<p class="article-intro">Finden Sie auch, dass Patienten mit Gewichtsproblemen so schwierig sind, weil oft die Motivation fehlt? Darf ich Ihnen sagen, wie es noch schlimmer geht? Wenn nämlich die Compliance vorhanden ist und das Gewicht trotzdem steht! Hier ein besonders komplexer Fall, der einige Zeit in Anspruch nahm, aber in vorbildlicher Weise auch von der Patientin selbst mitgetragen wurde!</p>
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<p class="article-content"><h2>Anamnese</h2> <p>Eine 67-jährige pensionierte Akademikerin kommt wegen vielfacher Beschwerden und Gewichtsproblemen in die Praxis. Sie klagt über Hitzegefühle, Hyperhidrosis, multiple Gelenksbeschwerden, vor allem der Handgelenke und des Lumbalbereichs, Nackenschmerzen, immer wiederkehrende Kopfschmerzen und Schlafstörungen, ins­besondere im Sinne von Durchschlafstörungen. Als Vor­erkrankungen lassen sich Adipositas Grad II, eine behandelte Hypertonie, Hypercholesterinämie, Depression sowie eine Schilddrüsenoperation nach hyperthyreotem Zustand mit nachfolgender Substitutionstherapie erheben. Die Patientin gibt auch an, vor einigen Jahren an einem Abnehmprogramm teilgenommen zu haben, welches „bei allen, nur nicht bei mir“ gewirkt hätte. An Medikamenten nimmt sie zu diesem Zeitpunkt Euthyrox 75µg, Sertralin 50mg, Amitriptylin 25mg (ret.) und ein Antihypertonikum bestehend aus 25mg Carvedilol und 12,5mg Hydrochlorothiazid ein.<br /> <br /> Es besteht ein BMI von 35,6kg/m<sup>2</sup> (Adipositas Grad II), der Bauchumfang beträgt 115cm. Der Blutdruck ist mit 137/74mmHg unauffällig. Einem mitgebrachten Laborbefund lassen sich ein Cholesterin von 247mg/dl, Triglyzeride von 225mg/dl, ein TSH von beinahe 7pU/ml, geringfügig erhöhte Transaminasen und insbesondere eine hohe Blutsenkungsgeschwindigkeit (35 bzw. 59mm nach 1 bzw. 2h) entnehmen. Der Blutzucker ist mit 103mg/dl im Normbereich, das HbA<sub>1c</sub> betrug jedoch bei der ersten Kontrolle bei uns 6,2 % . Aufgrund des erhöhten Verhältnisses von Triglyzeriden/HDL (4,8 – es sollte unter 4 sein) ergibt sich der Verdacht auf einen Hyperinsulinismus.<sup>1–3</sup></p> <p><img src="/custom/img/files/files_data_Zeitungen_2016_DAM_Allgemeinm_1607_Weblinks_Seite17.jpg" alt="" width="879" height="437" /></p> <h2>Therapieverlauf</h2> <p>Ich erklärte der Patientin die Bedeutung der Gewichtsreduktion gerade aus metabolischer Sicht und steigerte Euthyrox auf 100µg, beließ aber vorerst die andere Medikation. Die Patientin entschied sich für eine Eine-Mahlzeit-Ersatztherapie zur Gewichtsreduktion. Nachdem einen Monat später kein Erfolg zu sehen war, führten wir eine Bioimpedanzanalyse (BIA) durch, welche einen sehr „mittelmäßigen“ Wert für die fettfreie Masse (Muskelmasse) ergab. Vor allem aber waren ein schlechter zellulärer Ernährungszustand mit interstitieller Überwässerung sowie ein erniedrigter Phasenwinkel von 4,4° zu erkennen (Abb. 1). Dies bestätigte das metabolische Problem und die Wichtigkeit, vor allem stoffwechselmäßig den Schwerpunkt der Veränderung zu setzen. In der Tat gelang es, mit einer konsequenten Ernährungsumstellung auf Produkte mit einer höheren Nährstoffdichte und weiterer Unterstützung mit einem Mahlzeitenersatz, die erhöhten Blutfette und die deutlichen Anzeichen des Hyperinsulinismus vollständig zur Rückbildung zu bringen. Lag das Verhältnis von Triglyzeriden/HDL im mitgebrachten Befund noch bei >4,8, war er 3 Monate später bei 3,36 – also bereits unter dem kritischen Wert von 4!<br /> <br /> Da Insulin ein starker Hemmer der Fettverbrennung ist (es hemmt die Lipolyse und fördert die Bildung und Speicherung von Triglyzeriden), also eine richtige „Abnehmbremse“ wegfiel, erwartete ich, dass jetzt alles recht erfolgreich laufen würde. Überraschenderweise besserten sich aber weder ihre BIA-Werte noch veränderte sich etwas an ihrem Gewicht. Allerdings war der Bauchumfang von 115cm auf 104cm gesunken. Die Essgewohnheiten und damit die Compliance der Patientin konnten gut überprüft werden, da sie das KiloCoach<sup>TM</sup>-Programm verwendete und damit ein genaues Ernährungsprotokoll führte. Die tatsächliche Kalorienzufuhr passte gut zur empfohlenen Kalorienaufnahme und auch die Ausgewogenheitsanalyse, welche jedem KiloCoachTM-Nutzer zur Verfügung steht, ergab ein ziemlich ausgewogenes Verhältnis der Nährstoffe.