich noch vor der chirurgischen Intervention oder dann unmittelbar anschließend, um die Rate perioperativer Komplikationen zu senken.</li> <li>Eine angemessene Schmerztherapie ab dem Eintreffen in der Erstaufnahme, um ein unnötiges Leiden der Patienten zu vermeiden, eine unmittelbare postoperative Mobilisierung zu ermöglichen und das Risiko für ein Delir zu reduzieren.</li> <li>Eine unmittelbare postoperative Mobilisierung und Physiotherapie – Tag 1 nach OP – und eine Entfernung des Harnkatheters nach 24–48 Stunden, um die Rate an perioperativen Komplikationen zu verringern und das funktionelle Ergebnis zu verbessern.</li> <li>Delir-Screening und -Diagnostik (CAM), eine Delir-Prophylaxe und, falls erforderlich, eine strukturierte Delir-Therapie beginnend mit der Erstaufnahme des Patienten.</li> <li>Eine patientenfokussierte, fachübergreifende zielorientierte Zusammenarbeit, um die zeitlichen Abläufe zu optimieren, die Komplikationsrate zu verringern und gegebenenfalls den stationären Aufenthalt zu verkürzen.</li> <li>Des Weiteren wurde über einen Zeitraum von 10 Monaten der Vitamin-DSpiegel bei Aufnahme ermittelt.</li> </ol> <h2>Ergebnisse</h2> <p>In einer ersten Auswertung von 65 Patienten (>75 LJ) zeigte sich ein signifikanter bzw. schwach signifikanter Zusammenhang zwischen dem Ergebnis des MiniCog- Tests und der Mortalität, ebenso zeigte sich ein signifikanter Zusammenhang zwischen den beiden Tests und dem Auftreten eines Delirs, d.h., beim Vorliegen einer Demenz und/oder bei einem ISAR-Score von drei und mehr Punkten hat der Patient ein signifikant erhöhtes Risiko, ein Delir zu erleiden und/oder sogar zu sterben.<br /> Alle Patienten, die nach dem Pfad behandelt wurden, zeigten eine hochsignifikante Zunahme der Funktionalität – „Timed up & go“(TUG)-Test, Barthelindex und Esslinger Transferskala –, der Gewinn an Funktionalität lag deutlich über dem Ergebnis des Gesamtkollektivs an der Abteilung für Akutgeriatrie und über dem Ergebnis des Gesamtkollektivs im österreichischen Benchmarksystem der Akutgeriatrien.<br /> Hinsichtlich des Vitamin-D-Spiegels (172 Patienten >75 LJ) zeigte sich bei 68 % der Patienten ein Mangel (≤20ng/l) und bei 18,6 % eine Unterversorgung (21–29ng/l), nur bei 13,4 % befand sich der Vitamin-D-Spiegel im Normbereich. Eine vorbestehende Substitutionstherapie war nur bei 23,3 % der Patienten gegeben, bei Frauen doppelt so häufig im Vergleich zu Männern.</p> <h2>Zusammenfassung</h2> <p>Die von uns implementierten Werkzeuge zur Patientenevaluierung (MiniCog, ISAR und CAM) sind in der Praxis gut anwendbar und ermöglichen die Identifikation von Hochrisikopatienten im klinischen Alltag. Bei den Patienten, die gemäß unserem Behandlungspfad behandelt wurden, war ein signifikanter Zuwachs an Funktionalität zu verzeichnen. Dieser lag deutlich über dem des Gesamtkollektivs der Abteilung für Akutgeriatrie und Rehabilitation und auch deutlich über dem des Gesamtkollektivs der Patienten im österreichischen Benchmarksystem. Zusätzlich konnte gezeigt werden, dass eine Vitamin-D-Substitution notwendig und sinnvoll ist.</p></p>