Das kardiovaskuläre Risiko von IBD-Patienten
Bericht: Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Eine aktive IBD erhöht das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, während bestehende kardiovaskuläre Probleme die Wahl der Medikation erschweren. Das Ziel ist es, die richtige Balance zu finden: Vorsicht bei Risikopatienten, aber keine pauschale Zurückhaltung bei wirksamen Therapien für Patienten, die sie dringend benötigen.
Das steigende Lebensalter in den Industrieländern zeigt sich nicht nur in der Gesamtbevölkerung, sondern auch in spezifischen Patientengruppen beispielsweise mit «inflammatory bowel diseases», IBD.
Gemäss den Ergebnissen einer epidemiologischen Studie aus Dänemark verdoppelte sich die Prävalenzrate für eine IBD im Zeitraum von 1995–2016, wobei die grösste Zunahme mit einem Faktor von 2,5 bei den >40-Jährigen verzeichnet wurde. Das mediane Alter der IBD-Population nahm während der zwei Dekaden um 6–7 Jahre zu. Die höchsten Inzidenzraten wurden bei Kindern und Jugendlichen verzeichnet.1
«Die vermehrte Behandlung von älteren Patienten bedeutet, dass wir uns zunehmend auch mit den kardiovaskulären (CV) Risiken beschäftigen müssen», sagte Dr. med. Charlotte Hedin von der Karolinska-Universität in Stockholm, Schweden. Eine aktive IBD verursacht einen prothrombotischen Zustand und ist mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert.2 Gemäss einer aktuellen Untersuchung des Karolinska-Instituts gibt es Hinweise auf einen bidirektionalen Zusammenhang zwischen den heute bekannten entzündlichen Faktoren für eine IBD und denjenigen für eine atherosklerotische Erkrankung.3
Zudem können die zur Behandlung bei IBD eingesetzten Medikamente das CV Risiko verändern. Dies herauszufinden ist nicht einfach, denn die am meisten gefährdeten Patienten – mit einem höheren Lebensalter und CV Erkrankungen oder Risikofaktoren – werden aus klinischen Studien vielfach ausgeschlossen.
Wie sicher sind IBD-Medikamente?
Cortison und Anti-TNF-Inhibitoren
Hier ging die Referentin zunächst auf das CV Risiko von älteren Medikamenten ein. Die dazu präsentierten Ergebnisse einer retrospektiven Kohortenstudie mit IBD-Patienten zeigten, dass Patienten mit Morbus Crohn, die über eine längere Zeit mit Kortikosteroiden behandelt wurden, ein höheres Risiko für Tod, schwere kardiovaskuläre Ereignisse und kardiale Ereignisse etc. aufwiesen als Patienten, die mit einem Tumornekrosefaktor-α-Inhibitor (anti-TNF) behandelt worden waren. Weniger eindeutig waren die Ergebnisse bei Patienten mit Colitis ulcerosa (CU).4
Die erhöhte Awareness für das CV Risiko von IBD-Medikamenten wurde durch die Ergebnisse der randomisierten und open-label durchgeführten Postmarketingstudie ORAL ausgelöst.5 Diese verglich das CV Risiko und das Krebsrisiko unter der Therapie mit dem Januskinase-Inhibitor (JAKi) Tofacitinib (2xtägl. 5 und 10mg) versus eine Anti-TNF-Therapie bei Patienten, die trotz der Behandlung mit Methotrexat an einer aktiven rheumatoiden Arthritis (RA) litten. Die Patienten waren 50 Jahre oder älter und hatten mindestens einen CV Risikofaktor. Dabei zeigte sich, dass die mit Tofacitinib behandelten Patienten ein erhöhtes Risiko (HR:1,33, CI: 95%) für schwerwiegende unerwünschte kardiovaskuläre Ereignisse (MACE) hatten. Allerdings zeigte sich bei einer Subanalyse, dass das erhöhte Risiko vor allem Patienten betraf, die älter als 65 Jahre waren.