<br /> <br /> So machten wir uns auf die Suche nach hormonellen Ursachen. Die Hormonwerte waren altersentsprechend, das Serumcortisol nicht erhöht. Jedoch bestand die für die Postmenopause charakteristische Östrogendominanz (erniedrigtes Östrogen bei praktisch fehlendem Progesteron). Ein Versuch, diese auszugleichen, verbesserte ihr Befinden, die Hyperhydrosis und Flush-Symptomatik und auch die Schlafqualität. Die ganze Zeit über bestanden jedoch muskuloskelettale Beschwerden und es war eine relative hohe Frequenz an Infekten zu verzeichnen. Eine immunologische Abklärung ergab negative Rheumafaktoren und ein negatives antinukleäres Antikörperscreening, allerdings ein etwas verringertes Gesamt-IgG und auch eine Verringerung der IgM-Klasse. Die metabolischen Parameter blieben weiterhin im gebesserten Zustand. Trotz allem aber tat sich nach wie vor nichts in Bezug auf das Gewicht und die BIA verweigerte nach wie vor die Anzeige einer Verbesserung im Hydratationszustand und auch bei der Muskelmasse. Und das trotz mehrmaligen Kieser-Trainings pro Woche, welches ich überprüfte und keineswegs als unterschwellig einzustufen hatte! Die Patientin beachtete auch die Pausen zwischen ihren Trainingseinheiten, sodass ein Übertrainingssyndrom nicht anzunehmen war.<br /> <br /> Wir entschieden uns nun für einen Proteinshake als Nahrungsergänzung, was erstmalig zu einer leichten Gewichtsreduktion führte. Erst als ich auch ihre Medikamente nach ihrer Gewichtsneutralität hinterfragte und das Amitriptylin absetzte, zeigte sich eine länger anhaltende Gewichtsabnahme und damit war der Weg für eine zwar langsame, aber doch stete Gewichtsabnahme frei.<br /> <br /> Es gab wohl noch einiges an Auf und Ab und aus der unspezifischen IgG- und IgM-Erniedrigung hat sich inzwischen eine monoklonale Gammopathie (mittlerweile als Smouldering Myeloma eingestuft) entwickelt, welche unter Observanz steht. Die Patientin steht derzeit mit 84kg bei einem BMI von 31,6kg/m<sup>2</sup>. Das Verhältnis von Triglyzeriden/HDL hat sich weiter auf 1,6 verbessert und das HbA<sub>1c</sub> liegt unter 6 % Das Serumcholesterol liegt bei 172mg/dl – ohne lipidsenkende Medikation.</p> <div id="fazit"> <h2>Fazit</h2> <p>Zusammenfassend können aus diesem Fall folgende Schlüsse gezogen werden:</p> <ul> <li>Es hat sich die Vorgehensweise gelohnt, einen Faktor nach dem anderen anzugehen. Man erhält so eine bessere Information über den Effekt einzelner Maßnahmen. Dies nimmt jedoch einige Zeit in Anspruch und setzt Einsicht und Kooperation beim Patienten voraus.</li> <li>Es hat sich bestätigt, dass ein erniedrigter Phasenwinkel immer auch an ein systemisches Geschehen denken lassen sollte. Die Fokussuche sollte hier Vorrang vor der Gewichtsreduktion haben.</li> <li>Gewicht ist nicht alles und Verhaltensänderungen lohnen sich. Wenn es gelingt, durch eine qualitativ verbesserte Ernährung Blutfette und Blutzucker zu verbessern, ist damit eine Reduktion des kardiovaskulären Risikos verbunden, was als Erfolg zu werten ist. Solche Parameter sollten dem Patienten nähergebracht und erklärt werden. Damit können die Compliance und die nötige Motivation für eine meist sehr lange Strecke deutlich gesteigert werden.</li> </ul> <p>Und nun noch ein Wörtchen zur angeblich „fehlenden Motivation“: Sie brauchen nicht Sisyphusarbeit zu leisten! Lehnen Sie sich zurück und atmen Sie durch! Auch wenn es oft nicht nach wilder Entschlossenheit und Veränderungswillen aussieht – der Wunsch abzunehmen ist da! Beinahe ausnahmslos! Und daran gilt es, im Gespräch anzuknüpfen!</p> </div></p>
<p class="article-footer">
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<div class="collapse" id="collapseLiteratur">
<p><strong>1</strong> Li C et al: Does the association of the triglyceride to high-density lipoprotein cholesterol ratio with fasting serum insulin differ by race/ethnicity? Cardiovasc Diabetol 2008; 7: 4<br /><strong>2</strong> McLaughlin T et al: Is there a simple way to identify insulin-resistant individuals at increased risk of cardiovascular disease? Am J Cardiol 2005; 96(3): 399-404<br /><strong>3</strong> McLaughlin T et al: Use of metabolic markers to identify overweight individuals who are insulin resistant. Ann Intern Med 2003; 139(10): 802-9</p>
</div>
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