Januskinase-Inhibitoren bei IBD
Eine Analyse der Tofacitinib-Zulassungsstudien fand keinen Hinweis auf eine erhöhte Inzidenz von MACE bei IBD-Patienten.6 Auch in der 7-jährigen Verlängerungsstudie OCTAVE open bei Patienten mit CU wurde keine Zunahme von MACE beobachtet.7 Bei der Stratifizierung der MACE-Inzidenz in den klinischen OCTAVE-Studien nach dem CV Risiko ergab sich jedoch ein ähnliches Bild wie in der ORAL-Studie bei RA-Patienten: Bei einer vorbestehenden atherosklerotischen kardiovaskuläre Erkrankung oder einem mittleren bis erhöhten CV Risiko war die MACE-Inzidenz bei den mit Tofacitinib behandelten CU-Patienten erhöht.8 Anschliessend präsentierte die Referentin noch die Sicherheitsdaten aus den beiden 8-wöchigen Induktionsstudien U-ACHIEVE und U-ACCOMPLISH sowie der 52-wöchigen Verlängerungsstudie U-ACHIEVE maintenance mit dem JAKi Upadacitinib. Auch hier fanden sich keine Hinweise auf unerwünschte schwerwiegende CV Ereignisse bei den untersuchten Patienten mit moderater bis schwerer aktiver CU.9
Trotz dieser Ergebnisse mahnen die amerikanische Zulassungsbehörde FDA und die europäische Arzneimittelagentur EMA zur Vorsicht bei der Behandlung mit JAKi bei Personen, die 65 Jahre oder älter sind.10,11 Wie kam es zu dieser Entscheidung? «Die Kriterien für den Einschluss in klinische Studien sind streng und nicht repräsentativ für die Patienten, die wir täglich behandeln. Oft erhalten wir wichtige Sicherheitsinformationen erst, wenn wir das Medikament einer normalen Patientenpopulation verabreichen», sagte Hedin. Eine Metaanalyse von Real-World-Studien, die das Auftreten von unerwünschten Ereignissen unter der Behandlung mit Tofacitinib bei CU-Patienten untersuchte, fand aber ebenfalls kein erhöhtes Risiko für schwere CV Ereignisse.12 Allerdings handelte es sich bei dem analysierten Datensatz um Patienten mit einem Durchschnittsalter von 41 Jahren. Das sei nicht die gleiche Population wie in der ORAL-Studie, aus der das Sicherheitssignal ursprünglich stammte. «Wir behandeln in der Klinik zunehmend ältere Patienten, die Mehrzahl der Patienten ist aber immer noch jünger, was die Entdeckung von neuen Sicherheitssignalen erschwert.» Die Daten der ORAL- und OCTAVE-Studien deuten darauf hin, dass das Behandlungsrisiko der JAKi vom individuellen CV Risiko zu Behandlungsbeginn abhängig ist. Das ist der Grund für die Empfehlung der Arzneimittelbehörden.
Biologika
Daten aus Registerstudien zeigen, dass IBD-Patienten, die mit Biologika behandelt wurden, im Vergleich zu einer Nicht-Biologikabehandlung, ein reduziertes Risiko für schwere CV Ereignisse wie Myokardinfarkt (MI), Schlaganfall und Mortalität haben. Keine Unterschiede zeigten sich hinsichtlich des Auftretens venöser Thromboembolien (VTE). Auch die Therapie mit «small molecules» erhöhte das Risiko für MI, Schlaganfall oder VTE nicht; während die Gesamtmortalität unter der Behandlung abnahm.13 «Wegen der niedrigeren Behandlungszahlen mit diesen Substanzen sind die Daten etwas unsicherer als bei den Biologika», sagte die Referentin.
Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulatoren
Ein weiterer Wirkstoff in der IBD-Behandlung sind die Sphingosin-1-Phosphat-Rezeptormodulatoren (S1P-Modulatoren). Aus Studien bei Patienten mit Multipler Sklerose und anderen immunvermittelten Erkrankungen, die schon länger mit S1P-Modulatoren behandelt werden, sind das Auftreten von Bradykardien, AV-Block und eine Zunahme des Blutdrucks bekannt.14,15 Die Untersuchung der CV Sicherheit des S1P-Modulators Etrasimod im Rahmen der True-North-Studien, zeigte eine geringfügige Abnahme der Herzfrequenz, eine leichte Zunahme des Blutdrucks und in einzelnen Fällen das Auftreten von Bradykardien. Die Referentin fasste die Ergebnisse folgendermassen zusammen: «Ja, es gibt ein messbares Risiko für unerwünschte CV Ereignisse bei der Therapie mit S1P-Modulatoren, aber die Veränderungen sind gering und wahrscheinlich nicht von grosser Bedeutung für Patienten, die ansonsten kardiovaskulär gesund sind.
CV Risikomanagement bei IBD-Patienten
In der klinischen Anwendung von JAKi ist eine strukturierte Risikobewertung empfohlen. Dazu gehören die Bestimmung des Lipidprofils und gegebenenfalls der Beginn einer Statintherapie sowie die Analyse anderer modifizierbarer Risikofaktoren. Ein spezifischer Risikoscore für IBD-Patienten existiert nicht. «Es können aber die allgemeingültigen Scores zur Einschätzung herangezogen werden», so die Referentin. Patienten mit Risikofaktoren sollten JAKi nur bei fehlenden Alternativen erhalten; bei Risikofaktor-freien Patienten ist ein breiterer Einsatz möglich.
Vor dem Therapiebeginn mit S1P-Modulatoren wird ein EKG empfohlen. Bei einem vorbestehenden AV-Block ist die Behandlung kontraindiziert. Im Vergleich zu den Biologika, die wenig Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zeigten, müsse man zudem bei den neueren Substanzen verstärkt auf mögliche pharmakologische Interaktionen achten.
«Auf der anderen Seite darf man Patienten mit Risikofaktoren eine wirksame Therapie nicht verweigern», sagte die Referentin. CU ist eine progressive Erkrankung und geht mit den Risiken für eine proximalen Ausdehnung, Hospitalisierung, ein kolorektales Karzinom, eine Kolektomie und Invalidisierung einher. Gemäss FDA und EMA sind JAKi bei älteren Patienten und bei Risikofaktoren nicht kontraindiziert, sondern sollten insbesondere zur Erstlinientherapie mit Vorsicht eingesetzt werden. Ein Ausweichen auf Kortikosteroide kann das kardiovaskuläre Risiko ebenfalls erhöhen und führt langfristig zu einem schlechteren Outcome. Wichtig bei der Therapiewahl und der Abwägung von Nutzen und Risiko sei auch der korrekte Vergleich. «Das Auftreten von unerwünschten Ereignissen einer Anti-TNF-Therapie bei 70-jährigen und 20-jährigen Patienten miteinander zu vergleichen, hilft dem älteren Patienten nicht weiter.» Nützlich sei der Vergleich mit gleichaltrigen Patienten unter Placebo oder Standardtherapie. «Es geht darum, abzuschätzen wie hoch das Risiko für einen speziellen Patienten ist, wenn ich ihm das Medikament gebe, und wie hoch das Risiko ist, wenn ich ihm dieses Medikament nicht gebe», so die Referentin.
Quelle:
IBDnet 9th Postgraduate Course, 5. bis 7. Dezember 2024, Ermatingen
Literatur:
1 Agrawal M et al.: The rising burden of inflammatory bowel disease in denmark over two decades: a nationwide cohort study. Gastroenterology 2022; 163: 1547-54 2 Kristensen SL.: Disease activity in inflammatory bowel disease is associated with increased risk of myocardial infarction, stroke and cardiovascular death--a Danish nationwide cohort study. PLoS One 2013; 8: e56944 3 Faye AS et al.: Atherosclerosis as a risk factor of inflammatory bowel disease: a population-based case-control study. Am J Gastroenterol 2024; 119: 313-22 4 Lewis JD et al.: Increased mortality rates with prolonged corticosteroid therapy when compared with antitumor necrosis factor-α-directed therapy for inflammatory bowel disease. Am J Gastroenterol 2018; 113: 405-17 5 Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and cancer risk with tofacitinib in rheumatoid arthritis. N Engl J Med 2022; 386: 316-26 6 Olivera PA et al.: Safety of janus kinase inhibitors in patients with inflammatory bowel diseases or other immune-mediated diseases: a systematic review and meta-analysis. Gastroenterology 2020; 158: 1554-1573 7 Sandborn WJ et al.: Safety and efficacy of tofacitinib for treatment of ulcerative colitis: final analysis of OCTAVE Open, an open-label, long-term extension study with up to 7.0 years of treatment. Aliment Pharmacol Ther 2022; 55: 464-78 8 Schreiber et al.: Major adverse cardiovascular events by baseline cardiovascular risk in patients with ulcerative colitis treated with tofacitinib: data from the OCTAVE clinical programme. J Chrons Colitis 2023; 17: 1761-70 9 Danese S et al.: Upadacitinib as induction and maintenance therapy for moderately to severely active ulcerative colitis: results from three phase 3, multicentre, double-blind, randomised trials. Lancet 2022; 399: 2113-28 10 U.S. Food & Drug Administration (FDA); Janus Kinase (JAK) inhibitors: Drug Safety Communication, 9. Januar 2021. Einsehbar unter: www.fda.gov 11 European Medicines Agency (EMA); Janus kinas inhibitors (JAKi), 23. Januar 2023: Einsehbar unter ema.europa.eu 12 Lucaciu LA et al.: Real-world experience with tofacitinib in ulcerative colitis: a systematic review and meta-analysis. Therap Adv Gastroenterol 2021; 14: 17562848211064004 13 Qapaja T et al.: Biologics and oral small molecules are not associated with increased major adverse cardiovascular events or venous thromboembolism in inflammatory bowel disease. Inflamm Bowel Dis 2025; 31: 1910-16 14 Zhao Z et al.: Risk for cardiovascular adverse events associated with sphingosine-1-phosphate receptor modulators in patients with multiple sclerosis: insights from a pooled analysis of 15 randomised controlled trials. Front Immunol 2021; 12: 795574 15 Lasa JS et al.: Safety of S1P modulators in patients with immune-mediated diseases: a systematic review and meta-analysis. Drug Saf 2021; 44: 645-660
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